„Immer noch einen Schritt weiter gehen und unbequem bleiben“ – Interview mit Missy-Herausgeberin Stefanie Lohaus zu #10mehrundMissy

Foto , by Azadeh Zandieh und Zara Zandieh

Yesss, das Missy Magazine wird stolze zehn Jahre alt! Zu diesem Anlass feiern die Missys nicht nur, dass es sie gibt, sondern bitten auch per Crowdfunding um finanzielle Unterstützung, damit sie noch lange weitermachen können.

Ich habe mich mit Herausgeberin Steffi (im Bild untere Reihe Mitte zu sehen) getroffen und über die guten wie anstrengenden Seiten der letzten zehn Jahre gesprochen, was sich seit dem Start damals so verändert hat, sowie darüber, welche aktuellen Hürden sich gerade für Menschen zeigen, die intersektionalen feministischen Journalismus in Zeiten wie diesen (TM) machen. Herausgekommen ist feministischer Real Talk wie ich ihn am liebsten mag und ich hoffe, ihr lest das Gespräch so gerne nach, wie ich es geführt habe.

Was die Missys machen, braucht es meiner Meinung nach jedenfalls mehr denn je und wenn ihr den ein oder anderen Euro entbehren könnt, dann spendet doch hier noch fix bis zum 30. Juni für #10undmehrMissy!


Webseite vom Missy Magazine @missy_magazine Link zum Missy-Crowdfunding #10undmehrMissy

kleinerdrei (Anne): Das Crowdfunding für Missy geht nur noch bis zum 30. Juni und damit in die letzte heiße Phase. Neben dem Geld: Was war denn bisher das Schönste was ihr so an Rückmeldungen bekommen habt?

Steffi (Missy Magazine): Immer wenn wir solche Formen von Unterstützung suchen, bekommen wir die nicht nur, sondern sehr viele Menschen nehmen das auch als Anlass, uns mitzuteilen, wie wichtig wir für ihren Bewusstwerdungsprozess waren, dass wir als Einstieg in den Feminismus fungieren oder dass wir sie zum Nachdenken bringen, sie manchmal auch ärgern und dass sie immer etwas bei uns lernen.

kleinerdrei: Und wenn du so zurückblickst, hast du das Gefühl die Vision, die ihr mit Missy damals hattet als ihr angefangen habt, ist die aufgegangen?

Steffi: Das ist schon aufgegangen. Am Anfang fand ich es unglaublich, das gedruckte Heft in den Händen zu halten. So „Boah, das gibt’s! Und ich mach’s bzw. wir machen’s!“ Dieser Effekt hat sich ein wenig abgenutzt – man gewöhnt sich eben an alles –, aber natürlich ist Missy eine Erfolgsstory.

Also in dem Sinne, dass es dieses Heft gibt und dass wir immer mehr Leser_innen haben und erreichen.

Wir sind kontinuierlich gewachsen. Unser Problem ist gar nicht, dass wir Leser_innen verloren hätten, sondern dass sich die Strukturen drumherum verändern: die Kosten steigen, der Anzeigenmarkt wird generell schwieriger, der digitale Wandel setzt Print unter Druck.

kleinerdrei: Stimmt. Ich habe auch einen Artikel gelesen, wo es um die Anzeigen ging…

Steffi: Generell haben sich die Möglichkeiten für Unternehmen, Parteien, Kulturorganisationen erweitert, Werbung zu machen. Deswegen stehen alle Medienhäuser vor der Frage, wie sie sich in Zukunft finanzieren. Politischer Journalismus wird daher sehr viel stärker darauf angewiesen sein wird, von Leser_innen direkt finanziert zu werden, weil eben das Modell über Anzeigen nicht mehr so funktioniert.

Als feministisches Magazin, dass nicht in die Marketingschubladen von Frauenmagazinen passt, sind wir davon noch stärker betroffen. Und auch wir müssen den digitalen Wandel mitdenken, wenn wir in Zukunft bestehen wollen. Print läuft zwar derzeit gut, aber man merkt generell, dass sich das Leseverhalten ändert und digitaler wird, quer durch die Generationen. Für solche strukturverändernden Maßnahmen haben wir nie Geld übrig, weil wir sowieso schon schlecht bezahlt sind und auch nur geringe Honorare zahlen können.

kleinerdrei: Deswegen ist also auch eure aktuelle Crowdfunding-Kampagne nötig! Was für tolle Sachen kann man denn bei euch bekommen, wenn man euch unterstützt?

Steffi: Bei unseren aktuellen Prämien fürs Crowdfunding kann man zum Beispiel mit der eigenen Institution so Sachen buchen wie ein DJ-Set von Missy. Unsere Begegnungsprämien sind etwas höherpreisig, aber wer gerade eh eine Party plant, findet da vielleicht was! Ansonsten gibt es zum Beispiel auch den tollen Missy Mug, Poster, eine Kette oder Workshops zu verschiedenen Themen.

kleinerdrei: Ich finde es ja extrem großartig, dass es euch schon zehn Jahre gibt! Was würdest du denn der Steffi von vor zehn Jahren vielleicht raten?

Steffi: Ich würde mir raten, dass ich bestimmte Professionalisierungsprozesse – die vielleicht nach außen gar nicht so sichtbar sind, sondern eher unsere interne Zusammenarbeit betreffen – früher hätte anstoßen sollen. Wir haben sehr lange in dieser Wohnzimmermentalität verharrt. Auch so ein bisschen trotzig, DIY, aber das hat halt vieles schwieriger gemacht.

Ganz lange haben wir etwa Aufgaben nach dem Motto verteilt: “Wir wollen mal was zu Thema X machen, wer hat denn da Lust drauf?“ und dann meldet sich jemand – oder auch nicht. Jetzt haben wir eben eine viel stärkere arbeitsteilige Struktur und auch eine Entscheidungsstruktur. Das ist immer noch nicht klassisch-hierarchisch wie in anderen Verlagen – ich habe den Eindruck, dass es dem Ganzen gut tut.

kleinerdrei: Das passt zu meiner nächsten Frage, denn mich interessiert, was denn die größte Veränderung für euch in der redaktionellen Arbeit ist, im Vergleich dazu wie ihr angefangen habt?

Steffi: Der Unterschied ist, dass wir am Anfang sehr stark von uns – Chris, Sonja, Steffi ausgegangen sind und Themen nach dem Motto ausgewählt haben: Interessiert uns das persönlich?

Durch die intersektionalen Debatten haben wir uns verändert, die haben uns geprägt. Dadurch sind viel mehr Positionen ins Heft gekommen, die gar nicht originär zum Beispiel meine sind. Wir haben das Heft als Plattform ein Stück weit abgegeben.

Außerdem bin ich jetzt zehn Jahre älter und viele Sachen die mich noch vor zehn Jahren sehr interessiert haben, tun das jetzt nicht mehr so – dafür aber andere. Beim Thema „Vereinbarkeit“ zum Beispiel war mir immer klar, dass das ein wichtiges feministisches Thema ist, aber jetzt mit eigenen Erfahrungen wird das natürlich emotionaler. Außerdem kommen andere Themen durch andere Leute stärker rein. Wir haben mehr Diversität und auch alterstechnisch eine größere Spannbreite im Team: von 26 bis 45 Jahre.

kleinerdrei: Worauf bist du denn stolz was Missy angeht? Und wo siehst du eure Baustellen?

Steffi: Erstmal bin ich total stolz, dass es uns gibt! Ich würde mir wünschen, dass wir es stärker schaffen, uns in aktuelle Debatten einzubringen. Ich würde sehr gerne auch noch mehr multimedial arbeiten. Und ich würde gerne strategischer überlegen, wie man als Medium – und nicht nur als Betroffene mit der ganzen Hate Speech umgeht. Wie müssen Medien anders funktionieren und reguliert werden, damit das, was gerade passiert, nicht demokratiegefährdend ist? Aber dafür haben wir leider keine Kapazitäten.

kleinerdrei: Einerseits sehen wir heute berühmte Künstler_innen wie Beyoncé, die sich als Feministinnen positionieren und vor allem junge Menschen damit erreichen können. Gleichzeitig ist der antifeministische Backlash stärker denn je, da rechte Parteien und Positionen extrem erstarkt sind. Wie schätzt du die Situation heute ein – ist Feminismus mehr Mainstream geworden? Und habt ihr da mit Missy auch manchmal das Gefühl euch in einem Spagat zu befinden?

Steffi: Was ich als Publizistin merke, ist dass Themen die 2009 nur wenig Aufmerksamkeit erfahren haben, jetzt in den großen Medien stattfinden. Das betrifft wirklich das ganze Spektrum, würde ich sagen. Die Themen sexualisierte Gewalt, allgemein feministische Themen, etwas wie Intersektionalität oder auch das Gendern der Sprache. Das war eine Zeit lang außerhalb feministischer Zusammenhänge ein komplettes No Go – jetzt begegnen mir Gendersternchen, wo ich sie gar nicht erwarten würde.

Ich habe auch den Eindruck, dass alle Redaktionen versuchen, eine feministische Stimme zu haben, der sie dann allerdings immer auch eine unfeministische Person gegenüber stellen, die dann alles wieder relativiert. Aber feministische Positionen finden zumindest statt. Es ging damit los, dass Medien die Frauenquote besprochen haben, dann aber auch verstärkt sexualisierte Gewalt und Sexismus, was nun mit der #metoo-Kampagne einen Höhepunkt hat.

Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich der Hype um Feminismus überhaupt nicht in den Strukturen abbildet, weil es einfach nicht genügend Mittel für feministische Projekte gibt, die wirklich strukturverändernd sind.

Da wird mal ein Gesetz umgeschrieben, das ist gut und schön, nutzt aber auch nichts, wenn es nicht als gesamtgesellschaftliches Projekt gesehen wird, dieses Gesetz auch umzusetzen. Zum Beispiel „Gewalt gegen Frauen“ als ein Themenfeld, in dem wir nun ein besseres Sexualstrafrecht haben, aber die Strukturen, die sich um Betroffene sexualisierter Gewalt kümmern, bleiben krass unterfinanziert. Ich glaube erst, dass wir etwas erreicht haben, wenn sich auch die Struktur verbessert. Wenn es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt.

kleinerdrei: Ich werde auch nicht müde zu betonen, dass oft einfach mal Geld in die Hand genommen werden muss, entweder um die bestehende Infrastruktur zu unterstützen oder sie auszubauen. Wir sehen das ja zum Beispiel in Bezug auf #metoo mit Time’s Up, auch wenn das natürlich eine zivilgesellschaftliche Initiative ist. Aber in zu vielen Fällen haben solche Aktionen sonst eher was von „Pflaster auf die Wunde kleben“, statt gleichzeitig anzugehen, wo die Wunde eigentlich herkommt…

Steffi: Genau. Es wird ein wenig Desinfektionsspray draufgesprüht.

kleinerdrei: Wo siehst du die Rolle von feministischem Journalismus, so wie ihr ihn macht, gerade auch in Zeiten des Rechtsrucks? Auch das müssen wir ja einbeziehen, wenn es darum geht, dass es Missy noch in zehn Jahren und darüber hinaus geben soll…

Steffi: Das hat erstmal verschiedene Funktionen. Einmal den Einstieg in Feminismus zu liefern – nicht ganz am Anfang, aber eben schon so, dass wir da sind und Leute bei dem Thema auch über uns stolpern und auf Ideen gebracht werden, die sie vielleicht schon selber hatten, aber nicht so formulieren konnten.

Dann geht es darum, die gesellschaftliche Situation zu analysieren: Was passiert da gerade? Wer sind die Akteur_innen? Und dann geht es natürlich darum, Flagge zu zeigen: Wir sind da gegen Rechts. Wir sind die Mehrheit und wir machen da nicht mit.

kleinerdrei: Gerade auch, wenn feministische Ideale vereinnahmt werden sollen…

Steffi: Richtig. Und es geht auch darum, den Rechtsruck im Feminismus zu thematisieren und zu kritisieren. Eine Aufgabe ist auch, immer noch ein Stück weit Avantgarde zu bleiben. Eine Autorin die sonst viel für Mainstreammedien schreibt, hat gerade etwas zu unserem Tourismus-Dossier über Rassismus in der Reiseliteratur beigetragen. Sie hat mir den Text geschickt und schrieb, dass sie hoffentlich nicht zu kritisch war. Wir haben den Text gelesen und meinten: Du bist überhaupt nicht kritisch genug! [lacht]

Ich meine damit, dass wir immer noch einen Schritt weiter gehen und unbequem bleiben müssen und uns dabei von rechten Positionen auch nicht einschüchtern lassen.

Wenn du zu andockfähig an die Mehrheit bist, dann machst du was falsch, denn es geht ja auch um eine Gesellschaftsveränderung. Die große Aufgabe ist es, diesen Spagat möglichst lange auszuhalten.

kleinerdrei: Gutes Stichwort, denn meine nächste Frage dreht sich um den Feminist Burn Out – erlebst du den auch? Wie geht ihr damit in der Redaktion um?

Steffi: Wir erleben das gerade alle so, dass es sehr anstrengend ist, diese Arbeit zu machen. Das liegt nicht an der Arbeit an sich, die macht Spaß. Es liegt an den Umständen. Weil Mieten teurer werden, der ganze Lebensunterhalt teurer wird, Berlin wird immer stressiger.

Dazu kommt dann noch der Stress durch Angriffe über Online-Hasskampagnen und das ganze gesellschaftliche Klima. Wir versuchen uns in der Redaktion zu unterstützen, wertzuschätzen, uns gegenseitig aufzufangen, Mut zuzusprechen. Wir haben ja nicht das Problem mangelnder Motivation, sondern sagen uns eher: „Ey du bist im Urlaub, geh mal aus Slack raus!“

kleinerdrei: Feministin zu sein ist ja quasi Care-Arbeit an der Gesellschaft zu leisten – und damit entsprechend schlecht oder gar nicht bezahlt. Wo können diejenigen, denen etwas daran liegt, dass es Medien wie Missy noch lange gibt, vielleicht noch besser in ihrer Unterstützung werden? Dazu als Randnotiz: Ich sah auf Instagram jemand die auf euer Crowdfunding hinwies, aber trotzdem noch anmerken musste, dass es auch kritische Punkte an euch gibt. Und ich dachte: Können wir nicht einfach mal nur supporten, ohne direkt ein “Ja, aber…” einzuschieben?

Steffi: Man kann ja an allem etwas kritisieren, und in der Regel auch zu Recht.

kleinerdrei: Natürlich! Das gehört ja zum Feminist_innendasein dazu…

Steffi: Ich finde gegenseitige Kritik sehr wichtig, ich kritisiere auch gerne und habe kein Problem damit kritisiert zu werden.

Aber ich habe manchmal das Gefühl dadurch, dass die Ressourcenknappheit in feministischen Zusammenhängen so groß ist, wird das schnell ein Hauen und Stechen – plus dieses Syndrom, dass es angeblich immer nur eine feministische Stimme geben soll. Ich glaube, das ist überhaupt nicht nötig.

Eigentlich brauchen wir tatsächlich mal so eine Art feministische Sammlungsbewegung, die sich auf ein paar wesentliche Punkte einigt und dann möglichst professionell agiert. Ich habe auch das Gefühl, dass Kritik recht schnell privat wird, als ob es immer ums Ganze geht. Ich wünsche mir ansonsten auch mehr Bewusstsein darüber, dass wir als Missy Magazine nicht Gruner + Jahr sind und oft auf Themen oder Anfragen nicht reagieren, weil wir schlicht nicht können. Ansonsten freue ich mich total über kritisches Feedback und tausche mich sehr gerne mit anderen aus.

kleinerdrei: Letztendlich geht es ja auch nicht ohne Kritik, um weiterzukommen…

Steffi: Genau. Aber es heißt eben auch nicht, dass man uns nicht unterstützen kann. Ich finde ja zum Beispiel auch in den Medien, die ich sonst lese, etwa der ZEIT, in der Süddeutschen oder taz, bestimmt ein Viertel der Artikel kacke und trotzdem kündige ich nicht immer sofort mein Abo.

kleinerdrei: Zum Schluss noch ein bisschen Wunschdenken. Angenommen ihr kriegt eine Million gespendet oder eine großzügige Stifterin übernimmt ab nun die finanzielle Grundsicherung von Missy: Welche Utopien würdest du dann wahr werden lassen? Ein bisschen was davon hattest du ja schon angesprochen…

Steffi: Ich würde auf jeden Fall noch mehr audiovisuelle Medien einbinden, das fehlt noch total, finde ich, genauso wie extra Formate für Social Media. Ich würde noch mehr Diversity durchsetzen, also zum Beispiel würde ich mir beim nächsten Büro Barrierefreiheit wünschen und sie auch medial stärker umsetzen. Menschen mit Behinderung einzubinden und auch mehr für sie zu schreiben, da sehe ich bei uns noch eine Lücke. Ein Traum von mir wäre ansonsten eine feministische Kultur- und Medienstiftung zu gründen, die sowas finanziert wie Girl Rock Camps, Ladyfeste und einen Kulturpreis ausschreibt.

kleinerdrei: Wie geil das wäre, der Missy-Kulturpreis!

Steffi: Ja, das hab ich auch schon überlegt. Aber auch einfach eine Struktur zu haben, mit der man Medienprojekte unterstützen kann, die man jetzt schon cool findet – wie zum Beispiel kleinerdrei, Mädchenmannschaft – und auch, um zwischen online, Zeitschrift und Offline-Veranstaltungen eine stärkere Verbindung herzustellen.

kleinerdrei: Ich drücke dafür auf jeden Fall fest die Daumen. Lieben Dank für das Interview und: Auf #10undmehrMissy!

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