Hinter den Kulissen – eine Tour durch den Missy-Kosmos

Foto , © , by Alicia Kassebohm

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Katrin.

Katrin Gottschalk ist Chefredakteurin des Missy Magazine. Zusammen mit Missy-Gründerin Stefanie Lohaus und Missy-Online-Redakteurin Hengameh Yaghoobifarah hat sie die Crowdfunding-Kampagne für “Mehr Missy” entworfen – und checkt seitdem jeden Morgen und Abend den aktuellen Funding-Stand.


Webseite vom Missy Magazine @k_gottschalk

Überall rufen wir gerade nach „Mehr Missy“ und sammeln mit einer Crowdfunding-Aktion dafür Geld. Warum eigentlich? Läuft bei Missy nicht alles super? Ein Bericht aus dem Alltag.

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Nach außen strahlt Missy Hochglanz aus. Unser Heft hat ein schickes Design, oft ziemlich glamouröse Titelbilder. Die Inhalte wiederum haben es in sich: Wir diskutieren über Sexarbeit, Körperpolitiken, Rape Culture, Hass im Netz oder Asyl und Alltag. Alle drei Monate stellen wir beeindruckende Künstler_innen vor, die ihre Songs selbst produzieren, Filmgrenzen sprengen oder in in ihren Büchern dem System lauthals entgegen schreien. Diese Mischung aus Pop und Politik mit feministischer Haltung macht uns aus. Und das seit sechs Jahren immer erfolgreicher.

Wir haben mittlerweile eine Auflage von 24.000 Exemplaren. 5.000 Menschen haben Missy als Heft abonniert. Bei Facebook haben wir fast 18.000 „Gefällt mir“-Angaben. Bei Twitter mittlerweile über 6.000 Follower. Und für unsere Crowdfunding-Aktion „Mehr Missy“ sind mittlerweile fast über 17.000 Euro zusammen gekommen. Das sind traumhafte Zahlen. So strahlt Missy nach außen. Die Zahlen verschleiern aber die Strukturen, in denen dieses politische Hochglanzmagazin entsteht.

Die Divergenz zwischen Vorstellung und Realität

Bis vor ein paar Monaten hatten wir immer wieder Praktikant_innen in der Redaktion. Oft konnte ich die Enttäuschung in den Augen mancher sehen, die dachten, sie kommen in unsere große Missy-Redaktion, in der wir dieses tolle Blatt machen, das sie so gerne lesen. Was sie vorgefunden haben, sind zwei kleine Räume, in denen hauptsächlich unsere Artdirektorin Daniela Burger und ich sitzen. Wir sind jeden Tag hier, aber machen nicht nur Missy. Ich schreibe viel auch für andere Medien, gebe Schreibworkshops an der UdK, halte Vorträge. Das macht mir alles Spaß und ich will es nicht missen. Aber ich mache all das auch, weil es gar nicht anders geht.

Als Chefredakteurin kann ich mir 900 Euro im Monat auszahlen. Auf Rechnung, also brutto. „Chefredakteurin“ klingt sehr groß. Dahinter verstecken sich viele Aufgaben: Neulich habe ich auf dem taz.lab eine große Podiumsdiskussion im Auditorium des Haus der Kulturen der Welt in Berlin zum Thema diskriminierungsfreie Sprache moderiert. Wenn allerdings in einer Woche die neue Missy-Ausgabe erschienen ist, werde ich Aboprämien eintüten, frankieren, stempeln und in meinem Fahrradkorb zur Post bringen.

Bis vor ein paar Monaten habe ich das zusammen mit unseren Praktikant_innen gemacht. Mittlerweile haben wir aufgehört, Praktika zu vergeben, weil wir dem Anspruch, den wir an uns selbst haben, nicht gerecht werden können: Bei uns soll niemand stumpf die Büroarbeit machen, sondern auch etwas lernen. Das bedeutet für uns allerdings: Wir müssen Zeit aufwenden, Texte in Ruhe durchzusprechen, überhaupt zu festen Zeiten ansprechbar sein. Das können wir nicht leisten. Zumindest gerade nicht.

Wer schon einmal versucht hat, mit uns zu kommunizieren, wird wissen, dass es dafür viel Geduld braucht. Ich bekomme am Tag etwa 150 E-Mails. Darunter sind Menschen, die ihre Bachelorarbeit über Missy schreiben und nur mal auf ein Gespräch vorbei kommen wollen. Dann gibt es Menschen, die nach einer Medienpartnerschaft für ein tolles Projekt fragen. Überhaupt so viele interessante und wichtige Projekte sind dabei. Und dann bekomme ich natürlich auch noch Mails von talentierten Autor_innen, die ihre Texte vorschlagen.

All diese Anfrage bleiben oft unbeantwortet – nicht, weil wir uns nicht interessieren würden, sondern weil wir es nicht schaffen, alle Anfragen zu beantworten. Zu Recht wurde uns schon vorgeworfen, dass dieses Nicht-Beantworten unsolidarisch sei, was besonders enttäuschend ist für ein feministisches Magazin. Dass wir jetzt diese Crowdfunding-Aktion gestartet haben, hat auch etwas damit zu tun, dass wir dem Anspruch, den andere zu Recht an uns haben, gerecht werden wollen.

Entlang der Grenzen der Selbstausbeutung

Der Missy-Kreis ist groß, aber konkret an Heft, Website und den Social Media-Kanälen arbeiten nur drei Redakteurinnen. Drei, die die andere Hälfte ihres Lebensunterhalts an anderen Stellen verdienen. Auch unsere Autor_innen wissen selbst, dass das, was wir ihnen als Honorar zahlen, unter dem sowieso schon geringen journalistischem Durchschnitt liegt. Trotzdem schreiben sie weiter für uns. Trotzdem machen wir bei Missy weiter. Weil Missy etwas hat, was sehr vielen anderen Medien fehlt: Haltung. Und dieses Gefühl, an etwas Wichtigem beteiligt zu sein.

Es ist womöglich ermüdend für die Leser_innen, wie ich in jedem Interview, in jedem Text zu unserer Crowdfunding-Kampagne diese Punkte betone: Dass wir Filme vorstellen, in denen die weibliche Rolle mehr zu bieten hat als passive Schönheit. Dass wir nicht davon ausgehen, dass alle Frauen gleich lieben. Dass wir nicht annehmen, dass überhaupt alle Frauen das Gleiche wollen. Dass wir unseren Leser_innen nicht sagen, wie sie besser sein können. Der Beach Body, den sie haben, ist genau so wie er ist perfekt.

Das alles und noch sehr viel mehr sind die Punkte, die Missy ausmachen. Die Zahlen, die ich eben schon genannt habe, bestätigen, dass das auch viele andere Menschen schätzen und wollen, dass dies weiterhin möglich ist. Es gibt viele andere tolle feministische Blogs, viele andere wichtige Meinungen. Aber wenn wir nicht nur wollen, dass es auf der einen Seite die großen Verlage mit ihren „Feminismus ekelt mich an“-Texten gibt und auf der anderen Seite kleine Blogs, deren Input in der netzfeministischen Gemeinde wahnsinnig wichtig und essentiell ist, dann muss es Missy weiter geben können. Und das ist nicht selbstverständlich. Wir schrammen kontinuierlich an den Grenzen der Selbstausbeutung entlang.

Da war also das taz.lab, der große Zukunftskongress der taz. Dieses Jahr waren wir mit Missy das erste Mal als Kooperationspartnerin dabei, haben eigene Veranstaltungen organisiert, einen Stand dort gehabt und auch die Party am Ende des Tages mit geplant. Da saß ich dann, vollkommen platt in einem Sessel, habe der großartigen Spoke P Kaye beim Rappen zugehört und -geschaut, noch ein Kompliment für die Moderation eines Panels bekommen und war den Tränen ziemlich nahe. Wieder hatten wir es geschafft, Missy in hellstem Glanze scheinen zu lassen – und dabei unsere Körper an ihre Grenzen geführt.

Kein Trauerspiel – sondern eine Herausforderung

Es fällt mir sehr schwer, so über Missy zu schreiben. Wir sprechen in der Öffentlichkeit eigentlich kaum so über unsere Arbeit. Denn was wollen wir damit? Ganz sicher kein Mitleid. Im Vergleich zu sehr vielen anderen Menschen geht es uns gut. Es gibt viele Menschen in vielen Organisationen, die für noch viel mehr kämpfen und noch viel stärker an die Grenzen des körperlich Machbaren gelangen und dafür gar kein Geld bekommen. Ich denke, dieser Blick hinter die Kulissen von Missy soll vor allem für Verständnis sorgen. Verständnis für die Bedingungen, unter denen Missy entsteht. Das ist kein Trauerspiel. Sondern eine Herausforderung. Die wir angenommen haben.

Das Geld aus der Crowdfunding-Aktion gibt uns das Startkapital, um noch mal zu rebooten. Für einen gewissen Zeitraum einmal aus anderen Verpflichtungen ausbrechen zu können, für Missy Online ein Konzept zu entwerfen, das nachhaltig funktionieren kann. Das beinhaltet, dass wir auch dort Autor_innen honorieren und mit der nötigen Aufmerksamkeit betreuen können. Dass wir online präsenter sein müssen, ist im Prinzip gar keine Frage.

Unsere Leser_innen schätzen das gedruckte Heft sehr. Während bei anderen Printmedien die Verkäufe sinken, steigen sie bei uns. Ein Heft, das alle drei Monate erscheint, funktioniert allerdings anders, zeitloser. Im Heft fassen wir zusammen, blicken auf Debatten zurück, versuchen, das große Ganze zu sehen.

Es sind aber auch die täglichen Störungen im System wichtig. Wenn nach dem Tod von Tuğçe Albayrak alle nach mehr Zivilcourage rufen, zu fragen: Wie kann diese denn aussehen? Und wer ruft da eigentlich? Wenn es in Mainstream-Medien mal wieder um die Ästhetik des Feminismus geht, zu fragen: Warum gibt es diese Texte eigentlich? Oder wenn man einfach mal wieder genervt von alltäglichen Sprüchen aufgrund der Körperform ist, zu sagen: Das sind die 30 dümmsten Sprüche, den man sich als dicke Frau ständig anhören muss – und das sind unsere GIF-Antworten darauf.

Davon wollen wir mehr. Davon brauchen wir mehr. Wir wollen expandieren, intervenieren und vor allem: nachhaltige Arbeitsstrukturen schaffen, damit es Missy noch sehr lange geben kann. Für #MehrMissy eben!

Mehr Infos zu Mehr Missy

Link zum Crowdfunding für Mehr Missy
Video zur Crowdfunding-Kampagne:

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