Bleibt wütend! Gedanken zum Frauenkampftag 2018

Foto , by Anne Wizorek

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber als der #metoo Hashtag und seine damit verknüpfte Botschaft zum ersten Mal auf der Bildfläche erschien, war ich vor allem eins: Müde. Richtig müde.

Alles woran ich denken konnte war: Warum müssen wir immer noch und immer wieder beweisen, dass wir Menschen sind statt bloße Objekte? Warum müssen wir immer noch und immer wieder erkämpfen, überhaupt die Entscheidungsgewalt über unsere Körper haben zu dürfen? Warum ist das der zigste Hashtag dazu und so viele Menschen tun immer noch, als wäre sexualisierte Gewalt plötzlich als verhandelbares „Modethema“ aufgetaucht?

Natürlich ist die Antwort darauf klar – Spoiler: das Patriarchat! – genauso wie wir wissen, dass es immer noch sehr viele Betroffene gibt, die aus einer Vielzahl von Gründen gar nicht erst „Me too!“ sagen können.

All jene möchte ich dafür wissen lassen:

Ich weiß, dass du da bist.
Ich glaube dir.
Du darfst dir Hilfe holen.
Und: Du bist nicht alleine!

Aber auch wenn #metoo mich erst einmal müde machte und mir gezeigt hat, dass ich eine Pause brauche, so macht mich die Aktion gleichermaßen dankbar für alle Menschen, die aktiv werden und in die Bresche springen, wenn ich es gerade einfach nicht kann. Es ist eben immer noch wie bei den Sicherheitsmaßnahmen im Flugzeug: Nur wer die eigene Atemmaske zuerst anlegt, kann danach auch noch anderen Menschen helfen.

Besonders als Feminist_innen brauchen wir aber auch ein grundlegendes Verständnis dafür und Wissen darüber, dass die meisten Errungenschaften in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch nicht lange existieren und es wiederum lange Kämpfe brauchte, um sie überhaupt zu erreichen. Schließlich ist der Frauenkampftag auch dazu da, diese Meilensteine zu feiern. Beim Rückblick in die Geschichte sehen wir außerdem, dass gesellschaftlicher Wandel noch nie daraus entstand, dass einfach nett danach gefragt wurde.

Dazu wird Geschichte, die von Frauen und generell von marginalisierten Menschen geschrieben wurde, immer noch unsichtbar gemacht. Wenn wir nicht aufpassen, wird sogar jüngste feministische Geschichte direkt vor unseren Augen wieder umgeschrieben. Auch diese Verzerrung erhält den Status Quo, denn so sind sich zu viele Menschen einfach nicht der zahllosen und langen Kämpfe bewusst die es tatsächlich brauchte, um überhaupt an den heutigen Punkt zu gelangen.

Gerade in Zeiten wie diesen, wo rechtsnationalistische Parteien und das dazugehörige menschenfeindliche Denken wie Handeln weltweit wieder an erschreckender Normalität gewonnen haben, sollte uns außerdem absolut bewusst sein, dass uns selbst die bisherigen Meilensteine nicht sicher sind und wieder wegbrechen können.

Was Geschlechtergerechtigkeit angeht, betrachten sie zu viele Menschen leider auch wie einen linearen Prozess. Als wäre irgendwann einmal eine Reihe Dominosteine angeschubst worden und das Ganze würde nun problemlos einfach weiterlaufen. Dabei fühlt sich die Realität eher so an, als würde unsereins immer wieder gegen ein Sturm anlaufen: Mal geht es ein paar Babyschritte vorwärts, doch kurz danach wirst du schon wieder zurückgedrängt – mitunter sogar noch weiter als am Anfang.

Das ist vielleicht nicht der einfachste Weg, aber das heißt auch nicht, dass wir ihn deswegen nicht weiter gehen sollten. Das Gegenteil ist der Fall.

Unsere Welt ist schließlich nicht wie im Film, wo sich die Bedrohung aufbaut und dann aber, gerade noch rechtzeitig, ein Superheld vorbeigeflogen kommt, um uns alle vor einem einzelnen Bösewicht zu retten. Im echten Leben müssen wir selbst diese Held_innen sein.

Gemeinsam, jeden Tag und auf jede Art und Weise, die uns möglich ist. Der Bösewicht zeigt sich außerdem nicht nur in einer einzelnen Person, sondern in Strukturen und in menschenfeindlichem Denken wie Handeln.

Also wartet nicht auf andere oder gar auf die Erlaubnis von irgendwem, um euch zu engagieren. Aber falls ihr sie braucht, dann gebe ich euch hiermit die Erlaubnis wütend zu sein! Denn ich möchte, dass ihr wütend seid und es bleibt.

Vor allem Frauen, gerade wenn sie of color sind, wird nämlich immer wieder eingetrichtert, dass ihre Wut sich „nicht gehört“ und dass sie unangebracht wäre. Uns wird eingetrichtert, unsere Wut sei das tatsächliche Problem und nicht die Tatsache, dass uns grundlegende Rechte vorenthalten und weggenommen werden – wir damit also allen Grund haben wütend zu sein.

Allein das ganze sexistische Stereotyp der „daueraggressiven, männerhassenden, spaßverderbenden, hässlichen Feministin“ beruht auch darauf, vor allem jungen Frauen abzusprechen, politische Subjekte zu sein deren Stimmen es wert sind gehört zu werden. Es soll Frauen von politischem Engagement abhalten und somit davon, sich ihrer eigentlichen Macht bewusst zu werden.

Die Argumentation, dass außerdem der Einsatz für die Ehe für alle, sich antirassistisch zu engagieren oder dafür, dass trans* Personen in ihrer Identität anerkannt werden, die Forderung nach echter Inklusion, nach politischer Teilhabe für alle, nach Unterstützung für Alleinerziehende etc. – dass all das irgendwie „zu viel“ wäre und rechte Parteien sich allein deswegen wieder im Aufwind befänden, diese Argumentation ist nichts weiter als hinterhältiger Bullshit.

Deswegen lasst mich hier ein für alle Mal festhalten: Rechtsnationalismus und Faschismus entstehen nicht wegen ein paar Unisextoiletten, sondern sie entstehen und können weiter wachsen, weil Menschenfeindlichkeit kein Einhalt geboten wird.

Das ist die tatsächliche Verantwortung die unsere gesamte Gesellschaft trägt.

Dafür einzustehen, dass alle Menschen auch als Menschen wahrgenommen werden und uns allen grundlegende Rechte zustehen, ist immer noch richtig und notwendig. Dabei gilt es Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus, jegliche Feindlichkeit gegen LGBTQI*, Klassismus, Behindertenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit etc. und all ihren Vermischungsformen die Stirn zu bieten.

Und auch wenn unsere Kämpfe dabei nicht immer dieselben sind, so eint uns schließlich der Wunsch, sie nicht mehr führen zu müssen. Den Mund halten, nichts tun und einfach weitermachen wie bisher, in der Annahme „wird schon nicht so schlimm werden“, das ist jedenfalls keine Option mehr – denn sie es ohnehin noch nie gewesen.

Um uns weiter dafür anzuspornen, brauchen wir daher auch unsere Wut. Schürt also das Feuer in euren Bäuchen, ohne euch davon auffressen zu lassen und lasst es dafür in eure feministischen Kämpfe einfließen.

Fragt euch dabei Folgendes:

Was macht mich wütend?
Welche Veränderungen möchte ich sehen?
Was sind meine ganz persönlichen Fähigkeiten, um diese Veränderungen zu erreichen?

Und dann: Ran an die Arbeit!

Lasst euch nicht einreden, ihr wärt allein. Wenn ihr es nicht schon getan habt: sucht euch Gleichgesinnte und bildet gemeinsam Banden!

Es reicht außerdem nicht, nur ein gemeinsames Feindbild zu haben. Es braucht auch eine positive, eigene Zukunftsvision. Feminist_innen haben diese schon lange: eine Gesellschaft, in der alle Menschen ein gutes Leben in Würde führen können. In der alle Menschen Respekt erfahren und die Chance haben, sich zu entfalten – unabhängig vom Geschlecht, der Sexualität, der Herkunft, der Ausbildung, einer Arbeit, des Körpers – und eine Gesellschaft, in der wir problemlos entsprechend unserer Bedürfnisse für einander sorgen können und für uns gesorgt wird.

Wir sind viele und wir müssen zusammen den Mut und die Zuversicht beweisen, dass diese Gesellschaft, unsere Welt eine bessere werden kann. Weil sie besser werden muss. Nicht zuletzt anhand der Meilensteine die in feministischen Kämpfen errungen wurden, wissen wir, dass das absolut möglich ist.

Alice Walker, Autorin des Romans „Die Farbe Lila“, hat einmal gesagt, dass die am weitesten verbreitete Art, mit der viele Menschen ihre Macht aufgeben, darin liegt zu glauben, dass sie erst gar keine Macht besäßen.

Lasst uns daher radikale Solidarität praktizieren. Meine gilt dabei auch ganz selbstverständlich den weltweiten feministischen Kämpfen – egal ob das nun die Türkei ist, Polen, der Iran, die USA, Argentinien oder Irland.

Solidarität ist unsere stärkste Waffe – Wut ist unser Treibstoff.

Lasst das hier also unsere To Do Liste sein:


Aufeinander aufpassen
Einander solidarisch unterstützen
Wütend bleiben
Patriarchat abschaffen

Check!

Und nun: Auf in den Frauenkampftag!

Anmerkung: Dieser Text ist inspiriert von einer Rede, die ich beim Women’s March in Berlin gehalten habe.

3 Antworten zu “Bleibt wütend! Gedanken zum Frauenkampftag 2018”

  1. Sabrina Nell sagt:

    Danke. Ich glaube, das ist mein heutiger Lieblingstext zum Frauenkampftag.

    Liebe Grüße
    Sabrina

  2. ulric. regenechse sagt:

    Für die vielen Betroffenen, denen durch die Verlinkung von »Du darfst Dir Hilfe holen« mit »Beratung und Hilfe für Frauen« ihre Realität abgesprochen wird, möchte ich hinzufügen:

    Auch Deine Realität zählt.
    Auch Du darfst Dir Hilfe holen.
    Und vor allem: Auch Du bist nicht alleine!

    • Anne Wizorek sagt:

      Danke für die Ergänzung. Nur auch noch mal dazu: Der Link ist einer von diversen möglichen. Wer sich mit meiner Arbeit auseinandersetzt weiß, dass ich mich für Betroffene sexualisierter Gewalt einsetze, egal welches Geschlecht sie haben.