Last days of our Behindertenparkplatz – Eine Trennungsgeschichte

Foto , CC BY 2.0 , by Shawn Campbell

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Mareice.

Mareice ist Journalistin, Bloggerin und Mama. Außerdem ist sie Autorin, im November erscheint ihr erstes Buch „Alles inklusive“ im S. Fischer Verlag. Auf ihrem Blog Kaiserinnenreich denkt Mareice laut über die Themen Inklusion, Feminismus und Trauer als Teil des Lebens nach.


Blog von Mareice @mareicares

Lieber Behindertenparkplatz,

seit zwei Jahren gehörst du zu meinem Leben wie meine Brille auf der Nase. Na ja, nicht ganz so existenziell. Ohne meine Brille finde ich den Weg zurück nach Hause nicht, wenn ich nachts betrunken aus einer Bar falle, was ich, um ehrlich zu sein, mittlerweile nicht mehr als zehn Mal im Jahr mache. Schließlich bin ich Mutter von zwei Kindern. Eines davon mit Behinderung, das andere ohne – aber auch nicht ohne. Die Mutter, also ich, auch nicht. Ausgehen, Alkohol trinken, tanzen. Das geht auch alles als Mutter, auch als Mutter einer behinderten Tochter, auch wenn das manche Menschen gar nicht glauben können. Echt nicht. Die sagen dann irgendwann spät nach Mitternacht an der Bar: „Ich hätte ja nicht gedacht, dass man sich mit dir betrinken kann. So als Mutter von einem behinderten Kind.“ Tz.

Wenn ich dann also nachts, im besten Fall mit Brille auf der Nase, nach Hause kam, lief ich immer auch an dir vorbei, mein lieber Behindertenparkplatz. Direkt vor unserer Haustür haben dich zwei Männer hingemalt. Zwei weiße Streifen rund um die Parkbucht herum, kleines Schild mit einer Nummer aufgestellt, und schon warst du da. Lange ersehnt, denn so einfach war es nicht, dich zu bekommen. Du hast dich ordentlich geziert.

„Wie behindert ist ihre Tochter denn?“ wollte die Frau vom Ordnungsamt, Abteilung Straßenverkehrsbehörde, am Telefon von mir wissen. Ganz genau wollte sie alles wissen, denn: „Nur behindert sein reicht nicht für einen Behindertenparkplatz“. Aha, soso. Die Gehbehinderung meiner Tochter reichte nicht aus, um dich zu bekommen. Wir mussten noch zusätzlich zum Schwerbehindertenausweis eine Fachärztliche Stellungnahme einreichen. Darin stand, dass meine Tochter manchmal Sauerstoff braucht, um gut atmen zu können. Also mehr, als sie selbst einatmen kann. Und deshalb kam es manchmal auf Sekunden an, wenn wir mit ihr aus der Wohnung ins Auto oder vom Auto ins Krankenhaus oder von der Wohnung mit dem Auto ins Krankenhaus mussten. Wie gut, dass wir dich hatten. Wir hatten ein halbes Jahr auf dich gewartet. Unser Leben wurde leichter mit dir.

Wären da nicht die anderen Menschen gewesen. Sie wollten dich auch. Alle wollten dich. Du warst fast immer besetzt, wenn wir dich brauchten. Die Frau vom Ordnungsamt gab mir einen Rat: „Polizei rufen, Abschleppen lassen.“ Anfangs fühlte es sich seltsam an, andere Autos abschleppen zu lassen. Irgendwann habe ich nicht mehr darüber nachgedacht – so wie die anderen Menschen anscheinend auch nicht darüber nachgedacht haben, auf was für einem Platz sie parken. Wir hatten diverse Ideen, die an die Herzen der anderen Menschen appellieren sollten und zeigen sollten: „Dieser Parkplatz gehört einem kleinen, gehbehinderten vierjährigen Kind und ihrer Familie. Wir brauchen ihn!“ Vielleicht ein großes Foto aufstellen? Ein Plakat malen?
„Nützt allet nüscht“, desillusionierte mich eines Tages ein Polizist. „Aus Erfahrung kann ich ihnen sagen: Dit is den anderen Leuten scheißegal, die parken da einfach. Lassense lieber abschleppen, dit is effektiver.“

Seit gestern gibt es dich nicht mehr. Du wurdest wieder unkenntlich gemacht, das Schild abgebaut, die weiße Farbe mit Asphalt-Grau überstrichen. Als wärst du nie dagewesen. Ich habe es gar nicht bemerkt, meine kleine Tochter aber: „Mama, unser Parkplatz ist weg!“ schaute sie mich empört an, die kleinen Händen in die Hüften gestützt. „Oh ja, der ist nicht mehr da“, bestätigte ich ihre Beobachtung und fügte hinzu: „Den brauchen wir ja jetzt nicht mehr, weil deine Schwester nicht mehr da ist.“ Kurzes Nachdenken mit gekräuselter Kinderstirn. „Aber ich hab auch manchmal keine Lust, zu Fuß zu gehen“, die Hände wieder an den Hüften. „Ja, aber du willst bloß nicht, deine Schwester konnte nicht gehen“, versuche ich die bürokratischen Regelungen aufs Einfachste herunterzubrechen. Sie seufzt, Erklärung widerwillig angenommen.

Letzte Woche, du warst noch da, die Frau von der Straßenverkehrsbehörde entschuldigte sich dafür, dass sie nach dem Tod meiner Tochter den Parkplatz nicht sofort entfernen könne, „massiver Bearbeitungsrückstand“. Also nutzte ich dich weiter, jedes Mal beim Einparken mit Kloß im Hals, du gehörtest uns ja nicht mehr, unsere Berechtigung war gestorben. Da sprach mich beim Aussteigen eine Frau an, nein, sie sprach nicht, sie blaffte: „Das hier ist ein Behindertenparkplatz!“

„Ja, ich weiß, deshalb parke ich hier. Danke, dass Sie aufpassen“, sagte ich ihr und ging nach Hause. Fünf Tage später warst du weg. Vielleicht für immer.*

Danke, dass wir dich nutzen durften.

Deine Mareice

*89 Prozent der Behinderungen werden im Lauf des Lebens erworben.

3 Antworten zu “Last days of our Behindertenparkplatz – Eine Trennungsgeschichte”

  1. ines sagt:

    Ach Mareice
    ich find dich so toll! Schade dass ich dich nicht im echten Leben kenne und meine Freundin nennen darf… auch wenn es sich immer so freundinnenmäßig anfühlt wenn ich was von dir lese. Schön und traurig und ganz nah. Danke dafür! ines

  2. wheelymum sagt:

    Ich danke euch beiden für diesen warmen, ehrlichen und offenen Text. Du, liebe Mareice, berührst mich mit deinen Worten ganz tief in meinem Herzen. Ich danke dir so sehr dafür.