Schlachtfeld Sprache – Strategien gegen den Empörungs-Burnout

Foto , by Vlad Tchompalov

Derzeit sitze ich auf vielen Podien die irgendwas mit „Strategien gegen Rechtspopulismus“ im Titel tragen. So gerne ich daran auch teilnehme und die Veranstaltungen selber spannend finde, so sehr habe ich im Anschluss daran leider doch viel zu oft das Gefühl, dass über die Strategien der Neuen Rechten ausführlich gesprochen wurde – über die tatsächlichen Gegenstrategien allerdings kaum.

Don’t get me wrong: Analyse ist wichtig und schließlich ist nicht das gesamte Publikum sofort im Bilde, wenn wir zum Beispiel darüber sprechen, in welchen Zusammenhängen allein das Wort Gender von rechter Seite beständig mit falschen Bedeutungen aufgeladen und somit zum Kampfbegriff wurde. Das muss erklärt und eingeordnet werden, aber oft ist die Zeit dann damit auch schon zu fortgeschritten und die wirklich praktischen Hilfestellungen kommen zu kurz.

Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass zu viele der Zuschauer_innen den Veranstaltungsraum eher ratlos oder auch enttäuscht verlassen. Schließlich hatten sie genau auf solche Tipps gehofft. An genau dem Punkt aufhören zu müssen, wo es eigentlich ans Eingemachte gehen sollte, ist selbstverständlich unbefriedigend.

Deswegen möchte ich mich hier einem Tipp widmen, den ich auf jeden Fall und immer gebe, denn er ist etwas, das wir alle tun können – jeden Tag und zu jeder Zeit. Dabei möchte ich klarstellen, dass es „die eierlegende Wollmilchsau“ – wie sonst auch – in Sachen Aktivismus sowieso nicht gibt. Wir können dafür aber viele (meist vermeintlich kleine) Schritte gehen und das Wichtigste besteht oft schon darin, überhaupt bewusst damit anzufangen. Mein Tipp ist also einer dieser Schritte und weiter unten führe ich ihn in fünf Unterpunkten aus. Im Anblick des Clusterfucks namens Rechtspopulismus mag er vielleicht erstmal nebensächlicher erscheinen, in Wahrheit muss er aber eine wesentliche Rolle in unserer Strategie gegen Rechts spielen. Immer.

Er lautet:

Achtet auf eure Sprache. Achtet darauf, welche Worte ihr benutzt und wie ihr das tut. Erkennt die Macht von Sprache an und damit auch eure Verantwortung.

Sprache zeigt und formt unser Weltbild

Was meine ich damit genau? Nun, wir haben alle schon mal mitbekommen wie sich (nicht nur, aber) gerade Rechte allein über bloße Vorschläge zu einer diskriminierungsfreien Sprache lustig machen. In der Debatte um geschlechtergerechte Sprache werden zum Beispiel regelmäßig seltsame Wortschöpfungen aus dem Hut gezaubert, die die Lippen einer Feministin höchstens mal prustend nach einem Kneipenabend verlassen haben und es wird wild mit Sternchen und Unterstrichen um sich geschmissen, nur um die Forderung nach gerechter Sprache direkt abzuschmettern und lächerlich zu machen. Oft wird dann ebenso behauptet es ginge bei dergleichen um „Luxusdebatten“, die „richtigen Probleme“ lägen ja ganz woanders und außerdem „blablabla Salzstreurin, LOL“.

Unsere ehemalige kleinerkolumnistin Svenja hielt zur Debatte um geschlechtergerechte Sprache fest:

„Sprache hilft uns bei der Orientierung in dieser Welt und dabei sind bestimmte Wörter mit bestimmten Bildern oder Vorstellungen verknüpft. Sprache, die nichts mit der Vorstellungswelt der Menschen macht, die sie benutzen, gibt es nicht. Und umgekehrt: In unserem Sprechen drückt sich unsere Vorstellungswelt aus, mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen. Es ist fast unmöglich, Sprache ganz neutral zu begegnen.“

Wenn wir uns Geschlechtergerechtigkeit nämlich nicht mal in unserer Sprache vorstellen können oder wollen, ist es mit der tatsächlichen Umsetzung nicht weit her. Mit ihren Nebelkerzen à la „Luxusdebatte“ bekämpfen Rechtspopulist_innen direkt das revolutionäre Potenzial diskriminierungsfreier Sprache – die tatsächliche Macht von Sprache ist ihnen also absolut bewusst. Gerade Rechtspopulismus baut darauf auf, wie mächtig Sprache ist. Er vergiftet sie und macht sie damit zu einer Waffe. Der Begriff “Gutmensch” und sein negativer Beigeschmack ist ein Beispiel für dieses Gift, das in unseren Alltag tropft. Darüber müssen wir uns immer im Klaren sein, vor allem in einem politischen Klima wie es mittlerweile vorherrscht und in dem wir alle schon reichlich von diesem Gift abbekommen haben.

Abstumpfung und Empörungs-Burnout

Die Tatsache, dass sich in unserer Medienlandschaft, aber auch international der Begriff „Flüchtlingskrise“ dermaßen eingefressen hat, ist ebenso ein trauriger Beweis dafür. Statt die Gründe zur Krise zu erklären, die immer noch dazu führen, dass so viele Menschen überhaupt auf der Flucht sein müssen, werden die Menschen selbst als bedrohliche Krise beschrieben. Sie werden auf eine anonyme, massenhafte Bedrohung reduziert und damit jedes Mal ein Stück weiter ihrer individuellen Menschlichkeit beraubt. Solche Botschaften nun schon seit Jahren (oder noch länger) nahezu jeden Tag zu lesen und zu hören als wären sie einfach harmlose Bezeichnungen, das macht etwas mit uns.

Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreibt dazu:

„Unser Gehirn speichert Sprache nämlich nicht einfach in Form von Wörtern ab, deren Elemente durch grammatische Regeln frei kombiniert werden. Für jedes Wort vermerkt es auch, wie oft wir es lesen oder hören. Je öfter das der Fall ist, desto leichter wird ein Wort aktiviert, desto unauffälliger erscheint es uns, wenn wir ihm begegnen, und desto leichter geht es uns selbst über die Lippen. Das gilt nicht nur für einzelne Wörter, sondern vor allem auch für Wortverbindungen – unser Wortschatz besteht nicht vorrangig aus Wörtern, sondern aus häufig gehörten größeren sprachlichen Versatzstücken.

Je öfter wir zum Beispiel die Kombinationen ‚kriminelle Asylbewerber‘ oder ‚Asylbewerber abschieben‘ hören – beide unter den zehn statistisch stärksten Wortverbindungen des Wortes ‚Asylbewerber‘ –, desto mehr werden diese zu solchen leicht aktivierbaren Versatzstücken, und desto natürlicher erscheint es uns, über Asylbewerber in den Zusammenhängen von Kriminalität und Abschiebung nachzudenken. ‚Framing‘ nennt der Sprachwissenschaftler George Lakoff dieses Setzen eines kaum noch hinterfragbaren Rahmens, der unsere Gedankengänge zu bestimmten Themen einschränkt.“

Wir stumpfen also ab. Wir verinnerlichen und normalisieren die Botschaft pauschalisierender Aussagen und menschenfeindlicher Begriffe, je öfter wir sie hören und lesen. Außerdem rufen sie bei uns immer auch rassistische, sexistische, antisemitische etc. Bilder ab, die weiterhin tief in unserer Gesellschaft und damit in unseren Köpfen eingeschrieben sind. Das passiert uns im übrigen auch dann, wenn wir „woke“, „aware“ oder wasweißich sind (oder uns zumindest dafür halten), da das Gift rechtspopulistischer Begriffe und Bilder in unseren gesellschaftlichen Debatten eben schon länger einwirken konnte. Hier funktioniert das schlichte Prinzip „steter Tropfen höhlt den Stein“, wobei das, was die AfD macht, eher als Arbeit mit dem Hochdruckreiniger verstanden werden muss.

Ein Teil dieses Abstumpfens ist natürlich ebenso einem gewissen Selbstschutz zuzuschreiben, der einsetzt – gerade was traumatische Aussagen angeht – weil es nun mal extrem erschöpfend ist, sich ständig über den nächsten rassistischen, sexistischen, antisemitischen etc. Mist aufregen zu müssen. Oder habt ihr immer noch dieselbe Kraft, euch über die ekelerregenden Aussagen der AfD so aufzuregen, als wäre es das erste Mal und eben nicht das x-te? Dieser Empörungs-Burnout, sozusagen ein „Empör Out“, ist wiederum Teil der Kalkulation von Rechtspopulist_innen.

Bei der AfD haben wir schon lange den sprichwörtlichen Beweis für diese Strategie der Normalisierung des sprachlichen Ausnahmezustands und der Skandale und ich schwöre, wenn ich noch einmal irgendwo lesen muss, dass die sich schon noch „entzaubern“ werden…



Bei der AfD muss nichts „entzaubert“ werden, weil es von vornherein keinerlei „Zauber“ gab, sondern ausschließlich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Parteiprogramm. Punkt!

Was können wir tun

Daher noch mal: Achtet auf eure Sprache. Achtet darauf, welche Worte ihr benutzt und wie ihr das tut. Erkennt die Macht von Sprache an und damit auch eure Verantwortung.

Wie das genau aussehen kann, habe ich ich hier unter fünf Punkten zusammengefasst:

1. Ordnet ein, statt bloß zu zitieren

Egal, ob Höcke, Spahn, Seehofer, Lindner, von Storch oder werauchimmer: Es reicht nicht, deren nächste schreckliche Aussagen zu zitieren/weiterzuverbreiten und allein auf eine damit verbundene Empörung zu vertrauen
Einerseits, weil es eben bereits viele Menschen gibt, die keinerlei Probleme haben der Aussage – mal zurückhaltender und mal direkter – zuzustimmen (und nein, das betrifft eben nicht nur AfD-Wähler_innen)
Andererseits, weil ein bloßes Zitat wie bereits beschrieben auch bei denjenigen zur Normalisierung der menschenfeindlichen Aussage beiträgt, die gerade eigentlich noch anderer Meinung sind
Das heißt natürlich nicht, dass ihr die jeweiligen Aussagen ignorieren sollt, aber wenn ihr sie thematisiert, muss eine entsprechende und am besten auch sorgfältige Einordnung erfolgen
Das kann zum Beispiel so aussehen wie in diesem wirklich empfehlenswerten Artikel von La Vie Vagabonde zur Höcke-Rede in Eisleben

Der hier bereits erwähnte George Lakoff rät in Bezug auf Trump folgendes dazu:


Zusammengefasst heißt das:

Benennt die Wahrheit und damit, worum es bei der Aussage wirklich geht
Benennt auch klar, wenn es sich darin um einen Ablenkungsversuch von etwas anderem handelt – sind Vorwürfe zum Beispiel eindeutig falsch, dann erklärt warum das so ist
Konzentriert euch auf die tatsächlichen Probleme und rückt diese wieder in Mittelpunkt

2. Geht verantwortungsvoll mit eurer Aufmerksamkeit um

Dieser Punkt ist indirekt mit der Verantwortung für Sprache verbunden und schließt an Lakoffs Empfehlungen an
Eure Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut und ihr solltet daher immer gut überlegen, wem/welcher Angelegenheit ihr sie schenkt (Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie)
Wem wir unsere Aufmerksamkeit schenken und vor allem wie wir das tun, ist in Zeiten von Social Media wichtiger denn je
Regt ihr euch zum Beispiel über einen bestimmten Artikel auf, müsst ihr nicht auch noch den Link dazu verbreiten, Screenshots tun es auch
Das ist nicht zuletzt deswegen wichtig, weil es mittlerweile immer mehr auf einen Shitstorm ausgerichtete Texte gibt, die genau auf die Verbreitung und damit Klicks durch empörte Leser_innen abzielen
Vergesst darüber außerdem nicht, die Debattenbeiträge zu teilen, die uns tatsächlich weiterbringen
Damit unterstützt ihr auch die darin steckende Arbeit auf positive Weise
Eine Faustregel könnte zum Beispiel sein, für jeden Empörungsbeitrag auch einen konstruktiven Beitrag zu teilen oder auf die Arbeit von Leuten hinzuweisen, die sich in dem Bereich engagieren
Zum Beispiel: Wenn „Konservatives Feuilleton Man“ zu #metoo in einem reichweitenstarken Medium vermeldet, er dürfe ja gar nichts mehr sagen, kritisiert ihr das und postet zusätzlich was zur wichtigen Arbeit des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
Lest diese anderen Beiträge aber auch, um euch wieder ein Stück vom Rechtspopulismus zu „entgiften“
Und: Scheißt auf irgendwelche Vorwürfe zu irgendwelchen Filterblasen (denn die kommen so oder so)

3. Seid offen für diskriminierungsfreie Sprache

Wie gesagt: Sprache ist nicht „gottgegeben“, sondern unser alltägliches und mächtiges Werkzeug um unsere Wirklichkeit zu formen bzw. ihr damit Ausdruck zu verleihen
Das Werkzeug sollten wir also ganz klar in diesem Bewusstsein nutzen
Bleibt daher auch offen für Kritik, wie ihr diskriminierungsfreier sprechen und schreiben könnt
Ich weiß, dass das nicht einfach ist, ich selbst versuche zum Beispiel schon seit einer Weile bewusst(er) behindertenfeindliche Sprache abzulegen
Gerade auch, weil behindertenfeindliche Bezeichnungen immer wieder benutzt werden, um zum Beispiel Nazis, Faschismus etc. zu „erklären“
Lest dazu „Warum Nazis nicht dumm sind.“ und spendet Autor_in Ash was für diese wichtige Arbeit (Spendenmöglichkeiten am Ende des Artikels)

4. Erkennt rechte Begriffe und entlarvt sie als solche

Macht euch zum Beispiel mit dem Lexikon und den Beiträgen bei Belltower News vertraut oder lest die diversen Artikel, die es mittlerweile gibt um rechtes Vokabular zu erkennen und zu entlarven
Rechte Begriffe werden nämlich mittlerweile oft auch ahnungslos in der öffentlichen Diskussion verwendet, wie mein liebstes Hassbeispiel “Political Correctness” zeigt

Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn erklärt in einem Interview warum ihr die Finger davon lassen solltet:

“Das ist ein Begriff, der aus dem rechten Spektrum stammt und in den 90er Jahren als Kampagne lanciert wurde. Mittlerweile ist er soweit in die Öffentlichkeit eingesickert, dass niemand mehr bewusst wahrnimmt, dass es sich um einen rechten Kampfbegriff handelt. Das bleibt er aber, denn er behauptet ja, dass bestimmte Dinge nicht offen gesagt werden können. Das ist eine Fantasie. Es gibt niemanden, außer dem Strafrecht, der Menschen verbieten würde, etwas zu denken oder zu sagen. Wer den Begriff verwendet, auch ohne rechte Absicht, bedient damit ein Denksystem, das solche Verbote unterstellt. Das öffnet die Tür für rechtes Denken. Denn wer erst einmal glaubt, dass es so etwas wie Meinungskontrolle gibt, ist nicht weit entfernt davon, zu fragen, wer dahinter steckt. Der nächste Schritt führt dann zu rechtsextremen und vor allem antisemitischen Antworten.“

5. Lasst euch nicht verunsichern

Wir befinden uns schon länger in einem gesellschaftlichen Klima wo menschenverachtende Aussagen wieder verstärkt zu bloßen „anderen Meinungen“ (v)erklärt werden sollen
Wer menschenverachtende Aussagen kritisiert, ist dieser Logik nach gegen „Meinungsfreiheit“ (also das, was halt Neue Rechte & Co. unter Meinungsfreiheit verstehen)
Diese Haltung erlaubt der anderen Seite sich zugleich in eine Opferposition zu begeben (Like wer’s kennt!)
Dazu kommt, dass sämtliche Forderungen nach Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit als Sündenbock für den Rechtsruck herhalten sollen, getreu dem Motto „Ihr habt zu viel verlangt und bekommt nun die Quittung!“
Fakt ist aber: Es gibt kein „zu viel“ an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit


Gleiche Rechte für Andere, bedeuten nicht weniger Rechte für dich als einzelne Person.
Hier geht’s schließlich nicht um einen Kuchen.

Eure Sorgen (rassistische Angriffe, Altersarmut, sexualisierte Gewalt, Angehörige nicht pflegen zu können etc.) und Wünsche (echte Chancengleichheit, tatsächliche Vereinbarkeit, sexuelle Selbstbestimmung, bezahlbarer Wohnraum für alle usw.) sind berechtigt, sie zählen und ihr selbst könnt sie (als Betroffene und Verbündete) immer wieder in den Mittelpunkt und eure damit verknüpften Forderungen stellen
Das ist gleichzeitig eine Strategie gegen Rechts und auch eine für eine eigene Agenda

Mein abschließender Rat lautet daher: Lasst euch nicht verunsichern <3

3 Antworten zu “Schlachtfeld Sprache – Strategien gegen den Empörungs-Burnout”

  1. sebasthoh sagt:

    Gewaltfreie Kommunikation für alle. Am besten als schulfach ab der 1. Klasse …

    Schöner Beitrag.

  2. […] Der beste Weg ist wohl, Inhalte vor allem nicht unkommentiert und uneingeordnet zu verbreiten, auf die Macht der Sprache zu achten , und natürlich keine direkten Retweets oder Reposts zu machen, die den Accounts und den Personen […]

  3. memeow sagt:

    Sehr interessanter Vortrag zur Macht von Sprache und vor allem eben von Sprachbildern. Liefert gute Argumente: https://17.re-publica.com/en/17/session/macht-sprachbilder-politisches-framing-und-neurokognitive-kampagnenfuhrung