Kind und $#%!§

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by tania balsarin

Zu Kindern gibt es viel interessantes Zeug zu erzählen. Das Glück, dass ich mit einem Kind zusammenwohne und Zeug erzählen kann. Ein neuer Teil unserer Kinderkolumne. Hier findet ihr Teil 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11.

Ein kleines Kind großziehen, oder zumindest dem Kind beim Wachsen die Hand hinhalten, das ist schon früh eine Konfrontation mit der eigenen Dopppelmoral. Darf ich Schokolade essen, wenn mein Kind daneben sitzt und selbst welche will, und sie dann dem Kind verweigern, weil: „Ich darf das, ich bin erwachsen. Du jetzt nicht, Schokolade ist ungesund und schlecht für die Zähne“. Darf ich Schokolade so nur heimlich essen? Oder muss ich mit dem Kind teilen, weil ich aus der Nummer eh nicht mehr rauskomme, wenn das Kind die Schokolade sieht, und alles andere adultistisch und gemein wäre?

Es gibt Dinge, die das Kind konsequent nicht bekommt. Meine Cola zum Beispiel. Das kann ich auch erklären. „Cola ist nicht für Kinder. Cola ist ein bisschen wie eine Droge. Drogen sind nur für Erwachsene.“ Oder so. Und es ist leicht auszuhalten, weil ich bei Cola keine Ausnahme mache. Aus Verantwortungsgefühl für das Kind, Drogen sind schließlich gefährlich. Und aus Verantwortung für mich. Abends, vorm Schlafengehen dem Kind noch ein Aufputschmittel verabreichen? No way. Bei Schokolade bin ich mittlerweile entspannter. Wenn ich was für mich behalten will, esse ich es heimlich. Ansonsten teilen wir. Das läuft meist sogar so gut, dass das Kind von selbst drauf kommt und sagt, wann es „’nug!“ hat. Was gerade nicht so gut läuft, weil ich noch nicht rausgefunden habe, welchen Weg ich richtig finde: Was tun, wenn ich fluche und mein Kind flucht’s mir nach?

Ach herrje.

Dass Kinder Dinge nachsprechen, die Erwachsene sagen, und Erwachsenen, meist Eltern oder anderen Bezugspersonen, damit deren Sprechen spiegeln, war mir jetzt nicht neu. Ich war sogar ganz neugierig, was das Kind mal sagen würde, bei dem ich mich ertappt fühle. Ja, das Kind hat schon „Cola Droge ‚wachsene“ nachgesagt, aber meines Wissens nach nur einmal und noch nicht in der Öffentlichkeit. (Puh!) Die erste meiner Phrasen, über die ich aus dem Munde des Kindes stolperte, war ein harmloses „Ach herrje“. Ah herrje, sage ich das so oft? Japp. Und ich konnte mich viel besser dabei beobachten, wie es aus mir herausrutscht, das „Ach herrje“ – wenn ein Getränk verschüttet ist, wenn das Kind mit den wasserlöslichen Stiften nicht auf Papier malt, wenn etwas kaputt gegangen ist, an dem mein Herz jetzt nicht sooo hängt, oder das sich ohne Riesenaufwand reparieren lässt. „Ach herrje“ ist meist ein müdes Seufzen am Ende des Tages. „Ach herrje“ heißt „Oh, noch mehr Arbeit, das wäre aber jetzt nicht nötig gewesen“. Und „ach herrje“ taugt nicht für alle Lebenslagen.

Wenn ich mir aber die Zehe am Schrank stoße, rufe ich laut „Scheiße!“, ehe ich den Schmerz veratme. Wenn das Kind etwas mit Absicht auf den Boden wirft, und dabei geht etwas kaputt, das ich mag, rufe ich „So ein Scheiß“. Oder wenn es aufs Sofa pinkelt, kurz nach dem ich gefragt habe, ob es aufs Klo muss. Es zieht mich zum Wort Scheiße, ich finde sein scharfes Zischen befriedigend, wenn ich sauer und frustiert über etwas bin, oder von Schmerz überrascht werde.

Ach Scheiße!

Vor ein paar Monaten reagierte das Kind zum ersten Mal darauf. Wir waren auf dem Weg zur Straßenbahn, ich hatte es in Eile und mit viel Fummelei alleine auf den Rücken in die Tragehilfe gewurstelt, ich war verschwitzt und rannte halb zur Station. Nur um dann zu sehen, wie, just als ich um die Ecke bog, an der die Straßenbahn hält, sie mir vor der Nase wegfuhr, und ich nun definitiv zu spät kommen würde. Ich war enttäuscht, stampfte so stark mit dem Fuß auf, dass es wehtat, und rief „Scheiße!“. Dann atmete ich tief durch und sah nach, ob wir zehn oder 15 Minuten würden warten müssen, und blieb, während ich mich noch vor mich hin ärgerte, still. Als die nächste Straßenbahn kam und ich dem Kind auf meinem Rücken wie nebenbei davon erzählte, hörte ich von hinten, so als sei ein Knoten geplatzt, ein leises: „Seiße.“

Seitdem flucht das Kind es mir nach. Oder flucht es mir voraus. Wenn es aus Versehen das Saftglas umschmeißt. Wenn es mit Absicht und sichtlichem Vergnügen Papier auf den Boden wirft. Es grinst, und guckt, als wolle es mir zeigen: Schau, ich weiß, was man in so einem Fall sagt!

Und eh klar, es übt sich darin, die angemessenen Reaktionen auf allerlei Situationen abzugucken, noch bevor es checkt, um was es geht. Als es Fünfjährige dabei beobachtete, wie sie sich darin überboten, was für Starwars-Karten sie schon alle haben, stellte es sich danach an den Tisch mit den Karten, nahm eine nach der anderen hoch und wiederholte bei jeder „Ich auch habt. Ich auch habt.“

Und so wie mein Kind lernt, für jede Situation die richtige Reaktion einzusetzen, so muss auch ich fürs Fluchen des Kindes noch herausfinden, wie ich am besten reagiere. Ich sehe dabei im Moment vier Möglichkeiten:

1. So tun als sei nichts, damit das Kind nicht wegen den interessanten Reaktionen rumflucht

Das war mein erster Impuls und ist echt schwer, weil ich kein Pokerface habe. Ich musste am Anfang schmunzeln, fand die kleinen „Seiße“s niedlich. Und auch nicht schlimm. So selten wie sie vorkamen. Gleichzeitig dachte ich: besser, wenn es weniger oft flucht, denn worauf ich überhaupt keine Lust habe, ist es, dem Kind das zu verbieten, und dann flucht es mit Absicht, um zu provozieren, ich muss das Verbot durchsetzen und wir sind alle genervt.

2. Sagen: „Du darfst das nicht sagen“ und selbst aufhören zu fluchen.

Okay, habe ich versucht. Habe mildere Worte benutzt. Habe sehr ärgerlich gesagt: „Das finde ich jetzt nicht so gut“. Ich habe jetzt nicht aktiv benannt, dass das Kind nicht „Scheiße“ sagen dürfe, weil ich mich immer noch vor der Provokationsspirale aus 1. fürchte, aber immerhin versucht, mit guten Beispiel voran zu gehen. Und dann spielte das Kind DJ am CD-Player, was meistens okay ist und gut geht, aber da halt nicht, weil es CDs als Wurfsterne benutzte und nicht auf meine Bitten hörte, aufzuhören. Ehe ich die Situation sichern konnte, hatte es bei einer Lieblings-CD Fetzen von der Papphülle gerissen. Und hätte so gerne laut geflucht. War traurig und sauer, gleichzeitig mit dem Selbstanspruch, mich zu beherrschen, um dem Kind ein gutes Vorbild zu sein. Aber auch so verärgert und enttäuscht, denn das war MEINE CD. Und was mach ich, statt zu fluchen? Ich balle die Fäuste, verkrampfe den ganzen Körper, und bekomme nur ein verzerrtes HMMPFGRRRMBL heraus. Unbefriedigend wie Verstopfung.

3. Sagen: „Du darfst das nicht sagen, nur Erwachsene dürfen das“ und selbst beherzt weiterfluchen.

Ach herrje. Die Strategie ist mir hier begegnet und die Autorin, die durch den ganzen Text hindurch flucht, ist mir ziemlich sympathisch. Andererseits überzeugen mich die Beispiele, warum ihre Kinder nicht fluchen dürfen, nicht. Nämlich, weil sie auch andere, gefährliche Dinge, nicht dürfen. Aber ist Fluchen wirklich etwas, vor dem man ein Kind so schützen muss, wie davor, dass es nicht die Hand in den Toaster steckt? Die Autorin macht mit anderen Müttern zusammen übrigens einen Podcast mit dem passenden Namen „Nursing & Cursing“, der ganz schön toll wäre, wäre er nicht voller transfeindlicher, ja, Scheiße.

4. Sagen: „Benutz lieber das weniger heikle (Kunst-)Wort xy“

Das hat der Vater des Kindes sich ausgedacht. Das klappt so semi, weil es vor allem zum Einsatz kommt, wenn das Kind schon „Scheiße“ gesagt hat. Das Wort der Wahl ist „Padautz“, das Kind sagt eher „Padabautz!“, das ist auch süß, aber es benutzt das vor allem, wenn es darauf hingewiesen wird, kaum von selbst. Ich sage nicht „Padautz“, wenn mich was ankackt oder ich mir an einer Küchenschranktür den Kopf stoße. Vielleicht klappt es deswegen nicht so gut.

Padautz

Ich finde den Satz „Scheiße sagt man nicht, scheiße macht man“ bescheuert und kann den Grund dafür ebenso wenig präzise erklären, wie warum das Fluchen des Kindes mich nicht wirklich stört. Ich habe vor allem das Gefühl, dass es mich stören sollte, weil ich für die Erziehung des Kindes mitverantwortlich bin. Ich finde „Scheiße“ als Fluch jedenfalls besser als das milder klingende „Blöd“, Fäkalflüche haben nicht nur einen besseren Sound, sie sind in der Regel diskriminierungsfrei.

Und ich frage mich grundsätzlich: warum sollen Kinder nicht fluchen dürfen? Klar, sie sollen Höflichkeitsskills und gute Manieren lernen, um erfolgreich durchs Leben navigieren und mit den Befindlichkeiten anderer umgehen zu können. Aber da kann man vielleicht eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre hinbekommen, wie beim Pupsen. Nein, sagen wir: Furzen, denn das dürfen sie zuhause (wie ihre Eltern) auch. Mittlerweile glaube ich, das Ding hinter der Idee von fluchfreien Kindern ist eher die Vorstellung ihrer Unschuld. Fluchen passt genauso wenig zu kleinen süßen Wonneproppen wie Rauchen und Trinken. Fluchen, und die Idee, dass Kinder (vor der Kindergarten-Pipi-Kaka-Phase) auch was richtig scheiße finden, kratzt vielleicht an dem Bild vom Kind als unbeschriebenen Blatt, am Ideal ihrer vermeintlichen Sorglosigkeit. Dabei haben Kinder oft genug allen Grund, so richtig sauer zu sein. So oft, wie sie sich den Kopf an Kanten stoßen. Oder Sachen weggenommen bekommen. Oder verboten.
Zum Beispiel zu fluchen.

Flucht ihr vor euren Kindern? Was für Begriffe benutzt ihr dabei? Dürfen eure Kinder Fluchen?
Und wie erklärt ihr’s ihnen, wenn sie das nicht machen sollen?

7 Antworten zu “Kind und $#%!§”

  1. manubloggt sagt:

    Sch…, ja! Ich fluche auch. Wenn ich mich stoße, wenn mir was ‚runterfällt, wenn beim Frühstück irgendwer mit ner Mineralwasserflasche versehentlich meinen ersten Kaffee des Tages umwirft,… Und ja, vokabelmäßig fluche ich ungefähr so wie du. Führte dazu, dass auch die Kinder im hiesigen Hause frühzeitig ähnlich wortstark wie das in deinem Haushalt lebende Kind fluchen konnten. Ich, wir sahen und sehen das – bei nicht-personenbezogenen Fäkalausdrücken – ähnlich wie du. Und mit einigem Abstand von der Kleinkindzeit (die hiesigen Kids sind
    inzwischen schon zweistellig) würde ich mal sagen: Bisher ist uns diese
    „laxe Haltung“ zu keiner Zeit um die Ohren geflogen – und wir benutzen zugegebenermaßen gewisse Kraftausdrücke über das Fluchen hinaus auch als positiv-verstärkende Marker in unserer Alltagssprache.

    Allerdings: Wir achten ganz selbstverständlich darauf, andere nicht mit persönlich diffamierenden Begriffen zu belegen – und die rutschen uns aus daher auch einerseits aus Überzeugung, vor allem aber auch durch jahrelanges, kinderunabhängiges Vermeidungstraining eigentlich nicht einfach so ‚raus. Auch generell bemühen wir uns (nicht erst seit den Kindern) um möglichst stereotyparme, nicht diffamierende Sprache. Und was soll ich sagen?, das zeigt sich bisher ziemlich gut im allgemeinen wie auch fluchenden Sprachgebrauch unserer Kinder, soweit wir das überblicken können – ich hoffe sehr, dass dies auch während der uns hier bevorstehenden bzw. beginnenden Pubertäten zumindest in den Hinterköpfen weiter wirkt, wächst und gedeiht… Das finde ich viel grundlegender und langfristig entscheidender.

    Vielleicht haben wir ihnen ja mit der Enttabuisierung des Fluchens als solchem und dem dabei hier nicht nur einfach praktizierten, sondern auch in Gesprächen über Sprache immer mal wieder kommunizierten Verzicht auf bestimmte „Fluch-Kategorien“ einen fast vorbildhaften Weg aufgezeigt? Krass. Darüber hab ich vorher noch nie nachgedacht. Meine Fresse, wär das schön! ;)

  2. Giliell sagt:

    Ich war die ganz große Autofahrflucherin und Leutebeschimpferin. Es lag nicht mal so sehr an den anderen Verkehrsteilnehmer_innen, vielmehr daran, dass das Auto ein privater Raum ist, in dem ich mal Dampf ablassen konnte. Bis mir klar wurde, da hört jemand mit. Also habe ich es eingestellt, zumindest das Leute beschimpfen.
    Für mich gibt es drei unterschiedliche Kategorien: Flüche, Beleidigungen und Slurs (kennt dafür jemand ein deutsches Wort?)
    Fluchen dürfen meine Kinder im Allgemeinen. Schließlich hat es bei ihnen die gleiche Wirkung wie bei unser einem: Stress abbauen, negative Emotionen rauslassen, ein Ventil sein. Da ist mir viel lieber das Kind sag „Scheiße verdammt“ als dass es die Sachen um sich wirft oder dem Geschwisterchen weh tut um den Frust loszuwerden. Auch hier merken Kinder ganz schnell, wo etwas angemessen ist und wo nicht. In der Schule halt weniger.
    Leute beleidigen, da bin ich sparsam geworden, hin und wieder kann ich es nicht ganz vermeiden. Zum Beispiel als mir dieser Vollpfosten beinahe in die Tür gerauscht ist. Da musste ich halt erklären, warum ich nun Vollpfosten gesagt habe.
    Tabu sind slurs, die tauchen nun seit das große Kind in der Schule ist häufiger auf. Kompliziert wird es, weil das Kind oft gar nicht weiß, was es da sagt (und schon gar nicht, warum das Wort nicht ok ist). Zu den Freuden des Elternseins gehört es auch, deiner 8jährigen zu erklären, was in aller Welt A…gefickt heißt und warum das nicht in unseren Wortschatz gehört (und das ganze ohne dabei Sex jeglicher Art zu tabuisieren oder dämonisieren…).
    Nachdem ich solche Dinge aber einmal erklärt habe gibt es auch eine eindeutige negative Reaktion sollte es nochmal vorkommen. „Behindert“ ist nämlich verdammt noch mal kein Schimpfwort!

  3. Almut Helvogt sagt:

    Wir haben versucht, weniger zu fluchen. Inzwischen (das Kind ist jetzt 7) halten wir uns weniger zurück und auch das Kind darf mal Scheiße sagen. Beliebter ist allerdings „Alter!“. Es gibt aber auch ganz klar verbotene Wörter, ganz schlimm finde ich F***e. Sie soll auf jeden Fall lernen, dass Sprache verletzen kann. Zum Beispiel ist das N-Wort bei uns im Ort noch nicht so tabu wie es sollte. Da erkläre ich ihr natürlich, warum man das nicht sagen sollte, auch wenn andere es (zum Beispiel für Schoko-Küsse) tun.

  4. Kristian sagt:

    Kinder und Fluchen…
    Meine Frau und ich fahren tatsächlich recht gut mit der Variante 2. Wir haben uns beide recht gut auf das harmlosere (und ebenfalls gut zischbare) „Mist“ umtrainieren können, welches von unserer Tochter auch so übernommen wurde. Sie setzt es auch „passend“ und nicht provozierend ein.

    Allerdings kommt bei uns als erleichternder Faktor hinzu, dass komischerweise aus dem Kindergarten nichts in der Richtung mit nach Hause kommt. Ist wohl doch recht behütet, so ein Dorfkindergarten…

  5. Anj sagt:

    Ich erkenne mich in diesem Artikel wieder… „Seiße“ war tatsächlich eines der ganz frühen Worte meines Kindes und während es zuerst nur sinnlos vor sich hinsagte, lernte es später schnell, „Seiße“ im richtigen Kontext zu gebrauchen, zB wenn es auf die Couch klettern wollte und wieder abrutschte. Ich würde dieses Wort dem kind nie verbieten. Von mir aus kann es das sagen, denn irgendwann wird es das sowieso tun, weil es das von anderen aufschnappt. Seiße ist so gebräuchlich in unserer Alltagssprache, da kommt man rigendwann nicht drum rum. Ich ahbe aber gemerkt, wie ich mir das Wort dann unbewusst etwas abtrainiert habe. Richtig abgewöhnen würde ich es mir nie, ich mag Seiße, es ist ein wichtiger Bestandteil meiner in Worte gefassten Gefühlswelt. Tatsächlich verwende ich aber auch sehr oft „Manno!“ oder „Maaaaann ey!“ und so hat sich das Kind in letzter Zeit das „Seiße“ wieder etwas abgewöhnt. Ich habe mir vorgenommen, den Fluchspracherwwerb einfach geschehen zu lassen und es – wenn mir jemand doof kommen sollte – es auf die Kita zu schieben :D

  6. […] Nicole schreibt über das Fluchen in Anwesenheit von Kindern: Kind und $#%!§ […]