Kind und Zeug – tierisch gute Bilderbücher? (1)

CC BY-NC-SA 4.0 , by Nicole

Zu Kindern gibt es viel interessantes Zeug zu erzählen. Das Glück, dass ich mit einem Kind zusammenwohne und Zeug erzählen kann! Ab heute regelmäßig hier; wir könnten es Kolumne nennen.

Seit ich ein kleines Kind großziehe, oder zumindest dem Kind beim Wachsen die Hand hinhalte, habe ich wieder Grund, vor den Auslagen von Buchläden rumzulungern. Früher hielt ich Ausschau nach zufällig herabgesetzter Gegenwartsliteratur, noch früherer habe ich mitgenommen, was für eine Mark so zu haben war und heute – schaue ich nach Kinderbüchern. Das ist praktisch, weil ich selbst nur noch selten dicke Bücher ohne Bilder lese, und so ein Kinderbuch, daran hab auch ich schnelle Freude. Das Kind ist klein, also kann ich die Kinderbücher ganz alleine aussuchen. Natürlich denk ich das Kind mit und was ich mir für das Kind und die Welt, in der es groß wird, wünsche. Und da wird es knifflig.

Weiß, weiß, weiß sind alle meine…

Vor einer Weile suchte ich nach Bilderbüchern, in denen Alltagsgegenstände abgebildet sind, die das Kind aus dem eigenen Alltag wiedererkennen kann. Teller, Löffel, Teddy, Ball, so Sachen. Schön sollte es sein, und was aushalten können. Ich blätterte und verglich, das eine Buch bildete mehrere Feuerwehrautomodelle präzise ab, das andere überzeugte mit Zeichnungen und Typographie, wieder eins war günstig. Was fast alle gemein hatten: kamen Menschen vor, waren sie ausschließlich weiß. Meistens blond, manchmal braun- oder rothaarig, aber ansonsten: Toastbrotalarm. Versteht mich nicht falsch. Ich bin weiß, mein Partner und Papa des Kindes auch, wenig überraschend ist es selbst ein Toastbrot (sorry, Kiddo). Mir war das jedenfalls schon ein paar mal passiert: Buch blind aus einem Ladenregal gegriffen, oh, das Kind im Buch sieht ja GE-NAU-SO aus wie mein Kind. Auf der einen Seite ist es schön, dass es sich wiederfinden können wird und macht es mir leicht, Bücher zu finden, in denen sich unsere Kleinfamilie ziemlich exakt spiegelt, mit Haar-, Augenfarben und Frisuren. Auf der anderen Seite: Creepy. Will ich, dass mein Kind lernt, das alle Kinder so aussehen wie es selbst? Dass es die Norm ist oder annimmt, sie zu sein? Dass es lernt, sich nicht in Protagonist_innen hineinversetzen zu müssen, die ihm nicht identisch sind? (In Bezug auf Gender weist z.B. Melvin Burgess darauf hin: „girls will read books that have boy heroes, whereas boys won’t read books that have girl heroes“)

Repräsentier!

Nein, will ich nicht. Ich will eine realistischere Darstellung der Welt, in der es aufwächst, auch eine realistischere Darstellung seiner unmittelbaren Umwelt. Wir wohnen in einer Großstadt, nicht in Neuschwabenland. Und was tun, wenn man realistischere Darstellungen von Menschen in Kinderbüchern haben will? Was ich tat? Ich kaufte ein Bilderwörterbuch, in dem alle Figuren Tiere sind. m)

Das Buch[1] ist wirklich schön, die Zeichnungen klar und putzig. Es sind viele unterschiedliche Tiere mit unterschiedlichen Körpern vertreten. Es ist ein leichtes, sich vorzustellen “Das bist du. Und das ist Papa. Und das ist dein Kumpelkind aus der Krippe.” Egal, ob die Tiere was bauen, mit Laptop im Sessel hängen oder Krümel wegstaubsaugen.

tierbuch

Die großen Tiere in dem Buch sind so gezeichnet, dass sie auch als jedes Geschlecht gelesen werden könnten. Die Kindertiere tragen Kleidung; einige Kleider, andere Hosen. Das Pferdekind hat zum Kleid längere Haare, aber darüber hinaus werden sie eher nicht unterschiedlich gegendert, also über Wimpern/keine Wimpern oder andere körperliche Merkmale. Trotzdem kann die vermeintliche Neutralität eine Falle sein. Aus dem auch oben verlinkten Artikel: [E]ven gender-neutral animal characters are frequently labelled as male by mothers reading to their children, which only „exaggerates the pattern of female underrepresentation.“ Also: geschlechtsneutrale Tierfiguren werden eher als männliche Figuren vorgelesen und wahrgenommen. (Dennoch: nur Mütter lesen ihren Kindern vor?) „The persistent pattern of disparity among animal characters may reveal a subtle kind of symbolic annihilation of women disguised through animal imagery.“ Symbolic annihilation. Die Unterrepräsentation von benachteiligten Gruppen in den Medien. Wieder ein neues Wort gelernt.

Meine anderen neu aufgestöberten Tierbilderbücher, zufälliger Fund, sind Teil einer Wimmelbuchreihe, keine Bilderwörterbücher. Und da bin ich hin und hergerissen zwischen “super interessant” und “problematisch”. Irgendwie cool: Auf dem Baustellenbuch[2] der Serie hat es eine Zimmerfrau (oh, unerfüllter Traum meiner Jugend!) und eine Bauherrin.

Zimmerfraubauherrin

Im Bauernhofbuch[3] halten die Tiere Nutztiere. Das ist irgendwie akward.

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Im Stadtbuch[4] gibt es mehrere Familien. Zum Beispiel eine wahrscheinlich alleinerziehende Mutter mit Kind, die (high five!) ziemlich oft am Laptop sitzt.

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Und dann gibt es da noch eine Hasenfamilie, die in jedem Buch vorkommt. Mama, Papa, Oma, Kind, Kind. Und die Hasenmutter hat einen Doppelnamen. Der Hasenvater einen Doktor und die Kinder seinen Namen. Find ich den Doppelnamen gut, weil es der Realität gerecht wird, dass nicht alle den gleichen Namen tragen, dass Namensrecht sich geändert hat? Oder ist das nicht ein bisschen wenig? Oder ein bisschen viel Heteronormativität, und das im Mittelpunkt aller Geschichten? Die auch der Realität nicht gerecht wird, dass es viele Formen von Familie gibt?

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A cup of diversitea, please!

Zwei (Wörter-)Bilderbücher hab ich noch von meinem eigenen Kleinsein daheim, in dem das alles selbstverständlicher gelöst ist. Man merkt den Büchern an, dass sie im Original aus den USA sind. Ein Ausschnitt aus dem mir lieberen der beiden[5]:

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Ein Synagoge, eine Kirche, eine Moschee. Ja, die Moschee ist ziemlich weit hinten, aber anders als in vielen Kinderbüchern gibt es eine. (Und ein Wiener Café. Ist bei einem Verlag in Wien herausgegeben worden, das Buch.)

Auch dem anderen Buch[6] merkt man an, dass die Zeichnungen aus den USA kommen, auch wenn das Impressum da unvollständig ist. Dafür ist die Übersetzung sehr … deutsch?

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reale Ungerechtigkeit vs. gerechte Vision

Also was? Realität oder gerechtere Vision? Gerechte Realität? Vom Wunsch nach einer Mischung aus Realität und Utopie bei Kinderbüchern schrieb @leitmedium schon für kleinerdrei. Eine echte Realität ist: nicht alle Leute sind weiß. Noch nicht mal die Mehrheit. Eine gleichzeitige Realität: Weißsein wird als Norm gehandelt. Damit muss sich auch mein Kind mal auseinandersetzen. Ich denke weiter darüber nach: Geh ich dem Problem aus dem Weg, wenn ich Tiere als Protagonist_innen einer homogenen weißen Menschengruppe vorziehe? Oder lasse ich es offen und mache es dem Kind damit vielleicht mal leichter, nicht nur sich selbst zu sehen? Oder ist das Schmu, weil Tiere das Weißsein nur ersetzen, statt es zu verändern, und die Tiere automatisch als weiß gelesen werden, weil Norm und so? Rassismus in Kinderbüchern ist ein Problem und in der deutschsprachigen Verlagswelt eine Alltagserscheinung. Dazu gehört auch, dass People of Color nicht vorkommen. Symbolic Annihilism. Hinter Tieren zu verschwinden ist vielleicht eine Form davon.

Und das Kind? Übt vor allem, Bücher auf und wieder “dsu” zu schlagen.

Fußnoten

[1] Ole Könnecke, Das große Buch der Bilder und Wörter, Hanser 2013
[2] Britta Teckentrup, Das 24-Stunden-Wimmelbuch – Auf der Baustelle ist was los!, Jacoby & Stuart 201
[3] Britta Teckentrup, Das 24-Stunden-Wimmelbuch – Auf dem Bauernhof ist was los!, Jacoby & Stuart 2011
[4] Britta Teckentrup, Das 24-Stunden-Wimmelbuch – In der Stadt ist was los!, Jacoby & Stuart 2011
[5] Sarah Pooley und Jane Salt, Mein erstes buntes Wörterbuch, Tosa Verlag 1990
[6] Kinderlexikon, Schwager & Steinlein GmbH 1993

6 Antworten zu “Kind und Zeug – tierisch gute Bilderbücher? (1)”

  1. Kathi sagt:

    Schau dir mal „Du gehörst dazu: Das große Buch der Familien“ an. Es ist leider kein Kleinkindbuch, da keine Pappseiten. Es zeigt nicht nur Menschen verschiedener Hautfarben, verschiedene Familienmodelle, sondern denkt auch Armut und Besitz mit. Hat mir auf jeden Fall sehr gut gefallen.

  2. elian sagt:

    Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Auf genau diese Probleme bin ich auch gestossen, als es darum ging, Bücher für meine Kinder auszuwählen. Was ich mittlerweile mache, um die ungleiche Geschlechterrepräsentation in Kinderbüchern auszugleichen, ist, wann immer es möglich ist, die Texte beim Vorlesen abzuwandeln. Wenn eine gezeichnete Figur nicht eindeutig im Bild als männlich erkennbar ist, wird sie von mir beim Vorlesen zur Polizistin, Feuerwehrfrau, Matrosin, Baggerfahrerin… Maskuline Pluralformen werden erweitert („Die Polizisten und Polizistinnen helfen bei Verkehrsunfällen“) oder verallgemeinert („Feuerwehrmänner“ -> „Feuerwehrleute“).
    Das erfordert ein bisschen Geistesgegenwart beim ersten Lesen, am besten liest man sich das Buch vorher alleine und merkt sich die Stellen, an denen man ändern kann.

  3. Kitty sagt:

    So machen wirs auch, abwandeln, sofern die Geschichte und die Abbildung das zulässt. Gut fand ich „Mein allererstes Bildwörterbuch: Beim Arzt (sic!)“: Die Hälfte sind Ärztinnen, der Vater betreut das Kind im Wartezimmer – wo auch Nichtweiße sitzen! Nur die Sprache ist nicht neutral, wie der Titel ja schon zeigt.
    Was Spiele angeht, war ich kürzlich ganz begeistert von „6 erste Puzzles: Baustelle“ von HABA, da sitzen in der Hälfte der Bagger und LKW Bauarbeiterinnen!

  4. Dennis sagt:

    Kommt vielleicht auch drauf an wo man wohnt, sprich wie hoch der Ausländeranteil ist und ob es tatsächlich viele unterschiedliche Hautfarben gibt oder eigentlich nur 2-3.

    Die Realität oder Vision oder eine gerechte Variante von beidem in einen Kinderbuch aufzusuchen…vielleicht sollte man Bücher als das nehmen was sie sind, fiktiv. Wenn ich meinen Kindern die Realität zeigen will, gehe ich raus.

    Mir ist es bspw. sehr wichtig, dass die meine Kinder, das in Büchern eigentlich nur Fiktion sind (inkl. der Duden).

    Trotzdem finde ich es gut, wenn es Feuerwehrfrauen, Ärztinnen und Laptoparbeiterinnen gibt. Allerdings sind das alle Dinge auf dem heißen Stein, wenn die Mama zu Hause IN WIRKLICHKEIT doch wieder alleine kocht, wickelt – oder wie bei uns die Dinge geteilt werden und jeder mehr oder weniger alles macht. Wir viel mit den Kindern sprechen, wenn sie mit Stereotypen überladen aus Schule oder Kindergarten kommen…

  5. Steffi sagt:

    Ich arbeite in einem Atelier, das Kinderbücher macht. Unsere Nachbarin betreibt eine Kinderbuchhandlung. „Alle da“ von Anja Tuckermann (http://www.klett-kinderbuch.de/index.php?id=396) war eine ihrer letzten Schaufenstergestaltungen. Und wenn Du es nicht schlimm findest, dass Rapunzel ein Typ ist, der sich einen Bart wachsen lässt und dessen erste große Liebe ein anderer Typ ist, wird Dich „Wer fürchtet sich vorm lila Lachs“ (Michael Roher) enorm glücklich machen. Worauf ich hinaus will: Es gibt diese Bücher. Und Buchhandlungen, die sich damit auskennen. Und alle, die Kinderbücher schreiben und zeichnen, wollen sehr gerne andere, neue Bücher machen. Wir langweilen uns nämlich auch bei dem ewigen Mutter-Vater-Kind-blond-weiß-blauäugig. Verlage außerhalb Deutschlands trauen ihrem Lesepublikum mehr zu. Andere Themen, andere Figuren, andere Familienmodelle. Der übliche Umweg ist: Verkauf die Sachen nach Kanada und Frankreich, in etwa 5-10 Jahren kommen sie hier her zurück. Soweit mal die Perspektive der bücherproduzierenden Seite. Liebe Grüße!