Endlich normal?

Foto , CC BY 2.0 , by john mcsporran

Einer der beliebtesten Vorwürfe an Homosexuelle lautet, sie würden Kinder haben wollen, um sich selbst zu verwirklichen. Schließlich könnten sie gar keinen Kinderwunsch haben, weil sie ja keine Kinder zeugen könnten. Ich habe zwar möglicherweise in Sexualkunde nicht genug aufgepasst, aber nach meiner Kenntnis hat Zeugungs- bzw. Empfängnisfähigkeit mit sexueller Identität eher wenig zu tun.

Wer sich wie wir dafür entscheidet, in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft Kinder zu haben, sieht sich aber noch mit viel abstruseren „Argumenten“ konfrontiert. Und auch wenn ich versuche, den wichtigen Hinweis „Don’t read the comments“ zu befolgen, gelingt mir das nicht immer. Das Bild, das Politiker_innen, selbsternannte Sprecher_innen und Leute, die in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen ein Forum bekommen, von Familien wie meiner zeichnen, ist eigentlich ziemlich lustig. Leider bleibt mir aber das Lachen oft im Halse stecken, wenn jemand seine Homophobie als „natürlich“ diskutiert, meine Kinder als „Halbwesen“ bezeichnet oder entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse beschwört, dass unsere Kinder keine glücklichen Menschen sein oder werden können.

Kinder als Selbstverwirklichung

Warum mich das kümmert, bleibt dabei offen, denn eigentlich habe ich ja gar kein Interesse an meinen Kindern, wie ein_e Leser_in im Online-Forum der ZEIT anlässlich des großartigen Artikels „Ich bin es leid“ von Carolin Emcke ausführte: „Aber den Leuten geht es um was anderes, nämlich die Umsetzung Ihres Anspruches auf individuelle Selbstverwirklichung. Es geht nicht um Fortpflanzung. Diese Leute meinen, sie werden erst zu richtigen Menschen, wenn Sie als Homosexueller das Recht haben ein Kind zu adoptieren. Sie wollen einen gesetzlichen Anspruch zur Kindsadoption für ihre persönliche Selbstverwirklichung daraus ableiten, dass sie aufgrund Ihrer sexuellen Identität nicht in der Lage sind auf biolgischem [sic!] zumutbaren Wege ein Kind zu gebären.“

Ich habe lange gebraucht, um die (vermeintliche) Logik dieser Äußerung überhaupt nachvollziehen zu können. Wenn ich das richtig deute, bin ich als Lesbe aufgrund meiner sexuellen Identität defizitär, denn ich kann ja nicht auf „biologisch zumutbarem Wege“ ein Kind gebären. Ob das bedeutet, dass ich wegen meiner Homosexualität weder Eileiter noch Gebärmutter oder Vagina habe und das Kind, sollte ich schwanger sein, also über eine andere Körperöffnung meinen Körper verlassen muss, ist mir noch nicht vollends klar. Aber ich werde bei der nächsten Untersuchung mal meine Frauenärztin fragen. Und falls sie keinen Rat weiß, kann mir ja der_die User_in „footek“ vielleicht weiterhelfen.

Zumindest eine Zeugung wäre übrigens dennoch möglich. Hier hilft – wie so oft – der christliche Glaube weiter. Am Nordportal der Marienkapelle in Würzburg ist nämlich die „Ohrzeugung“ von Jesus sogar bebildert. So beschreibt es Max bei Dianacht: „Der schon recht weit entwickelte Fötus rutscht auf einer schlauchartigen Sprechblase, die im unteren Teil als Heiliger Geist in Taubenform endet, direkt ins Ohr der Muttergottes. So bleibt die Jungfrau unbefleckt und niemand kommt auf dumme oder womöglich sündig erotische Gedanken bei dieser Art der Zeugung.“

(Bild-Quelle)

Leider ließ sich meine Frau nicht überzeugen, dass dies die beste Zeugungsmethode sei, so dass wir doch wieder zu herkömmlichen Methoden greifen mussten.

Der_Die User_in „Elite7“ schreibt im Kommentar 198 zum obenstehenden Artikel: „Und ob Sie es glauben oder nicht: Für viele sind Kinder nur Ausstellungsstücke. Man will sich damit präsentieren.“ Klar, dachte ich beim Lesen, kenne ich: Übermütter und -väter, die ihr Selbstwertgefühl aus den (oft erzwungenen) Erfolgen ihrer Kinder beziehen. Wie bzw. ob das aber – und das wird hier unterstellt – mit sexueller Identität korreliert, bleibt dabei natürlich offen.

Homos haben keinen Kinderwunsch (zu haben)

Weiter schreibt der_die gleiche Kommentator_in: “Die Frage wie intensiv ein Kinderwunsch seitens Homosexueller im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren ist, wäre eine interessante Frage.” Interessant ist hier vor allem, warum da ein Gegensatz bestehen muss. Ich persönlich kenne Hetero- wie Homosexuelle mit und ohne Kinderwunsch. Die Unterstellung, einen Kinderwunsch hätten nur Heterosexuelle, ist absurd.

Tatsächlich existiert bei heterosexuellen Menschen die Möglichkeit, zwischen Erfüllung eines Kinderwunschs und gewollter Kinderlosigkeit zu wählen, erst seit der Entwicklung einer grundsätzlich funktionierenden Empfängnisverhütung. Hingegen hatten manche homosexuelle Frauen auch schon in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhundert einen Kinderwunsch, der sich jedoch seinerzeit oft nicht erfüllen ließ. Viele dieser Frauen opferten ihren Kinderwunsch, um im Rahmen der begrenzten Möglichkeit sie selbst sein zu können. Und sicher gab es auch zu der Zeit schon homosexuelle Männer, die gerne Kinder auf dem Weg ins Leben begleitet hätten, doch für sie war die Erfüllung ihres Kinderwunsches nahezu unmöglich. Einziger „Ausweg“ dieser Menschen war die Verleugnung ihrer sexuellen Identität und das „Normalsein“, d.h. das Gründen einer Familie in einer heterosexuellen Partnerschaft meist in Form einer Ehe. Hielt der_die Homosexuelle das Versteckspiel dann irgendwann nicht mehr aus, war es häufig so, dass er_sie mit der Trennung auch die Kinder verlor – weil die Mehrheitsmeinung und damit häufig auch der_die Familienrichter_in den_die Homosexuelle_n nicht für fähig hielt, Kinder aufzuziehen.

Bei Wikipedia heißt es: „Der Kinderwunsch eines Menschen ist aus heutiger Sicht weder biologisch noch instinktiv bedingt.“ Wissenschaftlich unterschieden werden demnach verschiedene Motive für einen Kinderwunsch – diese können selbst – oder paarbezogen sein, normativ geprägt oder sozial – und natürlich auch eine Mischung aus allem. Mein persönlicher Kinderwunsch rührt vor allem daher, dass ich gerne Kindern etwas weitergeben und sie auf ihrem Weg ins Leben begleiten und beschützen möchte. Das ist ohne Frage ein selbstbezogenes Motiv, allerdings geht es mir dabei nicht um Selbstverwirklichung, denn ich hatte vor der Geburt unserer Kinder ein erfülltes Leben und hätte dieses auch ohne sie ganz sicher fortgeführt. Dass der Wunsch nach dem Tod meiner Eltern stärker geworden ist, zeigt zusätzlich eine soziale Motivation: Insbesondere meine Mutter hatte sich immer Enkel gewünscht – ein Wunsch, den auch meine beiden heterosexuellen Schwestern bis zu ihrem Tod nicht „erfüllt“ hatten.

Das vielleicht absurdeste „Argument“, das mir in diesem Kontext begegnet ist, ist, dass nur Mann und Frau gemeinsam während des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs ein Kind zeugen könnten, da es nur während eines Orgasmus zur Befruchtung komme. Ob das sowohl Mann als auch Frau betrifft, wird dabei allerdings nicht ausgeführt. Falls ja, würde das zumindest das Problem der Überbevölkerung lösen – es sei denn, auch vorgespielte weibliche Orgasmen qualifizieren für eine Empfängnis. Nun ist unbestritten, dass ein Samenerguss hilfreiche Voraussetzung für eine Befruchtung ist. Und auch ein weiblicher Orgasmus hilft, die Spermien in Richtung Eizelle zu befördern. Dass aber der Kinderwunsch im Moment des Orgasmus quasi blitzartig auftritt, wie ich in einem leider nicht mehr auffindbaren Online-Kommentar las, war mir persönlich neu.

Von Gottes Wille und der Natürlichkeit

Sind alle o.g. „Argumente“ verpufft, sprechen christliche Gegner_innen einer Gleichstellung von homosexuellen Menschen dann gerne davon, was biblisch gewollt bzw. verboten ist. Dabei ignorieren sie geflissentlich die im Grundgesetz geregelte Trennung von Kirche und Staat, schließlich habe Deutschland christliche Grundwerte bzw. eine entsprechende Leitkultur. Oder, wie es der Regierungssprecher der Bundesregierung in der Bundespressekonferenz am 27. Mai 2015 erklärt: „Das ist ein Unterschied [zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft], der in den Traditionen, kulturellen, religiösen Grundlagen unseres Landes liegen (sic!), die dann zum Grundgesetz geführt haben, so wie es 1949 formuliert wurde.“ Wenig tröstlich ist, dass auch andere Politiker_innen in Deutschland der Meinung sind, dass – bevorzugt die christliche – Religion relevante Grundlage staatlichen Handelns sein sollte. Als Bundeskanzlerin Merkel in diesem Jahr den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff damit zitierte, der Islam gehöre zu Deutschland, teilte der sächsische CDU-Ministerpräsident Tillich kurz darauf mit, der Islam gehöre jedenfalls nicht zu Sachsen.

Die Diskussion über die praktische Bedeutung von Bibelinhalten im Alltag ist mir dabei als genesender Ex-Katholikin immer fremd geblieben. Schön ist in diesem Kontext die gern und viel zitierte Zusammenstellung, dass der Bibel zufolge nicht nur Homosexualität eine Sünde ist, sondern auch Rasuren und das Essen von Schweinefleisch, während z.B. Sklaverei und Vergewaltigung in Ordnung und natürlich sind. Die der entsprechenden Haltung zugrundeliegende Doppelmoral wird auch in diesem Tweet von Keegan Osinski erfreulich deutlich:


„Homosexuell zu sein ist falsch, hier ist das Bibelzitat.“
„Ach, weißt du, schau mal dieses Zitat an das sagt ‚Frauen sollen nicht reden‘.“
„Das war damals eine andere Kultur“.

Meinetwegen dürfen Menschen gerne ihr Leben wörtlich an Bibel, Talmud, Koran etc. ausrichten. Schwierig wird es, wenn sie glauben, die Gesellschaft, in der sie leben, müsse das deshalb auch tun. Das gilt umso mehr, wenn sie sich selbst lieber nicht an die im jeweiligen Buch niedergeschriebenen Grundsätze wie das Gebot der Nächstenliebe oder des Ehrens der Eltern halten.

Ergänzt wird diese religiöse Argumentation auch gerne mit der „Unnatürlichkeit“ der Homosexualität. So hat Norbert „Die Rente ist sicher“ Blüm Anfang Januar 2015 in der FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) „Ehe und Familie“ zum „einmaligen und kostbaren Kulturprodukt“ erklärt, welches „unserer Natur entspricht“. Es ist schon ein rhetorischer Kunstgriff, Kultur und Natur in nur einem Satz gleichzusetzen. „Natur“ meint hier dabei aber natürlich nicht die landläufige Definition von Natur als dem, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Vielmehr beschreibt dieses Konzept das, „was schon immer war“ und was es allein deshalb zu bewahren gilt. Was demnach „gegen die Natur“ weil „Irgendwie anders“ ist und also Veränderung bedeuten würde, gilt es abzuwehren.
Ohne sich mit diesem Quatsch zu lange zu befassen, sei erwähnt, dass diesem Konzept zufolge zum Beispiel Automobile, Herzschrittmacher, Viagra, und überhaupt Sex ohne gelingende Fortpflanzung – ob mit oder ohne Partner_in – gegen die Natur wären. Hier also deshalb nochmal für alle zum Mitschreiben: Das einzige, was „gegen die Natur“ ist, ist Naturzerstörung, d.h. die Vernichtung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur, Landschaft und Wildnis – wie wir sie alle täglich betreiben.

Gefährdung von Privilegien

All diesen Vorwürfen ist gemeinsam, dass gewählte oder auch selbst ernannte Vertreter_innen eine_r Mehrheit ihre Privilegien nicht mit einer Minderheit teilen möchte. Und damit sie das auch weiterhin nicht müssen, ist es wichtig, dass die Minderheit deutlich erkennbar ist. Dafür werden dann auch gerne mal Stereotype geprägt bzw. bedient, etwa vom immer tuntigen schwulen Mann oder der immer in Karohemd im Baumarkt auftretenden Lesbe.

Solche Stereotype helfen dann auch, die eigene Homophobie zu pflegen, wörtlich die Angst vor homosexuellen Menschen, faktisch für alle ablehnenden Haltungen gegenüber LSBT*-Menschen benutzt. Der Parodie-Account @morrgan_freeman äußerte sich hierzu treffend:


„Ich hasse das Wort Homophobie. Das ist keine Phobie.
Du bist nicht verängstigt. Du bist ein Arschloch.“

Tatsächlich beschreibt Homophobie – inzwischen immer häufiger Homosexuellenfeindlichkeit genannt – auch deshalb die Haltung der Gegner_innen einer Gleichstellung nur unzureichend, weil es nicht die Angst vor dem Homosexuellen ist, die sie antreibt, sondern die Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien. Die daraus folgende Abgrenzung und Beschreibung der Minderheit als defizitär – „Die“ können keine Kinder bekommen – funktioniert, solange die Vertreter_innen dieser Minderheit tatsächlich entsprechende äußere Merkmale aufweisen. Im Fall von lesbischen Frauen zählt dazu gerne butchiges Aussehen, Holzfällerhemd, den „Lesbeneinheitsschnitt“ als Frisur und eben Kinderlosigkeit.

Wenn wir aber „plötzlich“ Kinder haben, und dann vielleicht noch nicht mal mehr Holzfällerhemden tragen, gerät diese wunderbare Ordnung durcheinander. Und so kann es passieren, dass uns jemand auf den ersten Blick für „normal“ befindet, obwohl wir doch das nun gerade nicht sein dürfen. Denn wenn wir das dürften, was sollte dann mit dem berühmten „Bauchgefühl“ unserer Bundeskanzlerin passieren? Und wie sollte man dann argumentieren, dass wir, obwohl doch scheinbar „normal“, nicht die gleichen Rechte haben wie die „normale“ Mehrheit?

Normal sein als Definitionsfrage

Die christlichen Kirchen machen sogar eine eigene Regel daraus: solange ihre homosexuellen Mitarbeiter_innen „normal“ sind, d.h. keine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen und also nicht zeigen, dass sie “irgendwie anders” sind, beschäftigen ihre Arbeitgeber sie gnädigerweise.

Und auch wenn viele größere Arbeitgeber_innen inzwischen die Charta der Vielfalt unterschrieben haben, ist es jenseits einiger Vorreiter_innen noch ein weiter Weg bis zu einer gleichberechtigten Teilhabe vergleichbar qualifizierter, aber unterschiedlich lebender Mitarbeiter_innen. Wer hier “normal” ist, hat trotz Gleichstellungsgesetz und Gleichbehandlungsgesetz nach wie vor bessere Chancen auf einen beruflichen Aufstieg. Ganz einfach, weil die Positionen der Entscheider_innen von „Normalen“ besetzt sind.

Auch die Kommentator_innen der Ende 2013 von Gabriel Stängle initiierte Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ zum geplanten Bildungsplan in Baden-Württemberg versuchten, „Normalität“ in ihrem Sinne zu definieren. Und so ist dann nicht von homo- vs. heterosexuell die Rede, sondern von homosexuell vs. „normal“. Bi-, Trans- und Intersexuelle, Transgender und queere Identitäten kommen gleich gar nicht vor.

Von hier ist es nicht mehr weit bis zu Lewitscharoffs „Halbwesen“, wie sie nicht im heterosexuellen Geschlechtsverkehr gezeugte Kinder bezeichnet. Sibylle Lewitscharoff hat 2014 – wie zuvor die Herren Pirinci, Matussek, Sarazzin & Co. – ihrem Unbehagen über unser Streben nach „Normalität“ Luft gemacht. In ihrer „Dresdner Rede“ im März 2014 führte sie unter anderem aus: „Grotesk wird es aber spätestens in anderen, inzwischen durchaus zahlreichen Fällen, in denen […] sich lesbische Paare ein Kind besorgen, indem entweder ebenfalls ein anonymer Spender oder ein naher Verwandter der Freundin der künftigen Mutter herangezogen wird, um sein Sperma abzuliefern. Dabei ist eine Selbstermächtigung der Frauen im Spiel, die mir zutiefst suspekt ist. Im Grunde liegt solchen Machinationen die Vorstellung zugrunde, Männer seien verzichtbar, oder ihr Einfluss sei auf das Notwendigste zu reduzieren, eben auf ihren Samen.“

Männer werden überflüssig

Tatsächlich ist das Hauptthema, das die Mehrheitsgesellschaft mit unserer Familie hat, die Abwesenheit des Vaters, der hier stellvertretend für alle männlichen Bezugspersonen steht. Dass der Vater unserer Kinder diese möglicherweise häufiger sieht und allein betreut als mancher Vater in einer „normalen“ Familie? Geschenkt. Dass unsere Kinder neben uns weitere männliche und weibliche, homo- und heterosexuelle Bezugspersonen haben, wird zwar zur Kenntnis genommen, reicht aber scheinbar auch nicht aus.
Bezeichnend ist hier die unverhohlene Freude der ehemaligen Erzieherin unseres Sohns, wenn ich ankündigte, dass der Vater ihn nachmittags abholt. Dieselbe Erzieherin hatte neun Monate gebraucht, um sich zu merken, dass ich Mami bin und meine Frau Mama. Und auch das gelang nur nach lautstarkem Protest meines Sohnes. Ich hatte ihn zur KiTa gebracht und er war direkt in die Gruppe abgetaucht. Sie rief ihn und forderte ihn auf, sich von „seiner Mama“ zu verabschieden. Er baute sich neben ihr auf, stemmte die Fäuste in die Seiten und sagte laut und vernehmlich: „Das ist nicht meine Mama, das ist meine Mami!“

Inzwischen bin ich sicher, dass nicht unsere andere Familienform das Problem ist. Wir sind nur der Stachel in der Wunde von Familien, die offiziell „normal“ sind und in denen die Normalität so aussieht, dass die Frau mit der Kindererziehung und -pflege komplett allein gelassen wird. Familien, in denen ein Elternteil – der Vater – abwesender ist als der zusätzlich zu zwei Eltern vorhandene biologische Vater unserer Kinder. Und in denen es dann eben nicht (mehr) zwei Eltern plus eine weitere ab und zu anwesende Bezugsperson gibt, sondern nur eine Bezugsperson.

Fehlende Normalität für Regenbogenfamilien

Meine Familie ist in vielerlei Hinsicht „normal“ – wenn es „normale“ Familien denn überhaupt noch gibt. In unserer Familie lieben sich zwei Erwachsene und ziehen gemeinsam Kinder groß. Sie gehen zu allen U-Untersuchungen bei Kinderarzt oder Kinderärztin, werden geimpft und besuchen schon früh die KiTa. Zusätzlich zu ihren Eltern gibt es weitere erwachsene Bezugspersonen in ihrem Leben – ihren biologischen Vater, ihre Großeltern, ihre Wahloma, Patentanten sowie Freund_innen ihrer Eltern.

Nicht normal ist, dass diese Familie gegenüber anderen wie auch immer aufgestellten Familien benachteiligt wurde und wird, weil die die Bundesregierung tragenden Parteien sich einig sind, uneinig in der Frage der Öffnung der Ehe zu sein. Zwar sagt der Regierungssprecher, dass die „Freigabe der Abstimmung“ zu diesem Thema im Bundestag selbstverständlich Sache des Parlaments sei. Ob aber die Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion hier über ihre Schatten springen, wage ich zu bezweifeln. Und so werden wohl nach Irland und den USA auch noch zahlreiche weitere Länder die Ehe für Nicht-Heterosexuelle öffnen, bevor Deutschland das tun wird. Und Co-Mütter wie ich werden die in ihre Lebenspartnerschaft geborenen Wunschkinder weiterhin im Rahmen der Stiefkindadoption adoptieren müssen, während Männer, in deren Ehe Kinder geboren werden, automatisch Vater dieser Kinder sind, egal, wer der biologische Vater ist.

Das ist zur Zeit normal. Normal ist das nicht.

Dieser Beitrag ist der 5. und letzte Teil einer Reihe über Andreas Erfahrungen als lesbische Co-Mutter in Berlin.
Weitere Teile sind:

Auftakt: „Irgendwie anders – A Rage“
1. „Die unbefleckte Empfängnis“
2. „Ich bin nur dick“
3. „Schön, dass die Oma wieder da ist“
4. „Zurechnungsfähig“

6 Antworten zu “Endlich normal?”

  1. Anne sagt:

    „Meinetwegen dürfen Menschen gerne ihr Leben wörtlich an Bibel, Talmud, Koran etc. ausrichten. Schwierig wird es, wenn sie glauben, die Gesellschaft, in der sie leben, müsse das deshalb auch tun. „
    Genau! Genaugenaugenau!
    Ich begreife diese himmelschreiende Arroganz dieser Menschen nicht, die sich ganz sicher sind, dass jetzt alle nach ihrer kleinen, sorgfältig ausgelegten religiösen Wahrheit leben müssen – vor allem nicht aus meiner Sicht als religiöse Person, für die die Hauptregel der christlichen Religion aus Liebe besteht.
    Liebe deinen Nächsten. Nicht Belehre deinen nächsten, beschneide ihn/sie in seiner/ihrer persönlichen Freiheit, verwehre ihr/ihm ihr/sein Glück im Leben und spiele dich auf, als seiest du selbst (und nur du) das Maß aller Dinge.
    Grmpf.

  2. Daniel sagt:

    Ich war als Student in den 1990er-Jahren dabei, wie sich so langsam das Bewusstsein für die Rechte von Lesben und Schwulen in der Bevölkerung durchsetzte. Eigentlich möchte ich heutzutage davon ausgehen, daß dies mittlerweile in der Mehrheit der Bevölkerung angekommen ist. Aber es gibt dann doch immer wieder Anzeichen, daß dem nicht so ist.

    Umso seltsamer finde ich es, daß in Diskussionen um die Integration von Flüchtlingen jetzt so getan wird, als wäre die Gleichstellung von Lesben und Schwulen mit Heten und Bisexuellen ein unumstößliches Fundament unserer Gesellschaft. Das ist mir im August schon sauer aufgestoßen:

    https://www.youtube.com/watch?v=2eccPGw5zPo

    Das hätte uns damals in den 1990ern mal jemand prophezeihen sollen, daß im Jahr 2015 die Gleichstellung emotionaler Orientierungen in Deutschland als Argument zur Abwertung von Hilfesuchenden benutzt wird. Wir hätten uns wahrscheinlich kringelig gelacht.

  3. Pinguinlöwe sagt:

    ufff… zum einen gibt es so viele Kinder, die hauptsächlich sorgende, liebevolle Eltern haben wollen oder besser gesagt, überhaupt jemanden der sich kümmert. Ein erweitertes Adoptionsrecht wäre für diese Kinder absolut „nur“ ein Gewinn.

    Neulich hörte ich ein Gespräch im Bus zwischen zwei Jugendlichen, die da meinten, Homosexuelle sollten keine Kinder haben dürfen, da diese ja von Heterosexuellen diskriminiert werden würden und das für die Kinder nicht zumutbar wäre… diese abstruse Logik dahinter… *würg*

    Wenn man nun an all die heterosexuellen Paare denkt, die ganz ausversehen Kinder bekommen und sich einen Dreck drum scheren, was aus denen wird… aber das ist natürlich gottgewollt. Jedenfalls der Zeugungsvorgang. Was danach mit den Kindern passiert.. *Schwamm drüber*

    Nein, die traurige Wahrheit ist wohl, dass es völlig egal ist, in welcher Konstellation Kinder aufwachsen. Die brauchen weder eine feste Vaterfigur (wie es oft so schön heißt) noch eine Mutterfigur, sondern einfach nur überhaupt jemanden, der für sie da ist, sich stark macht, sie aufzieht.

    Ein Freund sagte vor kurzem folgendes zu mir: „Mein Vater war Alkoholiker und hat mich fast wöchentlich verprügelt. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre mir jede andere Familienkonstellation lieber gewesen.

    Und nein, das heißt natürlich nicht, dass das automatisch besser ist. Nur eben auch nicht schlechter.

  4. Pinguinlöwe sagt:

    apropos individuelle Selbstverwirklichung: Das ist der Punkt. Fragt mal rum, was heterosexuelle Paare so angeben, warum sie Kinder in die Welt setzen. Da sind echt lustige Begründungen dabei. Manche davon kann man durchaus unter diesem schwammigen Begriff zusammen fassen: „Das war nicht geplant, war dann eben so.“
    „Ohne Kind ist man doch irgendwie nicht vollständig.“
    „Da fehlt dir im Leben doch sonst was.“

    Das sind natürlich alles nur die besten Begründungen für ein Kind, oder?

  5. […] vieler anderen Menschen in Deutschland komplett vorbei – ich bin lesbische Co-Mutter in einer Regenbogenfamilie Ein weiteres Beispiel aus den 1950ern ist die Annahme, dass es in einer Ehe nur eine_n voll […]

  6. andreacmeyer sagt:

    Ich hätte jetzt eher gedacht, das ist der göttliche Odem, auf dem das Kind rutscht, aber wissen tue ich es natürlich auch nicht ;-)