Irgendwie anders – A Rage

Foto , CC BY 2.0 , by David Goehring

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Andrea.

Der Text entstand 2013. Durch Annes Buch „Weil ein #aufschrei nicht reicht – Für einen Feminismus von heute“ gewann er noch einmal an Aktualität. Er ist der Auftakt zu einer losen Reihe über Andreas Erfahrungen als lesbische Co-Mutter im „Homo-Paradies“ Berlin.

@andreacmeyer

Ich lebe in einer festen Beziehung, habe einen Sohn und hoffentlich bald noch ein zweites Kind, einen gut bezahlten, festen Job, führe zudem ein kleines Unternehmen, habe eine Eigentumswohnung gekauft, zahle meine Steuern pünktlich UND gerne, engagiere mich in Initiativen, Genossenschaften und im WEG-Beirat und spende zudem für wohltätige und gemeinnützige Zwecke. Ich bin ein „Arbeiterkind“, dessen Bildungsweg Wunsch und Vorbild für viele sein könnte. Kurz gesagt: Ich bin etabliert und gehöre zu den so genannten Besserverdienenden. So weit, so langweilig.

Allerdings bin ich auch diejenige, die im Bewerbungsgespräch um die Führungsposition dadurch auffällt, dass ihr Dreiteiler „schön, aber nicht sehr weiblich“ ist. Ob denn das mit der Gleichstellung für Homosexuelle überhaupt noch ein Problem sei, will die Kollegin wissen, die mir dieses Feedback gibt. Ähem, ja?

Nachteile durch Lebenspartnerschaftsgesetz

Ich bin die, die für die Großmutter ihres Sohnes gehalten wird, weil ihre Frau offensichtlich dessen leibliche Mutter ist. Ich bin auch diejenige, die lange Zeit nach der Geburt eigentlich doch (noch) keinen Sohn hatte, weil der Adoptionsantrag zwar vorlag, aber die Gerichtsentscheidung über die Stiefkindadoption fast acht Monate nach dem Antrag noch ausstand. Immerhin zahlte meine Frau, die offiziell alleinerziehend war, geringere KiTa-Gebühren, bis ich auch offiziell Mutter meines Sohnes sein durfte – insofern ist wohl Dankbarkeit angesagt.

Wäre ich übrigens männlich, und meine Frau hätte eine Samenspende bekommen, so hätte ich unseren Sohn noch im Krankenhaus mit exakt einer Unterschrift als meinen Sohn anerkennen können. Da wäre dann auch egal gewesen, dass ich nicht der leibliche Vater bin, denn ich hätte es ja sein können (da war er wieder, der kleine Unterschied). Dass das nicht ging, verdanken wir dem Lebenspartnerschaftsgesetz, das explizit gemacht wurde, damit Homosexuelle keine Ehe eingehen können, und das inzwischen sogar Herr Berlusconi lobt. Ja, DER Berlusconi. 2005 wurde uns die Regelung zur Stiefkindadoption freundlicherweise „geschenkt“, die überhaupt erst ermöglicht, dass meine Frau und ich gemeinsam Kinder haben können. Rege ich mich gegenüber Freund_innen und Kolleg_innen darüber auf, ist die erste Reaktion meistens „Ist ja auch irgendwie anders“.

Hürden beim Kinderwunsch

Genau. Und deswegen dürften wir auch weiterhin nicht gemeinsam ein fremdes Kind adoptieren. Und nein, es ist nicht so, dass das Jugendamt nach Besuchen bei uns als potenziellen Adoptiveltern entscheiden würde, dass wir nicht geeignet seien – wie es das bei einem (ungeeigneten) Heteropaar täte, das sich um eine Adoption bewirbt. Bis zum Jugendamt würden wir gar nicht vordringen, da wir ja grundsätzlich per Gesetz von dem Recht, uns um eine gemeinsame Adoption zu bewerben, ausgeschlossen sind. Nacheinander dürften wir uns allerdings jetzt schon darum bewerben, dasselbe, nicht leibliche Kind zu adoptieren – dank der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Jahr zur so genannten Sukzessivadoption. Da der Adoptionsprozess so viel Spaß macht und so wenig Nerven und Geld kostet, ist das vermutlich auch ein von der „Homo-Lobby“ durchgesetztes Privileg.

Ich bin diejenige, die seit der Eintragung ihrer Lebenspartnerschaft beim Standesamt bis 2013 jährlich drei Steuererklärungen und zwei Einsprüche bzw. Widersprüche eingereicht hat – eine gemeinsame und dann, nach Ablehnung, Einspruch, erneuter Ablehnung und Widerspruch, noch mal zwei einzelne. Seit 2013 mussten wir dann immerhin keine einzelnen Steuererklärungen mehr einreichen, dafür war meine Frau im Steuerbescheid für 2012 der Ehemann und ich die Ehefrau. Das ist zumindest praktisch, wenn mal wieder jemand wissen will, wer bei uns der Mann und wer die Frau ist. (Spoiler: und eigentlich bin ich auch nur empört, weil ich der Mann sein wollte. Nicht.)

Dass wir dem Staat damit bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ehegattensplitting, das im Sommer 2013 ergangen ist, wegen der Einstufung in Steuerklasse 1 (ledig) einen Kredit geben „durften“ – geschenkt. Dass aber über die Konsequenzen des Urteils medial so berichtet wurde, als wenn wir den Staat jetzt Millionen extra kosten, zeugt mindestens von Ignoranz. Unser freundlicherweise verliehenes Geld hatten wir übrigens auch drei Monate nach Urteil und Gesetz nicht zurück, die Finanzverwaltung wartete dem Vernehmen nach noch auf die entsprechende Umstellung der Software. Und nur damit das nicht falsch verstanden wird: Ich finde das Ehegattensplitting blödsinnig, antiquiert und politisch absolut kontraproduktiv, auch wenn wir jetzt davon profitieren. Falls über Steuervorteile die Familiengründung bzw. -erweiterung befördert werden soll, braucht es dazu meiner Meinung nach allenfalls ein Familiensplitting, das diesen Namen auch verdient.

„Beste Freundin“ und Bauchschmerzen

Im Kinderwunschzentrum war ich bei den Versuchen zur Zeugung unseres Sohnes übrigens die „beste Freundin“ meiner Frau, weil wir sonst nicht behandelt worden wären – aus Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen. Dass der LSVD sagt, dass diese Angst grundlos ist, half in der konkreten Situation nicht weiter. Ich könnte ungezählte vergleichbare Situationen aufzählen – jede davon versetzt mir trotz notwendigerweise erworbenem dicken Fell einen Stich und gibt mir das Gefühl, Mensch zweiter Klasse zu sein.

Luxusprobleme? Ja, schon, wenn ich an die Verfolgung und Hinrichtung von nicht heterosexuellen Menschen in vielen Ländern der Welt denke. Und auch im Vergleich mit der Eurokrise, der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa und vielen anderen Themen ist die mangelnde Gleichbehandlung verschiedener Eltern und Familien nicht unbedingt ein Thema, das viele Menschen hinter dem Ofen vorlockt. Zumindest nicht, bis sich verschiedene Zeitgenossen wieder und wieder öffentlich dazu äußern mussten, warum wir doch irgendwie zumindest so ein bisschen anders behandelt werden müssen.

Dabei ist es schon egal, ob es nun Bauchschmerzen wegen des vermeintlich gefährdeten Kindeswohls sind oder der ewige Vortrag, dass wir keine Kinder zeugen können und deshalb auch keine haben dürfen. Ich frage mich an der Stelle immer, ob diejenigen, die so „argumentieren“, wissen, wie viele Hetero-Paare Kinderwunschzentren aufsuchen. Oder was glauben die, warum da so teure Kunst an den Wänden hängt? Kurz gefasst ist es immer noch für große Teile der Gesellschaft KEIN Problem, Homos irgendwie komisch zu finden. Und Homos mit Kindern? Ich bitte Sie!

Die alltägliche Diskriminierung

Und Homos in der Schule geht natürlich schon gleich gar nicht. Die denkwürdige Äußerung in einer Talkrunde, dass „Lesben lecken“ beim Sex, und dass das jetzt in Baden-Württembergs Schulen vermittelt werden soll, war dabei ja fast noch lustig. Das allerdings galt für die lange Zeit auf der #idpet-Petitionsplattform öffentlichen Morddrohungen, Beleidigungen und Beschimpfungen nicht. Und es dauerte lange – sehr lange – bis Medien die Petition und Gegenaktionen überhaupt zur Kenntnis nahmen.

Natürlich – oder sollte ich sagen: zum Glück? – verursacht das „Bauchweh“, das manche befällt, wenn sie an Kinder in Regenbogenfamilien denken, irgendwann dann doch noch empörte Reaktionen und entsprechende Schlagzeilen. Für Menschen wie mich und meine Familie aber zementieren solche Äußerungen vor allem die alltägliche Diskriminierung, die wir aus Gedankenlosigkeit erfahren, aus Gewohnheit oder einfach, weil es die Politik ja auch so macht. Und deshalb ist jedes derart geäußerte Bauchweh Diskriminierung und gehört auch so benannt – ob das nun im Fernsehen oder bei Treffen mit Freund_innen passiert. Wenigstens dazu sollten jene, die diskriminieren, den Mut haben!

4 Antworten zu “Irgendwie anders – A Rage”

  1. Giliell sagt:

    Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist in meinen Augen ein Paradebeispiel dafür, wie die Mehrheit genau fein ausgelotet bestimmt wo die Rechte der Minderheit sind, gemessen am Konsensus der Mehrheit.
    So ganz ohne irgendwas war irgendwann nicht mehr tragbar, das fanden auch viele Heteros ungerecht, also hat man ein Gesetz gemacht, das sich vornehmlich an der Frage orientiert „was finden genug Heteros gerecht damit sie die Klappe halten“?
    Hat leider geklappt, viele meiner Mit-Heteros haben ganz schnell die Seite gewechselt um nun den nicht-Heteros in Oberlehrermanier zu erklären dass sie doch jetzt langsam unverschämt und gierig werden, was wollen sie denn noch?

    „Natürlich – oder sollte ich sagen: zum Glück? – verursacht das
    “Bauchweh”, das manche befällt, wenn sie an Kinder in Regenbogenfamilien
    denken, irgendwann dann doch noch empörte Reaktionen und entsprechende
    Schlagzeilen.“
    Mich persönlich befällt Bauchweh wenn ich an die Kinder denke, die zur #idpet Demo mitgenommen werden. Die statistische Wahrscheinlichkeit sagt dass da LGBTQ Kinder drunter sind. Den Schaden, den es anrichten muss wenn man merkt dass Mama und Papa gegen die eigene Existenz demonstrieren kann ich mir vorstellen :(

  2. […] Irgendwie anders – A Rage: […]

  3. […] erschien vor einigen Tagen der sehr guter Gastbeitrag ‘irgendwie anders‘ über die Erfahrungen einer lesbischen Co-Mutter. Ein […]

  4. Nee sagt:

    Geht mir ähnlich. Ich war sehr überrascht, als ich gehört hab, dass bei der Adoption überhaupt ein Unterschied gemacht wird zwischen hetero- und homosexuellen Paaren.
    Das ist doch einfach nur lächerlich. Das Adoptivkind bekommt in beiden Fällen zwei Erwachsene, die es versorgen und lieben möchten, ist doch toll.