Ehe für alle – repeated

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by Silvia Sala

Hätte mir vor fünfundzwanzig Jahren jemand gesagt, dass ich mal darum kämpfen würde, heiraten zu dürfen, wäre ich vermutlich in lautes Lachen ausgebrochen. Heute sieht das anders aus. Ich lebe in einer „eingetragenen Lebenspartnerschaft“. Geschätzte 80% meiner Gesprächspartner_innen glauben, ich sei verheiratet. Sei ja „eh das gleiche.“

Ist es nicht. Und das ist ein Problem.

Eingetragene Lebenspartner_innen und Eheleute

So blätterte ich gerade mal wieder in unserem dicken Ordner „Einkommenssteuer“ und las in einem zahllose Seiten umfassenden Schriftwechsel von 2011 wieder die behördliche Ausführung „Der Antrag auf Zusammenveranlagung wird abgelehnt. Eingetragene Lebenspartner werden nicht wie Ehegatten nach §26 EStG veranlagt.“ Ich blätterte weiter zum Bescheid über die Zinsgutschrift von 2014 für zu viel bezahlte Einkommenssteuer. Das war, nachdem das Bundesverfassungsgericht geurteilt hatte, dass das Ehegattensplitting auch für eingetragene Lebenspartnerschaften anzuwenden ist. Drei Jahre voller Schreiben, Widersprüche, Erkundigungen bei Jurist_innen (insbesondere vom LSVD – danke an dieser Stelle), Telefonaten mit dem Finanzamt und Aussagen wie „Ich kann es ja auch nicht ändern“ von den Bearbeiter_innen liegen dazwischen.

Denke ich daran zurück, packt mich die Wut. Nicht wegen der offensichtlichen Diskriminierung – die erlebe ich unabhängig davon regelmäßig. Sondern weil die Weigerung der jeweiligen Bundesregierung, die Ehe zu öffnen, unendlich vielen Menschen – Steuerzahler_innen und Mitarbeiter_innen in Behörden – unendlich viel sinnlose Arbeit bescherte und beschert. Und Zeit frisst, die wir alle gemeinsam so viel besser für andere Dinge nutzen könnten. Sinnvolle Politik zu gestalten, zum Beispiel.

Ich bin es leid

Von Carolin Emckes „Ich bin es leid“ in der Zeit 2012 bis zu den jüngsten klugen Analysen, warum die Eheöffnung für nicht-heterosexuelle Paare trotz überwältigender Zustimmung nicht gelingt, ist in dieser Debatte alles gesagt (wenn zugegebenermaßen auch nicht von jedem_jeder). Und natürlich spielt das Thema auch im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 eine Rolle – in der Regel als Folie für die eigene „Modernität“ gegenüber dem_der „altmodischen“ Gegner_in. Der_die wiederum kontert mit wahlweise christlichen oder vaterländischen Werten (was immer beides bei diesem Thema sein soll, aber Hauptsache Floskel).

Manchmal möchte ich schreien: „Es geht hier um Menschen! Und wem das nicht reichen sollte: Um Kinder!!!“ Ich möchte auf die Mehrheiten für die Eheöffnung im Bundestag und in der Gesellschaft verweisen. Auf die Bindung der Bundestagsabgeordneten an das Gewissen und nicht die Fraktionsmeinung.

Fraktionszwang, Aufstand und Vertagung

Ich bin die Schmierenkomödien leid, wenn ein Rechtsausschuss, dessen Mitglieder mehrheitlich für die Öffnung der Ehe stehen, zum dreißigsten Mal einen Antrag auf Öffnung der Ehe vertagt. Wenn mir vorgehalten wird, Verträge, hier der zwischen Koalitionspartnern, seien verbindlich. Ja, sind sie. Aber warum ist dort nicht die lange fällige Gleichstellung von Paaren, die sich verbindlich füreinander entscheiden wollen, vereinbart?

Im März titelte eine Tageszeitung, dass die SPD die Eheöffnung noch vor der Wahl durchsetzen wolle. Allein mir fehlte der Glaube – leider zu Recht. Der Aufstand wurde abgeblasen, bevor er begann, da die Sitzung des Koalitionsausschusses, in dem der Showdown stattfinden sollte, abgesagt wurde.

Und manchmal möchte ich einfach mit dem ganzen Kram nix mehr zu tun haben. Ich lebe, wir leben unser Leben und gehen mit der täglichen Diskriminierung irgendwie um, bekommen ein dickes Fell oder wehren uns. Würde die #Ehefüralle das ändern? Sicherlich nicht sofort. Aber es würde zumindest vielen Menschen, die sich füreinander entscheiden und auch rechtlich binden wollen, das bürokratische Elend „Eingetragene Partnerschaft“ ersparen, das ständige Zwangs-Coming-Out und die Unmöglichkeit, für gemeinsame Kinder auch spätestens ab Geburt gemeinsam Sorge tragen zu dürfen.

Die Eheöffnung wird wegen christlicher Werte verhindert? Was für ein Quatsch.

Die CDU l(i)ebt Werte

„Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen.“ Wer den Satz im Internet sucht, landet beim CDU-Grundsatzprogramm von 2007. Und kann dort lesen:  „Ehe und Familie sind das zuverlässigste soziale Netz, wenn Menschen Menschen brauchen.“ Das müsste grundsätzlich nicht so sein, ist aber 2017 in Deutschland so. „Die Entscheidung für Ehe, Kinder und Familie ist eine persönliche Entscheidung, die wir unterstützen: Staat und Gesellschaft dürfen aber den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben.“ Prima, wir haben uns verstanden, denke ich. Und bin schon kurz davon, die CDU zu wählen.

Und dann kommen diese Sätze:

„Wir erkennen an, dass auch in solchen [nicht-ehelichen] Beziehungen Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. […] Wir werben für Toleranz und wenden uns gegen jede Form von Diskriminierung. Eine Gleichstellung [homosexueller Partnerschaften] mit der Ehe zwischen Mann und Frau als Kern der Familie lehnen wir jedoch ebenso ab wie ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare.“

Ich habe es vermutlich irgendwie verpasst, aber wo ist hier der Widerspruch? Und muss ich mich jetzt entscheiden, ob ich frauenliebende Frau oder Mutter unserer Kinder bin? Ehrlich gesagt wäre das auch kürzer gegangen: „Wir wären lieber nicht bigott, sind es aber.“

„Leider“, würde meine Tochter noch hinzufügen.

Rote und schwarze Linien

Besteht Hoffnung, dass die Eheöffnung kommt? Klar, wie schon seit 16 Jahren, als die eingetragene Partnerschaft mit vielen Pflichten und wenigen Rechten eingeführt wurde. Spielt es eine Rolle? Vier Parteien, die eine Chance haben, im nächsten Bundestag vertreten zu sein, definieren eine entsprechende Formulierung im nächsten Koalitionsvertrag als „rote Linie“.

Wie rot sie sein wird, wenn es um die Wurst geht, bleibt abzuwarten. Falls sie bei allen potenziellen Koalitionpartner_innen auch dann noch gilt, müsste eine Union, die sich in der Frage nicht bewegt, deshalb vermutlich alleine, mit der AfD oder nicht regieren. Auch deshalb scheinen Einzelpersonen jetzt eher schwarz als rot zu sehen.

Das Gewissen

Gerade eben – am 26.Juni 2017 um 23.00 Uhr, lese ich, dass die Bundeskanzlerin sich eine Gewissensentscheidung über die Öffnung der Ehe wünscht. Das wird vielerorts so gedeutet, dass es um eine Gewissensentscheidung der Bundestagsabgeordneten ginge – die in dieser Woche das letzte Mal vor der Sommerpause, aber auch im September vor der Bundestagswahl am 24.09.2017 noch einmal tagen.

Nun ist diese Forderung nach einer Gewissensentscheidung in dieser Sache ja an sich auch nichts Neues. Allerdings ist neu, dass die Bundeskanzlerin scheinbar – angesichts der Aussichtslosigkeit – das Gewissen über das Bauchgefühl stellt. Und während es ein bisschen schmerzt, dass unsere Gleichstellung erst möglich zu werden scheint, wenn der Union Machtoptionen ausgehen, bin ich es inzwischen so leid, dass mir das auch schon egal ist.

Ein Versprechen

Wird mit einer Ehe für alle alles gut? Nein, beileibe nicht. Eigentlich brauchen alle Familien – egal in welcher Form sie zusammenleben – eine steuerliche Staffelung oder einen Bonus, die auf die Zahl der (finanziell) abhängigen Kinder und das verfügbare Einkommen und Vermögen Rücksicht nimmt. Kurz: wir brauchen ein Familien- statt eines Ehegattensplittings.

Aber für mich und meine Familie würde die Öffnung der Ehe Erleichterung bedeuten – wie auch für viele andere, die ihre Lebenspartnerschaft mangels der Möglichkeit zu heiraten haben eintragen lassen. Eine Öffnung der Ehe würde daher wahrscheinlich Kräfte freisetzen, mit denen wir uns jenseits der endlosen Diskussion über die Ehe für alle hoffentlich konstruktiv politisch und anderweitig betätigen könnten.

Und das ist ein Versprechen.

2 Antworten zu “Ehe für alle – repeated”

  1. Helmut Josef Weber sagt:

    Hallo Andrea,

    ich bin hetro, 65, und lebe mit meiner lieben Frau (64), seit vielen Jahren in Südspanien.

    Sie ist meine erste Liebe und ich auch ihre.

    Und da ich auch wohl ihre letzte Liebe bleiben werde, so wie sie meine letzte lieb bleiben wird, habe ich viel von ihr in meinem Leben geschenkt bekommen, aber ich habe auch viel gegeben.

    Wir haben uns kennenlernt, als sie 15 und ich 17 war; 7 Jahre später haben wir geheiratet.

    Wir haben zwei erwachsene Kinder die in Deutschland leben.

    Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt zu heiraten.

    Letztendlich hat meine Mutter mit dem Argument gewonnen, dass wir ja Kinder haben wollten und mein Steuerberater mit dem Argument der Steuer, meiner leiben Frau war da egal.

    Meine liebe Frau und ich haben uns die letzten etwa 48 Jahre gegenseitig auf Händen getragen.

    Ich „vergesse“ jeden Hochzeitstag, nicht weil ich vergesslich bin, sondern weil es eine Niederlage gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft war; meine liebe Frau weiß auch warum.

    Aber— an einem 4 Mai habe ich meine liebe Frau kennengelernt.

    Dann bekommt sie seit all den Jahren Rosen von mir.

    Selbst unsere Kinder wissen, dass das *unser Tag* ist und gratulieren uns; ich habe unsere Kinder mal gefragt; sie wissen gar nicht wann wir geheiraten haben.

    Wenn man mich nach unserem „Rezept“ fragt, sage ich immer:

    Machte ohne Liebe ist Gewalt und Gewalt fängt dort an, wo man die Meinung des Anderen nicht zulassen will.

    Für mich ist die Ehe nicht mehr als ein Fetzen Papier und meine liebe Frau sind nicht die ganzen Jahre zusammen geblieben weil wir verheiratet sind, sondern weil wir uns lieben und achten.

    Natürlich ist es ärgerlich wenn man steuerlich benachteiligt wird, wenn man nicht verheiratet ist.

    Aber es ist auch ärgerlich, wenn man sich dazu „erpressen“ lassen muss, wie ich.

    Und darüber das ich nachgegebene habe, ärgerer ich mich heute noch.

    Viele Grüße aus Andalusien

    Helmut Josef Weber

  2. […] Sehr aktuell, während die Mutter meiner Frau an Krebs stirbt. Mein Sohn sagt, wir sollen heiraten – er will feiern. Die Kinder wachsen, ich bin jetzt Chefin, und Spiele mache ich auch noch. […]