„This is me.“ – Über die Serie „Transparent“

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All my life, my whole life, I’ve been dressing up like a man. This is me.

(Mein ganzes Leben, mein komplettes Leben lang, habe ich mich als Mann verkleidet. Das hier bin ich.)

So stellt sich Maura Pfefferman ihrer ältesten Tochter vor, die sie bisher nur als Mort kannte. Maura (gespielt von Jeffrey Tambor) ist eine Transfrau, das heißt, ihr wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht samt der dadurch zugewiesenen Geschlechterrolle zugeschrieben, doch ihre Geschlechtsidentität ist die einer Frau. Maura hat den Großteil ihres Lebens vorwiegend als Mann gelebt_leben müssen und plant nun ihr Coming Out. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits über 70, lange verheiratet gewesen, mittlerweile geschieden und hat aus der Ehe die drei Kinder Sarah, Josh und Ali.

Die Pfeffermans sind eine jüdische Familie, leben in Los Angeles und gehören zur gehobenen Mittelschicht. Tochter Sarah (gespielt von Amy Landecker) ist mit einem Mann verheiratet, dies aber eher unglücklich. Sie fängt eine Affäre mit ihrer Ex-Partnerin Tammy (Melora Hardin) an, mit der sie bereits zu Uni-Zeiten zusammen war und die sie nun durch einen Zufall wieder getroffen hat. Josh (Jay Duplass) ist Hipster, Musikproduzent und hat eine kurzlebige Beziehung nach der anderen, wobei die Frau aber meist gleich eine fürs Leben sein soll. Ali (Gaby Hoffmann) ist die jüngste Tochter, superschlau, aber immer noch ohne Plan für ihr Leben und wird deswegen von ihren Eltern ausgehalten.

Genau diesen Kindern versucht Maura also in der ersten Folge von „Transparent“ endlich mitzuteilen, dass sie eine Frau ist, nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hat und das bisher komplett vor ihnen verheimlichte. Ihre Kinder sind aber so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass es gar nicht erst zum Coming Out kommt, sondern sich stattdessen ein mittleres Drama um den Verkauf des Familienhauses entspinnt, da es alle für sich beanspruchen. Maura geht schließlich gefrustet ins Bett und wir sehen wie sie erst durchatmet, als sie ihre Haare offen tragen und feminine Schlafsachen tragen kann.

Mauras Weg

Der Einstieg von „Transparent“ ist bereits sehr bezeichnend dafür wie die Pfeffermans so ticken. Trotzdem wird es Maura gelingen, sich ihrer Familie als die Frau vorzustellen, die sie ist und es wird alles durcheinander bringen – aber dann eben auch wieder nicht, schließlich waren die Pfeffermans auch vorher schon ihre eigenen Charaktere. Manches Familienmitglied kommt natürlich mit Mauras Identität besser klar, andere hingegen nicht so, während insgesamt aber erst mal alle sortieren, was das eigentlich für ihre jeweilige Beziehung zueinander heißt. Ein schönes Ergebnis dieser Gedankengänge ist dabei das Wort „Moppa“, eine Mischung aus „Mom“ und „Papa“, das Ali erfindet.

Maura bleibt trotzdem im Fokus der Show. Wir sehen wie sie lernt mit Make-Up umzugehen, zum ersten Mal Hormone nimmt und sich überhaupt erstmals die ganze Zeit als sichtbare Frau durch ihren Alltag bewegt. Das alles geschieht sehr einfühlsam und ohne sie vorzuführen, denn wir gehen diesen Weg quasi mit ihr. Dabei finde ich unter anderem die Flashbacks am schönsten, in denen wir teilhaben können wie Maura geboren wird, wenn zum Beispiel der befreundete Crossdresser Mark/Marcy (gespielt von Bradley Whitford, also Josh aus „The West Wing“) überhaupt erst die Idee für diesen Namen hat und sie sich bei heimlichen Verabredungen gemeinsam als Frauen in die Öffentlichkeit begeben.

Idee und Cast

Schöpferin von „Transparent“ ist Jill Soloway, die schon für „Six Feet Under“ oder „United States of Tara“ als Autorin arbeitete und 2013 für ihren Film „Afternoon Delight“ mit dem Best Director Award beim Sundance Film Festival ausgezeichnet wurde. Nun hat sie mit „Transparent“ nicht nur ihre erste eigene Serie geschrieben, sondern auch produziert und gewann damit zuletzt den Golden Globe Award für Best Television Series – Musical or Comedy, den sie Leelah Alcorn widmete. Die Idee für die Serie basiert darauf, dass Soloways eigener Vater vor ein paar Jahren das Coming Out als Transfrau hatte. Für Jill Soloway war ziemlich schnell klar, dass sie daraus eine Serie entwickeln wollte, wobei „Transparent“ mitnichten komplett autobiografisch ist.

Soloway möchte in der Show mit Gender experimentieren, und zwar in allen möglichen Varianten – sie sagt dazu:

Transparent steht für Geschlechterfreiheit für alle, innerhalb dieser Freiheit lassen sich Grautöne finden, vermischte Lilatöne und Pink […] Transparent möchte Welten aufmachen, die die Geschlechterbinaritäten miteinander verbinden: Genderqueer, Jungenmädchen, Mädchenjunge, Macho-Prinzession und Frau_Herr Wachtmeister_in „Sweet Slutty Bear Captain“ sind dabei nur ein paar unglaublich verwirrende, gender-verbiegende Konzepte, die mir dazu einfallen.

Dass Soloway für die Hauptrolle ihrer Serie trotzdem einen Schauspieler engagierte, der cis ist (also jemand, bei dem_der die Geschlechtsidentität mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht übereinstimmt), wird verständlicherweise kritisiert. Denn auch wenn Jeffrey Tambor in der Rolle der Maura Pfefferman wirklich einfach nur wundervoll ist (er gewann dafür den Golden Globe für Best Actor in a Television Series – Musical or Comedy), bleibt mal wieder der unschöne Beigeschmack, dass diese Rolle eigentlich an eine tatsächliche Transfrau hätte gehen müssen. Nicht zuletzt durch die Diskussion um den Oscar für Jared Leto in „Dallas Buyers Club“ ist deutlich geworden, dass diese Krücke Hollywoods längst nicht mehr benutzt werden sollte, da es einfach genügend Schauspieler_innen gibt, die trans sind. Aktuelle Erfolgsgeschichten, wie die von Laverne Cox in „Orange is the new black“, unterstreichen das nur umso mehr.

Soloway hat die Kritik an ihrer Besetzungstaktik immerhin so angenommen, dass sie sich nun beim Schreiben der Scripts von Leuten beraten lässt, die trans sind und insgesamt 20 Trans*Menschen als Teil des Casts und der Crew sowie über 60 als Statist_innen angeheuert hat. Darunter ist zum Beispiel auch die wunderbare Alexandra Billings, die quasi Mauras beste Freundin und Beraterin wird oder auch Ian Harvie, der den Transmann Dale spielt.

Generell ist die Besetzung bei „Transparent“ bis in die Nebenrollen extrem gelungen: Judith Light (ja, die Judith Light aus „Wer ist hier der Boss?“) ist beispielsweise als Shelly Pfefferman, also die Mutter von Sarah, Josh und Ali, einfach eine Wonne, Kathryn Hahn spielt die herrlich progressive Rabbinerin Raquel Fein und Carrie Brownstein (ja, die aus Sleater-Kinney und „Portlandia“) ist als Alis beste Freundin hoffentlich noch öfter zu sehen. Und weil ich Fangirl bin, muss das auch erwähnt werden: Sogar Tig Notaro hat eine wirklich klitzeklitzekleine Rolle.

Die großen Zwischentöne

Die große Stärke von „Transparent“ sind die zwischen den Zeilen vermittelten Dinge. Wenn Maura zum Beispiel in der LGBTQ-Selbsthilfegruppe fragt, wer mit ihr was trinken geht, um ihr Teil-Coming-Out zu feiern und sie feststellen muss, dass fast alle in der Gruppe trockene Alkoholiker_innen sind. Oder der Augenblick wenn Sarah davon erzählt, dass sie sich gerade verliebt und das mit einem lächelnden „Na du weißt ja wie das so ist“ vermitteln möchte, aber Maura nur antwortet: „Nicht wirklich.“ (Sie beschreibt ihr Leben mit den Worten „You know, the whole Jewish thing“: „Du heiratest mit 25 einfach die Frau die dir gerade am nächsten ist und dann kriegst du eben Kinder.“)

Ein Flashback zeigt Maura und Marcy im „Camp Camellia“, das eine Art Erholungswochenende für Crossdresser ist, bei dem diese einfach die ganze Zeit in Frauensachen rumlaufen können, wie es ihnen sonst nicht möglich ist und allerlei Aktivitäten geplant sind. Maura blüht förmlich auf und fühlt sich so wohl wie nie, doch als in einer Gesprächsrunde aufkommt, dass eine frühere Teilnehmerin aus dem Camp flog, weil sie Hormone mitbrachte und ihren Namen dauerhaft änderte, muss Maura feststellen, dass sie vielleicht doch nicht so gut in diese Community passt, wie sie dachte. Das alles lässt sich in ihrem Blick ablesen, während die anderen Crossdresser darauf anstoßen, dass sie schließlich bei all dem immer noch Männer sind.

Beim Coming Out gegenüber Sarah betont Maura, dass es „damals“ eben eine andere Zeit war und Maura nicht einordnen konnte, warum sie sich so anders fühlte, geschweige denn, wie sie damit umgehen sollte. Dann aber kam das Internet. (Und Tammy, die währenddessen auch anwesend ist, platzt mit einem zustimmenden „Das Internet ist magisch!“ heraus.)

Als Comedy-Drama (oder auch Dramedy) gibt es bei „Transparent“ natürlich auch Lacher, aber die Grenze zwischen Kichern und Seufzen verschwimmt förmlich die ganze Zeit, was man besonders merkt, wenn man mehrere Folgen hintereinander schaut (All hail, to the binge-watching!) und sich komplett auf die Stimmung der Serie einlässt. Die Figuren sind nicht durchweg sympathisch, haben ihre Macken und oft auch mal Diskussionen über Dinge, die man durchaus als „Luxusprobleme“ bezeichnen kann.

Maura selbst sagt bereits in der ersten Folge, dass sie kaum glauben kann wie egoistisch ihre Kinder eigentlich sind. Und dennoch gibt es auch immer wieder viel Liebe und Liebenswürdigkeit zwischen all den Unbehaglichkeiten.

Bittersüss

„Transparent“ ist eine bittersüße Ode an Familie, und die damit einhergehenden Höhen und Tiefen, in der Gender quasi eine eigene Hauptrolle hat. Sie ist schwer mit anderen Serien vergleichbar, sondern hat irgendwie ihren ganz individuellen Stil geschaffen, der in erster Linie an Indie-Filme denken lässt – und das nicht nur, weil die Kameraführung manchmal an die Werke aus dem Dogma-Umfeld erinnert. „Transparent“ ist nicht perfekt (will es aber auch nicht sein) und ob der momentane Hype gerechtfertigt ist, wird sich vermutlich erst in der zweiten Staffel so richtig beweisen. Aber „Transparent“ versucht etwas anderes, ganz eigenes, in dieser mittlerweile doch schon sehr übersättigten TV-Landschaft und allein das ist der Serie hoch anzurechnen.

„Transparent“ ist bereits für eine zweite Staffel verlängert worden, die auch noch 2015 anlaufen soll, der genaue Starttermin ist aber noch unbekannt. Die erste Staffel mit zehn Folgen gibt es beim kostenpflichtigen Amazon Prime, die erste Folge mit deutschen Untertiteln gibt es dort kostenlos anzuschauen.

4 Antworten zu “„This is me.“ – Über die Serie „Transparent“”

  1. Magda sagt:

    Hey Anne, danke für die Einblicke in die Show.

    Ein Hinweis zu deinem Satz mit dem biologischen Geschlecht als „männlich“: Kein Geschlechtsteil ist genuin „männlich“ oder „weiblich“. Wie wir (= die Gesellschaft) auf vermeintlich biologisches Geschlecht schauen, ist kulturell geprägt. Eine Vulva z.B. ist nicht „weiblich“, sondern wird mit dem Attribut „weiblich“ belegt (und den ganzen anderen sexistischen Kram, der damit verbunden ist). Konkretes Beispiel: Trans*männer mit einer Vulva haben nicht zwangsläufig ein weibliches Geschlecht (es sei denn, sie nennen es so für sich). Hier ist ein sehr guter Text zum Thema: http://www.autostraddle.com/its-time-for-people-to-stop-using-the-social-construct-of-biological-sex-to-defend-their-transmisogyny-240284/

  2. Cansev Duru sagt:

    Die Thematik erinnert mich sehr an den kanadischen Film ,Laurence Anyways, von Xavier Dolan. Ein wunderbar authentischer Film, ein Mann unterzieht sich schrittweise einer Geschlechtsumwandlung und stellt sich mutig und fast schon besonnen Konfrontationen in seinem Umfeld, er ist in einer heterosexuellen Beziehung und Lehrer an einer Schule. Sehr mitreißend ohne großes Kitschdrama, mein Tipp wenn noch nicht gesehen, die Serie schau ich mir auch mal an :)

  3. […] „Transparent“ ist nicht nur eine der Serien, die sich aktuell am intensivsten, anspruchsvollsten und einfühlsamsten mit Transidentität auseinandersetzen, sie ist auch mit großem Abstand die jüdischste US-Serie seit langer, langer Zeit. Und in der jüngst bei Amazon veröffentlichten dritten Staffel wird alles noch etwas jüdischer und jüdische sowie Transidentität werden noch spannender ineinander verwoben. […]