„Orange is the New Black“

Foto , Fair Use , by Neflix

Eine neue US-Fernsehserie mit weiblicher Hauptfigur und einem großen weiblichen Ensemble? Als ich zum ersten mal von “Orange is the New Black” hörte, war ich selbstverständlich neugierig. Dass es im Hollywoodfilm in Sachen Diversität bei Storys und Figuren gerade relativ einseitig aussieht, gab es hier bereits neulich zu lesen. Und obwohl TV-Serien in den letzten Jahren viele innovative Geschichten, Charaktere und Settings hervorgebracht haben, ist auch in diesem Bereich eine weiblich dominierte Besetzung eher eine Seltenheit. Auf den zweiten Blick war ich jedoch skeptisch: eine Serie rund um ein Frauengefängnis? Die Hauptfigur landet mit ihrer Ex-Freundin hinter Gittern? Da schrillt natürlich auch ein kleines Alarmglöckchen: Frauengefängnis klingt schnell nach schlüpfrigem Trash, war es doch auch ein beliebtes Motiv der Sexploitation. Nun, davon ist “Orange is the New Black” weit entfernt.

Die Serie, deren erste Staffel im Juli 2013 auf dem US-Streaming-Dienst Netflix zu sehen war, dreht sich um Piper Chapman (Taylor Schilling) – eine “WASP“ (= Angehörige der weißen, angelsächsischen, protestantischen Mittelschicht) aus New York, die mit ihrem Verlobten, Autor Larry Bloom (Jason Biggs) zusammenlebt, und gemeinsam mit ihrer besten Freundin an einer selbst produzierten Bio-Kosmetik-Linie arbeitet. Doch schon die erste Folge beginnt damit, dass diesem heilen, bürgerlich-hippen Leben eine jähe Zäsur bevorsteht. In Pipers “wilder Phase” nach dem College war sie mit Alex Vause (Laura Prepon) liiert, Händlerin in einem international agierenden Drogenkartell, mit der sie um die Welt reiste und für die sie auch Koffer mit Drogengeld schmuggelte. Kurz vor der Verjährung hat Piper diese Vergangenheit nun eingeholt, und sie muss eine Gefängnisstrafe von 15 Monaten antreten. Klingt unrealistisch? Nicht wirklich: die Geschichte beruht auf den Erfahrungen von Piper Kerman, die tatsächlich durch einen Drogengeldschmuggel nach zehn Jahren, inzwischen wohlsitutiert lebend mit Freund und Karriere, eine einjährige Haftstrafe verbüßen musste und dies in einem Buch beschrieben hat.

Die Serien-Piper findet sich also schon Mitte der ersten Folge in einem Frauengefängnis wieder (unter dessen Insassinnen sich fatalerweise auch ihre Ex-Freundin Alex befindet), und sticht durch ihren privilegierten Background deutlich hervor. Viele der Insassinnen stammen aus ärmeren Verhältnissen, sind nicht weiß, nicht gebildet. Meine darob anfängliche Skepsis brachte eine Rezensentin des Guardian gut auf den Punkt: “Es ist berechtigte Kritik, sich zu fragen, warum wir uns ausgerechnet für ihre Notlage oder Sichtweise interessieren sollten.” Hinzu kommt, dass bei der Darstellung der Gefängniswelt Stereotype und Klischees an jeder Ecke lauern – zunächst lernen wir die Mitgefangenen quasi nur als Gruppen und Typen kennen, die unter sich bleiben: die Weißen, die Afroamerikanerinnen, die hispanischen Amerikanerinnen, die Lesben. Doch “Orange” spielt hier mit unserer Erwartung. Gerade zu Beginn fühlt sich die Serie noch oft an wie ein Drahtseilakt: So viele Figuren, Aspekte, Stimmungen will sie unter einen Hut bringen, brutale Realität und humorvolle, fast alberne Momente, Verliebtheiten und Lust ebenso wie sexuelle Bedrohungssituationen oder Belästigungen. Natürlich schließt sich das nicht aus, aber manches Mal scheinen die Scharniere von Dramaturgie und Setting doch etwas zu knirschen. Im Laufe der Episoden setzt jedoch ein Wandel ein, der verdeutlicht, dass die Serie nicht erst “zu sich” finden muss, sondern ihre Welt langsam entfaltet. So wie die oft naive Piper schmerzlich den Gefängnisalltag, die anderen Frauen und sich selbst kennenlernt, lernt auch das Publikum dies alles kennen – mit dem langsamen Zusammenbruch von Pipers selbstgebauter Sicht auf die Welt erhält die Serie mehr Tiefe, wird härter, konsequenter.

Von Typen zu Charakteren

Zwar bleibt das Interesse daran, wie Piper ihre Zeit im Gefängnis überstehen oder wie sich die Beziehung zu ihrer Ex-Freundin Alex entwickeln wird, doch rückt die Story auch immer wieder von ihr ab und beleuchtet die Geschichten der anderen Insassinnen, was die Erzählung ausgeglichener macht. Wie auch Pipers Vergangenheit lernen wir viele von ihnen über Rückblenden in ihre Leben vor dem Gefängnisaufenthalt kennen (in der Erzählweise fühlte ich mich sehr an die frühen Folgen von “Lost” erinnert). So gewinnen die Figuren stetig an Komplexität und Individualität und ihre anfängliche Eindimensionalität erscheint rückblickend eher als Projektion Pipers und als Resultat eines Gefängnisalltags, in dem das Bilden von Gruppen und Suchen von “Gleichen” zur Überlebensstrategie gehört. Menschen geben dort nicht einfach so viel von sich preis, sondern nehmen Rollen ein, deren Ursprünge wir manchmal erfahren, manchmal nicht. So wie Suzanne „Crazy Eyes“ Warren (Uzo Aduba), deren anfängliche bedrohliche Verrücktheit später gar nicht mehr so eindeutig ist, oder die Köchin “Red” (Star Trek Fangirls aufgemerkt: Kate Mulgrew!), die ihr kleines Küchenimperium mit harter Hand führt. Die junge religionsfanatische “Pennsatucky” (Taryn Manning), die sich zu Pipers Antagonistin entwickelt. Die energiegeladene, humorvolle Taystee (Danielle Brooks), die nach einer Kindheit und Jugend in Heimen, Pflegefamilien und Gefängnissen so herzzerreißend chancenlos ist. Die Liste ist lang, und die Figuren werden mit der Zeit so anziehend, dass ich sie am liebsten alle aufzählen würde. Dabei erfahren wir mitnichten von allen besonders viel. Es sind Bruchstücke aus Lebensläufen, die meist keine einfachen Schuldzuweisungen erlauben, dafür aber die Zusammenhänge von Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe, Diskriminierung und ungleichen Chancen zumindest andeuten – hierbei könnte “Orange” aber auch noch etwas deutlicher werden.

Sichtbarkeit und Stereotype – Laverne Cox als Sophia Burset

Nicht nur gibt es im Ensemble einen hohen Anteil an Women of Color, unter ihnen ist auch die Transfrau Sophia Burset, die sich als Frisörin um die Haare ihrer Mithäftlinge kümmert. Sie wird gespielt von Laverne Cox, die als erste schwarze Transfrau überhaupt ihre eigene Reality TV-Show produzierte (TRANSform Me) und nun mit “Orange is the New Black” auch als erste Trans-Darstellerin in einer großen TV-Serie gilt. Für die Sichtbarkeit und Repräsentation von Transgender in Film und Fernsehen ist dies ein toller Schritt – allerdings gab es von Transmenschen auch Kritik an der Darstellung der Sophia und ihrer Geschichte. Und zugegebenermaßen bereitete mir die dritte Folge, in der sie im Mittelpunkt steht und ihre Hintergrundgeschichte erzählt wird, an einigen Stellen auch Bauchschmerzen. Problematisch ist, dass es sehr stark auf ihre Geschlechtsangleichung fokussiert und damit immer wieder unterstreicht, wie “anders” Sophia ist als die anderen Frauen. Leider ergießt sich das in dieser Folge öfters in oft schon dümmlichen Penis-Anspielungen, die zwar zu den jeweiligen Charakteren und Situationen passen mögen, aber zu gehäuft auftreten und Sophia auf die Frage nach den Geschlechtsteilen reduzieren. Gleichzeitig gibt es transphobe Äußerungen, die weh tun, aber auch als negativ gekennzeichnet sind. Schwierig finde ich vor allem die Beziehung von Sophia zu ihrer Frau, die zwar zunächst verständnisvoll gegenüber der Geschlechtsanpassung ist, dies aber gerade in einer Situation, in der Sophia am hilflosesten ist, gegen sie verwendet, ohne dass ihre Figur dafür Konsequenzen tragen muss. Dies ist nicht unproblematisch, trotzdem ist Sophia gleichzeitig eine der stärksten, anziehendsten Figuren der Serie, die klar als Sympathieträgerin hervorsticht. Und auch wenn, wie es der oben verlinkte Text sehr schön herausstellt, Transmenschen nicht bloß aufgrund der Tatsache, dass einmal eine Transfrau porträtiert wird, unkritisch aus dem Häuschen geraten müssen, so vermehrt eine solche Serienrolle die Sichtbarkeit. Sie bedeutet auch, dass Laverne Cox in TV-Interviews auf das Schicksal insbesondere von Transfrauen of Color im us-amerikanischen Justizsystem hinweisen kann, die Bedrohungen, mit denen sie gleichzeitig konfrontiert sind und Vorurteile, die sie schnell als Kriminelle identifizieren – so wie z.B. CeCe McDonald, die bei einer transphoben Attacke (vermutlich) in Notwehr einen Mann erstach und nun zu 41 Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

Es bleibt zu hoffen, dass Sophia in der 2. Staffel noch mehr Zeit in der Story erhält und nicht nur mit Geschichten, die sich um ihren Körper, sondern um sie als individuelle Person drehen.

Von „SHU“ und Drogen – Gefängnisalltag

Auch insgesamt sorgt “Orange is the New Black” in den US-Medien dafür, dass der Zustand der Gefängnisse, die Behandlung der Insass_innen und das Justizsystem zum Thema werden. Denn, unterm Strich schafft die Serie es offenkundig, ein relativ realistisches Bild der Verhältnisse zu schaffen (der verlinkte Text bietet dazu sehr viele Statistiken und Fakten), was auch eine Kritikerin bestätigt, die selbst eine zeitlang im Gefängnis gearbeitet hat. Und diese Verhältnisse sind, ohne dass die Serie hier besonders dick auftragen würde, düster bis himmelschreiend. Gleich zu Beginn offenbart Pipers “Correction Officer” Haley, dass ihm eigentlich auch nicht klar ist, wie die sehr unterschiedlich langen Haftzeiten zustande kommen. Belästigungen und Drogenhandel durch Wärter_innen sind ebenso alltäglich wie die gefürchteten “SHU” (Special Housing Units, Einzelhaft-Zellen), in der Häftlinge zum Schutz der Anderen (oder auch vor Anderen) oder als Disziplinarmaßnahme quasi rund um die Uhr eingesperrt werden können – auch für längere Zeit. Es fehlt an Geld für alles, vernünftiges Essen, Gesundheitsversorgung, es wird rationalisiert und abgefertigt. Die Unaufgeregtheit, mit der dies inszeniert ist, unterstreicht den realistischen Eindruck.

Privilegien und Perspektiven

Ich lehne mich hoffentlich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Einschätzung, dass “Orange” auch etwas über weiße Privilegiertheit (aus)sagt. Schon allein insofern, dass es sie sichtbar macht: In Pipers gut gemeinten, aber naiv-besserwisserischen Weisheiten gegenüber ihren Mithäftlingen, in dem Beharren ihrer gutsituierten New Yorker Freund_innen und ihres Verlobten auf der Relevanz ihrer eigenen Probleme, die gegenüber dem Leben der Insassinnen so weltfern und lächerlich erscheinen, dass es komödiantisch und bitter wirkt. Dabei wird zwar nicht die Tatsache, dass etwa Pipers Verlobter Larry einsam ist, lächerlich gemacht – das ist ja auch durchaus verständlich. Doch die Perspektive auf seine Gefühle ist eine andere, als wir sie aus (mehrheitlich weißen) RomCom-Settings kennen und die New Yorker-Hochglanz-Welt, in der er sie herumträgt, wirkt durch diesen Blickwinkel geradezu entlarvt: als abgehoben, unrealistisch und ignorant.

“Orange is the New Black” ist, schon aufgrund der vielen sozialen Aspekte und Fragen, die darin zusammenkommen, nicht in jedem Moment perfekt und in einigen sicher diskutabel. Die große Bandbreite der Charaktere und das erstaunlich lebensnah zwischen Tragik, Heiterkeit, Zynismus und Härte, quasi zwischen Entertainment und Sozialstudie changierende Skript sowoe der subtile Wandel der Perspektive, der im Laufe der ersten Staffel vollzogen wird, haben mich jedoch sehr neugierig auf eine 2. Staffel gemacht, die bereits für 2014 angekündigt wurde. Wer selbst reinschauen möchte, dem stellen sich leider die gleichen Probleme wie schon bei “House of Cards” – einen deutschen Sender gibt es noch nicht, möglicherweise wird “Orange…” auch hierzulande auf dem Bezahlsender Sky landen. Auch eine eigene Netflix-Infrastruktur in Deutschland gibt es leider (noch?) nicht – einen etwas umständlichen Ausweg bietet ein VPN und das Anlegen eines US-Netflix Accounts.

4 Antworten zu “„Orange is the New Black“”

  1. Marco Dengel sagt:

    Wer es mit einem US-Netflix Account probieren will, dem kann ich statt VPN eher „Smart DNS“ empfehlen. Ist wesentlich einfacher einzurichten, man braucht keinen VPN-Tunnel und es werden neben Netflix sehr viele andere Streamingangebote (weltweit) unterstützt. Die Netflix-Location kann man sogar per Webseite dynamisch ändern, z.B. auf Netlix UK oder Canada. Netflix akzeptiert übrigens deutsche Kreditkarten (was nicht immer so war). SmartDNS funktioniert auf allen Geräten, bei denen man manuell einen DNS in den Netzwerkeinstellungen konfigurieren kann.
    https://www.overplay.net/smartdns/setup.php

  2. Kathi sagt:

    Danke für diesen tollen Text! Ich bin gespannt, wie die zweite Staffel aufgebaut sein wird.

  3. […] von kleinerdrei hat sich “Orange Is The New Black” angeschaut und eine ausführliche Besprechung […]

  4. […] bin die Meisterin im Verdrängen und ablenken. Oh eine neue Staffel OITNB? Im Dschungelcamp wütet Thorsten Legat rum? Etsy hat schon wieder neue süße Sachen und ich hab […]