Hineni – Zum Start der dritten Staffel von „Transparent“

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Transparent“ ist nicht nur eine der Serien, die sich aktuell am intensivsten, anspruchsvollsten und einfühlsamsten mit Transidentität auseinandersetzen, sie ist auch mit großem Abstand die jüdischste US-Serie seit langer, langer Zeit. Und in der jüngst bei Amazon veröffentlichten dritten Staffel wird alles noch etwas jüdischer und jüdische sowie Transidentität werden noch spannender ineinander verwoben.

Spoilerwarnung für den gesamten Text!

In der dritten „Transparent“-Staffel sehen wir Facetten jüdischer Identität auf ganz unterschiedlichen inhaltlichen und narrativen Ebenen. Direkt in der ersten Folge erleben wir etwa, wie die transidente Protagonistin Maura Pfefferman auf der Suche nach einem unglücklichen transidenten Teenager ist, dem sie als Teil ihrer neuen ehrenamtlichen Sorgentelefon-Tätigkeit helfen möchte. Dabei irrt sie durch Los Angeles und erleidet schließlich einen Schwächeanfall. Mauras Jüdischsein wurde schon in den ersten beiden Staffeln intensiv behandelt und parallel zu ihrem Handlungsstrang wird nun immer wieder fragmentarisch Rabbinerin Raquel Fein gezeigt, welche die Synagogengemeinde betreut, der die Pfefferman-Familie angehört. Sie streift durch Bambushaine und probt im Off eine Drascha (Predigt) zum nahenden Pessach über das Streben nach innerer Befreiung. Zum einen wird dadurch unweigerlich ihre Drascha zum Kommentar der Suche Mauras, die nicht etwa nur den konkreten Teenager sucht, sondern sich vielmehr nach einer inneren Freiheit sehnt, die sie nie zu erreichen können scheint. Und zum anderen wird hiermit die große narrative Klammer der dritten Staffel aufgespannt: Pessach. In der zweiten Staffel bestand diese Klammer aus der historischen Parallelhandlung der transidenten Tante Mauras, die im Wirkungskreis von Magnus Hirschfeld im Deutschland der 1930er lebte und in der Shoah ermordet wurde. Die dritte Staffel zeigt nun auch wie dieser grausame Tod Maura von ihrem Vater als drohendes Schicksal extrem traumatisierend vor Augen geführt wird, als er sein Kind beim Crossdressing ertappt. Einerseits, weil er das Verhalten seiner Schwester „krankhaft“ fand, andererseits aber umso mehr, weil er die Ermordung von Mauras Tante nie verarbeiten konnte.

Ich bin hier. Hier bin ich. Bin ich hier?

In der aktuellen Staffel geht es nun weniger um die Familiengeschichte der Pfeffermans, sondern vielmehr um die spirituelle und kulturelle Verortung der jeweiligen Familienmitglieder.

Wir begleiten so etwa Mauras Tochter Sarah, wie sie versucht, sich auf ihre Weise in ihre Synagogengemeinde einzubringen: sie bemüht sich zunächst um die Aufnahme in den Vorstand der Gemeinde. Doch wird ihr aufgrund ihres Privatlebens (sie ist nicht mehr mit ihrem Mann liiert, lebt aber wieder mit ihm zusammen – davor war sie zeitweise mit der Frau verlobt, mit der sie ihren Ehemann zunächst betrogen hatte) der so sicher geglaubte Platz dort doch verwehrt. Sarah will sich trotzdem für jüdische Anliegen engagieren und beschließt deshalb, in einer alten Turnhalle eine eigene Schabbatfeier mit Musik und lateinamerikanischem Essen zu organisieren, die sie „Hineni“ (hebr. „ich bin hier“, „hier bin ich” oder auch „bin ich hier?”) nennt. Rabbi Raquel soll diesen Schabbat betreuen, was sie trotz – zunächst nur angedeutetem Widerwillen – auch macht.

Bei jener Veranstaltung spricht Rabbi Raquel über ein mystisches Konzept der 36 gerechten Menschen, die es in jeder Generation geben soll und die die messianische Zeit herbeiführen können. Da man nicht wisse, wer die 36 Gerechten seien, müsse man einen jeden Menschen so gut und kostbar behandeln, als sei er einer von ihnen.

Anschließend will Rabbi Raquel den Schabbat mit der Havdalah-Zeremonie verabschieden, die Protagonistin Maura allerdings unterbricht (sehr zum Unmut Raquels, denn die Havdalah darf traditionell eigentlich nicht unterbrochen werden), indem sie darum bittet, dass Kaddisch (Totengebet) für eine gerade erst verstorbene Freundin der Familie sprechen zu dürfen. Trotz Rabbi Raquels spürbarer Ablehnung, beginnt Maura einfach mit dem Gebet. In diesem Moment verschwimmen die Havdalah-Zeremonie, mit der vom Schabbat Abschied genommen wird, das Kaddisch-Gebet, mit dem hier wiederum Abschied von einer Verstorbenen genommen wird, miteinander, und führen bei Rabbi Raquel zu einer ganz anderen Abschiednahme. Plötzlich nämlich sehen wir, wie sie bitterlich zu weinen beginnt, während sie die brennende Havdalah-Kerze hält und die Worte des Kaddischs hört. Ihr Blick ist dabei auf Mauras Sohn Josh gerichtet, mit dem sie in der Staffel zuvor eine Beziehung hatte, die maßgeblich an einer gescheiterten Schwangerschaft zerbrochen war.

Sarahs Schabbatfeier wird trotz oder gerade wegen dieses bewegenden Moments zu einem großen Erfolg, weshalb sie beschließt, auch einen Seder in einer Turnhalle auszurichten. Doch bei den Vorbereitungen dazu bricht Rabbi Raquel zusammen, weil sie sich extrem unwohl dabei fühlt, Sarah in ihren Aktivitäten abseits der Synagogengemeinde weiterhin zu unterstützen. Denn Sarah versteht jüdische religiöse Veranstaltungen vor allem als ein Happening, das unterhalten und ihr Anerkennung verschaffen soll. Sie geht flapsig mit allerlei hebräischen Begriffen und jüdischen Bedeutungen um; sie erscheint ziemlich wechselhaft, unstet und unwirsch. Sarahs eigene Religiosität und Spiritualität wirken in der Tat arg beliebig und unernst, was sie sich bei Rabbi Raquels Zusammenbruch auch selbst eingestehen muss. Doch Raquel kann sich mit Sarahs unernsthaftem Umgang mit religiösen Traditionen und Ritualen nicht gemein machen, auch wenn sie Sarah noch so sehr aus Freundschaft helfen wollte. Denn Rabbi Raquel verkörpert eine sehr gefasste Religiosität, die erst durch ihre Standfestigkeit überhaupt anderen Menschen helfen kann. Für Raquel ist Judentum kein Happening, sondern eine wertvolle Religion und Kultur, mit deren Inhalten und Symbolen nicht beliebig umgegangen werden darf, um diese nicht auszuhöhlen und gar sinnentleert werden zu lassen.

Und so sehen wir in Rabbi Raquels Schlussszene in dieser Staffel schließlich, wie sie in der Mikve untertaucht, um sich nicht nur rituell zu reinigen, sondern auch, um nach dem Aufweichen ihrer Prinzipien eine spirituelle Rückbindung zur jüdischen Tradition wiederherzustellen.

Jewish women do whatever the fuck they want

Bei einem Familienessen eröffnet Maura, dass sie bald mit geschlechtsangleichenden Operationen beginnen möchte, um ihre innere Freiheit erlangen zu können. Der Lebensgefährte ihrer Exfrau Shelly kommentiert dies interessanter Weise auf Jiddisch mit dem guten Wunsch „Trog gezunterheyt“ („trag es in Gesundheit“). Dass diese Worte gerade auf Jiddisch fallen, scheint Maura besonders zu bewegen. Und auch bei Shelly haben die Worte offenbar einen Nachklang. Tatsächlich sind dies auch nicht die einzigen jiddischen Worte, die in der dritten Staffel von „Transparent“ zu hören sind. Gerade Maura und Shelly nutzen einen gar nicht kleinen jiddischen Wortschatz, um etwa gewisse Konzepte oder konkrete Gefühle auszudrücken, die so nicht recht ins Englische oder Deutsche zu übersetzen wären (es ist z.B. richtig, dass das in der Staffel oft genutzte Wort „meshugas“ nicht komplett treffend schlicht „Verrücktheit“ oder „Wahnsinn“ meint).

Durch die transidente Maura werden auch in einer weiteren Schlüsselszene unterschiedliche (mitunter arg stereotype) Rollenerwartungen an jüdische Männer und Frauen deutlich. Wenn Maura nämlich – durchaus symbolträchtig – vorhat, in ihrem alten Haus ein Geländer mit Glaswand zu zerstören, fragt ihr Sohn Josh, ob sie sich bei ihrem Vorhaben wirklich sicher sei und schiebt ein: „Jewish men don’t do destructions“ („Jüdische Männer machen das mit dem Zerstören nicht.“). Woraufhin Maura selbstbewusst und sarkastisch erwidert: „I’m not a Jewish man. And Jewish women do whatever the fuck they want.“ („Ich bin kein jüdischer Mann. Und jüdische Frauen tun was auch immer sie verdammt nochmal wollen.“) Das Glas zerspringt in tausend befreiende Stücke.

Jedem ist seine eigene Wüstenwanderung bashert

In der finalen Episode der dritten Staffel – es ist mittlerweile Pessach – sind sowohl Maura als auch ihre Exfrau Shelly nach jeweils gescheiterten Beziehungen beide wieder solo und begehen mit ihren drei Kindern zusammen eine Kreuzfahrt. Der Umstand, dass die Familie Pfeffermann in ursprünglicher Konstellation zusammen diese Reise antritt, kommentiert Shelly schicksalsgläubig mit: „Maybe it’s bashert.“ Das jiddische Wort „bashert“ meint hier, dass diese Situation von G’tt so gewollt und die Menschen darin von ihm genau so füreinander angedacht und zugeteilt sind.

Und so improvisiert Familie Pfefferman auf hoher See einen Seder, der tatsächlich der erste Seder ist, den die Familie jemals selbst ausgerichtet hat, denn in allen Jahren und Jahrzehnten zuvor waren sie stets zu Gast bei Verwandten oder Freunden gewesen. Der Seder wird indes jäh abgebrochen; er stiftet nicht die von den beiden Töchtern erhoffte familiäre Eintracht. Zu sehr etwa hadert Josh mit seinem Erwachsenendasein, zu enttäuscht ist Maura davon, dass ihre geschlechtsangleichenden Operationen aufgrund von Herzproblemen wohl doch niemals unternommen werden können. Und Shelly wiederum will sich dann doch noch auf ihre One-Woman-Show vorbereiten, die sie später am Abend an Bord aufführen möchte. In ihrem Programm, das sie ursprünglich für ihre Synagogengemeinde einstudiert und aufgeführt hatte, stellt Shelly ihre eigene spirituelle Wandlung entlang des Wandels von Maura dar, was Maura die gesamte Staffel lang extrem skeptisch beäugt – erscheint diese Show doch arg wie kulturelle Aneignung.

Doch in der Schlussszene sehen wir, wie die Pfeffermans Shelly bei ihrem Programm zuschauen und sichtlich bewegt sind, als Shelly ein wirklich anrührendes Cover von Alanis Morisettes „Hand in my pocket“ singt. Allen Pfeffermans wird in diesem Moment offenbar, dass Shellys spirituelle Reise (während dieser physischen Schiffsreise) ernsthaft gewesen ist und sich andere Familienmitglieder dieser Reise womöglich ein Stück weit anzuschließen vermögen. Und so erinnern die Pfeffermans selbst an die Hebräer, derer sie an Pessach gedenken wollten, indem sie ihre Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft und den Beginn ihrer physischen und spirituellen Wanderung durch die Wüste zum gelobten Lande Israel anhand des Seders nacherzählt hätten.

Doch so erzählen am Ende die Lebenswege der Pfeffermans selbst von jener Wanderung, von jenem Übergang zum Ersehnten.

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