Gut gesagt

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Ich glaube, das erste Mal so wirklich aufgefallen ist es mir, als ich eine Politikerin im Radio gehört habe. Ich kann mich leider nicht mehr an den Wortlaut erinnern, aber sie wiederholte einen Satz zweimal. Einmal kam das Wort „Partizipation“ vor, einmal nicht. Toll, dachte ich mir, da kann sich jede Zeitung überlegen, ob ihr Publikum das Wort „Partizipation“ lesen soll oder nicht.

Politiker sprechen PR. Das heißt, die Politikerin hat den Satz extra gedoppelt, damit er sowohl im Boulevard als auch in den anderen Zeitungen zitiert werden kann. Sie hätte es natürlich auch weglassen können. Aber die Sätze waren auch ansonsten unterschiedlich. Einmal für Akademiker, einmal so klar wie möglich. Das Wort „Partizipation“ aufzugreifen, sagt sehr viel über das Selbstverständnis einer Zeitung aus.

Wenn man ununterbrochen mit Medien zu tun hat, weiß man das natürlich. Die Geschichte, die in der Zeitung gedruckt wird, enthält maximal zwei-drei Zitate von ihr. Es kann mehr sein, klarerweise. Wenn es ein Porträt werden soll, ist es wichtig, der Person mehr Raum zu geben, rein auf Zitatebene. Aber klassische Nachrichten, da reicht meistens eine Botschaft. Mehr Platz kriegen Politiker nicht – zurecht. Es geht um Nachrichten, nicht um Inszenierungen. Darum dieser gedoppelte Satz. Politiker kondensieren ihr Wahlversprechen regelmäßig auf die Länge eines Tweets.

Ich finde das deswegen wichtig, weil ich in den vergangenen Monaten gemerkt habe, wie wichtig es für Menschen ist, Raum zu haben. In letzter Zeit habe ich zwei größere Geschichten geschrieben. Einmal über mich und meinen Dad, einmal über einen Imam in Berlin-Neukölln, der verprügelt wird (Geschichte hinter einer Paywall), weil er in seinen Predigten Daesh verurteilt. (Ich benutze lieber „Daesh“ als „Islamischer Staat“, weil der deutsche Begriff so tut, als ob man die Terroristen in ihrem Staatsanspruch ernst nehmen müsste. Das muss man nicht. Mehr dazu könnt ihr hier nachlesen.)

In dem Porträt habe ich versucht, den Imam selbst zu Wort kommen zu lassen. (Man kann das auch wunderbar zum Prinzip erheben, wie das zum Beispiel in dieser tollen Geschichte getan wird) Ich habe nach den Zitaten in dem Gespräch gesucht, die seine Sicht der Dinge so klar wie möglich auf den Punkt bringen. Er hat tolle Sätze gesagt, zum Beispiel: „Du kannst mit tausend Menschen ein Haus aufbauen. Doch wenn eine Person Dynamit mitbringt, fliegt das Gebäude in die Luft.“ Der Satz ist deswegen toll, weil er in einem Bild erklärt, dass Islamisten ein Problem sind für ihre Community.

Blogs sind authentischer – manchmal

Aber: Die Geschichte lebt natürlich davon, wie ich – als Autor – den Imam empfinde. Was er macht, wie er sich bewegt, wen er trifft und so weiter. Ich kontextualisiere seine Welt und seine Handlungen. Das ist der Job.

Aber das baut automatisch eine Distanz ein. Ich glaube, dass Menschen keine Lust mehr auf Distanz haben. Es ist einfach geworden, daran vorbeizukommen. Was Blogs so krass macht, ist nicht das Prinzip der Gegenöffentlichkeit. Es ist das Aufbauen von Authentizität.

Wenn jemand anderes über meinen Dad und mich geschrieben hätte, die Geschichte wäre nicht ansatzweise so nah gewesen. Es wäre irgendein Typ, der irgendwie Probleme hat, die irgendwie wichtig sind (weil viele türkische Senioren das Problem haben). Trotzdem wichtig als Geschichte, aber halt distanziert. Dadurch, dass ich mittlerweile hier und da Leute habe, die mich kennen und einschätzen können, und den Beitrag selbst geschrieben habe, Ich-Erzählung, verbreitete sich der Blogbeitrag irre schnell – und vermutlich effektiver.

Das ist der Grund, warum US-Blogs zum Thema Feminismus (Jezebel, you name it) viel besser sind als die Medien es je sein können (und wollen). Die Leute schauen erst in ihre Blogs, dann in den Mainstream. Denn die Blogs befassen sich ununterbrochen mit diesenThemen, haben ihren Radar so eingestellt, dass sie jede Diskussion mitbekommen und schreiben klar sortiert aus ihrer Perspektive. Es ist nicht immer objektiv, aber das muss es auch nicht sein. Blogs sind in diesem Sinne authentischer. Nicht in jedem Bereich natürlich. Klassische Nachrichtenthemen wie nationale Sicherheit und Kriege sind, nunja, Nachrichten und deswegen eher bei den Journalisten so authentisch wie möglich abgebildet.

Medien sind nach wie vor Gatekeeper, sie entscheiden darüber, welche Themen bundes- und weltweit diskutiert werden. Aufschrei lief über Anne an, Maike schrieb kurz zuvor (zwei weitere Journalistinnen ebenfalls) über das Thema. Diskutiert wurde es dann überall. Ausgehend von 140-Zeichen-Zitaten. Menschen empfinden die Räume, in denen sie sich selbst präsentieren wollen, als Orte der Nähe. Ein Hashtag auf Twitter oder ein eigenes Blog ist immer ein Garant dafür, die Geschichte so erzählen zu können, wie man es selbst will. Das ist ein Vorteil, rein auf der Machtebene. (Anne, die über diesen Text gelesen hat, merkt vollkommen zurecht an: „Ja, zumindest am Anfang, denn spätestens sobald die Reaktionen kommen, werden auch die im Netz existierenden Machtstrukturen wieder spür-/sichtbar.“)

Das heißt: Für die Diskussionsebene braucht man auch in Zukunft zwei bis drei Zitate. Anne benutzt zum Beispiel #Feminismusfuckyeah. Die Diskursebene hingegen findet in Blogs statt. Mir persönlich wird das in dieser Form erst jetzt klar.

3 Antworten zu “Gut gesagt”

  1. Malaika sagt:

    Interessant, dass ich gerade ein paar Minuten nachdem ich selbst über Blogs/Reichweite etc laut auf Twitter nachgedacht habe den Link zu diesem Post in meiner TL entdecke.
    Interessanter Text, den ich zu großen Teilen zustimmen würde. Natürlich sind klassische Medien Gatekeeper, zum Einen durch die in den meisten Fällen nicht sehr divers besetzten Chefredaktionen, zum Anderen dadurch dass die Entscheidungen darüber über was/wie berichtet wird bei klassischen Medien noch sehr viel stärker monetär beeinflußt sind als bei Internetblogs.
    Allerdings stimmt es auch nicht, dass das Internet ™/Blogs dieses Gatekeeping komplett aufheben würden. Einen Blog erstellen und dort schreiben kann zwar jede_r, aber was dann auch wirklich gelesen wird ist immer noch vielen Beschränkungen auferlegt. Ich habe erst eben mir mal wieder die Zugriffszahlen für meinen Blog angeguckt, und ich kann ganz deutlich sehen, an welchen Tagen Posts von mir von beispielsweise kleinerdrei oder anderen Mehrfolloweraccounts geteilt wurden. Ich habe zum Beispiel in einem anderen Kontext (Zusammenhang war Umgang mit Hatern) die 500er-Regel gehört, also alle Accounts unter 500 Followern vom Prinzip her ignorieren. Das ist natürlich eine sehr elitäre Einstellung. Mein Account hat weniger als 500 Follower. Ich würde jetzt einfach mal gewagt behaupten, dass das nicht an meinen Inhalten liegt, sondern schlichtweg an fehlenden Netzwerken (und daran, dass ich erst seit ein paar Monaten aktiv auf Twitter bin, also zu einem Zeitpunkt an dem die durchaus vorhandene Cliquenbildung bei vielen bereits abgeschlossen war).
    Blogs und Accounts, die bereits eine große Reichweite haben, teilen oft ausschließlich Posts von Accounts/Blogs die ebenfalls bereits eine große Reichweite haben. Wer/welche Seiten eine große Reichweite haben, hat natürlich zu einem gewissen Grad auch mit den Machtverhältnissen die wir in der offline-Gesellschaft vorfinden zu tun. Das Internet ist ja kein luftleerer Raum. Versteht mich nicht falsch, natürlich ist es auch vollkommen legitim Posts von Blogs mit großer Reichweite zu teilen, wenn sie inhaltlich interessantes schreiben (sonst könnte ich ja gar keinen kleinerdrei-Post mehr teilen :D ). Aber inhaltlich wertvolle Sachen kommen eben auch von wenig-Follower-Blogs, die aber dann aufgrund von Internet-Gatekeeping einfach erst gar nicht gelesen bzw nicht geteilt werden.

    Also Kurzfassung: Ja, das Internet kann einige Machtverhältnisse und einiges Gatekeeping der klassischen Medien aufbrechen und liefert zudem wertvolle Perspektiven, die in den klassischen Medien gar nicht oder nicht außreichend aufzufinden sind. Aber auch das Internet hat (wenn auch im geringeren Maße) Gatekeeper und ist kein Nunplusultra im Aufbrechen von Machtverhältnissen.

    • Malaika sagt:

      „Einen Blog erstellen und dort schreiben kann zwar jede_r“ <– das stimmt natürlich auch nicht, das hätte ich anders formulieren sollen. Ich meine natürlich nur jede_r, der_die entsprechenden Möglichkeiten zur Internetzung usw. hat.

  2. spicollidriver sagt:

    Ich halte Blog im deutschsprachigen Raum auch tendenziell für über- anstatt unterschätzt: in meinem Freundeskreis ist es selbstverständlich, spon und Konsorten zu lesen – aber diejenigen, die (regelmäßig) Blogs lesen, kann ich locker an einer Hand abzählen (natürlich behaupte ich nicht, daß meine persönliche Erfahrung in diesem Fall repräsentativ ist, aber zumindest ist es ein Indiz dafür, daß Blogs noch nicht zwangsläufig überall „angekommen“ sind. etwas das man nunmal von Zeitungen, Fernsehen usw. nicht behaupten kann).

    (noch eine ganz abenteuerliche Vermutung…. ich kann mir auch gut vorstellen, daß das berufliche Gründe hat: es klingt für mich zumindest nicht so weit hergeholt, daß Menschen, die journalistisch tätig sind auch gleichzeitig häufiger (und „intensiver“) als „Empfänger“ in Erscheinung treten).