Die jungen Leute auf YouTube

Foto , public domain , by whitehouse.gov

Ich habe ein paar Regeln aufgestellt, die unsere Reaktionen auf technische Neuerungen beschreiben:
1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.
2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.
3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.
 
– Douglas Adams, Lachs im Zweifel

Immer wieder liest man – gerne wenn verhandelt wird, wer oder was im Internet relevant oder wichtig ist – stets dieselbe Geschichte: “Alle Jugendlichen sind schon lange nicht mehr bei X, die benutzen jetzt das neue grosse Ding, Y!”. Nur das X und Y ändern sich in Monatsabständen. Mal ehrlich: Ob SnapChat, Instagram oder Yik Yak, die einfache Wahrheit was Jugendliche und das Benutzen von Internetdiensten angeht ist doch: Sobald die Eltern einem auf der Plattform auf die Nerven gehen, sucht man sich was Neues. Die hinterherhechelnde Faszination mit der “Internet-Parallelwelt” der “jungen Leute” halte ich weder für zielführend, noch für sonderlich nahe an der Lebenswirklichkeit. YouTube ist dafür ein gutes Beispiel, vor allem in Deutschland.

State of the YouTube

Kürzlich hielt Barack Obama seine jährliche “State of the Union”-Rede. Eine Art Bestandsaufnahme und Ankündigung anstehender Gesetzesinitiativen. Im Rahmen dessen traf er sich – nicht zum ersten Mal – mit Youtuber_innen. Dieses mal durften GloZell Green, Bethany Mota und Hank Green ihre Sets im weißen Haus aufbauen und Fragen stellen.

Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Die YouTube Stars fragen nach Drohnenkrieg und Ferguson und ringen dem Politiker die eine oder andere Stirnrunzel ab, bevor er routiniert Talking Points abspult. CNN hätte Obama in einem State of the Union Nach-Interview vermutlich auch nicht mehr entlocken können. Vermutlich eher sogar weniger.

In den etablierten US Medien wurde das YouTuber_innen-Interview dennoch kontrovers und abschätzig diskutiert. Teilweise sogar Tage vorher wurde gewitzelt, ob denn “Charlie Bit My Finger” keine Zeit gehabt hätte und Rupert Murdoch beschwerte sich auf Twitter, dass Obama zwar keine Zeit für Netanyahu habe, aber Stunden für “seltsame YouTube Menschen”. Hank Green hat die Reaktionen und seine Beweggründe derweil in einem großartigen Blogpost zusammengefasst.

„Wir“ vs. „Ihr“

Soweit, so unüberraschend. Erinnert hat mich diese Episode allerdings an die Herangehensweise hier etablierter Netzmenschen an das Thema YouTube. Der Umgang mit der mysteriösen “digital-nativen” Jugend ist leider oft geprägt von Elitendenken: Wir, die altvordere Blogosphäre, erklären euch wie und wo ihr am besten ins Internet reinschreibt, wer die Bösen sind, wer die Guten und belächeln euch und euren Kram dabei milde von oben herab. Gleichzeitig sind wir aber auch neidisch auf eure Views und Abonnent_innenzahlen, denen wir auf Konferenzen und Panels hinterherrätseln.

An diesem Status Quo irritiert mich so einiges. Erstmal möchte ich in Frage stellen, ob diese Unterscheidung von “Wir” und “Ihr” irgendjemandem etwas bringt, ganz abgesehen davon, ob sie überhaupt zutrifft. Ich erinnere mich da zum Beispiel an die Mobilisierung im Rahmen der Demonstrationen gegen ACTA. Alteingesessene netzpolitisch Aktive wunderten sich, wo all diese jungen Menschen herkamen. Man erklärte sich das mit “diesen Youtubern” die in “ihren Videos” über ACTA gesprochen hatten. Ich frage mich, ob die Diskussion ähnlich verlaufen wäre, wenn die Mobilisierung einer großen Personengruppe in einem anderen – den Aktivist_innen bekannteren – Medium stattgefunden hätte. Hätte man über diese “Twitterer” mit “ihren Tweets” gesprochen? Ich denke mit dieser Art von Othering baut man nur Mauern und verpasst Chancen.

Mehr Offenheit, mehr vom Medium lernen

Was also stattdessen tun? Sich das alles mal unvoreingenommen ansehen, wäre ein erster Schritt. Selbst etwas zu machen ist ein zweiter. In jedem Fall ist das Problem geprägt von mangelnder Medienkompetenz. Wer sich mal auf YouTube ein paar Abos zugelegt hat und regelmäßig guckt, der_die bekommt zumindest ein Gespür dafür, ob er_sie sich dort vielleicht doch heimisch fühlen kann. Wer nicht gleich fündig wird, sollte sich mal international umsehen, ein paar Tips finden sich in meinem letzten Artikel zum Thema.

Und wer mitmachen will, muss sich auch damit beschäftigen wollen wie Video als Medium funktioniert. Einfach einen Laberpodcast statisch abzufilmen, wirkt auf YouTube in etwa genauso medienbrüchig wie Internet-Seiten auszudrucken und per Fax zu verschicken. Wer dazulernen will, findet, direkt auf YouTube, Tutorials in Sachen Schnitt, Beleuchtung, Audio, aber auch wie man ein gutes Skript schreibt, wenn es nicht wieder ein Laberformat werden soll. Es gilt Handwerkszeug und Sprache des Mediums zu erkennen und daran zu arbeiten, sie zu meistern. In meinem digitalen Umfeld fällt mir als positives Beispiel dahingehend @leitmedium ein, der in einer Reihe von Videos versucht YouTube-Techniken für ungeskriptete Formate zu dekonstruieren und zu reflektieren. Da kann auch das Publikum von lernen.

German Vielfalt

Warum schreibe ich das hier jetzt alles? Weil ich möchte, dass YouTube in Deutschland vielfältiger wird, auch aus purem Eigennutz. Ich möchte die deutschen Mike Rugnettas, Ze Franks, GloZell Greens oder Hannah Harts sehen. Mehr Vielfalt! Dazu muss YouTube als Medium ernst genommen und nicht nur als der Ort, “wo die jungen Leute Unsinn machen” beschrieben werden. Das ist ein Henne-Ei Problem. Die deutschsprachige Community ist historisch dominiert von Jugendangeboten, wird deshalb exotisiert und dann nicht als ernstzunehmende Plattform für andere Formate wahrgenommen. Wenn überhaupt, dann finden sich dort nur Gesprächsformate, deren Bildinformation eher redundant ist. Podcasts mit Bewegtbild. Aber Video kann soviel mehr. Und das möchte ich auch in meiner Muttersprache erleben können.

Hank Green ist 34. Ze Frank ist 42. GloZell Green ist 52. Ich möchte auch hier ein derartiges Spektrum an verschiedenen Persönlichkeiten. Auch damit ich nie wieder von den “jungen Leuten auf YouTube” lesen muss.

5 Antworten zu “Die jungen Leute auf YouTube”

  1. hackr sagt:

    ich stimme der beschreibung weitgehend zu – aber ich glaube das henne-ei problem ist ein gänzlich anderes. was hierzulande fehlt ist weniger ein wohlwollender oder motivierender diskurs, als ein ‚ökosystem‘, in dem talente mit der notwendigen, youtube-kompatiblen ‚ausdruckskraft‘ überhaupt erst organisch entstehen können. sprich: selbst wenn sich von heute auf morgen die beschreibung von youtube als unsinniges jugenddings zum relevantesten aller gesellschaftlichen möglichkeitsräume umkehren würde, es würde niemanden geben, der die lücke angemessen füllen könnte. (würde es derzeit jemanden geben, dann würde die/der es auch jetzt und allen unkenrufen zum trotz schon machen, weil sie/er den wert ohnehin für sich selbst erzeugt.)

  2. Su S. sagt:

    Sehr schöner Denkanstoß – und genau das, was Not tut. Sachlich, Beispiele und eine Perspektive aufzeigen, statt lästern und niedermachen. Kritik ist erlaubt, auch an Youtubern und es wird immer alle möglichen Formen und Inhalte geben – und für jeden sein Publikum. Die Vielfalt macht es. Macht es aber auch unübersichtlich. Dennoch kann ich (Achtung, Ironie) „die jungen Leute“ verstehen, wenn sie statt TV oder andere Unterhaltungsprobgramme ihrer Großväter beispielsweise bei Youtube (es soll da ja auch noch vimeo und andere geben) landen. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, das auch für mich richtig zu entdecken, denn bisher gehöre ich auch noch zu denen, die sagen, das kann ich nicht querlesen und „die labern“ mir zu viel…

  3. Aidnography sagt:

    Ich glaube nicht, dass man die Debatte auf ‚was kann YouTube‘ eng fuehren kann bzw. ‚wieso geht das in Deutschland nicht/schlecht‘. Die amerikanische Medienökologie funktioniert einfach anders-was wir ‚heute‘ auf YouTube sehen kann man nicht ohne Ellen DeGeneres, Oprah, John Stewart oder Jay Leno interpretieren. YouTube-Persönlichkeiten gedeihen in einer Saturday Night Live-Kultur, in einer Medienlandschaft wo Tina Fey 30 Rock erfolgreich platzieren kann. Aber auch in einer polarisierten und polarisierenden Medienlandschaft-Talk Radio, schlechter werdenden 24h Nachrichten bei Fox oder CNN-einem New Yorker Magazin oder unsäglichen Reality-Shows auf TLC.
    Wir haben ‚unsere‘ Jauchs und Plasbergs und vielleicht noch Tilo Jung-aber keine Persönlichkeiten die inspirieren können und im positiven Sinne ‚NachahmerInnen‘ hervor bringen. Es fehlt diese einzigartige Mischung von Humor, ‚Entertainment‘ und Information-und dem Willen sich auf neue Plattformen einzulassen. Und solche Vorbilder fehlen auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. Mit Merkel, Gabriel oder den meisten anderen PolitikerInnen wird es schnell langweilig-weil die daran interessiert sind, dass es langweilig bleibt und man merkt, dass die eine Plattform wie YouTube nicht ernstnehmen. Also: Unsere Medienlandschaft- und kultur ist so unterschiedlich, dass man nicht einfach den Diskurs ueber eine Plattform verändern kann.

  4. RA Karsten Gulden sagt:

    Problem erkannt. Wir arbeiten daran:-) In der Tat. Man muss lernen, umzudenken. Hilfreich ist dabei einfach mal aktiv zu werden. Unsere ersten Videos sind hölzern, aber Besserung scheint in Sicht zu sein. Wir sollten uns nicht verstellen, weder analog noch digital. Das ist der erste Schritt nach vorne.