Von wegen „mitgemeint“ – warum lesbische Sichtbarkeit wichtig ist

Foto , by kevin laminto

Damals (TM), als ich mein Coming Out generalstabsmäßig plante, gab es online ein Magazin „visibilities“ – zu deutsch “Sichtbarkeiten”. Das Magazin widmete sich der Verbesserung der Sichtbarkeit lesbischer Frauen. Dort las ich, die ich als Lesben nur Martina Navratilova und Hella von Sinnen kannte, voller Staunen von der Vielfalt lesbischer Lebensweisen. Das ist lange her. Die Seite wurde eingestellt, die Sichtbarkeit von Lesben hat sich kaum verbessert. Das zeigt auch das von Stephanie Kuhnen herausgegebene Buch „Lesben raus“, das letztes Jahr im Queer-Verlag erschienen ist.

Wer „lesb*“ in Suchmaschinen eingibt, stößt eher auf Pornoangebote für heterosexuelle Männer denn auf lesbische Lebensrealitäten. Klar, auch in der Werbung gibt es zunehmend Homos  – sowohl als Darsteller_innen als auch als Zielgruppe. Aber wie oft sind das lesbische Frauen?

Wer jetzt „Aber die Morgenpost!“ ruft, denkt vielleicht an den Kinospot von 2010, in dem zum Text „Wenn Familie nicht aussieht wie Familie“ zwei Mütter und zwei Kinder gezeigt werden. Ja, fand ich auch toll. Online gibt es den leider scheinbar nicht mehr. Und vermutlich lief er auch nur in Berliner Kinos und nicht bundesweit.

Der Spot ist insofern besonders, als dass heutzutage viele Journalist_innen, die sich mit Regenbogenfamilien befassen, bevorzugt Familien mit zwei Vätern porträtieren, wahlweise auch noch „ungewöhnliche Familienkonstellationen“ mit mehr als zwei Eltern. Dass schätzungsweise rund 90 Prozent der Regenbogenfamilien aus zwei Müttern und Kind(ern) bestehen – geschenkt! Wahrscheinlich sollte ich beruhigt sein, denn die Aussage bedeutet ja vermutlich, dass Familien mit zwei (lesbischen) Müttern „gewöhnlich“ sind.

Nein, meine Familie und ich sind kein Kinderladen

Aber nicht nur lesbische Mütter, sondern lesbische Frauen insgesamt verschwinden wie alle nicht-schwulen Identitäten gerne mal in der Versenkung, wenn es um Sichtbarkeit nicht-heterosexueller Lebensweisen geht. Anders gesagt:

So wie die Sparkasse laut Bundesgerichtshof mit dem Begriff „Kunde“ Frauen mitmeinen darf, wird unter dem Begriff „schwul“ gerne auch „lesbisch“ mitgemeint.

Als Lesbe in einer Regenbogenfamilie habe ich zusätzlich den 3. Grad der Unsichtbarkeit erprobt: Am Flohmarktstand mit Frau und Kindern sind wir „ein Kinderladen“, im Krankenhaus nach der Geburt unseres Sohnes war ich „die Oma“, und generell werden meine Frau und ich gerne für „Freundinnen“ gehalten. Das ist zum einen ein Problem, weil zwei Frauen sexuelle und/oder Liebesbeziehungen gesellschaftlich schlicht nicht zugetraut werden. Das ist in unserem Fall aber auch ein Problem, weil unsere Kinder vermittelt bekommen, dass ihre Familie „komisch“ ist, beziehungsweise ihre Eltern keine (Liebes-)Beziehung haben (können). Die mangelnde Sichtbarkeit von Lesben, die ohnehin schon durch Schulbücher, Medien etc. gepflegt beziehungsweise verstärkt wird, findet so auch in ihrem unmittelbaren Alltag statt.


Mit dieser Beobachtung bin ich nicht allein. So schreibt Annie in ihrem Blog rainbowfeelings, „dass die lesbische Kultur eindeutig auf dem Rückzug ist […] So kann es nicht weiter gehen. Das ist zumindest meine Meinung.“ Ein paar Ressourcen gibt es zum Glück noch, so die altbewährten Lesbenseiten von Konny, die 2018 ihr 20jähriges feiern. Und das L.Mag, das Magazin für Lesben, hat gerade „die letzten lesbischen Biotope aufgespürt“. Die Berliner Landesregierung zumindest hat die Signale gehört: Sie stellt 2018/19 mehr Fördermittel bereit und stiftet 2018 erstmals einen Preis für lesbische Sichtbarkeit.

„Aber wir sind doch alle queer?“, höre ich da die ersten Leser_innen sagen, „Jetzt hör doch mal auf mit deinem Back to the 80s!“ In der Tat, viele von uns bemühen sich, queer zu denken und zu sein. Das bedeutet für mich, in meinem Denken und Handeln andere nicht-heterosexuelle Menschen mit zu (be)denken und nicht auszugrenzen. Das gelingt mir mehr oder minder gut.

Wenn aber die heterosexuelle Mehrheit dabei häufig nur von Schwulen spricht und alle anderen „mitmeint“, dann macht das mich und uns unsichtbarer, als wir ohnehin schon sind.

Genauso wenig hilft es der lesbischen Sichtbarkeit weiter, wenn in der Szene das Benennen männlicher Dominanz zu Reaktionen à la „Sollen die Lesben doch erstmal selber machen!“ führt.

Genau solche Kommentare bekam nämlich auch Birgit Bosold aus dem Vorstand des Schwulen Museums in Berlin zu hören, als sie Anfang des Jahres berechtigte (Selbst-)Kritik an der bisherigen Ausstellungspraxis des Museums übte, die sich sehr auf weiße schwule (Cis-)Männer konzentrierte:

[…] Es ist doch ziemlich irritierend, dass wir nach 20 Jahren „queerer“ Bündnispolitik immer noch und immer wieder über „lesbische Sichtbarkeit“ diskutieren müssen und dass die Situation so kritisch zu sein scheint, dass selbst die Politik Handlungsbedarf sieht. […] Wenn wir aber ernsthaft etwas verändern wollen, müssen wir doch fragen, was die Gründe dafür sind, dass wir, was die Verteilung von Ressourcen, Geld, Macht, Einfluss und Repräsentation betrifft, den gesamtgesellschaftlichen „Malestream“ (re-)produzieren – also genau die Diskriminierungen und Marginalisierungen, die es auch in der Mehrheitsgesellschaft gibt.

Willkommen beim Verein „Lesben Leben Familie“

Kürzlich fragte unser Sohn mich, ob wir Lesben seien. Ich bejahte das und fragte, ob er wisse, was das heiße. Er hatte eine vage Vorstellung davon, anders als ich damals mit acht, als mir hinter dem Schulgebäude eine Mitschülerin flüsternd den Begriff erklärte. Und anders als ich fand er es nicht eklig – sicherlich auch, weil er uns täglich um sich hat und uns liebt. Ich hatte immer befürchtet, dass er irgendwann hört, wie uns jemand als lesbisch beschimpft, und dann die Beschreibung unserer Identität negativ besetzt wäre. Zum Glück war das nicht der Anlass für seine Frage.

Seit Februar haben wir ihn und seine Schwester zu mehreren Treffen mit anderen Lesben und Regenbogenfamilien mitgenommen, bei denen er das Wort vermutlich aufgeschnappt hat.

Denn im Februar 2018 haben wir gemeinsam den Verein „Lesben Leben Familie“ gegründet.

Wie unsere Mitgründerinnen und die inzwischen zahlreichen Mitglieder auch, hatten wir genug davon, uns gebetsmühlenartig über mangelnde lesbische Sichtbarkeit zu beschweren. Wir wollen uns einbringen und etwas zurückgeben – in einem Rahmen, der unseren Bedürfnissen und Wünschen gerecht wird. Frei nach dem Motto: „Sollen die Lesben doch erstmal selber machen“. Ansätze und Anlässe gibt es viele und politische Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt, ebenso.

Es geht uns um die Förderung der Sichtbarkeit und der Akzeptanz lesbischer Frauen, lesbischer Mütter und ihrer Familien. Wir wollen zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung von Lesben und Regenbogenfamilien beitragen und Lesben und Regenbogenfamilien mit Kinderwunsch unterstützen.

Für uns schließt Familie die Herkunftsfamilie ein, ist aber viel weiter gefasst. Zu den Blutsverwandten komme ich als zweite Mutter (offiziell bin ich „Stiefmutter“) hinzu, sowie der soziale Vater, der sehr gute schwule Freund, die Wahloma und die beiden Patentanten, die sehr gute Freundinnen meiner Frau sind. Auch deshalb werden wir uns für die Förderung von Kinder-, Jugend- und Altenhilfe für lesbische Frauen und ihre Familien engagieren und für ihre Gesundheit und Gesundheitsbildung. Wir werden die Vernetzung von lesbischen Frauen und ihren Familien fördern und entsprechend Projekte in Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft voranbringen. Ich freue mich sehr darauf, mit den anderen Vereinsmitgliedern konstruktive Lobbyarbeit zu gestalten. Die (Arbeits-)Atmosphäre von unseren ersten Treffen lässt mich sehr hoffen, dass dabei Arbeit und Spaß einerseits, sowie Engagement und politischer Erfolg andererseits zusammengehen können.

Abstammungsrecht ändern

Ich persönlich möchte meine Arbeit im Verein insbesondere dazu nutzen, anderen lesbischen Frauen zu helfen, ihr erstes Coming Out einfacher und angstfreier gestalten zu können, als es mir und vielen anderen Lesben meiner und früherer Generationen vergönnt war. Und ich möchte Lesben, die Eltern werden wollen, Unterstützung anbieten durch Beratung und Weitergabe von Erfahrungswissen. Nicht zuletzt will ich mich dafür einsetzen, dass das Abstammungsrecht insbesondere in §1592 BGB neu gefasst wird, auch wenn das mir und unseren Kindern nicht mehr zugute kommen wird.

Warum liegt mir das am Herzen? Das aktuelle Gesetz sagt: die eingetragene Lebenspartnerin – oder neuerdings Ehefrau einer Frau -, die ein Kind gebärt, kann frühestens acht Wochen nach der Geburt die Stiefkindadoption des Kindes beantragen. Das bedeutet zum einen, dass Frauen, die miteinander eine Familie gründen wollen, gezwungen werden zu heiraten (beziehungsweise vor der Öffnung der Ehe gezwungen wurden, ihre Lebenspartnerschaft einzutragen). Zum anderen heißt es, wie ich in diesem früheren Artikel ausführlich beschrieben habe, dass ein Kind, welches in eine lesbische Partnerschaft/Ehe geboren wird, von der Partnerin aufwändig adoptiert werden muss – ohne Garantie, dass ein Gericht im Sinne der realen Familie entscheidet.

Damals schrieb ich – aus heutiger Sicht etwas naiv – übrigens: „Falls die Ehe jemals geöffnet wird, nehme ich an, dass dieser Satz entsprechend angepasst wird.“ Das war wohl nix! Deshalb regelt der Paragraph „Vaterschaft“ im BGB weiterhin, wer das zweite Elternteil eines Kindes ist, nämlich der „Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist.“ Ersatzweise kann der leibliche Vater seine Vaterschaft anerkennen, nicht aber die Ehefrau oder (Lebens-)Partnerin der leiblichen Mutter ihre Elternschaft. Letzteres gilt auch dann, wenn der Samenspender/Vater des Kindes unbekannt ist – mit der Folge, dass das Regenbogenkind faktisch schlechter gestellt wird, weil seine leibliche Mutter gesetzlich gezwungen wird, alleinerziehend zu sein.

Was heißt, dass die Öffnung der Ehe ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung ist, aber eben nicht der letzte.

Das trifft übrigens nicht nur für unsere Familienkonstellation zu, sondern auch für solche Kinder, deren Mutter zum Zeitpunkt der Geburt noch mit ihrem (Ex-)Mann verheiratet ist, der nicht der Vater des Kindes ist. Der Grund für die Regelung ist aus Sicht des Staates klar: Sie stellt sicher, dass mindestens die Kinder verheirateter Frauen immer ein zweites Elternteil haben und damit „versorgt“ sind. In der Vergangenheit, als die Ehe die Regel war, musste der Staat so für möglichst wenige Kinder Sorge tragen.

In Kombination mit der Botschaft, dass Frauen entweder an Sex uninteressiert sind oder es sich für sie „nicht ziemt“, vor und außerhalb der Ehe sexuell aktiv zu sein, war so einiges für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getan“. Wer dazu mehr erfahren möchte, sollte Hunter Oatman-Stanfords großartigen Artikel „Can’t buy me love: How Romance Wrecked Traditional Marriage“ zur Geschichte der Ehe lesen.

Immerhin hat das Bundesjustizministerium in der letzten Legislaturperiode erkannt, dass §1592 BGB den Realitäten nicht mehr gerecht wird, und den Arbeitskreis Abstammungsrecht eingesetzt. Dieser schreibt in seinem Abschlussbericht

„Zweiter Elternteil kann neben der Mutter sowohl ein Mann (‚Vater‘) als auch eine Frau (‚Mit-Mutter‘) sein.“

Die aktuelle Regierungskoalition hat sich geeinigt, „Anpassungen des Abstammungsrechts unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Arbeitskreises Abstammungsrecht“ zu prüfen. Unser Verein wird diese Prüfung in jedem Fall kritisch begleiten.

Wer uns dabei unterstützen möchte, kann dies als Mitglied, Fördermitglied oder Spender_in von „Lesben Leben Familie“ sehr gerne tun! Alle Infos dazu gibt es auf unserer Webseite und wenn ihr sie dort (noch) nicht findet, schreibt uns einfach eine Mail an info@leslefam.de. Wir freuen uns sehr auf eure Unterstützung und darauf, gemeinsam wieder sichtbarer zu werden!

2 Antworten zu “Von wegen „mitgemeint“ – warum lesbische Sichtbarkeit wichtig ist”

  1. Maya sagt:

    Danke für den Artikel! Ich finde es immer super wenn etwas für die Sichtbarkeit von Regenbogenfamilien getan wird und eben gerade solchen, in denen es Frauen sind, die gemeinsam die Elternschaft bestreiten. Mich ärgert es ebenfalls, dass der Fokus der öffentlichen Sichtbarkeit so unglaublich oft bei den schwulen Paaren liegt und wir eher vergessen werden.

    Eine Schwierigkeit habe ich nun allerdings: als trans Frau die mit nicht nur einer sondern gleich zwei anderen Frauen ein kleines Baby groß zieht, von denen aber keine sich als lesbisch definieren würde (und auch jeweils Beziehungen zu Nicht-Frauen führen), bin ich nun in einer gewissen Unsicherheit, ob meine Familie bei euch jetzt willkommen wäre oder nicht.

    Konkret gefragt: will sich der Verein explizit nur für selbstdefiniert lesbische Frauen die miteinander Eltern sind einsetzen und nicht für z.B. bisexuelle oder asexuelle? Durch die Benennung ist mir das nicht klar und auch auf der Website habe ich dazu keine klare Antwort finden können.

    Ich denke das ist auch allgemein ein Thema innerhalb der Lesbenszene bzw. bei Diskussionen lesbischer, bi-, und asexueller Sichtbarkeit von Paaren (oder Mehrchen) von Frauen. Alle diese Orientierungen werden in der Öffentlichkeit massiv ignoriert, insbesondere wenn es um das Thema Elternschaft geht. Ganz gleich ob der Orientierung teilen all diese Menschen sicherlich viele Erfahrungen, die du im Artikel beschreibst – einfach weil sie Frauen sind, die mit anderen Frauen gemeinsam Elternschaft bestreiten.

    Bitte nicht missverstehen: ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn ihr da in dieser Hinsicht exklusiv bleiben möchtet, weil euch die Betonung von Lesben und deren Sichtbarkeit das Hauptaugenmerk ist. Von der Beschreibung im Artikel her bekomme ich aber eher das Gefühl, es geht um „Multi-Mütter-Familien“ und nicht bloß um Lesben. Darum würde ich mich über Aufklärung sehr freuen!

    • Andrea sagt:

      Wir Gründerinnen identifizieren uns als lesbisch und setzen uns als Teil der queeren Community für alle Regenbogenfamilien ein. Unsere Angebote richten sich entsprechend auch nicht exklusiv an Lesben und ihre Familien. Formell, d.h. gemäß unserer Satzung, können aber nur Frauen (auch unterschiedlicher sexuellen Identitäten) als ordentliche Mitglieder im Verein mitwirken, alle anderen heißen wir als Fördermitglieder (ohne aktives und passives Wahlrecht) willkommen. Aktuell wird die Gemeinnützigkeit unserer Satzung beim Finanzamt geprüft; danach veröffentlichen wir den Text auf der Website.