Der blinde Fleck der deutschen Medien

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Laura.

Laura studiert Politikwissenschaft im Master-Studiengang. Sie liebt Bücher, Serien und wartet noch immer auf den Brief aus Hogwarts. Momentan rüstet sie sich allerdings erstmal für den Kampf gegen die White Walker. Unter @schlauri_ twittert sie über das, was sie bewegt.


@schlauri_

Macho oder Sexist? Nur eine unüberlegte Anmache oder bereits sexuelle Belästigung? Je nachdem in welchem Umfeld sich Menschen bewegen, beurteilen sie Sexismus unterschiedlich. Doch wie verfahren eigentlich die deutschen Leitmedien bei diesem Thema? Sie haben immerhin einen erheblichen Einfluss auf das Meinungsbild in einer Gesellschaft. „Alles, was wir über unsere Gesellschaft(…) wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, schrieb einst der Soziologe Niklas Luhmann. Medien betreiben Agenda-Setting, sie ordnen Ereignisse ein, priorisieren diese und setzen so einen Rahmen für die Wirklichkeit. Wie in den Medien über Sexismus gesprochen wird, hat daher einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Verständnis von Sexismus.

2013 stieß der Hashtag #aufschrei eine Sexismusdebatte an. Ausgelöst wurde er unter anderem vom Artikel “Normal ist das nicht” von Maike auf kleinerdrei. Talkshows und Zeitungen griffen die Debatte zwar auf, redeten aber oft um den heißen Brei herum. Sie begriffen Sexismus nicht als gesamtgesellschaftliches Problem, dem sich Frauen tagtäglich stellen müssen. Der FOCUS veröffentlichte damals ein Cover, auf dem eine blonde Frau lasziv über ihre Schulter in die Kamera blickt. Der Titel lautete „Was darf Mann noch? Focus gibt Antworten auf eine heikle Frage“.

Zusätzlich warb die Zeitschrift auf demselben Cover mit dem Psycho-Test „Bin ich ein Sexist? “. Mit diesem Cover verfehlte der FOCUS den Inhalt der Debatte gänzlich. Die Zeitung stellte Männer als die Opfer der Sexismus-Debatte dar, die durch die „Sexismuskeule“ in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Der „Psychotest“ machte darüber hinaus deutlich, dass der FOCUS die Thematik im Grunde nicht ernst nahm.

Bis heute gibt es Journalist*innen und Politiker*innen, die eine Reportage über Rainer Brüderles anzügliches Verhalten im Wahlkampf als Auslöser für #aufschrei bezeichnen. Aber das ist so nicht ganz richtig. Laura Himmelreichs Artikel „Der Herrenwitz“, worin es um sexistisches Verhalten des ehemaligen FDP-Kanzlerkandidaten ging, war nur einer der Auslöser von #aufschrei. Der Hashtag machte Sexismus in allen gesellschaftlichen Bereichen Deutschlands sichtbar, nicht nur im Verhältnis von Spitzenpolitiker*innen zu Journalist*innen. Und trotzdem klammert sich ein Teil des Diskurses bis heute fest an die Vorstellung, dass der Auslöser der Sexismusdebatte 2013 allein Brüderles Anmerkungen zu Laura Himmelreichs Dekolleté war.

Statt die tausenden Erfahrungsberichte in Sachen Sexismus ernstzunehmen, die Frauen kurz nach Beginn des Hashtags auf Twitter absetzten, reagierten einige Medien mit einer Mischung aus Unglauben und Abwiegelung. Statt Männer aufzurufen, weniger sexistisch zu sein, wurde Frauen buchstäblich geraten, sich nicht zu beschweren, sondern „die Bluse zuzumachen“.

Von #aufschrei zu #koelnhbf

Ganz anders lief die Debatte Anfang 2016 nach den Ereignissen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht. Wir können uns alle daran erinnern: Eine größere Gruppe von Männern verübte Raub- und sexualisierte Gewaltdelikte an Frauen. 490 Anzeigen wurden gestellt, 32 Verdächtige ermittelte die Polizei, darunter neun Algerier, acht Marokkaner, vier Syrer, fünf Iraner, ein Iraker, ein Serbe und ein US-Amerikaner. Drei der Verdächtigen waren Deutsche.

Die Reaktion der deutschen Medien war riesig. Allerdings war die Berichterstattung zum Teil polemisch und schlachtete die Taten aus. Die BILD-Zeitung vom 6. Januar titelte: „So wütet der Sex-Mob in unseren Städten“. Im Artikel selbst stand die Herkunft der tatverdächtigen Männer im Mittelpunkt, nicht das Leid der angegriffenen Frauen. Sexismus verstand die BILD als ein von außen nach Deutschland importiertes Problem, nach dem Motto: Der „Sex-Mob“, also die Anderen, sind das Problem, vor dem wir uns und „unsere Städte“ schützen müssen.

Ein großes Problem an dieser Einordnung zeigte sich schon bezüglich der Wortwahl: Sexualisierte Gewalt und Raub sind etwas anderes als Sex. Es handelt sich um gewalttätige, strafbare Übergriffe, nicht um die Bezeichnung für den Geschlechtsakt an sich. Außerdem betonten Autor*innen in deutschen Zeitungen, dass die Übergriffe auf die Frauen am Kölner Hauptbahnhof die Schuld des Islams sei. Stimmen wurden laut, nun doch endlich den Islam als Quelle von Frauenfeindlichkeit zu benennen. Dass dies den Islam verkürzt kritisiert und pauschalisiert, hat Khaldun Al Saadi in einem Artikel aus der kleinergast Rubrik diskutiert.

Das Problem heißt Sexismus

Die Berichterstattung vieler deutscher Medien war nicht nur polemisch, sondern deutete die Taten von Köln um. Es fiel leicht, die Schuld einer Gruppe von Menschen in Deutschland zuzuschieben und die Augen vor dem eigentlichen Problem zu verschließen: dem in unserer Gesellschaft tief verankerten Sexismus und der Verbreitung sexualisierter Gewalt. Diese Ignoranz wurde in der Bildsprache genau der Medien deutlich, die vorgaben, sexualisierte Gewalt anprangern zu wollen.

Der FOCUS vom 8. Januar 2016 zeigte allen Ernstes eine nackte Frau auf dem Cover. Intimbereich und Brüste waren nicht zu sehen, da der Titel „Frauen klagen an“ die Brüste verdeckt und die Frau sich die Hände vor den Intimbereich hält. Die Untertitel lauteten „Nach Sex-Attacken von Migranten“ und „Sind wir noch tolerant oder schon blind?“.

Zwei Dinge an diesem Cover fielen sofort auf: 1. Der FOCUS hielt es für angemessen, mit einer nackten Frau die systematische sexuelle Belästigung am Kölner Hauptbahnhof zu thematisieren. So schrieb er selbst den Sexismus fort, den er behauptete, anzuklagen. 2. Das Cover war deutlich anders als jenes im Zuge der #aufschrei-Debatte. Damals hatte der FOCUS Sexismus als ein von vielen Frauen angeprangertes Problem gar nicht erst ernst genommen.

Doch es gab auch Gemeinsamkeiten zwischen dem #aufschrei-Cover der FOCUS und seinem Cover zu den Ereignissen von #koelnhbf. Auf beiden Titelseiten war eine blonde, weiße Frau zu sehen, die den Mund leicht geöffnet hatte. Wenn es nach dem FOCUS geht, betrifft Sexismus demnach erstmal nur weiße Frauen. Das ist natürlich falsch. Frauen aller Hautfarben müssen sich tagtäglich mit Sexismus auseinandersetzen. Frauen, die auf irgendeine Art von der vermeintlichen weißen Norm abweichen, sehen sich dabei zusätzlich noch rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. 2013 waren die Augen der Frau noch zu sehen, 2016 nicht mehr. 2013 sah der FOCUS Frauen und ihre „Sexismuskeule“ noch als Problem, das Männern das Leben erschwert. 2016 waren alle Frauen potenzielle Opfer, die vor den sexuellen Übergriffen durch Migranten zu schützen sind.

2016 war der Mund der Frau leicht geöffnet und ihr nackter Körper mit schwarzen Handabdrücken übersät. So wirkte das Bild wie eine Erotisierung sexueller Übergriffe. Mit den schwarzen Handabdrücken spielt der FOCUS auf die Herkunft der Tatverdächtigen an. Und ja, in der Silvesternacht waren die meisten der Tatverdächtigen keine deutschen Staatsbürger. Das bedeutet aber nicht, dass sexualisierte Gewalt nur von dieser Gruppe ausging und ausgeht.

In der Silvesternacht in Köln hatten die meisten Tatverdächtigen einen Migrationshintergrund, an allen anderen Tagen im Jahr sind die Täter Landsleute aller möglichen Länder. Verurteilenswert und abscheulich ist sexualisierte Gewalt immer und ausnahmslos. Es spielt keine Rolle, ob ein Täter Deutscher, Franzose, Syrer oder Marokkaner ist.

Wichtiger als die Herkunft der Täter ist, dass sie Täter geworden sind und dass wir ihre Taten verurteilen und bestrafen. Genauso, wie wir die Taten der Silvesternacht nicht isoliert von den 364 Resttagen im Jahr betrachten sollten. Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Teil des Alltags in diesem Land. In allen Schichten, in allen Städten. Genau das bildet der FOCUS jedoch nicht ab.

“Das ist nicht Kritik an Rape Culture, das ist Rape Culture”

Nicht nur der FOCUS reagierte sexistisch beim angeblichen Versuch, Sexismus und sexualisierte Gewalt anzuprangern.

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 9. Januar 2016 ein Cover, auf dem eine schwarze Hand zwischen die Beine einer weißen Frau greift. Genau wie das Cover des FOCUS zog auch dieses Bild starke Kritik und zahlreiche Beschwerden beim Deutschen Presserat nach sich. Einer der Chefredakteure der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, entschuldigte sich relativ schnell nach Erscheinen des Bildes; Ulrich Reitz, Chefredakteur des FOCUS im Januar 2016, hat dies bis heute nicht getan.

Auch über Deutschland hinaus wurde über die Ereignisse berichtet. Das Polnische Magazin „wSieci“ (Web) zeigte unter der Überschrift „Islamski Gwalt na Europie“ (Islamische Gewalt auf Europa) eine weiße Frau in einer Toga im Design der EU-Flagge. Die Frau schreit, denn an ihr wird von verschiedenen Seiten gezerrt. Von den Personen, die an ihr zerren, sind nur die Arme zu sehen. Sie alle haben eine dunkle Hautfarbe.

Die Vermutung, dass dieses Bild wohl die symbolische Vergewaltigung Europas durch den Islam darstellen soll, verursacht mir Übelkeit.

Ähnlich ging es mir auch, als ich die Titelseite der österreichischen Zeitung „Falter“ betrachtete. Diese zeigte bezüglich Köln eine schwarzweiße Zeichnung, auf der fünf weißgezeichnete Frauen von vielen schwarzgezeichneten Männern bedrängt werden. Die Brüste der gezeichneten Frauen waren deutlich zu sehen. Erneut sollte hier Sexismus mit Sexismus sowie Rassismus bekämpft werden.

Die Debatte um die Verkürzung der Kölner Debatte auf ein Problem, das “nur” Menschen mit Migrationshintergrund verursachen, beschrieb die Tageszeitung taz am 9.1.2016 so: „Das ist nicht Kritik an Rape Culture, das ist Rape Culture: Der Titel [des FOCUS] ist das elegante Sinnbild für alles, was in den vergangenen Tagen in der Diskussion um die sexuellen Übergriffe in Köln falsch gelaufen ist. Er attackiert den Sexismus der „Anderen“, ist aber selbst sexistisch und erotisiert sexuelle Gewalt.“

Sexistische Bildsprache als ständiger Begleiter

Warum führten FOCUS, Süddeutsche und Co. Debatten zum Thema Sexismus auf diese Weise? Als Antwort genügt ein Blick auf die Titelseiten der letzten Monate und Jahre: Sexistische Bildsprache ist Alltag auf den Covern der deutschen Medienlandschaft. Viele deutsche Medien sind Teil des Problems, das sie in einer ernsthaften Sexismusdebatte angehen müssten. Der Spiegel zeigte im Dezember vergangenen Jahres eine nackte Frau, deren Brüste nur von einer Krankenkassenkarte verborgen wurden. Der dazugehörige Titel lautete „Total vermessen. Wir werden gläserne Patienten und hoffen auf ewige Gesundheit“. Warum eine nackte Frau für Krankendaten stehen soll, war mir schleierhaft.

Der Stern platziert regelmäßig nackte Frauen auf dem Cover – zu Themen wie Röntgen, Abnehmen, Krebs oder Sport. Einen Monat nach der Silvesternacht in Köln veröffentlichte er ein Cover zum Thema „Heilkraft der Natur“, darauf abgebildet eine nackte Frau. Mitten in der Debatte um Köln – am 7. Januar 2016 – war auf der Titelseite des Sterns eine halbnackte Frau zu dem Titel „endlich schlank“ zu sehen. War das Zeigen nackter Haut notwendig gewesen? Nein. Landen auch nackte Männer auf dem Cover deutscher Zeitschriften? Eher selten. Wie ernst können deutsche Medien ihre Besorgnis um Sexismus meinen, wenn sie ihn selbst nutzen, um damit ein paar Exemplare mehr zu verkaufen? Die Antwort liegt auf der Hand.

Sexistische Bildsprache deutscher Medien ist allgegenwärtig. Egal, ob ich kurz im Kiosk einen Coffee-to-go kaufe oder im Zug über eine liegengelassene Ausgabe vom Stern, FOCUS oder Spiegel stolpere, der nackte Frauenkörper scheint ein bewährtes Verkaufsargument.

Was von Köln übrig bleibt

Wie tief die Leugnung von Sexismus über die Medien hinaus in der deutschen Gesellschaft verwurzelt ist, lässt die Entscheidung des deutschen Presserates bezüglich der Beschwerden über die sexistische und rassistische Berichterstattung zur Silvesternacht erkennen. Alle Beschwerden wurden mit einem Verweis auf Meinungsfreiheit abgewiesen.

Juristisch mochte diese Entscheidung in Ordnung sein, von meinem persönlichen Standpunkt aus war sie es nicht.

Den Frauen, die am Kölner Hauptbahnhof belästigt wurden, sind schlimme Dinge passiert. Dies ist indiskutabel. Doch wie mit den Ereignissen und den Opfern in einigen deutschen Leitmedien umgegangen wurde, war häufig sensationsheischend, sexistisch und rassistisch. Die Bildsprache von FOCUS, Spiegel, Stern und Co. war und ist ein Problem. Entweder wird Sexismus abgetan und Menschen, die ihn anprangern, belächelt. Dies war 2013 der Fall. Oder Sexismus und sexualisierte Gewalt werden als das Problem „der Anderen“ dargestellt, so wie es im Januar 2016 geschah. Beide Umgangsweisen sind falsch und stellen sich dem Problem nicht.

Eine Antwort zu “Der blinde Fleck der deutschen Medien”

  1. spicollidriver sagt:

    Mich hat die Art der Diskussion während beider „Wellen“ geärgert. Ich gehe (selbstverständlich, würde ich sagen) davon aus, daß es gesellschaftlichen/“strukturellen“ Sexismus gibt, der nur allzu alltäglich ist. Andererseits wäre es im Bezug auf die Übergriffe von Köln ebenfalls komisch, würde man den kulturellen Hintergrund der Täter überhaupt nicht berücksichtigen.