Und täglich grüßt der Weihnachtsfilm

Foto , CC BY 2.0 , by simpleinsomnia

Jedes Jahr versuche ich im Advent in Stimmung zu kommen. Es soll heiß werden in meinem Herzen, weihnachtlich glimmen. Ich bin furios in meinem Versuch, etwas zu fühlen. Also: Alles anzünden, Kerzen und Räuchermännchenkegel. Und wenn das nichts macht, dann helfen Musik und Filme. Das hoffte ich und zog dieses Jahr durch, mehr oder weniger, woran ich letztes Jahr schon scheiterte: Im Advent für jeden Tag bis Weihnachten einen Weihnachtsfilm gucken. Darüber habe ich Tagebuch geführt, in das ihr hier exklusive Einblicke bekommt.

23. November

Eigentlich hätte ich vorgestern schon mit meinem ersten Film anfangen sollen, wenn ich es wirklich schaffen können soll, bis zum 16. Dezember 24 Weihnachtsfilme zu sehen. Jeden Tag einen. Mindestens. Es ist noch November, noch nicht mal Advent, und ich bin nicht bereit, für die volle Konfrontation mit Weihnachtsschmonz. Tschuldigung, ich bin ja noch nicht mal aus der Kürbissuppensaison raus. Ich wär jetzt eher bereit für Filme wie Email für dich. Eine harmlose Romcom, wo Laub von den Bäumen fällt, mit Büchern, heißen Getränken und im Internet veträumten Nächten, sowas bitte.

Das Problem mit meinem Plan: alle Weihnachtsfilme, die mir aus dem Stehgreif einfallen, handeln vom Heiligen Abend. Oder von der Nacht zum irgendwie orgiastischen Weihnachtsmorgen und frühestens dem Tag davor. Das ist mir jetzt zu krass. Ich brauche ein Vorspiel. Am besten schreib ich mir erst mal meine Filmliste ab. Darauf sind gerade exakt 24 Filme, aber ich weiß nicht, was besser ist, um für das Fest in Stimmung zu kommen, konstant jeden Tag einen gucken oder im Zeitraum bis zum Artikel irgendwie die 24 Filme reinquetschen. Und womit fang ich an?

So unbereit wie ich mich fühle, kommt vielleicht Stirb Langsam in Frage. Was vielleicht noch besser passt und mich aus meinem grumpy Novembertief holt: Nightmare before Christmas. Der perfekte Übergang von Herbst (und Halloween) zu Vorweihnachts-Sparkle. Nicht zuletzt muss ich eh noch für ein Geburtstagskleinkind eine Puppenperücke nähen. Sollen die Puppen also zeitgleich für mich tanzen und singen!

26. November

Ich bin schlecht in der Zeit. Eigentlich hätte ich bis jetzt schon sechs, oder mit diesem Tag sieben Filme sehen sollen. Hab ich nicht. Ich bin immer noch für einen langsamen Start. (Dabei hat der Weihnachtsmarkt schon angefangen, waaah) Was wäre ein besserer langsamer Start als Stirb langsam. Das ist das To-Do für heute Nacht. Dabei stricke ich Katzenhandschuhe, Schweinebacke.

Ich erinnere mich, Filmausschnitte davon als Kind mitbekommen zu haben, aber ich war damals desinteressiert genug, um den Film jetzt wie einen neuen zu genießen. Und wow, wie ich ihn genossen habe: 1. Bruce Willis 1988 (in verschwitztem Unterhemd) ist so HOT. 2. Das weirde Deutsch im Original amüsiert mich. 3. Twists, mit denen ich nicht gerechnet habe. 4. Alan Rickman!!! Wenn die Spannung zu stark war, fand ich sogar die darauf folgenden schnellen Actionszenen gut, weil erlösend, und nicht fad. Am Schluss, als Vaughn Monroes Let it Snow einsetzte, wurde mir richtig warm und mir hing ein seliges Lächeln von einem Ohr zum anderen.

27. November

Nach Lohnarbeit und sechs Stunden Stehen komme ich mitternachts nach Hause. Was tun? Ins Bett, um am nächsten Morgen wach genug fürs Ballett zu sein? Naaaaa. Ich schaue in eine Decke eingewickelt Stirb Langsam 2 und stricke meine pinken Katzenhandschuhe weiter. Gedopt mit Cola und Aspirin. (Au.) Die beste Entscheidung, denn ich beende den Film mit dem gleichen breiten Grinsen wie den vorherigen, und das liegt nicht nur an Let it Snow.

29. November

1. Advent, Sonntagabend. Keine Zeit für nix, ich habe jetzt schon das Gefühl, zu spät für all things christmas zu sein, dabei war ich heute sogar Plätzchen backen. Und es ist NOCH NICHT MAL DEZEMBER. Chill Horsti. Auf meiner Liste steht Während du schliefst, ein Titel, den ich als Kind aufgrund der unüblichen Verb-Beugung nicht verstanden habe (Ich mein, der heißt im Original ja auch nicht “While you slept”). Wirklich ein Weihnachtfilm? Ich finde heraus, dass es einer ist, aber einer, der aus den Feiertage herausführt. Stirb langsam hat mich mehr in feierliche Stimmung versetzt als dieser Film.

1. Dezember

Frozen. Im Disney-Podcast musste ich bereits zugeben, dass ich ihn noch nicht gesehen habe. Keine Ahnung, ob er sich als Weihnachtsfilm eignet. Es kommt immerhin viel Schnee vor, habe ich gehört. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel zum Beispiel ist ja auch nicht weihnachtlich per se.

Weihnachtlicher ist mir nach Frozen jedenfalls nicht. Und verzaubert bin ich auch nicht, so wie ich es zum Beispiel nach Arielle war. Vielleicht weil ich alt und abgeklärt bin. Oder ein Herz aus Eis habe. Trotzdem Props, vor allem für die Verhandlung von Consent und wahrer Liebe. Und für Olaf, der der beste Sidekick ist, den ich seit langem sehen habe, liebenswert und nicht nervig oder plump.

The Who

3. Dezember

So abgeklärt wie ich bin, so grumpy und unzufrieden, ist es vielleicht Zeit für den Grinch. Auch noch nie gesehen. Und ich bin direkt umgeworfen. OH. MEIN. WEIHNACHTSMANN. Where are you Christmas ist mein Lied! Und der Stress, den sich alle erwachsenen Whos machen ist gerade mein Struggle. Wo ist dieser Film mein Leben lang gewesen? Wo ist das Buch? Die Reime, I need this. :’O

4. Dezember

Heute Lust auf etwas weniger anspruchsvolles. Versprochen ist versprochen war mit Schwarzenegger, oder? Ich glaube, der Film könnte zum Durcheinander in dieser Wohnung passen, irgendwas chaotisches, oder?
Fazit: Ich wusste nicht, dass meine Augen so weit rollen können.

7. Dezember

Death of a Salesman gesehen. Nicht unbedingt ein Weihnachtsfilm, aber ich muss für die Uni eine Figur daraus charakterisieren, bis zum 9. Dezember, und habe keine Zeit für Weihnachtsfilme. Überhaupt. Ich habe keine Zeit, für nichts. Selbstbild als Huhn ohne Kopf, mit Lametta drauf.

9. Dezember

Für die Unihausaufgabe die Nacht durchgearbeitet, den Nachmittag mit Kind durchgebracht. Ich werde, ich kann keinen Film schaffen, wenn das Kind schon schläft. Es schläft noch lang nicht, dabei muss ich selbst ins Bett. Und dieses Ding, diese Filmliste ist zum To-Do geworden, das mir mit schlechtem Gewissen im Haar sitzt. Nichts, was mir die Tage weihnachtlicher macht, eher NOCH etwas, das ich nicht schaffen kann. Hurra. Um den Abend mit Kind herumzubekommen dann die Idee: Pippi Langstrumpfs Weihnachtsfolge. Die schauen wir zusammen, die hält das zweijährige Kind genau die halbe Stunde konzentriert durch, die diese Folge dauert. Schön schön. Aber ich bin so müde.

10. Dezember

Gedacht, nachts gar keine Zeit mehr für einen Weihnachtsfilm zu haben, dann sehe ich auf Twitter, dass die Jury im Fall Daniel Holtzclaw zu einem Ergebnis gekommen ist. Ich bleibe dann doch so lange wach, dass ich die Urteilsverkündung im Livestream sehen kann. Dass die weiße Jury ihn in ausreichend vielen Punkten schuldig spricht, dass eine langjährige Gefängnisstrafe unumgänglich ist, das schien mir so unwahrscheinlich, dass es jetzt fast ein kleines Weihnachtswunder ist.

Christmas isn’t just a day, it’s a frame of mind

11. Dezember

Päckchen packen, Sterne falten. Dabei könnte ich zwei Filme sehen. Die beiden Wunder von Manhattans vielleicht. Ich möchte nämlich mehr Wunder, bitte.

Die erste Fassung ist witzig, im Mittelpunkt, 1947, eine alleinerziehende geschiedene schlagfertige Karrieremutter, aber komplett wundervoll ist er nicht, denn sie ist so rational, dass sie von ihrer Umwelt wieder auf den rechten Weg gebracht werden muss, vor allem vom Weihnachtsmann und ihrem Nachbarn, der als Bachelor ein Auge auf sie geworfen hat und mit ihrem Kind abhängt, um sie zu erobern. Gna. Übrig bleibt nur die Frage, kann das Wunder von Manhattan und Macy’s Marketingerfolg in Zeiten des Onlineshopping gelingen?

Teil 2 schaffe ich in dieser Nacht doch noch nicht mehr. Ich hätte ja gedacht, bevor ich dieses Experiment versuchte, dass sie mir einfach auf die Eier gehen würde, die Weihnachtsfilme, und mir alles rund um Santa und Rentiere zu den Ohren rauskäme, aber nein, das ist kein Problem. Ich kann nicht mehr, aber nicht weil es zu viel ist. Ich kann nicht mehr, weil ich ins Bett muss.

12. Dezember, nachts

Mein Plan: Lussekatter für Lucia backen, und dabei, oder in der Zeit, in der Teig aufgeht oder backt, einen schwedischen Weihnachtsfilm gucken. Zum Beispiel Tomten är far till alla barn. Aber ich fange erst um 23 Uhr mit Backen an, und brauche in müder Konzentration bis 3 Uhr morgens. Keine Zeit für einen Film.

Kevin allein im Heimkino

13. Dezember

Für diesen Tag habe ich ein Date mit meinem Bruder und seiner Freundin. Sie hat ein ähnliches Jedes-Jahr-ALLE-Weihnachtsfilme-gucken-Ziel und er hat ein Zimmer in deren Wohnung zum Heimkino umgebaut, mit schwarzen Wänden, Getränkehaltern an den Sesseln, und so viel Detailliebe, dass er sogar die Holzlehnen mit Velour abgeklebt hat, damit sie das Licht vom (gigantischen 3D-)Fernseher nicht spiegeln. Wir haben einen Weihnachtsfilmmarathon vor uns, ich muss schließlich einiges aufholen. Dazwischen sorgt mein Bruder für Essen vom Lieferservice, Getränke und Decken. Weil die beiden Netflix haben, komme ich endlich in den Genuss von A Very Murray Christmas.

Wir raten, welche Schauspieler_innen sich in welchen Rollen verstecken, wenn wir sie nicht kennen. Ich halte Dimitri für Al Pacino und liege ziemlich falsch. Wenn Bill Murray und Chris Rock singen, bin ich sooo nah an meinem angepeilten Gefühl von weihnachtlicher Vorfreude und glimmriger Liebe. Und dann, Zack, Stromausfall. Der Rest geht so lala an mir vorbei, müdes Augenrollen über Oldschool-Sexismus, das Weihnachtswunder bleibt doch aus.

Wir machen weiter mit Klassikern. Kevin allein zu Haus und in New York. Die Gänsehaut machen bei der Intromusik (Danke, John Williams), die uns auch an Harry Potter erinnert (ebenfalls danke, John Williams), aber die meiste Zeit nur schreckliche Filme sind, also schmerzhaft, anzuschauen, in den Grausamkeiten, durch die feuchten, beziehungsweise klebrigen Banditen durchmüssen.

Was mich an beiden Filmen am meisten erstaunt, sind die Zähne der Erwachsenen. Wie Zähne von echten erwachsenen Menschen, schief, gelb, noch nicht standardmäßig shiny und weiß gemacht. Nicht so geil, ich fiel fast vom Stuhl: Donald fucking Trump. Und in der deutschen Synchro das N-Wort. /o\

Weiter mit dem Spektrum von normalen bis schlechten Zähnen – wir schauen Scrooged/Die Geister, die ich rief, das erste Mal im Original. Und stellen alle fest, wie präzise er synchronisiert und übersetzt ist. Kein Gefühl, jahrelang Wortwitze verpasst zu haben, oder mit schrägen Stimmen vorlieb genommen haben zu müssen. Am Ende muss ich fast ein bisschen weinen. Aber nur fast. Wir erkennen den Taxifahrer wieder als Typen an der Bar bei A Very Murray Christmas, und ich frage mich, ob der Typ, der in Scrooged gefeuert wird, ja vielleicht den Dimitri spielt.

Einer geht noch, an diesem Abend. Weil ich Stirb langsam schon abgehakt hab, wird es Tödliche Weihnachten. Auch hier gilt: Stirb langsam ist weihnachtlicher. Zugegeben: ich kann Filme eh nicht leiden, in denen Frauen in Serie sexuell belästigt werden, auch wenn sie die Männer, die das tun, danach mit Wucht umbringen.

14. Dezember

Goldener Nachmittag, ehe ich das Kind aus der Krippe abholen muss. Dazwischen passt noch ein Film. Vielleicht Ist das Leben nicht schön, für ein bisschen gude Laune. Der Film fängt so an, dass mir in den ersten Minuten die Augen schon wässrig werden.

Erster Weihnachtsfilm, den ich in diesem Jahr sah, der nicht nur eine Konsumkritik, sondern eine richtige Kapitalismuskritik hatte. (Dinge, die der Film dafür nicht brauchte: dass die Schwarze Haushälterin von einem der Söhne sexuell belästigt wird. Orrrrr.)

Abgesehen davon ist der Film so ein Tearjerker, dass ich am Ende nicht mehr kann, obwohl ich mich ganz schön zusammenkneife, um nicht loszuheulen. Ich hasse es, bei Filmen zu weinen, ich ziehe Gesichter und verdrehe den Kopf. Aber hier ging es nicht mehr anders. Niagarafälle, um es mit den Worten des Geistes der Vergangenen Weihnacht und Taxifahrer aus Scrooged zu sagen.

Das Kind hat ein Lokomotivenausstechförmchen im Adventskalender, wir backen. Während der Mürbeteig sich im Kühlschrank ausruht (wortwörtlich chillt) schauen das Kind und ich Pettersson kriegt Weihnachtsbesuch.

Nachts vor dem Schlafengehen doch Zeit für noch einen Film. Obwohl ich von It’s a wonderful Life/Ist das Leben nicht schön noch ganz schön mitgenommen bin. Das Los fällt auf das Wunder von Manhatten von 1994. Anders als im ersten Film wünscht sich das Kind nicht nur ein Haus, dieses Kind will explizit einen Vater und einen Bruder vom Weihnachtsmann. Ein bisschen kommt er mir spießiger vor als der erste. Schließlich schmeichelt der Weichzeichner mich in den Schlaf.

15. Dezember

Dem Kind einen Klassiker gezeigt: Die Suche nach dem Weihnachtsstern. Das haben meine Mütter auf Videokassette aufgenommen, als das Logo von Sat1 noch ein Regenbogenball war; der Zeichentrickkurzfilm ist zum Glück mittlerweile auf DVD übertragen, ich finde ihn online nicht. Im Film die Erklärung, warum Weihnachtsbäume eine Seite haben, an der sie nicht schön und rund sind. Da schneidet der Weihnachtsmann ein Loch rein, damit man weiß, mit welcher Seite der Baum an die Wand muss. (Das trifft übrigens auch auf den Baum auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt zu, hust.)

Noch sechs mal schlafen

Was ich dieses Jahr nicht sehen muss, ist Schöne Bescherung, weil mich der Sexismus darin noch müder machen wird, als ich eh schon bin. Es reicht völlig aus, stattdessen den Song Christmas Vacation zu hören, vielleicht das Beste an dem Film.

Auf der Liste für die nächste Woche, die noch übriggebliebenen sieben Tage bis Heiligabend stehen unter anderem noch der Weihnachts-Western Spuren im Sand, Tatsächlich Liebe, The Snowman, Die Muppets feiern Weihnachten, Der kleine Lord und vielleicht Weiße Weihnachten. Aber die Chance auf Letzteres steht im Moment eh bei 0%.

Die Muppets Weihnachtsgeschichte hebe ich mir für den Tag des Heiligen Abends auf, oder für die Nacht danach und den Postbescherungskater.

I wish you a messy christmas

Das hier war nicht die perfekte Performance meiner Weihnachtsfilmliste. Ich habe mein Ziel, für diesen Beitrag 24 Filme zu gucken nicht erreicht, sondern gerade mal 16. Ich habe mir auch nicht jeden Tag cinematographische Weihnachtlichkeit gönnen können, sondern hatte vor lauter Weihnachts- (oder Kinder-, oder Uni-)Stress oft gar keine Zeit dazu, und dann wurde diese Liste zu einem To-Do, auf das ich noch nicht mal Lust hatte. Trotzdem passt sie auf diese Weise gut in die Zeit der Vorbereitung – kein Hochglanzglitzern, sondern alles durcheinander und irgendwie geschafft. Dann macht die Erleichterung und Erholung, dass es geschafft ist, vielleicht das Weihnachtsgefühl. Sei es die Erleichterung darüber, einen terroristischen Bankraub zu überleben, doch nicht so sterben zu müssen, wie der Geist der zukünftigen Weihnacht es prophezeit, oder eben das Ende dieses Artikels. Geschafft.

3 Antworten zu “Und täglich grüßt der Weihnachtsfilm”

  1. Pamela sagt:

    Shoking!- „unser“ Weihnachtsfilm ist nicht dabei! Wir schauen immer „Der dünne Mann“/“The thin man“: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_d%C3%BCnne_Mann_%28Film%29 Darauf einen Drink!

  2. Pamela sagt:

    Sorry: Ich nehme noch ein c für Shocking dazu :-/

  3. Sylvia Hubele sagt:

    Da fehlt aber noch: „Single bells“ und der Nachfolger „O Palmenbaum“ :-)