Kind und Spielplatz (5)

Zu Kindern gibt es viel interessantes Zeug zu erzählen. Das Glück, dass ich mit einem Kind zusammenwohne und Zeug erzählen kann. Ein neuer Teil unserer Kinderkolumne. Hier findet ihr Teil 1, 2, 3 und 4.
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Ein kleines Kind großziehen, oder zumindest dem Kind beim Wachsen die Hand hinhalten, führt an der Hand häufig auf Spielplätze, das Kind zieht und zeigt den Weg.
Laufen wir an einem vorbei, quietscht und fiept es verlangend in seine Richtung. Auch wenn wir weiter davon weg sind, fährt das Kind seine Fühler aus, und noch bevor ich die Spitze eines Klettergerüstes sehen kann, macht das Kind sein eigentümliches Spielplatzgeräusch, das bedeutet: Halt, da hin, sofort da hin, ey, wehe du fährst da vorbei, ich MUSS. Da. Hin.
Unser Spielplatz soll schöner werden
Ich muss da nicht so unbedingt hin. Meine eigene Erinnerung an Spielplätze ist eher unspektakulär, aber nett. Wir Kinder haben unser Ding gemacht und gespielt, die Erwachsenen haben am Rand gesessen und dann musste man nach Hause, obwohl man noch gar nicht fertig war. (‚Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist‘ überzeugt mich auch heute nicht.) Das Kind spielt sogar auf den gleichen Spielplätzen wie ich einst, aber wir wohnen auch in derselben Wohnung, in der ich aufgewachsen bin. Die Spielgeräte sind dafür mit Ausnahmen alle neu. Das ist etwas schade, ich hätte das Kind gerne das ein oder andere Bild von mir nachspielen lassen. Aber auch eine gute Sache, an der ich ein bestimmt beteiligt bin. Denn für einen dieser Spielplätze habe ich im Grundschulalter das erste Mal demonstriert.
Im Nachbarschaftszentrum um die Ecke haben wir Bilder dafür gemalt, Verbotskreisschilder, und hinter die roten Verbotsstreifen Hundehaufen, Müll und jede Menge Spritzen. Damit sind wir alle, Kinder und Erwachsene, zum Spielplatz gelaufen und haben unsere Bilder an Schildern hochgehalten. Währenddessen wurde ich von einem Jugendlichen angesprochen, wofür oder wogegen wir denn da demonstrierten, und ich glaube, ich verstand das Wort nicht. Jedenfalls war ich so schüchtern, dass ich einfach geradeaus geguckt habe und weiter gegangen bin, als hätte ich ihn nicht gehört. Ich selbst habe auf diesem Spielplatz übrigens niemals eine Spritze gefunden, aber unter uns Kindern war es ein sehr populäres, leicht zu malendes Motiv, und auch schön gruselig. Für neue, tolle Spielgeräte demonstrierten wir dabei sicher auch.
Und jetzt? Würde ich, wenn ich das Kind von der Krippe abhole, lieber direkt heim gehen, statt zu den neuen schönen Spielgeräten. Nicht nur weil ich stolzes Mitglied des Stay Home Clubs bin, oder mittlerweile eine langweilige Erwachsene. Vieles, was für Kinder ist, begeistert mich ja, Rutschen, Schaukeln, Bällebäder, bring it on! Und ich schaue dem Kind voll gerne dabei zu, wie es spielt, besonders mit anderen Kindern. Warum ich also echt nicht auf den Spielplatz muss? Wegen den anderen Erwachsenen.
L’enfer ces’t les autres parents
Als ich mich in der Zwischenphase befand, nicht mehr selbst auf Spielplätzen zu spielen (oder nachts auf ihnen rumzugammeln) und noch kein Kind beim Spielen zu beaufsichtigen, habe ich mir, auch aufgrund von Texten, die ich las, das moderne Spielplatzleben so vorgestellt: Die Kinder spielen auf den Spielgeräten. Die Erwachsenen sitzen am Rand und scrollen auf ihren Smartphones. Manchmal langweilen sie sich, manchmal trinken sie Kaffee, den sie sich mitgebracht haben. Und ab und zu trösten sie und pusten auf wunde Stellen. Oder das gegensätzliche Bild: auf den Spielplätzen herrscht Krieg. Andere Kinder sind schlimm gemein zu den eigenen Kindern und man muss die eigenen Kinder verteidigen und Ungerechtigkeiten ausgleichen. Während ihr Kind andere Kinder beißt, sagen dessen Eltern bloß: „Ach, der will doch nur spielen.“
Meine Realität sieht anders aus. Keine Angst vor Bissen, Tetanusimpfung ftw. Aber eine andere Angst. Die mich schwer und müde macht, wenn der Plan ist, mit dem Kind auf den Spielplatz gehen. Die mir in den Ohren klingelt, wenn das Kind seine Spielplatzalarmgeräusche macht. Das Kind ist noch zu klein, als dass ich gelangweilt am Rand sitzen könnte. Ich muss Hilfestellung leisten, es einfangen, wenn es über die Mauer Richtung Straße läuft, es anschubsen, beim Schaukeln. Und ich muss spielen. Aber nicht mit dem Kind. Sondern „gute Mutter“, für die anderen Erwachsenen. Und das würde ich gern lieber nicht.
Das Problem ist nur: alle anderen machen es. „Gute Eltern“-Spielen ist mehr als einfach nur aufzupassen, dass es sich und andere nicht verletzt. Es bedeutet, zu zeigen, dass einem oder einer ein regelkonformes und respektvolles Verhalten des Kindes wichtig ist. Das klingt zum Beispiel so:
Wirf nicht mit den Förmchen, hinter dir könnte ein anderes Kind sein, da musst du aufpassen! (andere Kinder sind nicht in Wurfnähe)
Schmeiß nicht mit dem Sand! (ebenso)
Nicht den Sand essen!
Nicht den Sand rausschaufeln, sonst ist da bald kein Sand mehr im Sandkasten! (es ist ausreichend Sand da, auf allen Seiten)
Du weißt doch, dass du beim Rutschen auf dem Popo sitzen sollst!
Lass den Ball liegen, der gehört dir nicht!
Mein Favourit:
Kind A spielt mit einer einsam rumliegenden Schaufel. Kind B kommt, greift sie und sagt „Meins“.
Die Eltern von Kind B sagen: Du muss auch mal teilen lernen. Gib A die Schaufel!
Die Eltern von Kind A sagen: Das ist die Schaufel von B. Gib sie bitte wieder zurück!
Ich finde es besonders spannend, das Elternverhalten zu beobachten, wenn Kinder miteinander agieren. (Würde es mich nicht so ermüden.) Die anderen Eltern achten nämlich sehr darauf, dass ihre Kinder anderen Kindern nicht weh tun, vor allem kleineren nicht, ihre Kinder nett und vorsichtig sind, dass ihre Kinder teilen. Im Prinzip supi Werte, kein Ding. Aber alle Eltern, die ich bei diesem Konfliktklassiker beobachtet habe, schlugen sich nicht auf die Seite ihres Kindes. Auch ich nicht. Bei all diesen Ermahnungen geht es nämlich gar nicht so sehr um die Kinder, sondern um die Eltern. Um ihre Höflichkeitsperformance füreinander.
Eigentlich würde ich mich ja am Liebsten raushalten und die Kinder das in einem epischen Schaufelduell unter sich ausmachen lassen. Bis eine_r heult, meinetwegen. Aber ich will gegenüber den anderen Eltern nicht als acht- und verantwortungslos erscheinen. Ich will, dass sie wissen, dass ich die Grenzen ihres Kindes anerkenne, und ich will, dass sie sehen, dass mir wichtig ist, dass mein Kind lernt, die Grenzen von anderen zu achten. Ich weiß, dass ich beobachtet werde, so wie ich andere beobachte. Und das ist alles ganz schön anstrengend.
Viel lieber würde ich strickend am Rand sitzen, ab und zu auf meinem Smartphone scrollen, während das Kind sein Ding macht, mit anderen Kindern, und mal trösten, wenn nötig. Und mir vor allem nicht so einen Kopf machen, was für Köpfe wir Erwachsenen uns machen.
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Findet ihr andere Erwachsene auch so anstrengend?