Frauen und Tattoos – Twin Peaks, Füchse und Banditinnen (1)

In dieser Portraitreihe wollen wir alles rund um Tattoos erzählen. Geschichten hinter den Tattoos, was sie bedeuten und wie sie entstanden sind. Wir werden euch Tätowiererinnen, Künstlerinnen und Frauen mit Tattoos vorstellen. Den Anfang macht Rebecca, die als Illustratorin und Grafikdesignerin in Berlin arbeitet.

 

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Rebecca und ich haben uns an einem Sonntagnachmittag getroffen, um über ihre Tattoos zu sprechen, was dahinter steckt und welche sie am liebsten mag. Dass ich so natürlich ganz viel von ihrer Lebensgeschichte erfahre und es teilweise ganz nah, bis unter die Haut geht, war mir am Anfang der Interview-Idee gar nicht so bewusst. Aber mit Rebecca funktioniert das ganz so, als ob wir uns schon lange kennen. Sie erzählt ihre Geschichten gern und nimmt sich Zeit, malt mit den Händen in der Luft und wir wandern mit dem Gespräch ihren Körper entlang, von Tattoo zu Tattoo.

Weißt du aus dem Kopf, wieviele Tattoos du hast?

Ich glaube, das sind 17… nee 20. Davon sind vier auch Freundschaftstattoos. Eine meiner damaligen besten Freundinnen wohnt jetzt auf Fuerteventura – die Distanz ist groß, aber unser Tattoo verbindet uns bis heute.

Ich wollte am Anfang, bei den ersten Tattoos vorsichtig sein und dachte, ich lass sie mir lieber da stechen, wo ich sie nicht so oft sehe. Damals dachte ich, dass mir die Bilder dann irgendwann auf die Nerven gehen oder dass es mir zu bunt wird. Aber es war eher umgekehrt. Irgendwann war auch klar, dass ich das jetzt weiter machen möchte und hat sich dann auch mehr nach vorn auf meine Arme verlagert.

Die Tattoos auf dem Rücken mag ich auch gern, aber ich seh sie halt nie. Immer nur durch den Spiegel und dadurch kommt auch so eine Distanz rein, dass ich die auf den Armen zum Beispiel lieber habe, weil sie mir näher sind. Das Lustige ist: Tattoos sind wie Leberflecken – Manchmal sehe ich sie und manchmal auch nicht. Ich denk jetzt nicht jeden Tag “HUCH, da ist ja was!” Es nervt einfach nicht. Also die Angst, die ich mal hatte, ist total unbegründet.

Was ich so toll finde an Tattoos, ist für mich auch die Möglichkeit meinen Körper verändern zu können. Wir werden ja mit Attributen geboren, die genetisch festgelegt sind – also Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe usw. Tattoos bieten mir die Möglichkeit selbstbestimmt ganz individuelle und dauerhafte Veränderungen an meinen Körper vorzunehmen. Das fasziniert mich sehr.

The owls are not what they seem

Hast du auch Lieblingstattoos? Oder sind da alle irgendwie speziell?

Oh das ist schwer zu sagen. Es es gibt ein paar, die sind dekorativer und nicht so bedeutungschwanger wie andere, da mochte ich die Stile zum Beispiel sehr gern. Ich hab generell viele unterschiedliche Stile auf meinem Körper vereint. Ich sammle da gern. Da steckt kein Gesamtkonzept dahinter, das ist eher ein Patchwork von Momenten und Gefühlen.

Eines meiner Lieblingstattoos ist das auf dem linken Unterarm. Das ist eine Collage aus Computertasten, Code, Zahlen und Schriftzügen. Das ist auch eine Anspielung auf “Twin Peaks”, meine Lieblingsserie. Da hat der Satz „The owls are not what they seem“ eine Schlüsselrolle. Der ist auch in meinem Tattoo versteckt. Und dann hab ich auch noch eigene Daten eingearbeitet. Mein Geburtsdatum, das von meiner Mutter, ein Passwort (lacht) – das ist aber gut versteckt, da kommt man nicht drauf. Es gibt auch eine Escape-Taste, weil ich mich manchmal gern wegbeamen würde – aus Situationen, die mich überfordern. Das Tattoo ist eine Collage aus allen diesen Sachen, es bedeutet mir daher viel.

Der Hirschkäfer auf dem anderen Arm ist von letztem Jahr und im Ausgleich zur großen bunten Sonnenblume daneben ganz schwarz. Das ist ein ziemlich traditioneller Stil, sehr kontrastreich. Der Hirschkäfer gehört zu den gefährdeten Lebewesen und ich find ihn total schön. Mein Onkel hat sich auch viel mit Insekten befasst und diese Käfer sind auch seine Lieblingstiere. Dadurch ist dieses Tattoo eine Verbindung zu meiner Familie und zu ihm. Ich bin sonst nicht so der Insektenfan, dass ich sie immer an mir trage oder dass ich möchte dass sie auf mir rumkrabbeln – aber der Hirschkäfer ist da eine Ausnahme. Wenn du dir mal ein paar Videos anschaust, wie sie miteinander ringen und sich auch vom Ast runterschubsen, das sieht schon witzig aus.

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Dein neuestes Tattoo ist eine Banditin, gab es da ein bestimmtes Erlebnis, das dich dazu inspiriert hat?

Also zum einen mag ich diesen western traditional style so gern. Aber die Banditin steht für mich auch für das Bedürfnis, was ich manchmal habe, einfach Pferde stehlen zu gehen. Aus dieser Sicherheit mal ausbrechen und mich was trauen. Einfach mal “Fuck off” sagen und “Ich hau jetzt ab”. Ich denke, das schaffe ich irgendwann auch mal oder ich bin irgendwann zufrieden und fühle mich nicht gefangen. Das ist jetzt kein bestimmtes Erlebnis, aber ein Gefühl, was mich schon immer begleitet.

Warum hast du einen Frauenkopf ausgewählt?

Weil es auch mich widerspiegeln soll, ich identifiziere mich damit. Ich finde Frauen generell schöner – obwohl, Dale Cooper von “Twin Peaks” würde ich mir auch tätowieren lassen. (lacht) 

Oh ja, das wäre bei mir vielleicht Tom Hiddleston als Loki.

Oh, der ist auch großartig, ja!

Hier müssen wir eine kurze Pause einlegen und schwelgen gemeinsam in unseren Fanträumen. Wir sitzen nebeneinander im Schneidersitz auf der Couch und während des ganzen Gesprächs schaut mich ein wunderschöner Fuchs auf Rebeccas Oberschenkel an. Das vielleicht sogar das wichtigste Tattoo, sagt sie.


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Der Fuchs ist von Valentin Hirsch, einer der wenigen deutschsprachigen Künstler, die ich auf meiner Haut habe. Der macht viel Schwarz, Tiermotive die ineinander übergehen, viel auch mit dem Tod. Zum einen fand ich das so schön, weil es mich auch ein bisschen an meine eigenen Zeichnungen erinnert, da war gleich eine Verbindung da. Zum anderen ist die Verbindung von Leben und Tod für mich allgegenwärtig. Meine Mutter ist unerwartet gestorben, als ich 20 war. Das war eine schwierige Zeit. Seither beschäftigt mich der schmale Grat zwischen Leben und Tod.

Ich gehe auch öfter mal auf dem Friedhof spazieren – nicht weil ich so’n Grufti bin (lacht) – sondern weil ich da meine Ruhe habe. Dort sehe ich immer diesen Fuchs. Da gibt es sogar eine Fuchsfamilie, die auch total zutraulich ist. Die springen auf den Mauern rum und gucken. Baby-Füchse hab ich da auch schon gesehen. Der Familie geht’s da gut, denn ab 18 Uhr haben sie ihre Ruhe, da stört sie keine/r mehr und Futter haben sie auch: die fressen die ganzen Vögel dort. (lacht)

Daher dann auch das Motiv vom Fuchs mit dem Rabenschädel im Kopf. Ich liebe Vögel und Raben sind ganz besonders schlau. Es lehnt auch an die Fabel vom Fuchs und Raben an, die mich fasziniert. Gleichzeitig zeigt sich hier wieder das Thema Tod und Leben und da ich die Füchse immer auf dem Friedhof getroffen habe, passt das gut. Ich überlege mir auch, ob ich zu dem Fuchskopf noch das Gegenteil machen lasse, also dann einen Rabenkopf mit einem Fuchsschädel drin.

Ich hab ein Tattoo am Rücken, das sollte ein Drache sein, aber eigentlich sieht es aus wie ein Wurm mit Flügeln

Gibt es auch Tattoos, die du bereust?

Für meine ersten Tattoos bin ich einfach zu irgendjemandem gegangen. Da dachte ich noch, sich ein Tattoo stechen lassen ist wie einen Tisch gezimmert bekommen. Also irgendeine Dienstleistung, wo nicht viel schief gehen kann. Ich dachte, das würde jede/r andere TättowiererIn auch genauso machen. Ich hab denen einfach meine Motive gegeben – das war teilweise selbstgezeichnet – und sie haben das dann kopiert.

Und damals mit 19 war ich noch nicht so gut im Zeichnen, und ich fand das damals aber total gut. Jetzt hab ich ein Tattoo am Rücken, das sollte ein Drache sein, aber eigentlich sieht es aus wie ein Wurm mit Flügeln (lacht). Früher dachte ich: Boah, ist das geil was ich kann! Und die TättowiererInnen haben das damals einfach nachgezeichnet, da denke ich jetzt manchmal, dass  ich nicht ganz so gut beraten war. Ich hätte das vielleicht nicht selber zeichnen sondern sagen sollen: Mach du mir das mal.

Aber dass du denkst, dieses eine oder andere Tattoo muss jetzt weg, so ist es nicht?

Nee, so ist das nicht. Der Wurm z.B. ist nicht der Schönste, aber er ist mir natürlich trotzdem ans Herz gewachsen. Die Laser-Technik ist auch nicht so weit, als das man eine Tätowierung ohne Weiteres komplett verschwinden lassen kann. Da muss man zig Sessions machen. Das ist eher sinnvoll, um ein Motiv auszubleichen und sich anschließend etwas Neues drüber tätowieren zu lassen.

Für ein großes Motiv würde ich die kleineren Tattoos dann auch aufgeben. Für einen richtig GROSSEN Drachen aufm Rücken oder so. (lacht)

Welche Reaktionen hast du bisher so auf deine Tattoos bekommen?

Also das ist unterschiedlich. Im Spätsommer hatte ich eine ganz doofe Situation. Da saß ich am Bahnhof mit T-Shirt und da kam ein Betrunkener und der hat mich so angestarrt und hat mich dann lautstark angepöbelt. Was mir denn einfallen würde, mich so zuhacken zu lassen, gerade als Frau! Und überhaupt ich wäre total der Trash, nicht zu fassen, ich sei so ein Abschaum. Da war ich auch total perplex und ich hab auch nur irgendwie “Wo kommst du denn her!” geantwortet und mehr fiel mir gar nicht ein. Danach war ich sauer. Es hat mich im Nachhinein echt noch beschäftigt und dann war ich sauer, dass mich das sauer macht. Warum kümmert mich überhaupt, was er denkt? Er hat in dem Moment sein Problem zu meinem gemacht und das fand ich doof.

Manche sagen auch so blöd “Na, du weißt aber schon, dass das nicht mehr weg geht, ne?” Da hab ich dann auch keine Lust anzufangen zu erklären, was dahinter steckt oder welche Geschichten es dazu gibt.

Aber zum Glück passieren die negativen Situationen sehr selten. Ich komm damit eigentlich ganz gut durchs Leben, ohne große Probleme damit zu haben.

Meine Oma ist toll, die findet es ganz cool und fragt auch immer “Und hast du was Neues?” Bei meinem Vater ist das anders, der kann das auch gar nicht verstehen, gerade so mit dem Argument, dass es für die Arbeit blöd sei.

Hat denn ein/e ArbeitgeberIn schonmal was deswegen gesagt?

Also ich gehe zum Vorstellungsgespräch schon immer mit hochgezogenem Ärmeln dahin, damit sie schon sehen, was ich für ein Mensch bin und damit ich gleich sehe, ob es ein Problem ist. Wenn, dann würde ich da auch nicht arbeiten wollen und mich nicht wohlfühlen.

Da ich im Grafik-Bereich arbeite, hatte ich bisher auch Glück, da waren alle eigentlich immer sehr offen. Bei einem Vorstellungsgespräch hatte einer dann selber Tattoos und der hat dann gleich nachgefragt, was das für ein Tattoo war – das war das “Twin Peaks” Tattoo. Es hat sich dann rausgestellt, dass er auch totaler Fan ist – da hatte ich dann sogar einen Bonuspunkt, weil sie sich später gut an mich erinnern konnten. Den Job habe ich dann auch bekommen. (lacht)

Welche Tipps hättest du für Leute, die sich tätowieren lassen wollen?

Nicht sofort ins nächstgelegende Studio flitzen. Heutzutage haben die TätowiererInnen ja alle meistens eine Website oder sind auf Facebook zu finden. Die Arbeiten und das Portfolio würde ich mir vorher immer genau anschauen. Qualitativ gehen da auch Welten auseinandern. Unter den TätowierenInnen gibt es natürlich auch talentfreie Pappnasen. Da hilft es, das Auge vorher etwas zu schulen, viele Bilder anzuschauen und Stile zu vergleichen. Sich jemanden empfehlen zu lassen ist auch gut.

Am besten suchst du dir ein/e SpezialistIn für einen Stil, nicht unbedingt einen Tausendsassa, der oder die alles kann. Und es macht natürlich auch keinen Sinn, sich was total abgefahren Experimentelles mit crazy tanzenden Dreiecken im Wasserfarben Style von jemand machen lassen zu wollen, der/die sich auf realistic Black & Grey Portraits spezialisiert hat.

Für mich ist der/die TätowierIn an erster Stelle KünstlerIn und das Tattoo zu einem gewissen Grad auch Teamwork. Ich bringe meine Idee, meine Intentionen, meine Geschichte mit und der/die TätowiererIn setzt es dann auf eigene Art um. Es folgt eine art Happening, das du nicht vergisst und am Ende hast du etwas – hoffentlich – tolles gezeugt. Für immer.

Fotos: Michael Berger, Flexaret V, Film Kodak Portra 800.

Rebeccas Tattoos:  Sonnenblume (rechter Unterarm) von: Jo Harrison,
Twin Peaks Tattoo (linker Unterarm) von: Jef Palumbo 
Banditin (rechter Oberarm) von : Philippe Fernandez
Motiv: Fuchskopf (rechter Oberschenkel) von: Valentin Hirsch 

Wenn ihr selbst Lust habt, fotografiert und interviewt zu werden, eine tolle Frau mit Tattoos oder eine Tätowiererin empfehlen könnt, schickt gern eine Email an: wirsindkleinerdrei(at)googlemail.com.

4 Antworten zu “Frauen und Tattoos – Twin Peaks, Füchse und Banditinnen (1)”

  1. Sabine sagt:

    Mir gefällt die neue Reihe sehr gut :) ich will mir diesen sommer mein erstes tattoo stechen lassen und da ist es super, von leuten zu lesen, die damit schon mehr erfahrung haben :)

  2. Sue sagt:

    Toller Text! Plane mein viertes Tattoo und bin gerade auf der Suche nach Motiv und Künstler_innen, da ist es enorm inspiererend zu lesen, was andere für Erfahrungen mit ihren Tattoos gemacht haben. Freue mich schon auf die nächste Folge!

  3. Bec sagt:

    Anika, danke noch mal für das Interview. Hat wirklich Spaß gemacht. Falls es noch Fragen gibt oder jemand irgendwelche Tipps braucht, ich bin gerne zur Stelle.

  4. […] lustig, dass der erste Versuch manchmal so schief geht. Das meinte Rebecca ja auch, dass sie zuallererst in irgendein Studio gegangen ist und erst später angefangen hatte, […]