Empört Euch!

Foto , CC BY-NC 2.0 , by .andi weiland

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Tara.

Tara studiert in Gießen irgendwas Soziales mit Politik, ist Kind von Revolutionseltern, hat das Wort „herzflauschhaft“ erfunden und die „BILD“-Zeitung ist der Feind!

@Sternenrot

Hallo, mein Name ist Tara Falsafi und meine Identität besteht aus Millionen Splittern, von denen ein Bruchstück Nationalität darstellt.

Eine Aussage, die sich anfühlt wie eine Beichte. Eine, die ich, wenn ich müde bin, schnell herunter spule. Jaja, hier geboren, hier aufgewachsen, Eltern aus dem Iran, ja ich war schon mal da, nein ich möchte da nicht leben, ja es ist trotzdem schön, ja mir ist durchaus bewusst, dass dort Menschenrechtsverletzungen im übelsten Maß stattfinden, ja man muss dort ein Kopftuch tragen, nein ich bin nicht religiös, ja meine Familie ist es teils, ja ich feiere Weihnachten, nein nicht mit einer Gans, ja mit einem Baum.

Seit Pegida ist vieles anders.

Mein Umfeld ist sensibilisiert. Haben sie früher nicht verstanden, warum man sich mit dem Thema Rassismus (und damit Menschenfeindlichkeit) auseinandersetzen muss – schließlich gab es ja mich, die ihnen alles, nur nicht fremd ist – sehe ich jetzt Verständnis. Meinem engen Freundeskreis ist es egal, wie ich aussehe, sie lachen eher über meine Vergesslichkeit, mein Chaos und necken mich, wenn ich mich politisch in Rage rede. Sie kommen jetzt mit auf Demos. DEMOS. Mit einem meiner Freunde bin ich seit 10 Jahren befreundet und die #NoHagida Demo war die erste seines Lebens.

Seit Pegida ist vieles anders.

Ich werde bei der Krankengymnastik angesprochen, was das überhaupt soll. Dass man dachte, man hätte „diesen Scheiß“ hinter sich. Dass man nach den Anti-AKW Demos in den 70ern dachte, das Zepter der Jugend übergeben zu können. Dass man sich jetzt wieder engagiert.

Seit Pegida ist vieles anders.

Das Charlie Hebdo Attentat war grausam. So grausam, dass ich dachte, die Stimmung kippt, gegen uns, gegen die demokratischen Kräfte. Doch eine Welle der Solidarität kam auf. Klare Positionierung: Wir gehören zusammen. Distanzierung von solchen Attentaten? Ja klar! Aber nicht als Muslim*a oder Atheist*in oder anderes. Sondern als Mensch. Wir müssen uns von diesen unmenschlichen Taten distanzieren. Zusammen.

Seit Pegida ist vieles anders, aber nicht alles.

Ich weiß noch, wie die NSU-Schlagzeilen mich erschüttert haben. Ich dachte mir, da laufen Menschen jahrzehntelang durch die Gegend und ermorden andere Menschen. Aus rassistischen Motiven. Hatten wir „diesen Scheiß“ nicht hinter uns? Die Reaktionen waren mir zu wenig. Ich war enttäuscht. Die Polizei hat die betroffenen Familien teilweise unmöglich behandelt, die Schuld auf sie geschoben.

“Pro Asyl” hat jüngst Daten veröffentlicht,die mich nicht erstaunt aber sehr betroffen gemacht haben. Zusammen mit der Amadeu Antonio Stiftung kommen sie für das Jahr 2014 ingesamt auf 256 flüchtlingsfeindliche Demos, 118 Sachbeschädigungen an Unterkünften, 77 Übergriffe an Flüchtlingen und 35 Brandanschläge auf Unterkünfte. In Dresden wollen Asylbewerber*innen nicht mehr auf die Straße.

Es gibt Menschen, die das Wort „Geflüchtete*r“ statt „Flüchtling“ verwenden. Aber man sieht, dass Asylbewerber*innen irgendwo immer noch auf der Flucht sind. Wenn sie nicht mal in der reichen BRD sicher sind: Wo dann?

Seit Pegida bin ICH anders.

Ich war und ich bin ein politischer Mensch. Ich studiere. Ich diskutiere. Ich möchte für das Leben lernen, denn wenn meine Wurzeln mich irgendwo geprägt haben, dann da: Ich weiß wie kostbar eine Demokratie ist. Ich werde mich immer vor sie stellen und sie verteidigen, mit all meiner Energie. Meine Eltern sind für eine Zukunft hergekommen, in der sie keine Angst haben müssen ihren Mund aufzumachen. Ich werde da ganz sicher nicht beigeben. Das ist mir in dem Maße erst seit Pegida bewusst.

Hatte ich immer Angst vor den ostdeutschen Bundesländern, werde ich mich 2015 nach Dresden begeben. FUCK YOU PEGIDA. Denn seit euch bin ich anders. Ich habe gesehen, was ein solidarisches Miteinander auslösen kann. Auf der #NoHagida Demo waren auch meine Eltern. Die seit Jahrzehnten nicht mehr auf der Straße waren. Und mit ihnen? 19.000 Menschen.

Ich bin Deutsche. Ich bin Iranerin. Ja, ich habe beide Staatsbürgerschaften, aber damit hat das nichts zu tun. Nein, das schließt sich nicht aus. Und viel wichtiger ist, dass ich ein Mensch bin. Und kein Mensch ist illegal. Ich esse gerne persisch und wenn ich euch nett finde, koch ich mal für euch. Und wisst ihr was? All das, das erzähl ich euch selbst, wenn ich euch kennenlerne und sympathisch finde. Da muss man mich gar nicht fragen „woher ich komme“, auch wenn Hannover eine tolle Stadt ist. Also ab, ab auf die Straßen eurer Stadt. Macht den Mund mit mir auf, empört euch! Denn ich werde nie wieder die „Ich feier Weihnachten“ Geschichte abspulen, sorry, not sorry.

Aber die meisten von euch verstehen das.

Denn seit Pegida ist vieles anders.

5 Antworten zu “Empört Euch!”

  1. Anne Wizorek sagt:

    Danke für diesen wunderbar kämpferischen Text, kann mich dir nur anschließen! <3

  2. Hm sagt:

    Menschen das Gefühl zu geben sie seien hier nicht willkommen, obwohl sie ihr einziges Leben in Frieden und Demokratie verbringen möchten ist meiner Ansicht nach absolut nicht tolerierbar.
    Wenn Asylbewerber Angst haben auf die Straße zu gehen, dann läuft was komplett falsch.
    Das ist der Grund warum ich diesen PEGIDA Kram und die Leute die mit voller Überzeugung dahinter stehen absolut nicht leiden kann.
    Und Tara hat mit ihren Ausführungen den Nagel auf den Kopf getroffen.
    Menschen die unpolitisch waren oder sich nie zu politischen Themen geäußert haben werden plötzlich politisch und diskutieren darüber. Diese Thematik betrifft jeden von uns.

  3. Sanna sagt:

    Ein wunderbarer Text, Danke für deine Offenheit!

  4. Giliell sagt:

    Ich bin mit meinen Kindern auf die erste Bunt statt Braun Demo bei uns (sorry für den Slacktivismus, aber jede Woche schaffen wir das nicht). Vorher hab ich mit den Mäusen darüber geredet, warum wir denn da demonstrieren. Tja, wie erklärt man Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie für Leute die zusammen 12 Jahre alt sind? Herhalten mussten die muslimische Freundin und die Freundin die aus Syrien geflüchtet ist.
    Yep, meine Kinder waren empört. Und siel liegen goldrichtig: Pegida demonstriert gegen kleine Kinder die einen Krieg erlebt haben und tausende von Kilometern flüchten mussten.

  5. […] eine Blume falten, auf herzerwärmende Art Karaoke singen, frei tolle Feministinnen zitieren oder gegen Pegida-Demos auf die Straße gehen? Congrats! Du hast es, obwohl der Tag beschissen war, geschafft dir die Zähne zu putzen? Du […]