Interview auf Verdacht

Gleich bei der ersten Eilmeldung („Schießerei in Redaktion von ‚Charlie Hebdo‘: Elf Tote und vier Schwerverletzte bei Angriff auf Satirezeitung in Paris“) musste ich an den Comedian Maz Jobrani und seinen TED-Talk denken (ab 5:20). „Als dieser eine weiße Typ mit einem Flugzeug in das Gebäude geflogen ist“, sagte er 2010, „ich weiß, dass alle meine Freunde aus dem Mittleren Osten und alle meine muslimischen Freunde, die in den USA leben und das im Fernsehen gesehen haben, dachten: ‚Bitte komm‘ nicht aus dem Mittleren Osten! Bitte heiß’ nicht Hasan! Bitte heiß’ nicht Hüseyin! Und dann wurde der Name genannt – JACK! – und ich brüllte: ‚WOOOO!’ Das ist keiner von uns!“

Ich sitze also in der Redaktion von Süddeutsche.de und hoffe, dass das auch so ein Jack-Moment wird. Ich weiß natürlich, dass ich falsch liege. Wissen im Sinne von: es wird keine Überraschung sein – weder für mich, noch sonst für irgendjemanden. Es sind welche von ‚uns‘. Es sind Islamisten und sie haben 12 Menschen erschossen. Darunter ist auch ein Streifenpolizist, Ahmed Merabet, den ich nur deswegen namentlich erwähne, weil er nach allem, was ich weiß, Muslim ist und das allein ausreicht, um zu verstehen, warum ich das ‚uns‘ ins Gänsefüßchen setze. Ich meine mit dem Begriff schlicht und ergreifend muslimische Menschen. Die Terroristen zählen sich dazu, ob mir das passt oder nicht und das, obwohl es für sie kein ‚uns‘ gibt, sondern nur sie und ihre Feinde.

Während ich all das denke, weiß ich noch nichts über die Einzelheiten. Es ist zu früh, um zu wissen, was genau los ist.

Aber es ist wichtig, zu sagen, dass diese Menschen aus unseren Reihen kommen. Dass sie in unsere Moscheen gehen und dort Imame bedrohen, wenn diese sich gegen den Islamischen Staat aussprechen. Die wir in unseren Communities mitunter belächelt und nicht so recht ernst genommen haben in ihrer Radikalität. Ich glaube nicht, dass wir uns davon distanzieren müssen, weil damit automatisch unterstellt wird, dass Muslime so lange Pro-Terrorismus sind, bis sie klarmachen, dass dies nicht der Fall ist. Ich glaube aber auch, dass es keinen Menschen geben kann, der diese Taten sieht und davon unberührt bleibt. Dementsprechend habe ich auch viele muslimische Menschen gesehen, die neben Furcht und Angst auch über ihre Trauer geredet haben. Es ist gut, dass soziale Netzwerke diese besondere Form der Trauer sichtbar machen. Dazu gleich mehr.

Journalistisch mindestens problematisch

Währenddessen beginnt in den sozialen Netzwerken die Diskussion über den Islam. Als ich lese, dass eine Augenzeugin berichtet, dass die Männer „Wir haben den Prophet gerächt“ geschrien haben, entscheide ich mich dazu, einen Imam zu interviewen. Ich kläre das mit den entsprechenden Personen ab (da ich für das Digital-Ressort arbeite) und rufe Benjamin Idriz an. Er hebt ab und bittet um fünf Minuten, damit er in sein Büro gehen kann (ich rief auf dem Handy an).

Einen Imam interviewen zu wollen, zu einem Zeitpunkt, in dem noch überhaupt nicht klar ist, dass Islamisten hinter dem Anschlag stecken, ist journalistisch – mindestens – problematisch. Ich rede mit meinem Chef und bitte ihn um eine Einschätzung. Er sagt: Solange du klar machst, dass wir zu diesem Zeitpunkt nicht mit letzter Sicherheit sagen können, ‚ja, dahinter stecken wirklich Islamisten’, passt es. Es ist wichtig, das transparent zu halten“. Für einen (sehr) kurzen Moment denke ich darüber nach, das Interview jetzt zu führen und erst später zu veröffentlichen. Das verwerfe ich allerdings schnell wieder.

 

Ich rede mit Idriz, wir posten das Interview, es stößt auf immenses Interesse. Idriz sagt sehr schlaue Sachen, wie ich finde. Zum Beispiel: „Diese Menschen haben unserer Religion viel mehr Schaden zugefügt, als diese Karikaturen es jemals tun könnten.“ Es ist diese Form der Trauer, die ich als besonders bezeichne. Weil durch sie automatisch klar wird, wer spricht: Muslime selbst. Idriz sagt ebenfalls, dass die muslimische Community eine härtere Auseinandersetzung braucht mit eben diesen Menschen, deren Ansichten radikal sind. Auch diese Sicht teile ich.

Ich checke ein paar Stunden später mein Postfach. Ich habe mehrere ungelesene E-Mails darin. Danke, dass da ein Imam zu Wort gekommen ist. Eine wichtige Botschaft. Und so weiter. Alles Feedback ist positiv. Das irritiert mich – ich schreibe nicht oft über solche Themen, kriege aber mit, dass Islam und Debatten über Terrorismus irre schnell Hassmails nach sich ziehen. Doch als ich bei dem Team nachfrage, das sich hauptsächlich um die Betreuung der Community kümmert, läuft das Gespräch so:

Ich: „Wie viele negativen Kommentare hast du nicht weitergeleitet? :D“

Community: „Sorry dass ich dich so mit Mails bombardiere. KEINEN. Absolut keinen. Wahnsinn, oder?“

In der Tat. Zwar gibt es auf Twitter ein paar kritische und feindliche Kommentare, aber alles in allem: Dankbarkeit.

Die Unsicherheit wird transparent gemacht

Aber so wirklich zufrieden bin ich nicht. Wenn ich mir das genau anschaue, habe ich jemanden auf Verdacht hin interviewt – auch wenn alles stark dafür gesprochen hat, dass es Islamisten waren. Das eine Interesse – die Beschuldigten zu Wort kommen lassen – steht gegen das andere Grundprinzip – was wissen wir überhaupt sicher? – beides zutiefst journalistisch, finde ich.

Ich schreibe eine E-Mail an Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. Er hat gerade der Deutschen Presseagentur ein Interview gegeben („Ich kann nur sagen, dass der Journalismus sich nicht ändern darf“, hat er da gesagt), ist also bereits im Thema. Ob das Interview klargeht, will ich von ihm wissen. „Es ist tatsächlich schwierig“, sagt Filipović. Er sagt aber, dass er es okay findet: „Gleich in der ersten Frage wird deutlich, dass man es noch nicht weiß, aber alles dafür spricht. Das wird transparent gemacht.“ Ich frage ihn, ob es nicht ein Zeichen für meine eigenen Vorurteile ist, so ein Interview zu führen, zu so einem Zeitpunkt. Er widerspricht und sagt: „Es gibt gute Gründe, die dieses Interview rechtfertigen, zum Beispiel die Debatte um die Karikaturen und die Zitate der Augenzeugen.“ Überhaupt, wenn man sich anschaue, wie die „unmögliche AfD“  (Zitat Filipović) versucht habe, diese Situation auszunutzen, sei das Interview richtig. Als ich auflege, bin ich enttäuscht und das obwohl ich das Interview selbst wichtig finde. Es fühlt sich trotzdem nicht gut an.

Ich glaube, ich hätte mir gewünscht, dass er sagt, dass ich ethisch gesehen falsch gehandelt habe. Ich kann das inhaltlich nicht final begründen, dazu ist alles noch zu nah, aber vermutlich ist das derselbe Wunsch, den ich empfunden habe, als ich die erste Eilmeldung gelesen habe. Dass es niemand von ‚uns‘ ist. Dass ich dieses Interview nicht hätte führen müssen.

P.S. Zur Sache, ob man sich mit „Charlie Hebdo“ solidarisieren sollte (siehe hier, hier, hier und hier), sehe ich das wie Eliot Higgins.

15 Antworten zu “Interview auf Verdacht”

  1. Giliell sagt:

    Um ehrlich zu sein, ich war entsetzt, wie schnell sich meine Twitter timeline mit „muslims* did it“ füllte, zu einem Zeitpunkt als wirklich noch NICHTS klar war.

    War es möglich dass es Islamisten waren? Klar!
    Wahrscheinlich? Yepp!
    Waren sie es? Ich denke das gilt mittlerweile als gesichert.

    War es dennoch ein tiefer Ausdruck von Vorurteilen noch vor den ersten tatsächlichen Infos** den Schluss zu ziehen „das waren Muslime“? Eindeutig!

    *und natürlich nicht „islamists“
    **Also noch bevor die Aussagen der Augenzeugin publik wurden.

    Ich denke eine traurige Realität ist, dass Terrorismus mittlerweile als „Gewalttat, die von Muslimen begangen wurde“ definiert wird. Breivik hat nie existiert. Jarad Loughner in den USA existiert nicht. Die terroristischen Angriffe auf Moscheen in Frankreich die gerade jetzt stattfinden existieren nicht.

    Wenn immer eine solche Gewalttat verübt wird, drehen wir alle automatisch den Kopf zu den Muslimen. Die einen

  2. Giliell sagt:

    Ehm, sorry, Tastennieser…

    …die einen um die Schuldigen zu suchen, die anderen in der Hoffnung auf einen „Jack“ Moment.

  3. Engineer sagt:

    Hätte ich einen Kritikpunkt, wäre es die Bild-Text-Schere. Ich weiß nciht, ob das Photo des Imam aus dem Archiv kommt, aber sein fröhliches Gesicht paßt nicht zum Text.

  4. Warum nicht einen oder zwei Tage warten und das Interview dann veröffentlichen? Es könnte dann auch ausführlicher sein (beides wäre mir als Leser lieber).

  5. […] kleinerdrei.org: Interview auf Verdacht Und das Interview: “Das ist gegen den Islam“. Beides […]

  6. […] „Diese Menschen haben unserer Religion viel mehr Schaden zugefügt, als diese Karikaturen es jemals tun könnten.“ Interview mit Benjamin Idriz, Imam in Penzberg. Hintergrund zum Interview. […]

  7. Frank Linnhoff sagt:

    Nach gläubigen Volkes Meinung haben Imame einen direkten Draht zu Gott oder zumindest zu seinen Boten, den Engeln. Insofern ist es durchaus angezeigt, Imame zu Themen zu befragen, die noch im ziemlich luftleeren Raum schweben. Presse- und Meinungsfreiheit, unsere westlichen Werte, welche wir verteidigen, rufen förmlich danach, jede erdenkliche Gelegenheit zu ergreifen, um den Nebel der Unwissenheit zu durchdringen. Weiter so Hakan.

    • hakantee sagt:

      Ich würde hier kurz einhaken und widersprechen. Imame haben keinen direkten Draht zu Gott. Auch nicht zu seinen Boten. Was es gibt, ist etwas, das sich „rabıta“ nennt. Auf deutsch übersetzt man das am besten mit „Band“, ja, aber das ist nicht in dieser Richtung zu verstehen. Das nur zur Klarstellung.

  8. […] Glaubens müssen sich nun irgendwie von den französischen Killern distanzieren (darüber schreibt SZ-Journalist Hakan Tanriverdi sehr reflektiert). Das liegt sicher auch daran, dass die […]

  9. […] NPR: Satire In The Muslim World: A Centuries-Long Tradition BBC Viewpoint: The roots of the battle for free speech Kleiner Drei: Interview auf Verdacht […]

  10. spicollidriver sagt:

    Auch wenn das wahrscheinlich viel leichter gesagt als getan ist: im Grunde muß sich kein „normaler“ (im Sinne von: kein gewalttätiger Extremist) Muslim annehmen, mit diesen Menschen in einer Schublade zu stecken. Es sind eben keine von „euch“, sondern „ihr“ seid im Gegensatz zu „denen“ Teil von „uns“ (also Teil der großen Mehrheit der Bevölkerung, die derartige Gewalttaten, wohl insbesondere im Namen einer Religion, ablehnen).

  11. […] dass Journalisten künftig im Zweitjob als Aufklärer über ihre Arbeit diese ihre Arbeit reflektieren müssen – für basement Leser, der als fünfte Gewalt in vielfacher Form in der Zivilgesellschaft […]

  12. hakantee sagt:

    Ich kann diese Frage nicht beantworten. Was es auf jeden Fall gibt: Antisemitismus unter Muslimen. Dieser ist oft religiös begründet, aber nicht ausschließlich. Der Israel-Palästina-Konflikt dient da genauso gut als neue Legitimation als auch als Projektionsfläche.

    Wie das dann genau in Frankreich ist: Beats me.