Yoga: Eine Liebeserklärung

Foto , CC BY-SA 2.0 , by John Wisemen

Junge Großstädterin, akademisch ausgebildet, beruflich unter Volldampf, sucht Ausgleich und Erlösung in der heilen Wohlfühl-Welt Yoga, in der sich alle den Stress soweit von der Seele turnen, dass sie danach wieder schön fähig sind, sich in ihren Brotjobs knechten zu lassen, während sie doch eigentlich nur auf eine neue Fitnesswelle reinfallen – Dieses Klischee sehe ich vor mir, als ich beginne, über diesen Text nachzudenken.

„Was uns am Herzen liegt“ steht in der Unterzeile dieses Blogs – Und das ist der Grund, warum ich diesen Text trotz meiner Klischee-Angst schreibe. Denn Yoga liegt mir am Herzen.

Damit meine ich nicht die Interpretation von Yoga, die das Ganze als sportliche Ertüchtigung, bei der das hippe Studio, die Funktionskleidung, rutschfeste Matten oder immer neue Workshops, Trainer und Ausführungsarten wichtig sind, denn wer will die Erleuchtung schon dem Zufall überlassen?

Das Yoga, worum es mir gehen soll, ist anders.

Das Yoga, das ich kennen und lieben gelernt habe und über das ich heute schreibe, schließt niemanden aufgrund seines Körpers, Einkommens oder Alters aus. Es führt dich an deine Grenze, ohne dich vorzuführen. Es macht gelassen. In einer Welt, in der du dank der neuesten Social Media-Updates deiner Freunde und Freundinnen permanent im Wettstreit um Aufmerksamkeit stehst, lehrt es dich, dass du dich auf dieses Rattenrennen nicht einlassen musst. Es bringt dich zu dir und nimmt damit ganz schön viel negative Aufregung aus deinem Alltag.

Der Schulsport lag falsch

So ernsthaft und spirituell wie dieses Statement klingt, ist mein Verhältnis zum Yoga gar nicht. Das habe ich mit vielen Menschen außerhalb Indiens, wo Yoga vor Tausenden Jahren entstand und praktiziert wurde, gemeinsam. Viele Autorinnen und Autoren kritisieren die Verkürzung der Gesamtheit von Yoga auf die Asanas, Körperhaltungen, welche uns eigentlich nur auf die weiteren Stufen des Yoga wie Meditation vorbereiten sollen. Yoga ist mehr als diese Körperhaltungen, aber es stimmt: In seiner Gänze praktiziere ich Yoga nicht.

Das bedeutet nicht, dass ich in Yoga nicht mehr sehe als eine nette Art von Fitness. Obwohl ein großer Grund, warum ich es so liebe darin besteht, dass mich Yoga endlich mit meiner vermeintlichen Unsportlichkeit aussöhnte. Im Schulsport wurde mir lange eingetrichtert, dass einige „es“ hätten und andere nicht. Mit „es“ war die Fähigkeit, weit zu springen oder schnell zu laufen gemeint. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass wir alle irgendein „es“ haben und genau das verschwieg mir diese erste Begegnung mit Sport. Ich brauchte lange, bis ich hinter dieses Geheimnis kam.

Ich begann mit Yoga, als ich 25 war, studierte und mir meinen Lebensunterhalt mit einem Nebenjob verdiente, in dem ich drei Tage in der Woche Zeitungsausschnitte über Energieeffizienz las und abheftete. Mein Studium lief so mittelgut. Das Entdecken der Tatsache, dass ich auch Seminare über Serien belegen konnte und dort das erste Mal auf die Großartigkeit von „The West Wing“ und „Veronica Mars“ stieß, erhellte meine Tage. Und oberflächlich betrachtet war auch alles ok: Immerhin hatte ich einen Studienplatz in Berlin bekommen und Fuß gefasst. Irgendwie würde ich mich durchbeißen.

Aber in mir sah es anders aus. Ich hatte Angst, Selbstzweifel war unzufrieden mit mir selbst. In meinem Kopf spielten drei Sätze in Dauerschleife: Ich war nicht gut genug für die Uni, nicht liebenswert genug für einen Partner und ich würde noch in 40 Jahren unglücklich Zeitungsausschnitte abheften – das war meine feste Überzeugung.

In dieser Situation überredete mich eine Freundin, mit ihr beim Unisport Yoga auszuprobieren, weil sie nicht alleine gehen wollte. Das war in der Zeit, in der Yoga das war, was die vier Frauen in „Sex and The City“ machten, wenn sie keinen Sex (oder Brunch) hatten. Das Ganze lief für die, die davon gehört hatten, unter dem Motto „Lifestyle“. Ein anderes Etikett, das Yoga anhing, war das des esoterischen Spinnerei, bei dem Leute im Kreis sitzen und „Om“ singen.

Nun, schon bei meiner ersten Yogastunde stellte sich raus, dass das „Om“-Singen und im Kreis sitzen tatsächlich zum Yoga gehören kann. Meine Freundin und ich, weder besonders erleuchtet noch ernsthaft, quittierten die für uns neue Erfahrung mit ausdauerndem Kichern. Ich danke dem Yoga-Lehrer von damals immer noch dafür, dass er uns damals nicht einfach rausgeschmissen hat. Er wartete stattdessen ab und bat uns, es wenigstens einmal zu versuchen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie die Vibration des Tons unsere Muskeln entspanne. Und statt über die Tatsache zu grinsen, dass wir anfangs ein Drittel einer Yogastunde nur mit Atmen verbrachten, sollten wir uns auf die Atemtechniken konzentrieren, die er uns erklärte. Siehe da: Unser Atem wurde ruhiger, wir wurden tatsächlich entspannter.

Lernen, was dir gut tut

Was mir an Yoga von Anfang an gefallen hat, ist, dass es verschiedene Arten gibt, mit den vermittelten Techniken wie der tiefen Atmung durch die Nase oder dem „Om“ am Anfang und Ende umzugehen. Man kann sie einfach als notwendiges Übel ansehen, das zwischen einem Selbst und dem „Sport“ steht. Man kann in ihnen aber auch Bedeutung erkennen.

Bei der Atmung war es zum Beispiel so, dass ich lernte: Yogis glauben, dass sie ihren Atem vertiefen müssen, um so aus der Zahl an Atemzügen, die sie auf der Erde haben, mehr Leben zu holen. Das klingt vielleicht versponnen, bedeutet aber im Alltag nur: Je ruhiger du deine Atmung hältst, umso kühler bleibt dein Kopf und desto entspannter bleibst du, auch wenn um dich herum alles auseinanderfällt. Sich erst mal darüber bewusst zu werden, wie die eigene Atmung ist und sie dann zu vertiefen, beruhigt die Nerven und ja, vielleicht verlängert es am Ende das Leben.

Mein Weg zum Yoga ging also über den Unisport. Ein 6-wöchiger Kurs kostete damals 16 Euro. Das bezahlt man häufig in einem Studio pro Stunde. Wie also rauskommen aus dem Vorwurf, Yoga sei nur etwas für Privilegierte mit Zeit und Geld für Selfcare?

Zunächst Mal ist Yoga nichts, was man nur machen kann, wenn man in der teuersten Hose in irgendwelchen Studios in der Stadtmitte steht und vor Lehrerinnen und Lehrern turnt, die die Kostspieligkeit ihrer Ausbildung in Stundenpreisen weitergeben.

Eine meiner Unisport-Yogalehrerinnen gab im Sommer Gratis-Stunden in Berliner Parks. Manche Yoga-Kurse, zu denen ich ging, basierten auf Spenden. Du kannst sie manchmal in Buddhistischen Zentren wie diesem finden. Und dann gibt es zum Glück das Internet, Ursache aber manchmal eben auch Lösung vieler Probleme. YouTube-Yogaköniginnen wie Sadie Nardini brachten mir Yoga in meinen Tag, wenn ich für den Unisport kein Geld hatte.

Viele YouTube-Videos zum Thema sind gar nicht schlecht.

Eine ganz okaye Anfänger-Lektion findest Du hier . Dieses Buch samt DVD habe ich in meiner Anfangszeit viel verwendet (damals noch mit CD statt DVD) und fand es nützlich.

Wichtig ist, dass Du möglichst einen „real life“-Kurs bis zum Ende gemacht hast und weißt, wie weit du in bestimmten Positionen gehen kannst, um deinem Körper nicht zu schaden. Um das auch ohne viel Kohle bewerkstelligen zu können, gibt es Yogakurse an Volkshochschulen, die erschwinglicher sind, als eine Zehnerkarte in Studios. In Berlin bezahlst du für 12 Kurstermine à 90 Minuten ermäßigt zum Beispiel etwas über 30 Euro – soviel kosten in einem Studio 2 Stunden. Empfehlenswert ist auch, nach kostenlosen Probestunden in Studios zu suchen und zu fragen. So hast du auch die Chance, herauszufinden, welche Art von Yoga dir am besten liegt. Denn davon gibt es viele: Hatha, Kundalini, Ashtanga und Bikram gehören derzeit zu den populärsten. Gemeinsam haben sie das Vokabular. Die Haltungen, in die du deinen Körper bringst, heißen immer Asana. Viele davon sind benannt nach Tieren wie der Schlange, der Schildkröte oder der Krähe. Das ist ebenso amüsant wie hilfreich, sich die Positionen zu merken, denn oft hat die Physiognomie des Tieres etwas mit der Haltung zu tun.

Die wichtigsten drei Punkte

Früher oder später wirst Du auf den Sonnengruß stoßen. Das ist eine Abfolge von Haltungen, die mit der Atmung verbunden werden. Hast du den Sonnengruß gelernt und etwas gefestigt, hast du schon ganz schön viel geschafft. Du kannst jetzt jeden Morgen ein bisschen Yoga in deinen Tag bringen, ohne dass du dafür einen Lehrer, eine Lehrerin oder einen Kurs brauchst. Alles, was du brauchst, sind 10 Minuten Zeit und eine Art von Unterlage – das kann eine Matte sein, aber auch ein Handtuch. Hier findest Du eine gute Anleitung

Eines der größten Missverständnisse beim Yoga ist meiner Erfahrung nach, dass Leute glauben, teure Funktionskleidung oder eine teure Yogareise seien automatisch besser, als in der ältesten Leggins der Welt auf irgendeinem Stück Teppich in einem Zimmer aus dem Gedächtnis ein paar Asanas nachzumachen.

Wichtig sind aber im Grunde nur folgende Punkte:

  1. Hör auf deinen Körper und respektiere seine Grenzen.
  2. Lass dich darauf ein, etwas zu machen, das von außen vielleicht komisch aussieht.
  3. Wenn Du einen Kurs machst, achte darauf, dass Atmung und Meditation Teil einer Yogastunde sind.

Bei dem Yoga, das ich lieben gelernt habe, geht es nicht mehr darum, was du hast oder was du kannst. Es geht darum, im Moment präsent zu sein, dich einer Übung zu widmen und dir auf diese Art etwas Gutes zu tun. In diesem Sinn ist die Zeit und die Aufmerksamkeit, die du dir gibst, der größte Luxus, den Yoga bedeutet.

Für mich bedeutete das einen Weg, der mir half, mich anzunehmen, wie ich bin. Selbstliebe ist in einer Zeit, in der uns Magazin-Cover und Werbeplakate erzählen, dass wir nur wertvoll sind, wenn unser Körper einer bestimmten Norm entspricht, ein fast revolutionärer Akt.

In diesem Sinn ist Yoga eigentlich das Gegenteil von Lifestyle, weil es dich ziemlich autonom von Moden und der Meinung anderer über dich macht. Yoga schenkt dir Unabhängigkeit, denn es gibt dir Übungen, die dich physisch und psychisch in die Balance bringen und die du überall und in jeder Klamotte machen kannst. Mit welchen Falten, welchem Speck, welchem Einkommen und welcher Unbeweglichkeit du auch herangehst: Auf der Matte sind alle gleich.

2 Antworten zu “Yoga: Eine Liebeserklärung”

  1. CarmenHi sagt:

    Juliane, wie recht Du hast. Danke für diese Liebeserklärung an Yoga. Dem schließe ich mich an. Wichtig ist tatsächlich, nicht alleine zuhause mit einer DVD loszulegen. Die Verletzungsgefahr ist einfach zu groß. Mein Einstieg war in den 90er Jahren, im Übrigen auch an der Uni. Jetzt übe ich fast täglich morgens ein paar Stunden, gepaart mit regelmäßigen Besuchen in einem Studio. Und das nicht in Lifestyle Klamotten. Keinen interessiert es, was ich oder die Anderen anhaben oder wie wir bei den Asanas aussehen. Namaste!

  2. Katharina sagt:

    Ein sehr schöner Text.

    Vor allem die Geschichte mit dem „es“ kommt mir ungemein bekannt vor. Dass ich erst mit Anfang 20 allein herausfinden musste, dass Sport mich glücklich macht, weil mein Lehrer mir mit einer traurigen Hartnäckigkeit eingeredet hat, dass ich unsportlich bin, finde ich bis heute bitter.