„She’s a marshmallow“ – Über die Serie „Veronica Mars“

Foto , CC BY-NC 2.0 , by the_ml

Vor kurzem sorgte mal wieder ein Kickstarter-Projekt für Wirbel: Innerhalb weniger Tage schaffte es Drehbuchautor und Serienmacher Rob Thomas, 2 Millionen Dollar für die Film-Fortsetzung einer TV-Serie zu sammeln, die es zu ihrer Zeit auf nur drei Staffeln brachte. Mittlerweile hat das Projekt alle Spendenrekorde gebrochen. Und das ist kein Wunder: „Veronica Mars“ bietet bestes Serienfutter und entsprechende Begeisterung.

Wir sind in Neptune, Kalifornien. Eine (fiktive) Stadt ohne Mittelschicht, in der man entweder reich ist oder für die Reichen arbeitet – das lernen wir gleich als Erstes von unserer Serienheldin selbst, als sie bei ihrer Highschool vorfährt. Diese Heldin ist die titelgebende Veronica Mars (gespielt von Kristen Bell), sie ist Schülerin eben jener Neptune High und stellt sich zugleich mit ihrem nicht ganz so gewöhnlichen Nebenjob als Privatdetektivin vor.

Offiziell hilft sie ihrem Vater, Keith Mars (Enrico Colantoni), in dessen Detektei als Assistentin aus, doch Veronicas Talente gehen weit über Termintelefonate und Dokumentenablage hinaus. Sie wird zum Protegé ihres Vaters und unterstützt die Familienkasse mit ihren investigativen Fähigkeiten, indem sie vor allem wohlhabende ehebrechende Männer auf frischer Tat ertappt, in Fotoform festhält und damit den jeweiligen Ehefrauen eine Handhabe im künftigen Scheidungsprozess gibt.

Doch nicht nur auf ihren Job bezogen, ist Veronica eine Grenzgängerin, sondern auch was ihren Status innerhalb der Schule angeht. Ihr Vater war zwar nie wohlhabend, hatte aber mal den Posten des Sheriffs der Stadt inne und damit übertrug sich seine Reputation auch auf Veronica. So hatte sie einst alles, was man sich als Highschool-Schülerin vermeintlich wünschen kann: eine beste Freundin, eine Liebesbeziehung, gute Noten und keine Sorgen, nicht im Kreis der Cool Rich Kids aufgenommen zu werden.

A long time ago, we used to be friends…

Das alles ändert sich – abgesehen vielleicht von den Noten – jedoch nach einem spektakulären Mordfall schlagartig, als Keith Mars seinen Sheriff-Job verliert und Veronica plötzlich in der Highschool lebensbestimmenden Beliebtheitsskala ganz nach unten purzelt. Von dort blickt sie nun sehnsüchtig, aber auch einigermaßen ernüchtert auf das zurück, was sie einmal hatte. Das ist auch der Punkt, an dem wir Veronica kennenlernen und an dem uns das Intro der Serie verrät: „A long time ago, we used to be friends…“



Jetzt hängt Veronica mit wenigen, aber dafür nerdigen Freundinnen und Freunden rum, kommentiert sarkastisch den schönen Schein der Oberschicht und versucht weiter, Licht ins Dunkel des Mordfalls zu bringen, der ihren Vater den Job kostete. Wir folgen dabei stets im Stil des Whodunit ihrer Perspektive und Spürnase, die natürlich zwischendurch auch mal auf falsche Fährten gelockt wird, sich aber doch kontinuierlich zur Lösung des Falls vorarbeitet, welche dann in einem dramatischen Finale kulminiert.

Veronica ist herrlich smart, schlagfertig, innovativ, witzig und ambitioniert, aber auch einfühlsam und verletzlich. Sie ist keine Über-Frau und dabei erst recht jemand, zu der sich aufblicken lässt. Sie sucht Gerechtigkeit und Ehrlichkeit in einer Welt, die ihr dies mehr als schwer macht. In diesem Punkt ließ sich Serienschreiber Rob Thomas sehr vom Genre des Film Noir inspirieren.

Und dennoch driftet „Veronica Mars“ dadurch nicht in eine künstlich inszenierte Krimiwelt ab, sondern bettet die Kriminalfälle vielmehr in einen authentischen Alltag ein. Hier werden neben klassischeren Teenie-Themen wie Herzschmerz und Dating auch Themen wie Sexismus, Rassismus, Klassendenken, Transidentität oder Rape Culture behandelt, ohne vorgeführt zu werden oder die Zuschauerin bzw. den Zuschauer mit dem erhobenen Zeigefinger drauf zu stoßen.

„Buffy“ trifft „Twin Peaks“

2006 wurde „Veronica Mars“ im deutschen Fernsehen beim ZDF auf einem Nachmittagsplatz geradezu versendet, da auf diesem wohl kaum jemand eine solch schlaue Serie vermutet hätte, die nicht ausschließlich Teens als Zielgruppe hat. So blieb „Veronica Mars“ hierzulande erst mal ein Geheimtipp unter Seriennerds – besonders unter denen, die sich auch schon in Sunnydale bei der Scooby Gang wohl fühlten (Fun Fact: Buffy-Schöpfer Joss Whedon ist auch großer Fan der Serie).

„Veronica Mars“ hat mit „Buffy – The Vampire Slayer“ aber nicht nur die Highschool als Ort des Geschehens gemein, sondern auch die zu bändigenden Dämonen. Diese sind hier allerdings äußerst menschlicher Natur und obwohl sie sich tough gibt, leidet Veronica sichtlich darunter, dass sie unter all den Lügen und Enttäuschungen oft nicht mehr erkennen kann, wem überhaupt noch zu trauen ist. Insofern trifft „Buffy“ hier auch auf „Twin Peaks“, da es trotz sehr viel Sonnenschein in Neptune, Kalifornien ebenfalls viele düstere Geheimnisse hinter menschlichen Fassaden zu enthüllen gilt. Rob Thomas bedient sich hier eines ähnlichen erzählerischen Twists wie Joss Whedon bei „Buffy“, indem er die realen Probleme von Teenagern und der Gesellschaft, in der sie leben, über die Konventionen und Elemente eines klassischen Genres erzählt – in einem Fall ist es das Horror- und Vampirfilm-Genre, bei „Veronica Mars“ die Detektivgeschichte bzw. der Film Noir.

Veronicas Fälle sind so meistens eins: Spannendes Serienfutter und trotzdem realistisch. Damals (im Jahr 2004) war zwar noch nicht das Smartphone-Zeitalter ausgebrochen, doch Technik spielt eine große Rolle in den Recherchen Veronicas und bei den Waffen, die sie wählt, um die Wahrheit herauszufinden. Dabei werden Vorteile genauso wie Risiken thematisiert und trotzdem nie als versteckte Lektion verkauft. Wenn zum Beispiel ein gekränkter Mitschüler sich an seiner Ex-Freundin rächen möchte, weil sie sich von ihm trennte und er daraufhin damit droht, private Videos zu veröffentlichen, um sie in der Schule zur Schlampe abzustempeln, fragt Veronica nicht, weshalb sie diese Aufnahmen überhaupt zugelassen hat, sondern hilft, um ihre Reputation zu schützen. Das Thema Rufschädigung ist ohnehin ein ständiger Begleiter Veronicas, die natürlich auch selbst Opfer solcher Attacken wird und sich dabei wahrlich durch einiges durchzubeißen hat. Für die reichen Kids ist die Highschool nur das Sprungbrett zur nächsten, weichgebetteten Existenz – alle anderen müssen sich durchkämpfen und Veronica entwickelt aufgrund ihrer beruflichen Expertise ganze eigene Taktiken dafür.

Die 3. Staffel

So hoch die 1. und 2. Staffel das Fanherz schlagen lassen, lässt die 3. in dieser Qualität leider nach. Das liegt zum einen an den Drehbüchern. Denn während das Erzählrezept in der 1. und 2. Staffel noch hieß, einen großen Fall über die Gesamtheit einer Staffel aufzuklären und pro Folge jeweils einen „kleinen“ Fall zu lösen, wollte man (lies: der Fernsehsender The CW) in der 3. Staffel auch Zuschauerinnen und Zuschauer bei der Stange halten, die weniger Ausdauer beweisen. Dies führte leider dazu, dass die Staffel nun eher zusammengewürfelt und überladen wirkt, da große Fälle nicht mehr auf die gesamte Staffel, sondern einige wenige Episoden gestaucht wurden – natürlich ohne die kleinen Fälle wegzulassen. Zwischendurch fragt man sich jedenfalls, wie Veronica dieses Pensum als Erstsemesterstudentin – sie hat die Schule mittlerweile abgeschlossen und geht aufs College – überhaupt schafft.

Ansonsten fallen bei der 3. Staffel leider auch die als Straw Feminists angelegten Figuren unangenehm auf. Hierbei handelt es sich um feministische Aktivistinnen an Veronicas Uni, die in ihrem Wunsch nach einem sicheren Campus extrem aggressiv vorgehen und das furchtbare Klischee der männerhassenden Feministinnen bedienen, damit sich unsere Heldin Veronica auch ja nicht offiziell mit dem Thema Feminismus identifizieren kann, obwohl sie dessen Grundprinzipien selbst bestens verkörpert und vertritt. Mit diesem eher hässlichen Stilmittel hat sich auch Anita Sarkeesian von „Feminist Frequency“ auseinandergesetzt und sich dabei ebenfalls auf „Veronica Mars“ als Beispiel bezogen (Spoilerwarunung für die Minuten 07:33-07:46).

Weiterer Beigeschmack: Da die Serie abgesetzt wurde, gibt es leider auch keinen Abschluss der Geschichte um Veronica, sondern nur ein traurig offenes Ende.

Veronica Mars – The Movie

Der Wunsch der Fans nach einem Film, der alle Storystränge abschließend erzählt, ist also mehr als verständlich – schließlich gibt es mit Joss Whedons „Firefly“ auch ein Serienbeispiel vorzuweisen, wo das ganz gut klappte. Leider ließ sich Warner Bros. nicht von der Idee, geschweige denn der Finanzierung, überzeugen und so lag diese erst mal in der Schublade von Rob Thomas, obwohl Hauptdarstellerin Kristen Bell definitiv an Bord war.

Am 13. März 2013, also gut 7 Jahre nachdem Veronica Mars vom Fernsehbildschirm verschwand, griffen Veronica-Mars-Erfinder Rob Thomas und sein Seriencast nun zu einem Mittel, das einigermaßen Aufsehen erregte und sich, nicht nur unter Fans, gerade in sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer verbreitete. Sie riefen in einer Kickstarter-Kampagne dazu auf, $2.000 000 für einen Veronica-Mars-Film zu sammeln und das Projekt somit über Crowdfunding zu stemmen:

Zugegeben, der Clip ist natürlich noch lustiger, wenn man bereits Fan ist, aber davon gibt es offenbar mehr als genug, denn das Projekt ist mittlerweile finanziert und mit einem Endergebnis von $5.702 153 auch weit über das eigentliche Ziel. Es ist damit derzeit das Kickstarter-Projekt, das am schnellsten die $1-Million sowie $2-Millionen-Marke knackte, das am höchsten finanzierte Projekt in der Kategorie Film und hatte mehr Unterstützerinnen und Unterstützer als jedes andere Kickstarter-Projekt zuvor.

Fans wollten diesen Film und sie haben ihn auch erst möglich gemacht. Die Dreharbeiten sollen noch im Sommer 2013 beginnen und der Film soll 2014 erscheinen. Regisseur Rob Thomas sagte im Interview mit „Wired“ (Spoilerwarnung, weil darin auch der Plot der 3. Staffel sowie möglicher Filmplot angesprochen werden), dass der Film auf keine andere Weise hätte entstehen können und wie man am aktuellen Beispiel von Zach Braff sehen kann, inspirierte dieser Schritt auch andere, sich auf diesem Finanzierungspfad auszuprobieren und große Studios zu umgehen.

Hier im Hause kleinerdrei sind wir auf jeden Fall sehr gespannt auf den Film – in der Hoffnung, dass er wieder zum innovativen, vielschichtigen Erzählstil der ersten zwei Staffeln zurück findet.

4 Antworten zu “„She’s a marshmallow“ – Über die Serie „Veronica Mars“”

  1. Sven sagt:

    Veronica Mars war eine meiner absoluten Lieblingsserien damals, ich freue mich schon darauf den Film zu sehen und zwar im Kino Standesgemäß mit meinem Kickstarter T-Shirt :D

  2. Wenn Rob Thomas sagt, dass diese Aktion auch andere inspirieren könnte, „sich auf diesem Finanzierungspfad auszuprobieren und große Studios zu umgehen“ vergisst er leider, dass das auch umgekehrt funktionieren kann und wird. Wenn die großen Studios realisieren, dass es möglich ist, sich Sequels und Umsetzungen von Romanen, Comics, TV-Serien usw. von den Fans finanzieren zu lassen, werden sie mit ihrem ganzen PR-Knowhow bei Kickstarter einbrechen oder entsprechende eigene Portale aufziehen. Kleine, unabhängige Produktionen, die sich via Crowdfunding finanzieren wollen, werden es ungleich schwerer haben, Gehör zu finden, wenn die Hollywood-Dinos mit an den Start gehen.

  3. […] Also: Vorher die Serie anschauen und dann erst ins Kino gehen. Und die Serie sollte sowieso jeder anschauen, die ist einfach ganz besonders gut. […]

  4. Bearnerdette sagt:

    Ich liebe Veronica Mars! Auch wenn ich ebenfalls der Ansicht bin, dass die dritte Staffel große Schwächen hat. Dennoch werde ich nicht müde, all meinen Freunden die Serie zu empfehlen und ich habe auch schon einige von ihnen in Marshmallows verwandelt. :)

    lg
    Bearnerdette
    http://www.bearnerdette.de/