Vier Wochen einsame Insel – Zwischen Küsschen und Kriegsfuß (4/4)

CC BY-NC-SA 2.0 , by Anika Lindtner

Heute brauche ich einen Alleintag. Das merke ich daran, dass ich M. schon morgens anpöble, warum denn der Tee noch nicht fertig ist. Solche Anzeichen gibt es alle paar Tage und wir haben es bisher gut geschafft, nur knapp am Pärchenkoller vorbeizuschrammen, indem wir für ein paar Stunden getrennte Wege gehen und auch eine_r mal im Gästezimmer übernachtet.

Denn so nah wie jetzt waren wir uns noch nie – 24 Stunden miteinander und nebeneinander leben, Mahlzeiten absprechen, Aufgaben verteilen, Bedürfnisse ansprechen oder auch mal zu spät bemerken, das ist nicht zu unterschätzen.

Da sind Sticheleien oder Meckern eigentlich vorprogrammiert. Vor allem, weil wir beide normalerweise auch Zeit allein und allein mit Freunden verbringen. Diese 24/7- Beziehung ist also ziemlich neu für uns und daher bin froh, dass wir uns schon vor der Reise  Alleinzeit verordnet haben und dass keine_r von uns beleidigt ist, wenn wir das auch einfordern.

Bei mir macht sich das dann bemerkbar, indem meine Stimmung fällt. In Berlin hätte ich in der U-Bahn alle böse angestarrt und zurückgerempelt. Hier auf unserer Insel ist M. allein mit mir. Also wieder mal Zeit zum Alleinsein, bevor er meine Pöbelei nicht mehr lustig findet.

Küsschen statt Kriegsfuß

An unseren Alleinzeittagen ist M. oft vier bis fünf Stunden durch die Wildnis gestapft und ich hab es mir im Haus gemütlich gemacht oder bin an den Strand gefahren. Bei Dämmerung haben wir uns dann immer ausgeglichen wiedergetroffen. Küsschen statt Kriegsfuß.

Heute gehen wir wortwörtlich getrennte Wege. Wandern. Ich habe gemerkt, dass mir stricken, Marshmallows rösten, Brot backen oder Zeichnen nicht ausreichen. Heute muss ich mich bewegen und auch ein bisschen stapfen. Also los gehts. Die Sonne scheint.

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Seit Anfang unserer Reise haben wir so unverschämtes Wetterglück: Sonne und milde Temperaturen statt Sturm und Regenwolken. Das ging sogar so weit, dass M. an einem Tag, der zur Abwechslung mal stürmisch und dunkel anfing, schimpfend nach einer Stunde wiedergekommen ist: “Kaum bin ich draußen, scheint doch tatsächlich die Sonne wieder und der Wind hat sich gelegt! Ich wollte doch so schön dramatische Sturmfotos machen.” beschwert er sich. “Scheißwetter, echt!”.

Jetzt bin ich froh, dass die Sonne scheint. Das hilft gegen dunkles Gemüt. Während ich den Pfad entlangwandere, gucken mich rechts und links Schafe an. So als hätte jemand Wattebäuschchen über die Landschaft verteilt. So flauschig sehen sie aus, dass ich davon träume, mir eins zu schnappen und mich hineinzukuscheln.

PLATSCH! Für jede Träumerei wird man hier schnell bestraft. Mit einem lauten SCHMATZ ziehe ich einen begummistiefelten Fuß aus einem Schlammloch, welches ihn nur unwillig wieder hergibt. Die Wiesen und Pfade sind voller Wasser und so gern ich in Pfützen springe, so unberechenbar tief sind hier teilweise die “Pfützen”. Ich stand auch schonmal bis zum Knie im Wasser. Ich versuche also, beim Nachdenken den Blick auf den Boden zu halten und gehe weiter.

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Der Musikleiter und der Geigenbauer

Mensch, jetzt bin ich schon seit über zwei Wochen hier. Bergfest hatten wir also schon – mit Bier und Baileys wurde angestoßen. Ich schwanke zwischen boa, noch soo viel Zeit haben wir vor uns und ach du meine Nase, das ist ja alles schon wieder bald vorbei. Wir haben uns ein bisschen eingelebt und in die Menschen hier verliebt. So einsam ist die Insel nämlich gar nicht. Ein paar BewohnerInnen gibt es auf Mull schon, etwa 3000 (im Vergleich: im Berliner Stadtteil Friedrichshain tummeln sich rund 263.526 Menschen). Und die BevölkerInnen sind ohne Ausnahme so hilfsbereit und freundlich, dass es mich als Berlinerin erst schockiert und dann verzückt hat.

Eine meiner Lieblingserinnerungen ist, wie ich mir in den ersten Tagen in den Kopf gesetzt habe, eine Geige aufzutreiben. Ich vermisste das Spielen so sehr und meinte, ich werde erst wieder glücklich, wenn ich eine Geige in der Hand halte. Eine etwas schwierige Aufgabe natürlich auf einer Insel, auf der es in dem größten Ort zwar ein Rettungsbootladen gibt, aber sonst nicht viel anderes. Also hab ich rumgefragt. Ich bin vom Dorfladen zur Kneipe zum lokalen Kunstverein gekommen wurde dort dem Musikleiter vorgestellt, der ganz genauso aussah, wie ich mir einen Musikleiter auf einer Insel vorgestellt habe (ein bisschen wie Rufus Beck). Der schüttelte den Kopf, nein, er hätte keine Geige da. Aber er rufe doch Duncan mal kurz an, der sei morgen zufällig in der Stadt, um seine Frau zum Tee auszufüren.

Einen Tag später hat mir ein etwa 80jährger sehr herzlicher Duncan die Hände geschüttelt und mir eine Geige überreicht. Er habe einige als Hobby selbstgebaut, erklärt er und ich könne sie gern für meinen Urlaub haben. Aber nix da, kein Geld, er will dafür nichts, sagt er vehement. Ich seie doch glücklich, dass ich die Geige habe und die Geige sei auch glücklich, dass sie jemand wieder spiele, meint er und verabschiedet sich zum Teetrinken mit seiner Frau.

Jane Austen trifft Harry Potter

Vor so viel Hilfsbereitschaft, Vertrauen und Freundlichkeit ist mir tatsächlich ein Tränchen in die Augen gestiegen und die ganze Stunde danach hab ich immer wieder “Eine Geige” gemurmelt. Ich muss jetzt immer noch ungläubig grinsen. Großartig, diese Inselmenschen, denke ich und blinzele in den Himmel. Wolken bauen Türmchen. Vor mir schlängeln sich verwunschene Pfade wie im Märchen.

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Die Landschaft ist so unglaublich Jane-Austen-trifft-Harrry-Potter-mäßig, dass ich immer wieder Fotos machen muss. So arbeite ich mich langsam an der Küste voran, fühle, wie sich ein kleiner Freudeballon in meinem Bauch aufpustet. Draußen sein, Klippen sehen, glitzerndes Meer und Sonne auf der Nase haben. Die Welt ist großartig…PLATSCH! Und wieder hat eine Pfütze meinen Stiefel halb aufgefressen.

Am Ende des Tages treffen M. und ich verschwitzt und glücklich kurz nacheinander bei unserem Häuschen. Ich kann wieder küssen ohne zu grummeln und fühle mich zuhause, als ich das Feuerholz zum Kamin schleppe, auf unsere Bucht schaue und himmlische Düfte aus der Küche erschnuppere.

Irgendwie bin ich irgendwann zwischendurch angekommen, im Urlaub.

Und da bleibe ich jetzt auch noch ein bisschen und sage: Ahoj, liebe Landratten! Hiermit verabschiede ich mich in die letzten Tage des Urlaubsmärchens.

Happy End.


was vorher geschah:

Vier Wochen einsame Insel – Gummistiefel statt Bikini (1/4)
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Vier Wochen einsame Insel – Zwischen Küsschen und Kriegsfuß (4/4)

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