Vier Wochen einsame Insel – Bauchtiere und Delfintattoos (3/4)
“Delfine sind gar nicht so nett. Die töten halt auch mal gern einen Schweinswal aus Langeweile. Die sind die Top-Raubtiere des Meeres hier.” Ich höre Conor gespannt zu. Wenn dieses Wissen erstmal im Mainstream gelandet ist – was machen dann all die Menschen mit Delfin-Fußgelenktattoos denke ich und muss grinsen. “Vielleicht gibt es irgendwann Kinder, die ängstlich aus dem Meer gerannt kommen und kreischen EIN DELFIN, EIN DELFIN!! HILFE MAAAAAMMIII!” scherzt Conor und lacht unter seinem roten Bart.
Er ist Meeresbiologe und arbeitet bei einer NGO in Tobermory, die sich um Wale und Delfine kümmert. Ich sitze bei einem Kaffee mit ihm in der gemütlichen Stadtbäckerei und das Aufnahmegerät läuft mit. Immer wieder bin ich fasziniert von Menschen und ihrem Arbeitsalltag, der unterschiedlicher zu meinem kaum sein könnte. “Was vermisst du denn so auf der Insel?” frage ich Conor und beiße in meinen fluffigen Rosinen-Scone.
Das Bauchtier knurrt: jetzt machn wa erstma nüscht mehr
Vor dem Treffen hatte ich allerdings so große Bauchschmerzen wie vor einem Konferenzauftritt. Obwohl ich das Interview selbst angeleiert und mich sehr gefreut hatte, gibt es irgendwas in mir, das sich bei der kleinsten Verpflichtung hier knurrend in meinem Bauch bewegt und mir Alpträume beschert. Sogar ans Absagen hatte ich gedacht. Dieses seltsame Gefühl beobachte ich schon seit einigen Tagen. Sobald der kleinste Termin oder eine Verpflichtung ansteht, reagiere ich mit extremer Ablehnung darauf. Wie, als wenn ich das Jahr über zu viele Termine wahrgenommen hätte und das Bauchtier entschieden hatte – ab jetze machn wa erstma nüscht mehr. Dabei war das Interview eine der besten Ideen, die ich hier hatte und noch Tage später erinnere ich mich gern dran. Nicht nur, aber auch weil ich selbst ein bisschen erzählen konnte, war das eine schöne Abwechslung nebst all der Entspannung, die ich hier veranstalte. Ich frage mich, warum mein Bauchtier auch schöne Sachen vorher jetzt so ablehnt.
Da M. und ich in einem Haus wohnen und nicht rumtouren, sind wir hier ziemlich sesshaft und es bildet sich ein kleiner Alltag heraus. Dinge, die man immer wieder macht – Brot backen, Feuerholz holen, ins Internet gehen (sic!), Mittag und Abendessen vorbereiten, Sterne gucken, morgens mit großen Augen in die bunte Natur blicken. So strukturieren sich die Tage und vorgestern bin ich dann an den Punkt gekommen, als ich auf all das keine Lust hatte. Der Schal war fertig gestrickt, gezeichnet hatte ich auch schon, Tagebuch geschrieben, mit meinem neuen Fernglas die Schiffe und Möwen beobachtet und einige Folgen Parenthood geschaut. Aufs Lesen hatte ich keine Lust und aufs Rausgehen auch nicht. Obwohl die Sonne mal wieder so unverschämt schien und die rosa Wolken am Himmel Walzer tanzten.
Was ist, wenn man alle Beschäftigungs-Optionen aufgebraucht oder auf sie keine Lust hat? Hier gibt es genau drei oder vier, inklusive mit dem Auto eine halbe Stunde zum Dorfladen fahren. Das war’s. Ich muss mich mit dem Nichtstun, in das ich hier unweigerlich geschubst werde, irgendwie anfreunden. Nur – so einfach ist das nicht. Denn man hat ja im Urlaub nicht plötzlich Urlaub von sich selbst. Im Gegenteil. So inmitten all der Stille und Sternenfunkelei kommt genau das zum Vorschein, was im gestressten Stadtalltag unbeobachtet passiert und ich mir angewöhne. Muster und Spiralen im Kopf, die automatisch ablaufen, Gedanken und Ideale, Vorbehalte und Hürden.
Zeit verschwenden ohne Stimmchen
Ich mag das eigentlich nicht zuzugeben, aber ich kann irgendwie nicht einfach auf der Couch rumliegen und das schön finden. Ich höre in meinem Kopf immer ein kleines nagendes Stimmchen das sagt, komm komm, du solltest jetzt echt rausgehen. Guck mal die Sonne scheint so schön, da wärste doch schön blöd, wenn du das jetzt nicht ergreifst. Denk an all die anderen, die jetzt arbeiten müssen statt Urlaub genießen. Und dann aber das Bauchtier, was maulig antwortet ick muss ja nüscht und will nüscht und überhaupt. So wie vor dem Interview.
Ich fasse es nicht, dass ich mir hier negative Gedanken mache. So schön hatte ich mir diese Kolumne vorgestellt, wie ich von großartigen Wanderungen und lebensverändernden Tierbeobachtungen berichten kann. Zen-Meditation zum Lesen. Natürlich geht es mir hier unglaublich gut und ich würde mich nirgendwo anders hinwünschen. Ich liebe das Himmelspektakel jeden Tag, die Möglichkeit, eine halbe Stunde zu wandern und die schönste Aussicht meines Lebens zu haben. Ich liebe auch die ganzen Tiere, die ich hier beobachten kann.
Immer guckt ein Schaf zurück
Trotzdem grüble ich darüber nach, ob ich jetzt einfach drin bleiben kann, trotz schönen Wetters und warum ich darüber nachgrübeln muss und nicht einfach das machen kann, was mir gefällt. Was gefällt mir überhaupt? Wann soll ich auf das Bauchtier hören und wann nicht?
So gepflegtes Nichts-Tun, auch wenn draußen der wunderbarste Sternenhimmel oder Sonnenuntergang winkt, will gelernt sein. Zeit verschwenden. Einfach mal einen Tag lang nur das Meer beobachten. Oder Serien gucken. Ohne schlechtes Gewissen funktioniert das immer noch nicht und ich frage mich, ob ich das überhaupt irgendwann lerne. Kann das überhaupt jemand? (Geschichten von euch dazu sehr gerne in die Kommentare!)
Während ich mich vors Haus setze und dem rupfrupfmampfmampf der Schafe lausche – ich liebe diese Flauschbällchen, egal wo ich bin und wo ich hingucke, meistens guckt ein Schaf zurück –, merke ich dass ich mit Conors Interview auf den Geschmack gekommen bin. Ich will so viele Menschen auf der Insel wie möglich interviewen, die tolle Sachen machen. Stoffe. Kekse. Käse. Vielleicht sogar eine Reihe daraus machen? Oder ein Buch? Meine Gedanken überschlagen sich freudig. Und die Enstpannung? Pah! Wer sagt denn, dass Urlaub Ruhe bedeuten muss. Oder dass ich meditativ über die wunderschönen Klippen wandern und den Sinn meines Lebens neu definieren oder zen-mäßig auf der Couch vorm Feuer sitzen können muss, ohne mir Vorwürfe zu machen. Heute red ich mit dem Bauchtier mal ein Wörtchen und füttere es zur Bestechung mit Schokolade. Das mit dem Stillsitzen – das kann ich ja dann im nächsten Urlaub noch lernen.
was vorher geschah:
Vier Wochen einsame Insel – Von Rehhasen und Schokolade (2/4)
Vier Wochen einsame Insel – Gummistiefel statt Bikini (1/4)
Ach ich kenn es so gut. Mein Bauchtierwird von meinem schlechten Gewissen immer verhauen. So das es nie das Faulenzen genießen kann, immer gibt es was zu tun und nie ist es genug mit der Arbeit.
Um das Nichtstun etwas besser zu lernen habe ich mir als Berufsanfängerin eine 4tage Woche gegönnt und das ohne Kinder oder zeitintensive Hobbys. Aber trotzdem bin ich häufig an meinem freien 5 Tag in der Arbeit oder den Gedanken dort. Oder der Haushalt schreit er will gemacht werden, weil ichs an den ersten vier Tagen nicht hinbekomme, da was zu machen.
Doch heute bleibe ich im Bett und feiere das Bauchtier und zusammen winken wir der lachenden Sonne zu :)
das ist auf jeden fall schon einmal ein toller ansatz, die viertagewoche. das faulenzen etwas einplanen sozusagen. und winkende grüße an dich und dein bauchtier <3
Die „Probleme“ nicht loslassen zu können hatte ich früher auch. Man muss es lernen. Das Alter hilft ein wenig :-) Es können nicht viele Menschen. Es lohnt sich aber.
ha! gut zu wissen. dann bin ich ja froh und freue mich aufs älter- und ruhigerwerden :)
Rosinenscones?
JETZT bin ich richtig neidisch!
<3 ja, die werd ich auch echt vermissen #nomnom