Mein Rosa

Foto , CC BY 2.0 , by Andrew Ward

Die Farben Rosa und Pink* hatten für mich schon immer eine besondere Bedeutung.

* Pink und Rosa sind natürlich nicht dieselben Farben, aber sie stehen im symbolischen Spektrum direkt nebeneinander, weshalb ich mir die Freiheit erlaube, sie hier in einem Atemzug zu nennen.

Ich färbe mir gerne die Haare. Mit 15 fing ich an: erst ein paar blonde Strähnen, dann, kurze Zeit später, den ganzen Schopf blauschwarz, denn ich war in meiner Emo-Phase und eiferte meinem Idol Brian Molko – dem Sänger der Band Placebo – nach. Es folgten viele andere Farben und bis heute ist meine Naturhaarfarbe (Straßenköterblond) ziemlich selten zu sehen. Vor einigen Monaten färbte ich mir meine Haare dann rosa. Und vor einigen Tagen traf ich eine Freundin, die mich seitdem nicht mehr gesehen hatte; sie zeigte auf meine Haare und fragte mich: „Warum eigentlich Rosa? Der Regenbogen hat doch viele Farben!“ Ich überlegte. Ja, warum eigentlich?

Polly Pocket und Piratenlego

Mein Rosa ist die Farbe der Ponys und Barbies, die ich als kleines Kind von meiner Cousine geschenkt bekam. Eine ganze Kiste voller Spielzeug, das ich großartig fand. Ich frisierte die Barbies, zog sie an und wieder aus und kämmte den Ponys den Schweif. Zu Weihnachten wünschte ich mir von meinen Eltern Polly Pocket und Piratenlego. Es gibt Fotos von mir wie ich in meinem Kinderzimmer spiele, auf dem ganzen Boden Barbies und Ponys verteilt – ich sehe darauf ziemlich glücklich aus. Jahre später schämte ich mich für diese Bilder vor Freund_innen und Familie und versteckte sie. Heute schaue ich auf sie und bin froh, dass meine Eltern mir nicht verboten hatten, mit Spielzeug zu spielen, das „für Mädchen“ gedacht war.

Es gibt in unserer heutigen Zeit wohl kaum Farben, die so symbolisch aufgeladen sind wie Rosa und Pink. Das hat verschiedene Gründe. Rosa und Pink werden heute vor allem dafür eingesetzt, verschiedenste Produkte – vom Kartoffelchip bis zum Bastelkleber – völlig unnötigerweise mit Geschlechtern zu verknüpfen. Rosa/Pink steht dabei „für Mädchen“ und Blau(töne) „für Jungen“. Was aber das Geschlecht eines Kindes mit einer Sorte Shampoo/Keksdosen/Limonade/etc. zu tun haben, ist mir völlig schleierhaft. Aber darauf kommt es gar nicht an, denn viele Unternehmen haben mittlerweile ihre Produktpalette „durchgegendert“ und die Menschen kaufen, kaufen, kaufen es und die Unternehmen freuen, freuen, freuen sich darüber. Geschlechter sind im Kapitalismus eben ein sehr großes Geschäft. Dennoch ist der pinke Druck auf Mädchen und Frauen ungleich größer als die Erwartungen und Einschränkungen von Jungen und Männern.

Pink und Blau, Ocker und Grau

Mein Rosa ist die Farbe der Dinge, die ich haben wollte, aber nicht haben durfte. Wurde ich als Kind nach meiner Lieblingsfarbe gefragt, trötete ich sofort „Rosa, Lila, Gold und Silber!“ (ich erwähnte es) Je älter ich jedoch wurde, desto mehr wurde mir bewusst, dass es sich für einen Jungen „nicht schickt“ diese Farben zu mögen. Dass es sich als Junge „nicht gehört“ mit Barbies oder Ponys zu spielen. Ich hörte auf nach diesen Dingen zu fragen und verbannte sie aus meinem Kinderzimmer. Dabei hatte mir noch nicht einmal jemand explizit verboten, mit diesen Dingen zu spielen, sondern ich tat es selbst. Die Kiste wanderte auf den Dachboden, meine Polly Pockets verkaufte ich – und bereue das bis heute zutiefst! Ich hatte die Produktmaschinerie der Geschlechter geschluckt und zensierte mich selbst. Und meine Eltern dachten, ich wäre einfach zu alt geworden, um noch mit Barbies & Co zu spielen.

Dass die Farbzuordnung Rosa/Pink gleich „für Mädchen“ und Blau gleich „für Jungen“ nicht immer so war, ist auch schon fast ein alter Hut. Noch bis in das 20. Jahrhundert hinein galt Blau als „Mädchenfarbe“, weil sie in der christlichen Tradition die Farbe der Jungfrau Maria ist. Rosa hingegen galt als „kleiner Bruder“ von Rot, der Farbe des Blutes, die mit Leidenschaft und Kampfkraft verbunden wurde und damit exklusiv Jungen vorbehalten war. Hundert Jahre später hat sich das Verhältnis genau umgekehrt. Dass sich symbolische Bedeutungen radikal verändern können, wenn sich der Diskurs ihrer Zeit verändert, vergessen wir heute gerne einmal. Aber hat es nicht gerade etwas hoffnungsvolles an sich, wenn wir uns vorstellen, dass in hundert Jahren kleine Kinder Ocker und Grau statt Pink und Blau tragen werden? Oder noch besser: Dass wir in hundert Jahren vielleicht ein bisschen schlauer sind, bestimmte Farben nicht bestimmten Geschlechtern zuordnen?

Das Gift Heteronormativität

Mein Rosa war die Farbe der Dinge, für die ich mich schämte – und damit auch meiner Homosexualität. Obwohl ich ein in der Retrospektive relativ gut verlaufenes Coming Out mit 16 hatte und viel Unterstützung von meiner Familie bekam, ging dem eine Phase voraus (und sie dauerte noch lange danach an), in der ich homosexuelle Gedanken und Gefühle verdrängte, weil ich bemerkte, dass ich sie eigentlich nicht hätte haben sollen. Ich legte sie innerlich zu dem rosa Spielzeug, das ich ebenfalls unerhörterweise begehrte. Rosa und Pink als Farben, die als weiblich gelten, mussten unweigerlich gemieden werden. Damit auch gar niemand auf die Idee kommen könnte, ich wäre nicht hetero. Damit Familie und Mitschüler_innen nicht dachten, ich sei schwul. Auch hier wurde kein explizites Verbot ausgesprochen, ich setzte die mich umgebenden Restriktionen von ganz allein um. Heteronormativität ist ein Gift, das langsam wirkt und mich zu meinem eigenen Feind machte. Heteronormativität ist ein Gift, das unseren Körper nie ganz verlässt.

Zwar mag sich die symbolische Bedeutung von Rosa und Pink über die letzten hundert Jahre neu aufgebaut haben, die Penetranz jedoch mit der immer mehr Produkte sich an eine spezifisch weibliche oder spezifisch männliche Zielgruppe richten, ist vor allem eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Maike schrieb vor einiger Zeit schon einmal darüber (und listet am Ende ihres Artikels nützliche Links zu dem Thema auf). Zu bemerken ist außerdem, dass andere Geschlechter, die sich abseits der weiblich/männlich-Dichotomie bewegen, konsequent ausgeblendet werden, denn für sie ist im Kapitalismus kein Platz. Die Kampagne „Pinkstinks“ richtet sich gegen die „Pinkifizierung“ sämtlicher Produkte für Mädchen und Frauen, verfehlt jedoch den eigentlichen Punkt einer Kritik: Es ist nicht die Farbe Pink, die das Problem ist, sondern dass wir Geschlechter nach und wie Farben sortieren. Aber andere haben schon an anderer Stelle besser aufgeschrieben, warum Pinkstinks stinkt.

Rosa Winkel, Rosa Listen

Mein Rosa ist auch die Farbe des Rosa Winkels, den homosexuelle Häftlinge in den Konzentrationslägern der Nationalsozialisten zur Erkennung tragen mussten. Unter Verschärfung des § 175 wurden bis 1945 rund 50 000 Männer ohne fairen Gerichtsprozess verurteilt, bis zu 100 000 polizeilich erfasst. Oft kamen die verurteilten Männer in „Schutzhaft“ und/oder wurden in Konzentrationsläger deportiert, wo sie Zwangsarbeit verrichten und Menschenversuche wie Zwangssterilisationen über sich ergehen lassen mussten, sie standen oft auf der Lagerhierarchie ganz unten und wurden systematisch ermordet. Mein Rosa ist deswegen auch eine Erinnerung an das Leid dieser Menschen und an das, was vielleicht auch mir in Deutschland zugestoßen wäre, wäre ich nur 70 Jahre früher in diesem Land geboren worden.

So entwickelte sich der Rosa Winkel und damit auch die Farbe Rosa im Rahmen der AIDS-Krise in den 80er Jahren zu einem Zeichen gegen die heterosexistische Gesellschaft, die durch Wegschauen und Nichthandeln abermals tausende sterben ließ. Mein Rosa ist außerdem das der Rosa Listen, die im Kaiserreich begonnen, im Nationalsozialismus ausgebaut und im Nachkriegsdeutschland weiterhin geführt und benutzt wurden und noch 2005 musste sich die Polizei Bayerns (und noch anderer Bundesländer) dafür rechtfertigen, warum sie solche Listen mit einem neuen Computerprogramm möglich machte. Und der § 175 wiederum blieb in der von den Nationalsozialisten verschärften Form in der Bundesrepublik bis 1969 bestehen, es folgte 1974 eine zweite Reform, bis der Paragraph 1994 schließlich abgeschafft wurde (die DDR kehrte zunächst zur alten Fassung des Paragraphs zurück und wandelte diesen 1969 um, bis sie ihn 1988 komplett abschaffte). Das ist gerade mal 20 Jahre her und diejenigen, die unter diesem Paragraphen verurteilt worden sind, gelten noch immer als Straftäter – CDU und CSU sperren sich gegen eine Rehabilitierung. Da soll mir nochmal jemand sagen „hier bei uns“ ginge es den Schwulen und Lesben doch so gut, andere Länder seien da doch sehr viel rückschrittlicher. Wie können wir nur so geschichtsvergessen sein?

Das alles schoss mir irgendwie durch den Kopf, als ich gefragt wurde, warum ich mir die Haare rosa gefärbt habe. Rosa als Farbe hilft dabei, mir wieder die Dinge anzueignen, die mir so lange verwehrt geblieben sind. Andere haben da andere Mechanismen und wieder andere mögen Rosa überhaupt nicht – und das ist völlig okay so. Ich weiß immerhin jetzt: Mein Rosa stinkt nicht und steht mir sehr gut. Der Regenbogen mag zwar noch viele andere Farben haben, aber mein Regenbogen ist rosa. Denn mein Rosa ist nicht nur Farbe, sondern auch Widerstand.

2 Antworten zu “Mein Rosa”

  1. Biki sagt:

    Danke für diesen Text! Und besonders schön sind die Blüten. Hach :-)
    Diese Selbstzensur ist wirklich Gift.

    Ich bin ein Blau-Mädchen. Schon immer. Puppen wurden nur benutzt, um sie auf der LKW-Ladefläche zu vergraben. Später hab ich das mit dem „Mädchen-Sein“ ausprobiert. Mit Schminke und schick machen und so. Viel entspannter lebt es sich ohne das, nun bleibt es bei Jeans und Hemd. Unmädchenhafte Frauen sind aber auch nicht so einer Diskriminierung ausgesetzt.

    Rosa finde ich an mir furchtbar. Bin mir sicher: dir steht es super :-)

  2. Giliell sagt:

    Ach, rosa.
    Ich will ja nicht sagen ich hätte meinen Frieden mit der Farbe geschlossen, eher so eine Art Waffenstillstand. Und es geht ja auch nicht um die Farbe an sich. Ich besitze sogar das ein oder andere Stück in knallig pink.

    Wie im Text schon erwähnt, es geht um das Kennzeichnen und Zuordnen von einzelnen Dingen zu Mädchen und Jungs und never the twain shall meet.
    Ich bin ja zu einer Zeit aufgewachsen, als Kleider, Legos und Bobbycars noch für Kinder gemacht wurden, eine Kategorie, die es heute ja gar nicht mehr gibt. Irgendwann wurde die Welt dann zunehmend farbenarm. Als ich selbst schwanger wurde war es schon reichlich schwer neutrale Sachen für Kinderzimmer und Babyausstattung zu finden. Nicht nur, dass ich die Pinkifizierung nicht mag, auch war mehr als 1 Kind geplant und es ist irgendwie schon doof, wenn man alles nochmal kaufen muss, weil natürlich dem Jungen irgendwas abfallen würde wenn er im rosa Kinderwagen ankommt.

    Dennoch häuften sich die rosa Sachen. Das lag nicht nur daran, dass alle Welt dachte dass ein rosa Strampler mit Kätzchen so originell wäre, nein, es lag auch daran, dass es ja gar keine Alternativen zu eindeutig Mädchenkleidung und eindeutig Jungenkleidung gibt.
    Dennoch habe ich gemixt, was mir böse Blicke und Unverschämtheiten seitens meiner Umwelt einbrachte und mich die Frabe rosa hassen lies. Das ging auch solange gut, bis meine Große in den KiGa kam. War vorher noch ich das große Vorbild und blau die Lieblingsfarbe fiel sie plötzlich damit auf und alles musste pink werden. Im besten Fall noch lila oder gelb. Ja kein blau mehr!
    Und wie der Waffenstillstand?
    Ich hab nicht aufgegeben. Ich versuche noch immer meinen Kindern zu vermitteln, dass wir im wesentlichen Menschen sind und jedeR alles tun und mögen kann. Aber ich habe auch eingesehen, dass einfach alles was mit „Mädchen“ gekennzeichnet ist zu hassen auch nur eine Form von Frauenfeindlichkeit ist. ich will meinen Mädels ja auch nicht beibringen, dass sie sich eigentlich schämen müssen dafür dass sie die Dinge mögen von denen die Gesellschaft ihnen sagt, dass sie sie mögen sollen. Das brachte sehr viel Glitzer in unser Leben.
    Nur bei Ü-Eiern, da bestehe ich immer noch auf dem Original!