„Erwartungen brechen“ – Ein Interview mit Ninia LaGrande
„Ninia LaGrande bespielt seit Jahren jede Bühne im Poetry Slam und im Netz, die sie finden kann.“ steht auf der Rückseite des Kurzgeschichtenbands „… und ganz, ganz viele Doofe“, der Ende September im Blaulicht-Verlag erschienen ist.
Maike hat mit der Autorin Ninia LaGrande über das Buch, politisches Engagement, Mode und einen neuen Tatort gesprochen.
Ihr findet Ninia unter anderem auf Twitter, ihrem Blog, Facebook und Instagram.
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kleinerdrei: Ninia, ich liebe schon das Cover! War es ein Wunsch von Dir, dass es pink werden würde?
Ninia LaGrande: Der Zeichner Patrick Schmitz und ich haben uns getroffen und darüber gequatscht, in welche Richtung das Cover gehen soll. Mein größter Wunsch war, dass er mich zu einer Comic-Ninia in einer Großstadtkulisse macht. Das hat er super umgesetzt. Dann haben wir uns den Entwurf in verschiedenen Farben angeschaut und das Pink hat einfach am meisten geknallt. Es passt auch am besten zu mir. Müsste ich meinem Charakter eine Farbe geben, wäre es Pink.
kleinerdrei: Ich habe auf Instagram ein Foto gesehen von einer Kiste voller Bücher, die du zu Auftritten mitnimmst – und Kulis zum Signieren! Was sind die schönsten Reaktionen – on und offline – auf das Buch?
Ninia LaGrande: Jede positive Reaktion lässt mein Herz natürlich schon mal hüpfen. Online fand ich es richtig toll, dass einige Leute das Bild dort fotografiert haben, wo sie es gerade lasen: am Pool, am Kaffeetisch, im Park. Das war schön zu sehen, wie sehr mein Baby rumkommt. Am besten fand ich Tweets, in denen stand, was die Menschen fühlen, wenn sie die eine oder andere Geschichte gelesen haben – dass meine Worte solche Reaktionen bei Menschen auslösen können, kommt mir immer noch sehr unwirklich vor. Offline ist der glückliche Blick von Menschen bei einer Lesung unbezahlbar. Und wenn meine Freundin Alex (die übrigens auch die Comics im Buch gezeichnet hat!) oder andere mir erzählen, dass ihre Mutter, Tante, Schwester, Freundin das Buch so toll finden, dass sie noch drei weitere Exemplare haben wollen, um es zu verschenken.
kleinerdrei: Beim Lesen hatte ich das Gefühl, gemeinsam mit dir erwachsen zu werden. Nach welchen Kriterien hast du die Texte ausgewählt?
Ninia LaGrande: Es sind tatsächlich auch Geschichten dabei, die ich vor 10 Jahren geschrieben habe, man begleitet mich oder mein Autorinnen-Ich also wirklich ein bisschen beim Erwachsenwerden. Ich wollte in dem Buch eine möglichst große Bandbreite von mir zeigen. Deshalb gefallen Leser_innen vielleicht auch nicht alle Geschichten gleich gut – das Feedback zeigt mir aber, dass jede_r eine andere Geschichte zum Favoriten gekürt hat und deshalb war das vielleicht genau die richtige Entscheidung. Ich komme aus dem Poetry Slam und auch dort gibt es keine literarischen Grenzen, genau das sollte mein Buch auch widerspiegeln.
kleinerdrei: Du hast ja bei uns schon mal über das Poetry Slammen geschrieben. Wann und wie war dein erster Slam und was hast du da vorgetragen?
Ninia LaGrande: Mein erster Slam war 2008 in Göttingen. Ich habe zu der Zeit dort studiert und bin irgendwann mal zu einem Slam als Zuschauerin gegangen. Danach dachte ich: „Ok, das kannst du auch.“ Ich hatte Theatererfahrung und keine große Angst vor der Bühne. Also habe ich einen Text geschrieben und mich beim nächsten Mal auf die offene Liste setzen lassen. Das lief zumindest nicht so schlimm, dass ich nicht weiter gemacht hätte. Applaus macht ein bisschen süchtig. Den Text habe ich danach allerdings eingemottet. Es ging ums Busfahren und wie sehr alle Eindrücke dabei gleichzeitig auf mich einprasseln. Er war kein Kunstwerk.
kleinerdrei: Du setzt dich besonders für Inklusion, Feminismus und Antirassismus ein. Wie kam es dazu? Hattest du einen Schlüsselmoment, in dem du gemerkt hast, dass du Feministin bist?
Ninia LaGrande: Der Schlüsselmoment hat sich eher über eine längere Zeit hingezogen. Meine Mama hat meine Schwester und mich feministisch erzogen und uns viele gute Dinge in den Lebensrucksack gepackt. Im Nachhinein war ich sicher schon feministisch, als ich noch Schülerin war. Das war mir damals nur nicht so bewusst. Ich hatte keine Bezeichnung für die Grundsätze, an die ich geglaubt habe. Als dann dieses Internet hip wurde, bin ich herumgesurft und habe plötzlich gemerkt, dass es noch viel mehr Menschen gibt, die so denken wie ich und mit der Zeit immer mehr tolle Blogs, von deren Autor_innen ich lernen konnte, mit denen ich mich vernetzen konnte. Mir sind eigene Privilegien und Barrieren bewusst geworden. Mir ist klar geworden, dass Dinge, die andere Frauen* und ich tagtäglich erleben, kackscheißig sind und dass ich als erwachsene Frau noch immer nicht das Recht habe, komplett über meinen eigenen Körper zu bestimmen. Und irgendwann war dann da dieser Gedanke, das mal aufzuschreiben, sich zu engagieren und einzubringen. Und für mich hängt Feminismus fest mit inklusivem und antirassistischem Engagement zusammen. Eins allein geht nicht.
kleinerdrei: Ich finde deine morgendlichen #609060-Fotos so toll! Wie schaffst du es nur, um diese Uhrzeit schon, so gut gelaunt zu sein und dermaßen zu strahlen?
Ninia LaGrande: Keine Ahnung! Ich hab zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Kaffee getrunken! Ich freue mich immer total, wenn andere Menschen sagen, dass sie das Foto freut. Mir macht das Spaß, jeden Morgen ein Selfie zu machen. Ich finde den Hashtag großartig, und ich hab so ganz automatisch ein kleines Archiv an möglichen Outfits. Wenn ich mal gar nicht weiß, was ich anziehen soll, scrolle ich den Stream durch und denke ‚Ach, das war doch super!‘.
kleinerdrei: Du bist vermutlich die einzige Person auf der Welt, die ich positiv mit dem Wort Hipster verbinde. Wie stehst du zu diesem Begriff?
Ninia LaGrande: Danke! Ach ja, wenn’s für einen bestimmten Typus noch keine Schublade gibt, dann muss man sie eben erfinden. Wo kämen wir denn hin, wenn man Menschen nicht sofort einordnen könnte ;). Ich spiele gern mit Mode und ja, da kommen auch sehr viele Elemente vor, die man als „hipsterig“ bezeichnen könnte. Mich stört das nicht. Dann bin ich eben Hipster. Hauptsache, ich fühle mich wohl.
kleinerdrei: Was bedeutet Mode für dich?
Ninia LaGrande: Ich liebe Mode! Nicht dieses High-Fashion-Zeug, sondern für mich ist Mode ein Spiel mit Kombinationen. Aus altem neue Möglichkeiten rausholen, sich selbst verkleiden, ausprobieren, Aufmerksamkeit erhalten. Das ist für mich auch feministisch – das anziehen, was ich gut finde, unabhängig von allen Konventionen. Glitzernagellack, Lippenstift, alles ausprobieren. Wenn die engstirnige alte Dame am Bahnhof mich anschaut und zu ihrem Mann sagt: „Haha, wie sieht die denn aus?!“ ist das mein Tages-Highlight. Erwartungen brechen. Mode ist für mich auch eine Möglichkeit, meine Laune auszudrücken, auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
kleinerdrei: Im Buch erzählst du von einer isländischen Trend-Frisur, die du nachgemacht hast. Mehr als „Sieht aus wie eine Antenne“ und „Mach das weg“ als Reaktion darauf, verrätst du darüber jedoch nicht. Ich denke seither darüber nach, um was es sich da handeln könnte.
Ninia LaGrande:
kleinerdrei: Du schreibst, dass du Fernsehschauen liebst. Gerade Trash. Gibt es Sendungen, die deine Schmerzgrenze überschreiten? Und wenn ja, warum?
Ninia LaGrande: Fernsehen ist für mich einfach ein super Mittel, um abzuschalten, sich im wahrsten Sinne des Wortes berieseln zu lassen. Wobei für mich ja schon Sendungen wie „Das perfekte Dinner“ oder „Galileo“ die Trash-Ecke bedienen. Nichts kann für mich inspirierender sein, als bestimmte Charaktere aus diesen Sendungen herauszupicken und ihnen eine Geschichte auf den Leib zu schreiben. Es gibt viele Sendungen, die meine Schmerzgrenze überschreiten: ungefähr alles, das auf RTL2 läuft, „Schwiegertochter gesucht“, sämtliche Real-Life-Dokus, alle Sendungen, in denen Menschen vermeintlich „hübscher“ gemacht werden… Sobald ich beim Zuschauen das Gefühl habe, dass Menschen bloßgestellt werden, hört der Spaß auf.
kleinerdrei: Dein Highlight ist der Tatort am Sonntagabend. Was magst du daran, vor allem auch an den schlechten Ausgaben? Wenn ich meiner Twitter-Timeline glaube, sind diese stark in der Überzahl. Welcher ist dein Lieblingstatort?
Ninia LaGrande: Vermutlich gibt es kaum etwas Spießigeres als Sonntagabends den Tatort zu schauen. Vorweg: Ich würde den Tatort nicht schauen, wenn ich nicht meine Twitter-Timeline hätte. Der Austausch über den aktuellen Fall und die lustigen Kommentare machen mir wirklich Spaß! Es ist ja nichts Anderes, als würden 30 Menschen auf meinem Sofa sitzen und sich über die Sendung unterhalten. Aber dann wäre es bei mir ziemlich voll und auch sehr laut. Je schlechter der Fall, umso besser die Timeline. Wenn ein Fall besonders schlecht oder abgedreht ist, fällt es einer natürlich leichter, Sprüche zu posten. Und wenn es wirklich mal spannend ist, passe ich tatsächlich auch mehr auf – dann kann ich natürlich auch weniger twittern. Mein Lieblingstatort ist der aus Kiel (besonders: „Der stille Gast“). Und die Wiener mag ich, besonders wegen Adele Neuhauser, auch sehr gern.
kleinerdrei: Um was würde es in einem Tatort gehen, für den du das Drehbuch schreiben dürftest? Welches Duo würde ermitteln oder würdest du ein neues erfinden? Und wenn ja: was wäre das für eines?
Ninia LaGrande: Grandiose Frage! Ich würde ein neues Team erfinden. Ein Frauenteam, zwei Ermittlerinnen, eine Weitere, die alles am Computer kann und eine Kriminalpsychologin. Ich würde die Nerdette spielen. Eine weitere Rolle würde ich mit Johanna besetzen – die darf sich das aussuchen. Florence Kasumba und Birgit Minichmayr wären meine Favoritinnen für die anderen Rollen. Der Tatort würde irgendwo im Norden spielen, wo es schön windig und melancholisch ist, vielleicht auch auf einer Insel oder auf Island (dafür müsste ich dann noch eine Begründung finden, aber es wäre toll, dort zu drehen!). Schauplatz wäre ein abseits gelegenes Dorf. Im Moor oder in einer alten verlassenen Scheune wird eine Leiche gefunden und irgendwie hat jede_r Bewohner_in des Dorfes etwas mit der Leiche zu tun gehabt und auch ein Motiv. Also ein dunkles, spannendes Beziehungsding. Vielleicht sterben im Verlauf des Falls noch zwei, drei andere. Richtig gut fänd ich auch ein halboffenes Ende. Ein Fall, der die Zuschauer_innen ohne Instagram-Filter und Politikproblematik zufrieden stellt und trotzdem mit ein paar Verzwicktheiten in den Abend schickt. Alle hätten ständig tolle Wollpullis und Gummistiefel an und im Hintergrund liefe ständig Agnes Obel. Ach, wär das schön! (Call me, NDR!) (Anm. d. Redaktion: Hervorherbung durch kleinerdrei)
kleinerdrei: Jetzt, wo das Buch raus ist – was ist der nächste große Plan in deinem Leben? Würdest du auch mal einen Roman schreiben?
Ninia LaGrande: Es gibt mehrere große Pläne. Ich würde auf längere Sicht noch einen weiteren Erzählband mit längeren Geschichten rausbringen, die sich nicht für Slams und Bloggerei eignen. Außerdem habe ich immer noch zwei Theaterstücke im Kopf, die ich eigentlich mal runterschreiben müsste. Vielleicht kommt dann irgendwann auch ein Roman dazu. Ich will weiter bloggen, neue Projekte angehen und immer wieder auf Bühnen stehen. Und irgendwann vielleicht meine eigene Sendung im Fernsehen moderieren, in die ich ausschließlich nette Menschen einlade. Und den Literaturnobelpreis gewinnen – solche Kleinigkeiten.
„Du bist vermutlich die einzige Person auf der Welt, die ich positiv mit dem Wort Hipster verbinde.“
Lustig, das geht mir ganz genauso :D
[…] (Foto: Alexandra Reszczynski)Ninia (@ninialagrande) ist für mich nicht nur ein Vorbild, was Klamotten und Coolness angeht, sie ist auch eine der Personen, die mir am meisten über Inklusion beigebracht haben. Durch sie bin ich überhaupt erst dazu gekommen, mich damit zu beschäftigen, welchen Barrieren Menschen mit Behinderung täglich begegnen. Ninia ist für mich eine Inspiration. Wenn ich mal nicht so richtig weiß, was ich anziehen, beziehungsweise miteinander kombinieren kann, schaue ich mir ihre Instagram-Fotos an und finde da meist eine Anregung. Sie hat mir beigebracht, dass man einfach mutig sein und Dinge ausprobieren sollte. […]