Mit Haut und Fell, mit Leib und Seele

Foto , CC BY 2.0 , by BC Living

Maskottchen waren einmal Glücksbringer. Mittlerweile repräsentieren sie aber in erster Linie irgendwen oder irgendwas aus Marketingzwecken. Ich mag sie trotzdem und habe kürzlich sogar mit einem gesprochen.

Die ersten Maskottchen in meinem Leben, an die ich mich erinnern kann, waren Tip und Tap, welche 1974 die Fußball-WM begleiteten, die Mainzelmännchen, Äffle und Pferdle und die Telemiezen. Ich bin froh, dass sie mir damals allenfalls im Fernsehen oder als Hartgummifiguren begegnet sind, denn ich hatte als Kind ein schwieriges Verhältnis zu maskierten Menschen.
Jeder Karnevalsumzug geriet für mich zur Angstparade, denn in der allemannischen Fastnacht wimmelt es nur so von obskuren Gestalten mit gruseligen Holzgesichtern. Hinzu kamen die Jungs aus dem Ort, die sich als “Ausg’stopfte” verkleideten. Sie trugen dann zu große blaue Arbeitsanzüge, die sie mit Stroh ‘ausstopften’, zogen sich einen Sack über den Kopf und hatten Stöcke in den Händen. So jagten sie jüngere Kinder und vor allem Mädchen durchs Dorf, um sie im schlimmsten Fall für ein, zwei Stunden zu entführen und irgendwo einzusperren. Es war damals vorgekommen, dass ich als Zwölfjährige den Supermarkt nicht mehr verlassen konnte, weil sich die „Ausg’stopften“ davor in Stellung gebracht hatten.

Auch jetzt als Erwachsene fühle ich mich oft nicht wohl, wenn Menschen ihre Gesichter verstecken. Manchmal genügt es schon, eine einfache, verzierte Papiermaske zu tragen, um mich aus der Fassung zu bringen. Dementsprechend groß war vor einigen Jahren das Hallo, als ein Freund mit aufgesetzter Bart-Simpson-Vollmaske die After Hour im Wohnzimmer stürmte, und den Bart-Kopf einfach nicht mehr abnahm, weil ich mich so vorbildlich vor ihm gruselte.

Es ist also wenig verwunderlich, dass ich mich als Kind auch nie auf das umherwandelnde Maskottchen im nahegelegenen Vergnügungspark gestürzt habe, oder mich gar mit ihm fotografieren ließ. Ich guckte mir die Maus des Europaparks lieber aus sicherer Entfernung an, und selbst viele Jahre später zuckte ich im Phantasialand zusammen, als sich ein überdimensionierter Zwerg mit Gans auf dem Arm von hinten an uns heran schlich.

MANCHMAL NIEDLICH

Vor mehr als einem Jahrzehnt erwachte meine Liebe für “Character” und kurz darauf auch mein Interesse an Japan. Da ist der Weg zum Gutfinden knuffiger Maskottchen nicht mehr weit.

In Deutschland tummeln sich diese ja hauptsächlich in Vergnügungsparks und am Rand von Sportveranstaltungen und nur wenige Menschen reißen sich darum, den Job unter der Kunststoffhülle zu machen. In Japan hingegen sind die Menschen offenbar gerne Maskottchen und es gehört für Firmen und Institutionen zum guten Ton, sich auf diese Weise vertreten zu lassen und für positive Stimmung zu sorgen.

Pluto-kun, das ausrangierte Maskottchen der staatlichen nuklearen Forschungsorganisation PNC hätte es allerdings mittlerweile schwer, und es klappt auch nur bedingt mit dem Ansehen, wenn das Maskottchen zum Beispiel Fukuppy heißt. Aber das sind Ausnahmen und dank diverser Fernsehberichte in den letzten Monaten, wissen wir mittlerweile, dass es in Tokio sogar eine Maskottchen-Schule gibt. Sie wurde bereits 1985 von Choko Oohira gegründet und dort lernen Menschen, was sie beachten müssen, wenn sie zur flauschigen Reputation einer Firma werden.

In Japan finden Maskottchen-Schönheitswettbewerbe statt oder Weltrekordversuche, zum Beispiel mit möglichst vielen tanzenden Maskottchen. Von der leibhaftigen und geradezu zauberhaften Version des japanischen Teddybärs der Firma Steiff (!!) gibt es gleich massenhaft Videos auf Youtube.

Dass die Begeisterung für diesen Job überhaupt so groß ist, könnte daran liegen, dass viele Menschen in Japan sich ihren Arbeitgebern sehr stark verbunden fühlen. Und dort haben Erwachsene keine Berührungsängste vor vermeintlich kindischem Kram. Das ist manchmal anstrengend, ich finde es aber hauptsächlich befreiend. Diese Haltung dient mir durchaus als Vorbild: Seit über einem Jahr trage ich fast täglich einen Pandabärenring, schmücke mich ohne bestimmten Grund mit Glitzerherzchen, besitze Federhütchen und habe von Hello Kitty nicht nur einen Seifenspender.

In ein Maskottchen-Kostüm bin ich jedoch noch nie geschlüpft. Ich würde aber, und ich möchte sehr gerne einmal einen Tag in Choko Oohiras Schule verbringen. Dort würde sie mir erzählen, dass ich Eins werden muss mit dem Kostüm, keine Hand nach außen strecken und auf gar keinen Fall den Kostümkopf vor Publikum abnehmen darf, um die Illusion aufrecht zu erhalten. Ein Maskottchen darf sich auch nicht daneben benehmen und muss immer freundlich sein. Gerade Sportmaskottchen scheinen sich jedoch nicht so recht im Griff zu haben und es gibt ganze Maskottchen-Fail-Sammlungen.

IT’S A HARD KNOCK LIFE

Einen Eindruck davon, dass die Arbeit als Maskottchen ziemlich hart ist, bekam ich bereits letzten Sommer, als ich den Roman Joyland von Stephen King las. Ein wundervolles Buch, das von Devin Jones erzählt, der im Sommer des Jahres 1973 in einem Vergnügungspark arbeitet. Dort muss er unter anderem auch “das Fell tragen” – ich mag diesen Ausdruck sehr – und niemand kann dies so gut wie er. Devin verliert jeden Tag eine Menge Schweiß, während er als Hund Tänze vollführt und Kinder glücklich macht. Er schwitzt dabei so sehr, dass er sogar Ersatzkostüme hat.

Weitaus weniger luxuriös erging es einem Bekannten von mir. Kürzlich stellte sich zufällig heraus, dass er mit 16 Jahren im Phantasialand in den Sommerferien als Maskottchen gearbeitet hat.

kleinerdrei: Wie lief das ab? Ist man immer das gleiche Maskottchen?

A: Ja. Das Galaxy war damals die neueste Attraktion – ein Raumschiffkino. Ich war Alex from Galax, das Maskottchen dazu.

kleinerdrei: Hast du vorher gelernt, wie man sich als Maskottchen verhält?

Alex from Galax: Wir waren ein Team von drei Leuten. Am Anfang guckst du halt erst mal, was die anderen machen und dann wirst du ins kalte Wasser geschmissen. Es gibt ein Rotationsverfahren: Einer ist Maskottchen, einer passt aus der Entfernung auf und der Dritte ruht sich aus. Und so läuft das dann halt. Viel zu lernen gab es da nicht.

kleinerdrei: Der dritte ruht sich aus?

Alex from Galax: Ja, das musst du aber auch. Pro Tag machst du das drei oder vier Mal. Das sieht alles so lustig aus, aber das ist ein Knochenjob. Du bekommst einen Pieper mit rein, damit du weißt, wann Schluss ist. Danach bist du wirklich total kaputt. Du schwitzt ja wie ein Schwein und trinkst dann erst mal eine Flasche Wasser leer.

kleinerdrei: Aber ihr habt nicht einfach das Kostüm gewechselt und du musstest das verschwitzte Ding von deinem Kollegen anziehen?

Alex from Galax: Willkommen in meiner Welt. Das Kostüm wurde aber jeden Tag gesäubert und es liegt ja nicht an. Bei den Füßen hast du zwar Berührungspunkte, aber ansonsten ist es ja groß. Das Unterteil ist eine Hose mit Drahtgestell, das man mit Hosenträgern anzieht. Beim Rest wird dir geholfen, das kannst du nicht alleine anziehen. Das Oberteil wird mit Klett verbunden, der Kopf wird draufgesetzt. Du guckst durch den Mund nach draußen, aber das Ding ist ja komplett zu und du schaust wie durch eine gespannte Nylonstrumpfhose. Man hat ein sehr eingeschränktes Gesichtsfeld. Deshalb brauchst du auch zur Sicherheit jemanden, der aufpasst.

kleinerdrei: Und du hast dann erst mal geguckt, was die anderen machen und als du an der Reihe warst, hast du einfach irgendwas gemacht?

Alex from Galax: Ich war ja sowieso jedes Jahr im Phantasialand. Man kennt doch, was die da machen. Du hast ein abgestrecktes Gebiet, auf dem du dich bewegen musst. Dann läufst du halt so rum, bewegst dich ein bisschen. Du gehst schon aktiv auf die Leute zu. Die Kleinen erschrecken sich meist ganz kurz, dann kommen die Eltern, machen ein Foto und schon gehst du weiter. Mehr ist das ja nicht.

kleinerdrei: Gab es auch Konflikte mit Besuchern?

Alex from Galax: Es kam mal vor, dass das Maskottchen angegriffen wurden. Oft glaubten Jungs, die sich am Anfang der Pubertät befinden und zu cool für ein Maskottchen sind, dass es aber cool sei, das Maskottchen zu piesacken. Das ging von Beleidigen bis hin zu Schlägen und Tritten. Das musste man dann mit Humor nehmen und zum Beispiel die Hände an den Hintern legen und sie sich anschließend vors Gesicht halten oder so ähnlich. Ein Maskottchen darf ja nicht aus der Rolle fallen. Es darf auch nicht zurückschubsen oder Geräusche machen. Es darf niemals die Gäste angehen. Aber Dich erkennt ja eh niemand. Und wenn sie nicht aufhörten, kam der Kollege, der aufgepasst hat.

kleinerdrei: Hast du da jeden Tag gearbeitet?

Alex from Galax: Nein, nur drei, vier Tage die Woche.

kleinerdrei: Konntest du dann an den anderen Tagen wenigstens kostenlos in den Park?

Alex from Galax: Nein.

kleinerdrei: Waaaas? Ich habe als Kind ganz naiv ja immer die Leute beneidet, die im Vergnügungspark gearbeitet haben. Du bist auch abends nichts mehr gefahren dort, oder?

Alex from Galax: Nein, das war so anstrengend. Ich habe mir das einfacher vorgestellt. Aber es gab für mich damals wenig Job-Alternativen.

WAS ICH MIR WÜNSCHE

Daran, ob seinerzeit auch Frauen als Maskottchen gearbeitet haben, konnte sich Alex from Galax leider nicht mehr erinnern. Der Job würde mir ziemliche Probleme bereiten, da mein Kreislauf bei Hitze und Durst schnell versagt und ich vermutlich jedes Mal in Ohnmacht fiele, wenn ich “das Fell tragen” würde.

Dabei reizt mich daran neben dem Freudeverbreiten auch die Möglichkeit, anonym zu sein und Dinge zu tun, die ich mich sonst nicht traue. Fremde Menschen anfassen zum Beispiel. Leuten die Haare zerstrubbeln. Einfach so mit irgendwem auf der Straße tanzen. Grenzen überwinden. In diesem Zusammenhang habe ich mich dann auch wieder an einen ziemlich kitschigen Spot erinnert.

maskottchen
 

Ich wünsche mir japanische Zustände in Deutschland: mehr Maskottchen! Von mir aus auch wütende, so wie dieser Pandabär, zu dem man niemals ‚Nein‘ sagen sollte – solange er nur weit genug von mir entfernt herumwütet.

Als ich vor zwei Jahren in Kyoto war, begegnten mir sogar auf dem Areal eines Schreins Maskottchen. Das käme in etwa flauschigen Zotteltieren gleich, die mit Rosenkranz und Gotteslob in den Tatzen vor dem Kölner Dom stünden, um einen guten Eindruck von den Katholiken zu hinterlassen. Wäre das nicht toll? Es müssten allerdings sehr niedliche Maskottchen sein, denn meine Angst vor maskierten Menschen sinkt umgekehrt äquivalent zum Ausmaß des Kindchenschemas einer Verkleidung.

Ich wünsche mir ein Maskottchen für den Alexanderplatz, ein Maskottchen für die U8, eins am Eingang von Lidl, Maskottchen vorm Geldautomaten, Maskottchen für Zebrastreifen, Maskottchen für jene, die Obdachlosenzeitungen verkaufen, und ich wünsche mir ein Maskottchen fürs Berghain.

Ich selbst wäre gerne mal Maskottchen für die Berliner Ringbahn. Denn ich mag die Idee, endlos im Kreis umher fahren zu können und dabei immer wieder alle möglichen Facetten der Stadt zu begegnen. Und weil ich Anfang des Jahres einen Beschluss fasste, ist klar, welches Tier ich wäre:

 

 

6 Antworten zu “Mit Haut und Fell, mit Leib und Seele”

  1. rrho sagt:

    Im Kontext dazu vielleicht passend: Die Serie „Behind the Mask“, die bei hulu zu sehen ist –> http://www.hulu.com/behind-the-mask

  2. Miel sagt:

    Ganz große Liebe! <3 (Ich bin jetzt auch so ein bisschen verknallt in das Titelbild.) Und
    weil heute genau der richtige Tag für sowas ist: danke für den Link zu den Maskottchen-Fails. Läuft hier ab jetzt in Endlosschleife.

  3. Arne sagt:

    Ich kommentiere nur sehr selten irgendwo, doch so ein Ausflug in die schön schrägen Winkel unserer Persönlichkeiten, in die wir uns so selten gegenseitig Einblick gewähren, rührt mich doch sehr.

    Mit einem kleinen Kloß im Hals: vielen herzlichen Dank für diesen wunderschönen Artikel und das Aufwerten eines Tages aus der eher unteren Schublade. <3

    • ruhepuls sagt:

      danke, das ist ein sehr schöner kommentar, über den ich mich soo freue, denn er erhellt einen ansonsten doch eher bescheidenen tag <3