Notizen aus Tokyo

Foto , cc 2.0 , by map

Ich komme frisch zurück aus einem Urlaub in Tokyo. Schon am Flughafen stiess ich damit auf erstes Unverständnis. Der Unternehmer aus Österreich, der sich auf dem Weg zurück nach Osaka die Zeit in der Terminalwarteschlange damit vertrieb seine Mitreisenden auszufragen, konnte das gar nicht verstehen. „Tokyo? Drei Wochen? Was will man da denn sehen? Ich bin froh wenn ich nicht nach Tokyo muss.“

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Bei mir war das eine Mischung: Einerseits habe ich vor drei Jahren gemerkt, dass ein Tag in Tokyo definitiv zu wenig ist. Andererseits wollte ich endlich mal die Kirschblüte sehen. Glücklicherweise habe ich davon trotz der extrem frühen Blüte in diesem Jahr doch noch so einiges mitbekommen. Aber auch ohne Kirschen war mein Reiseplan ziemlich gut gefüllt. In Tokyo gibt es schliesslich viel zu entdecken, wenn man sich für Kultur, Kitsch oder Nerdkram interessiert.

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So bleibt mir zum Beispiel mein Spaziergang durch das nächtliche Odaiba besonders im Gedächtnis. Die künstliche Insel in der Bucht von Tokyo ist ein bisschen das Tokyo, das man aus Cyperpunk-Romanen kennt. Viel blinkt, die Architektur ist futuristisch und seltsam. Wer schon mal an einem eins-zu-eins Modell eines 18 Meter hohen Gundam Kampfroboter (die weniger japanophilen können sich hier auch einen „Transformer“ vorstellen) vorbeigeschlendert ist, kann sich ungefähr vorstellen was ich meine. Aber auch der künstliche Baum mit tausenden rosa LEDs, der um so heller leuchtet, je frenetischer die umstehende Menschenmenge mit ihren Mobiltelefonen (samt App) winkt, wirkte für mich wie ein kleiner Ausflug in die Zukunft.

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Der Kontrast von Science-Fiction-artigem High-Tech und Tradition in Tokyo mag mittlerweile schon ein Klischee sein – wird aber doch in vielen Momenten Realität. In die Vergangenheit gelangt man im Edo Tokyo Museum. Nicht nur von aussen – mit seiner modernen Interpretation eines Warenhaus aus der Edozeit – ist das Museum absolut sehenswert. Im fünften und sechsten Stock befindet sich die permanente Ausstellung mit riesigen Dioramen, zeitgeschichtlichen Dokumenten und vor allem Nachbauten von Gebäuden aus dem fünfzehnten Jahrhundert bis in die Neuzeit. Besonders beeindruckend dabei der Nachbau der Nihonbashi, der zentralen Brücken des alten Edo und die lebensgrosse Front eines Kabuki-Theaters.

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Kabuki-Theater stand auch auf meinem Plan, da ich das Glück hatte genau zur Wiedereröffnung des großen Kabuki-za Theaters in Tokyo zu sein. Vor einigen Jahren wurde das Gebäude – mal wieder – komplett eingerissen und aufgebaut. Wieder im Original, nur diesmal mit einem Hochhaus, das aus der Mitte des Theaters in die Höhe wächst und wohl vor allem Bürofläche bietet. Die Vorstellungen waren beeindruckend und dank englischer Simultanerklärung per Kopfhörer auch zugänglich. Auch wenn vier Stunden expressionistisches Theater das Sitzfleisch schon eher beansprucht.

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Das Viertel Akihabara war für einen Retro-Videospieler wie mich natürlich auch Pflicht. Wo sonst finden sich Geschäfte, die fein säuberlich fast die gesamte Hard- und Software aus den späten 80ern und den 90ern darbieten und in erstaunlich gut erhaltener Qualität verkaufen? Seltsame Geschäfte sind aber ganz grundsätzlich ein Thema für sich in Tokyo. Besonders angetan hat es mir da eine Kette namens „Don Quijote“ (oder auch liebevoll verkürzt „Donki“). Auf 6-7 Stockwerken gibt es dort überquellende Regale in klaustrophobischer Enge, die wirklich alles verkaufen. Instantnudeln, Touristentand, MP3 Player, Karnevalskostüme, Reiskocher und Hello-Kitty-Vibratoren teilen sich mitunter die gleiche Regalwand. Dazu – wie in jedem grösseren japanischen Geschäft – läuft ständig die ohrwurminduzierende Titelmelodie der Ladenkette. „Don… Don… Don… Dooooonkiiii.“ Ein surreales Erlebnis.

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Auf eine andere Art surreal war mein Ausflug ins Ghibli-Museum. Ghibli – sozusagen der Walt Disney Japans – ist vielleicht durch seinen Oscar für „Chihiros Reise ins Zauberland“ am besten bekannt. Aber auch seine anderen Animationsfilme scheinen langsam auch jenseits der Kreise extremer Japannerds an Publikum zu gewinnen. Totoro sei dank. Das Ghibli Museum war auf jeden Fall die etwas komplizierte Kartenkaufprozedur, per nur auf japanisch bedienbarem Ticketautomat in einem Supermarkt, mehr als wert. In mehreren Räumen wird erklärt, wie Zeichentrickfilme gemacht werden, Statuen und verspielte Details aus den Filmuniversen lassen (nicht nur) das Fan-Herz höher schlagen. Und im Katzenbus-Raum wäre ich gerne noch mal Kind gewesen, um in das riesige Plüschtier auch einsteigen zu können. Im Museumskino kann man zudem einen Kurzfilm gucken, der sonst nirgends gezeigt wird und der eine entzückende Hintergrundgeschichte zum Ghibli-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“ rund um einen kleinen Kätzchenbus erzählt.

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Wieder zurück in Deutschland sind es vor allem die Kleinigkeiten des Alltags, die ich nach drei Wochen Gewöhnung vermisse.

Die Getränkeautomaten die nie weiter weg sind als 100 Meter und einen Regentag mit einem warmen Tee genauso schön machen, wie einen Sonnentag mit einer kühlen Flasche Pocari Sweat. (Auch wenn ich mich immer noch frage, wer auf die Idee kommt ein Getränk „Schweiß“ zu nennen…)

Die U-Bahn Stationen die man an ihrer Titelmelodie erkennen kann. Und überhaupt all die glücklichen kleinen Maschinen, die fröhlich Musik abspielen, nachdem sie ihren Dienst erweisen konnten.

Die japanische Backkunst, allen voran das zuckersüss fluffige Melonpan (das nur wie eine Melone aussehen soll, aber – ursprünglich – keine enthält. Logisch.).

Die Washlets, die japanische Supertoiletten mit Hot-Pursuit-Mode. Inklusive Po-Dusche und -Fön. Ich möchte immer sagen, sie wären mir ans Herz gewachsen. Aber vielleicht ist das doch eher eine seltsame Metaphernmischung.

Die Onigiri Reishappen, die man einfach mal schnell auch im Supermarkt mitnehmen kann. Udon. Curry. Tonkatsu. Japanische Küche jenseits von Sushi, die in Deutschland oft noch zu unbekannt, zu verändert und auch zu teuer ist.

Die Suica oder Passmo RFID Karten, die man lässig am Eingang zur U-Bahn zückt und mit denen man mittlerweile auch in Supermärkten und anderswo zahlen kann. Es fühlt sich so praktisch nach Zukunft an.

Und all die kleinen Höflichkeiten, ritualisiert oder nicht, die den Alltag angenehmer machen.

Es war schön mit dir, Tokyo. Ich vermisse dich ein bisschen. Aber vielleicht komme ich ja wieder. Wie die Kirschblüte. Sicher bist du nicht perfekt. Aber du umarmst die Zukunft.

9 Antworten zu “Notizen aus Tokyo”

  1. Anne Wizorek sagt:

    „Die weniger japanophilen können sich hier auch einen “Transformer” vorstellen“ – Nein, ich fühle mich jetzt nicht angesprochen. ;)

    Ansonsten auf jeden Fall Danke für diese kleine Reise durch deine Reise! http://cdn.smosh.com/sites/default/files/ftpuploads/bloguploads/wtf-japan-funny-cat-work.gif

  2. map sagt:

    (Ist ja auch oben verlinkt. ;) )

  3. Alex sagt:

    Glücklicher MAP ist best MAP.

  4. Wie sieht das eigentlich mit dem zurechtkommen mit der Umwelt aus? Reicht in Tokio englisch zu können?

    • map sagt:

      Zum überleben reicht in Tokyo englisch. Wenn man ein paar Brocken Japanisch sprechen und lesen kann, ist es natürlich wesentlich einfacher. Aber in der Regel kommst du in Supermarkt und U-Bahn auch ohne zurecht.

  5. Dominik sagt:

    Oh ja, die Ghibli-Kartenkaufprozedur, an der sind wir letztes Jahr gescheitert, weil der doofe Automat die einzige Visa-Kreditkarte, die wir dabei hatten, nicht annehmen wollte…. :(

    Und so toll die japanische Küche auch sein mag: Für Vegetarier ist es eine ziemliche Herausforderung, sich in Tokyo abwechslungsreich zu ernähren.

    Aber danke für die tollen Erinnerungen! <3 Eines hast du dennoch vergessen: Arcades! :)