Wo sind die Frauenfiguren im Kino? Zumindest in „The Heat“!

Foto , by © Twentieth Century Fox Film Corporation

Der Sommer ist im Kinojahr immer eine spezielle Zeit: Um Menschen trotz schönen Wetters ins Kino zu bringen, setzen viele Verleihfirmen auf Entertainment-Kracher, große Franchises, “Popcornkino”. Diesen Sommer gibt es unter anderem Männer aus Eisen und Stahl, solche mit langen Krallen, großem Hammer oder schnellen Autos zu sehen. Auch 2013 bedeutet Sommer-Blockbusterkino noch: Filme mit größtenteils weiblichen Hauptrollen sind Mangelware – noch mehr als sonst. Die Journalistin Linda Holmes machte sich Mitte Juni die Mühe, in den Kinos in ihrem Umkreis die Filme mit Geschichten rund um Frauen zu zählen und kam zu dem Schluss: “At the movies, the women are gone”. 90% der Filme, die sie in ihrer Umgebung (Washington D.C., also eine Metropolenregion mit relativ hoher Kinodichte) hätte anschauen können, erzählten Geschichten von Männern oder Gruppen von Männern, Frauen hatten allenfalls Nebenrollen inne. In Deutschland haben wir zwar immer noch einen gewissen Anteil an europäischem Kino, in dem die Verteilung ein wenig ausgewogener ist, aber eben auch nicht überall. Wo nur Blockbuster-Filme zur Verfügung stehen, dürfte es ähnlich aussehen wie in der Zählung von Linda Holmes.

Hollywoods Sexismus-Problem

Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren eher verschärft. In den Zeiten des digitalen Wandels sehen sich die Studios mehr unter Druck, und handeln ängstlicher. Und, ähnlich wie in der Videospiele-Branche, werden weibliche Figuren wohl eher als ein wirtschaftliches Risiko angesehen.

Bitte diese Tatsache noch mal langsam einsickern lassen: Geschichten um rund die eine Hälfte der Weltbevölkerung werden schlicht als weniger interessant angesehen.

Immer wieder schön, sich so wertgeschätzt zu fühlen!

Und so ist es nicht nur bei den Storys: aktuelle Studien ergaben, dass Geschlechtergerechtigkeit und Sexismus nach wie vor ein großes Problem in Hollywood sind. Seit 1998 hat sich der Anteil an Regisseurinnen bei den erfolgreichsten Kinoproduktionen (ca. 10%) kaum verändert, bei anderen kreativen Filmberufen wie Kamera, Drehbuch oder Schnitt ist er nur um ein Prozent (1%!) gestiegen. Und dies wirkt sich auf die Film-Inhalte aus: 2012 gab es seit fünf Jahren die wenigsten weiblichen Figuren in den Top-100-Filmen (und die waren auch noch besonders oft leicht bekleidet).

Genre-Komödie with a Twist: “The Heat”

Wie ein Leuchtturm erscheint da die neue Komödie von Paul Feig, die letzten Donnerstag in Deutschland in die Kinos kam. “The Heat” (infam blödsinniger deutscher Titel: “Taffe Mädels”) steht in der Tradition der Cop-Buddy-Movies: zwei komplett ungleiche Charaktere prallen bei der Polizeiarbeit aufeinander, verabscheuen sich, streiten sich, müssen sich aber angesichts gemeinsamer Bedrohungen – in diesem Falle durch ein Bostoner Drogenkartell  – zusammenraufen. Sie werden trotzdem, das Publikum ahnt es früh, schlussendlich eine wunderbare Freundschaft schließen. Klingt bekannt? Dies bemängelnten auch einige Kritiker_innen an “The Heat”. Was sie dabei übersehen: schon die Tatsache, dass sich diesen humoristischen Schlagabtausch – inklusive derbem Fluchen und Blödeln, Prügeln und Schießen – zwei Frauen liefern, ist Innovation genug, um den Versatzstücken des Buddy-Movie einen entscheidenden neuen Dreh zu geben. Sandra Bullock als strebsame, steife FBI-Agentin Sarah Ashburn und Melissa McCarthy als waffenvernarrte, selbstbewusste Polizistin Shannon Mullins funktionieren als Gespann wunderbar.

Es entsteht gar nicht der Eindruck, dass Regisseur Paul Feig und Drehbuchautorin Katie Dippold, beide bereits geübt in weiblichen Comedy-Rollen (u.a. durch den Film “Bridesmaids” bzw. die Serie “Parcs and Recreation”) antreten wollten, das Genre des Buddy-Movies neu zu erfinden. Das ist auch gar nicht nötig, denn sie führen es einfach exzellent aus – mit einem guten Gespür für Tempo, Sprache und vor allem dem präzisen Spiel mit Klischees (Hinweis: diesem Eindruck liegt allerdings die Originalversion zugrunde, nicht die synchronisierte Fassung). Dies erscheint wichtiger denn je angesichts der Besonderheit, die ihr weibliches Gespann noch darstellt: Seit den 80ern, so zählte ein Kritiker auf vulture.com, gab es weniger als zehn Buddy-Movies mit weiblichen Hauptfiguren.

Charaktere statt Klischees

Es sind weniger die groben Story-Elemente, sondern die Details, die an “The Heat” bemerkenswert sind. Zwei Frauen, die im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit Gewalt ausüben und einstecken (müssen), ohne dass sie mal zu fetischisierten Amazonen und mal zu hilflosen, ängstlichen Opfern stilisiert werden. Die mit männlichen Chefs und Kollegen umgehen und arbeiten, ohne dass die Machtverhältnisse durch etwas anderes als ihre jeweiligen charakterlichen Eigenschaften beeinflusst würden – jedenfalls nicht in erster Linie durch ihr Geschlecht. Die weder die ganze Zeit lustig sein müssen, noch tragisch, und am Ende auch nicht in den Armen eines Mannes enden. Mit Objektifizierung, dem “Einsatz weiblicher Reize”, wird gespielt, mehr nicht. Das Spiel damit ist eine lustige Anekdote, nicht die Daseinsberechtigung der weiblichen Filmfiguren. Viel zu lange erging es mir – die ich sehr gerne Blockbuster-Kino anschaue – nicht mehr so, dass ich dort auf der Leinwand eine Frauenfigur sah, die zu allererst einfach eine Person ist (um so ärgerlicher ist der deutsche Titel, der es nicht unterlassen konnte, einzig auf das Geschlecht der Figuren zu rekurieren, und sie dabei auch noch lapidar auf kindliche “Mädels” zu reduzieren. Vom dämlich eingedeutschten Wort “taff” mal ganz abgesehen).

Pop Culture needs more Melissa McCarthy

Trotz des gelungenen Doppels sticht Melissa McCarthy dabei nochmal besonders heraus, die auch durch ihre Figur jenseits von Hollywood-Schlankheitswahn mit der Norm bricht: ihre Polizistin Mullins bezieht sich auf die “lustige Dicke” und lässt dann alle, die auf das Klischee hereinfallen, durch ihre einschüchternde, wortgewaltige und rabiate Art gehörig auflaufen. Begeisternd ist die Glaubwürdigkeit der Figur. Wenn sich die verschüchterten Ex-Lover der ungeschminkten, bequem gekleideten Mullins nähern und sehnsuchtsvoll fragen, warum sie sich denn nach dem One-Night-Stand nicht gemeldet habe, dann glauben wir ihnen sofort, dass und warum sie ihr verfallen sind. Und auch aus einem anderen Blickwinkel ist McCarthys Officer Mullins eine viele zu seltene und umso bemerkenswertere Erscheinung: Bereits 2011 stellte ein Kritiker fest, dass Hauptdarstellerinnen in Actionfilmen für die Kämpfe und Verfolgungsjagden, in die sie angeblich verwickelt sind, längst viel zu dünn seien. Und auch 2013, insbesondere im Bereich der Comic-/Superhelden-Verfilmungen, fiel dies wieder stark auf (dazu auch lesenswert: Pop culture needs more Brienne of Tarth). McCarthy ist das Gegenteil, ohne dass ihr Dicksein als ein angebliches Defizit thematisiert wird.

Angesichts der eingangs genannten deprimierenden Zahlen lastete auf einer Komödie wie “The Heat” natürlich ein großer Erwartungsdruck: zum Beispiel zu zeigen, dass Buddy-Komödien mit Frauen funktionieren, oder Polizei-Action mit Frauen. Und, once again, gegen das Klischee anzukämpfen, dass Frauen nicht lustig sein können (oder eben anders als Männer: schrill, kreischig, hysterisch und damit als “schlechter” konnotiert). Aber Entwarnung! Für “The Heat” ist das alles kein Problem. Er tritt nicht an, um etwas zu beweisen, sondern um ein unterhaltsamer Film zu sein und beweist es eben gerade dadurch. Statt “Ausnahme von der Regel” ist er ein ungeduldiges Kopfschütteln: Warum gibt es nicht mehr davon?

5 Antworten zu “Wo sind die Frauenfiguren im Kino? Zumindest in „The Heat“!”

  1. Claire sagt:

    Danke für diesen Artikel. Ich habe Filmen, die nach dem Prinzip One Man – One Mission aufgebaut sind, bereits seit langem abgeschworen (selbst James Bond langweilt mich dahingehend). Den Bechdel Test mache ich nach fast jedem Film automatisch, meist mit einem enttäuschenden Ergebnis (Ich bin mir sogar sehr sicher, dass es ganze Serien gibt, die den Test nicht bestehen würden, z.B. Entourage).

    Andererseits bin ich bei Filmen wie The Heat auch zwiegespalten: einerseits möchte ich Filme mit Frauen unterstützen (Kinobesuch/DVD), andererseits finde ich es aber doof einen Film „nur“ zu gucken, weil Frauen mitspielen, auch wenn der Plot mich eher nicht interessiert, denn das ist meiner Ansicht nach auch nicht die Lösung. Und immer wieder denke ich: Es kann doch nicht so schwer sein, ein breites Panorama an Frauenfiguren zu kreieren, auch in Hollywood gibt es so viele tolle Frauen, warum „darf“ ich von denen immer nur eine oder maximal zwei in einem gemeinsamen Film sehen?! Oder warum gibt es nicht mal einen weiblichen Bond? Toll fand ich auch den „Lord of the rings gender swap“: http://www.buzzfeed.com/donnad/gender-swapped-lord-of-the-rings-casting-is-perfection und damn, würde ich diese Version gerne sehen…

    • Auto_focus sagt:

      Hallo! Danke für deinen Kommentar – da rennst du bei mir auch offene Türen ein :) Die Auswahl könnte und müsste viel größer sein, denn natürlich ist es keine Lösung, sich nur „der Sache wegen“ Filme anzugucken, die eine_n inhaltliche gar nicht so interessieren. Diese „Herr der Ringe“-Version hat mich auch sehr begeistert – und es ist doch schon sehr bezeichnend, dass wir uns das kaum vorstellen können, ein solcher Blockbuster von epischer Breite mit einem nicht-frauenspezifischen Thema, besetzt fast ausschlißlich mit Frauen. Während wir das gleiche mit Männern ständig und dauernd vorgesetzt bekommen. Das ist noch ein weiter Weg…

  2. Stine Eckert sagt:

    Vielen Dank für den Artikel und auch den Hinweis auf NPRs Beitrag von Linda Holmes zur Szene in und um DC. So ist der Eindruck der sich immer wieder aufdrängt auch mal mit einer konkreten Zahl belegt, zumindest im Raum DC. (Und wenn man die Blockbuster listings in anderen US-Städten sich hier ansieht, sieht es dort nicht groß anders aus.) Es wäre interessant wenn Du oder eine andere Autorin auch mal einen ähnlichen Test in Deutschland in einer Großstadt machen würdet. Würden deutsche Produktionen ähnlich abschneiden?

  3. […] in Sachen Diversität bei Storys und Figuren gerade relativ einseitig aussieht, gab es hier bereits neulich zu lesen. Und obwohl TV-Serien in den letzten Jahren viele innovative Geschichten, Charaktere und Settings […]

  4. […] erstmals eine saudi-arabische Frau Regie. Und die macht dann mit ihrem Drehbuch auch noch das, was noch nicht mal an Orten wie Hollywood & Co. selbstverständlich ist, indem sie weibliche Figuren ganz in den Mittelpunkt ihrer Geschichte stellt. Jepp, eindeutig volle […]