Von Straßenkunst und modernen Heiligen – Interview mit Various & Gould
Das Künstler_innen-Duo Various & Gould ruft für morgen, den 13. August 2013, in Berlin zu einer öffentlichen „Heiligenprozession für Datensicherheit und den Erhalt irdischer Freiheit und alternativer Kultur“ auf.
Was es mit dieser #holyhelpers-Demo und modernen Heiligen wie Santa Data auf sich hat, aber auch wo die beiden Urban Artists sonst so ihre kreativen Finger im Spiel haben, verrieten sie mir im Interview.
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kleinerdrei: Zuerst einmal für all jene, die euch noch nicht kennen: Wer seid ihr und was macht ihr?
Various & Gould: Wir sind Various & Gould, ein Künstlerduo aus Berlin. Wir haben zusammen an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert und arbeiten seit 2005 eng zusammen. Uns verbindet die Liebe zu Papier, die Begeisterung für zufällige Schönheit im Alltag und vor allem die Arbeit im öffentlichen Raum. Meistens gestalten wir Siebdrucke und Plakate, aber seit einer Weile reizen uns auch Installationen und Performances immer mehr. Und was den Broterwerb angeht, so versuchen wir tatsächlich von unserer Kunst zu leben.
kleinerdrei: Ihr tummelt euch mit eurer Kunst ja auch sehr viel auf der Straße und das nicht nur in Berlin. Wie wichtig ist euch die Verbindung von drinnen und draußen wenn es um eure Kunst geht? Was macht den Reiz aus, die eigenen Werke z.B. direkt auf (internationale) Häuserwände zu kleben?
Various & Gould: Da die Straße und die Stadt, die uns umgibt, uns immer wieder inspiriert und uns stetigen Input gibt, ist es nur natürlich, dass sie auf unsere Kunst zurückstrahlt und auch in ihr stattfindet. Es ist wie ein Geben und Nehmen. Urbanität bedeutet ja schließlich auch Gesellschaft und Dialog.
Am Anfang haben wir die Straße vor allem als eine wunderbar freie Experimentierfläche gesehen und dort dementsprechend alles mögliche und auch viel Unsinn ausprobiert, hehe. Es ging manchmal mehr ums Machen, als um das, was wir gemacht haben. Mit der Zeit haben wir dann aber angefangen, uns bewusster damit auseinanderzusetzen. Inzwischen begreifen wir den öffentlichen Raum als ein Medium, mit dem man in der Gesellschaft künstlerisch wirken kann. Wir versuchen reflektiert mit Orten umzugehen. Unser Obdachlosen- und Flaschensammel-Heiliger St. Redundus passt zum Beispiel wunderbar neben einen Späti.
kleinerdrei: Was haltet ihr eigentlich von dem Begriff Street Art oder auch Urban Art? Ausgelutschter Hype, akkurate Beschreibung oder vollkommen egal?
Various & Gould: Nun, die Dinge brauchen nun mal Namen… Als der Begriff Street Art aufkam, fühlte er sich erst einmal irgendwie falsch an und von außen aufgestülpt. Trotzdem benutzen wir ihn mittlerweile auch selbst. Hype hin oder her – die Leute wissen dann einfach, worum es in etwa geht. Den Begriff Urban Art mögen wir vielleicht noch lieber. Er lässt mehr Raum für Assoziationen. Ähnliche Namensdiskussionen gibt es eigentlich in jeder Kunst- und Musiksparte.
Generell verändern sich Begriffe ja auch dadurch, wie und in welchem Kontext sie benutzt werden. Es gibt von Daniel Feral z. B. ein sehr schönes Diagramm, in dem er Graffiti und Street Art inmitten lauter anderer -Ismen einbettet und deren Wechselwirkung aufzeigt. Da findet man dann Street Art schon in den Siebzigern. Plötzlich hat der Begriff dann Geschichte statt Beigeschmack.
kleinerdrei: Künstlerisch seid ihr ja als Duo unterwegs, wart aber auch schon einzeln als Künstlerin_Künstler aktiv. Wie muss man sich da eigentlich eure Arbeitsweise vorstellen? Und was sind die Vorteile davon?
Various & Gould: Grundsätzlich setzen wir uns gerne mit Inhalten auseinander, die wir dann spielerisch in Angriff nehmen. Das ist so ähnlich wie beim Ping Pong! Meistens fängt das mit einer einzelnen Idee an. Wir erzählen einander etwas, die/der andere steigt dann drauf ein, und es geht hin und her.
Lustigerweise haben wir dabei auch immer wieder sehr produktive, kleine Missverständnisse. Naja, Missverständnis trifft es nicht ganz, es geht eher um verschiedene Vorstellungen, die wir haben, obwohl wir denken, eigentlich über das Gleiche zu sprechen. Also wenn man sich das jetzt quasi in einem Comicstrip vorstellen würde, sähe man uns beide, wie wir das gleiche Wort sagen, aber in den Denkblasen über unseren Köpfen wären ganz unterschiedliche Bilder. Ja, dann überhaupt erst mal im Laufe des Prozesses erstaunt festzustellen und die verschiedenen Bilder miteinander abzugleichen – das führt uns dann zu ganz neuen Ansätzen, auf die wir alleine nicht gekommen wären.
Der stetige Austausch in unserer Zusammenarbeit funktioniert natürlich nur, wenn man Kritik nicht persönlich nimmt. Und indem wir bei der Umsetzung einer Idee meistens collagieren, also die Collage als offenes Prinzip des Zueinanderfindens wählen, brauchen wir uns auch nicht auf Teufel komm raus um eine Handschrift zu bemühen. Dinge müssen auch einfach mal nebeneinander stehen können.
kleinerdrei: Ob Workshops, Marionetten, Baum-Installationen oder Papergirl: Ihr habt eure kreativen Finger ja in ziemlich vielen und vor allem unterschiedlichen Projekten und Kunstformen drin. Was sind eure Lieblinge darunter und wieso bzw. seht ihr, dass ihr euch sogar auf eins davon konzentrieren wollt oder möchtet ihr lieber vielfältig bleiben?
Various & Gould: Bei Various ist die Vielfalt ja bereits im Namen gegeben, hehe. Für uns ist Kunst so vielfältig wie das Leben und wir suchen uns einfach je nach Idee die passende Ausdrucksform. Wenn man genauer hinsieht, so finden sich in unseren Projekten – auch wenn die Erscheinungsformen verschieden sind – doch inhaltlich wiederkehrende Themen wie Arbeit, Geschlechterrollen, Gesellschaft…
Einerseits werden Siebdruck-basierte Arbeiten sicherlich noch lange unser Schwerpunkt bleiben, aber wie schon gesagt, interessieren wir uns mehr und mehr für Performance-Aktionen im öffentlichen Raum. Die Interaktion mit Menschen bringt sehr direktes Feedback mit sich und birgt gerade auch durch Zufälle und ungeplante Wendungen ganz neue Herausforderungen. Ein Schlüsselmoment war für uns in diesem Zusammenhang unsere Performance „Zu Gast Arbeit“, die wir letztes Jahr in Istanbul durchgeführt haben.
kleinerdrei: Euer nächstes großes Projekt ist eine Heiligenprozession, die morgen am 13. August durch Berlin führen soll. Wie kamt ihr auf die Idee dazu und was hat es mit modernen Heiligen wie Santa Data auf sich? Wer kann mitmachen?
Various & Gould: Eigentlicher Auslöser waren der NSA-Überwachungsskandal, losgetreten durch die Enthüllungen von Edward Snowden, und die darauf folgende gefühlte Sprach- und Tatenlosigkeit in der deutschen Politik.
Mit dem uns zur Verfügung stehenden Werkzeug – der Kunst – möchten wir nun unserer Bestürzung über das Dateninferno und andere Probleme Ausdruck verleihen. Bei unserer Siebdruckserie Sankt Nimmerlein handelt es sich um eine 10-köpfige Reihe von frei erfundenen Heiligen-Figuren, für die wir uns mit komplexen Themenfeldern wie Globalisierung, Gentrifizierung, Klimawandel und eben halt auch Datenschutz beschäftigt haben.
Für Dienstag, den 13. August 2013, haben wir in Berlin unter dem Namen #holyhelpers zu einer öffentlichen „Heiligenprozession für Datensicherheit und den Erhalt irdischer Freiheit und alternativer Kultur“ (alle Infos hier) aufgerufen. Jede_r ist willkommen, egal ob gläubig oder Atheist_in! Mit einer fröhlichen und friedlichen Gruppe Gleichgesinnter und ausgestattet mit Talaren, Weihrauch und Brause-Ufo-Hostien werden wir vier überlebensgroße Siebdruck-Heiligenfiguren zu ganz bestimmten Pilgerstätten bringen und dort installieren. Die Schutzheilige der Kabel und Geräte, Santa Data, kommt beispielsweise zur Baustelle des BND und Sankt Gentrifizian zum ehemaligen Tacheles.
Wir sind überzeugt, dass das jeweils Orte sind, an denen die Menschen verzweifeln und dringend der Hilfe von oben bedürfen! Unser Prediger Yaneq, der „Party Arty Diktator und Hohepriester der Humanist Church of Phonk“ wird die Prozession anführen und an jeder Station die feierlichen Riten vor der versammelten Pilger_innenschar vollziehen.
kleinerdrei: Zu guter Letzt: Plant ihr Nachfolge-Demos oder ähnliche Projekte? Wo kann man euch und eure Arbeiten z.B. dieses Jahr sonst noch so sehen?
Various & Gould: Na klar, wir haben noch viel vor! Im September werden wir beim Art Village auf dem Berlin Festival zu Gast sein. Diesmal wird Yaneq dort mit den Künstler_innen ein tatsächliches Dorf aufbauen und wir werden für die Church of Phonk die Kirchenfenster gestalten.
Außerdem planen wir für November eine Ausstellung in der Berliner Open Walls Gallery, wo wir eine neue Druckserie von uns präsentieren möchten. Thema werden diesmal Hexen sein.
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Various & Gould verlinkt und auf einen Blick:
• Various & Gould Webseite
• Flickr-Gruppe von Various & Gould
• Facebook Event zur Demo #holyhelpers
• Kurz-Doku, die Various & Gould auf der Straße begleitet: