Die Pflicht zum zivilen Ungehorsam

Foto , CC BY 2.0 , by Roscoe Myrick

Sommer 2018 in Deutschland: Nazis können ohne Probleme durch Straßen marschieren und Menschen attackieren. Eine Partei die im Bundestag sitzt, marschiert mit diesen Nazis und wir haben einen Innenminister und einen Verfassungsschutzpräsidenten, die all das leugnen.

Ich fühle dabei nur noch eins: Angst. Angst, dass es jetzt jeden Tag so weitergeht. Ich muss ernsthaft darüber nachdenken, wo ich hin darf, wo ich überhaupt noch sicher bin. Diese Gedanken reichen bis zu einer eventuell sogar notwendigen Flucht.

Und was macht ihr, weißen Deutsche? Ihr sagt, dass ihr als Weiße, auch Rassismus erleben würdet, dass wir, People of Colour die euch nicht “deutsch genug aussehen”, Parallelgesellschaften bilden würden und selbst schuld wären, wenn wir Rassismus erleben, denn wir seien angeblich “nur nicht fähig uns richtig zu integrieren”. Ihr sagt, dass ihr natürlich gegen Nazis, aber selbst ja keine seid und man das Ganze differenziert betrachten muss.

Klar, wir müssen die Dinge differenziert betrachten. Aber das heißt ebenso, dass ihr erkennt, dass auch ihr immer noch durch rassistische Vorurteile geprägt seit.

Gelernte Denkmuster neu einzuordnen und zu erkennen, dass diese Denkmuster durch Rassismus beeinflusst sind, braucht Zeit und Arbeit an sich selbst, aber es ist absolut notwendig, um ein_e Verbündete_r im Kampf gegen Rassismus sein zu können.

Ich fordere euch daher auf, eure Privilegien und Leerstellen zu hinterfragen und zu handeln, statt einfach „uns“ die Schuld zu geben oder die Verantwortung komplett auf People of Colour zu schieben. Fangt außerdem an, euch mit anderen Mitteln des Protests und der Unterstützung marginalisierter Menschen auseinanderzusetzen. Bleibt nicht einfach still, sondern helft aktiv!

Gewaltfrei – aber mit allen Konsequenzen

Henry David Thoreau hat 1849 zum ersten Mal den Begriff zivilen Ungehorsam (civil disobedience) verwendet. Er selbst protestierte in diesem Sinne gegen den Mexikanisch-Amerikanischen Krieg und die Sklaverei und weigerte sich einfach Steuern zu zahlen, wofür er am Ende sogar kurz verhaftet wurde. Er setzte sich für ein Gewissensrecht der Moral ein und damit gegen Ungerechtigkeiten in der bestehenden Demokratie.

Dazu bedarf es seiner Ansicht nach redlicher Bürger_innen, die sich verpflichtet fühlen, Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und im Zweifel auch anders zu handeln. Mit Sicherheit gibt es viele Menschen die prinzipiell gegen Krieg oder Sklaverei sind, so Thoreau, aber sie handeln viel zu selten. Er selbst hat zum zivilen Ungehorsam gesagt:

“Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Krieg und Sklaverei sind und die doch praktisch nichts unternehmen, um sie zu beseitigen; die sich auf den Spuren Washingtons oder Franklins glauben und zugleich ruhig sitzen bleiben, die Hände in den Taschen, sagen, sie wüßten nicht, was zu tun sei, und eben auch nichts tun; Menschen, für die die Frage der Freiheit hinter der des Freihandels zurücktritt und die nach dem Essen in aller Ruhe die Tagespreise zugleich mit den letzten Nachrichten aus Mexiko lesen und vielleicht über diese Lektüre einschlafen.“

Ziviler Ungehorsam wird fälschlicherweise häufig mit einem Umsturz bestehender Ordnung assoziiert, doch das Gegenteil ist der Fall. Es geht um politische Partizipation, bei der Menschen bewusst gegen bestehende Gesetze verstoßen, um in der Konsequenz die Verfassung zu schützen.

Wir handeln dabei im Einklang mit unserem Gewissen, nicht mit dem (bestehenden) Recht, aber es passiert zum Schutz unserer Demokratie und damit ist es unsere Pflicht. Wir wollen gar nicht die bestehende demokratische Ordnung abschaffen, vielmehr wollen wir sie stärken.

Dass wir dabei mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, ist uns bewusst und wir nehmen es in Kauf, um die Welt zum Beispiel nicht den Rechtsextremen und Faschisten zu überlassen.

Auch Gandhi und Martin Luther King Jr., gelten als “Väter” des Begriffs des zivilen Ungehorsams, wobei Gandhi von zivilem Widerstand sprach und seine Thesen auf den Hinduismus und den Jainismus zurückzuführen sind. Die Soziologin Elke Steven merkt dabei an, dass „Frauen (…) paradoxerweise nicht als Mütter des Zivilen Ungehorsams“ gelten.

Obwohl zum Beispiel eine Rosa Parks im Kampf gegen die rassistische Segregation in den USA das Gesetz brach, indem sie als Schwarze Frau einfach vorne im Bus sitzen blieb, statt diesen Platz für einen weißen Mann zu räumen. Oder obwohl Frauen in Frankreich und Deutschland mit der Kampagne „Wir haben abgetrieben“ die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einforderten und sich damit selbst erstmal eines Verbrechens bezichtigten.

Übernehmt Verantwortung

Ihr seid cis, weiß, finanziell halbwegs abgesichert? Dann ist es eure Aufgabe, nein sogar eure Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und zivilen Ungehorsam zu üben! Das bedeutet zum Beispiel auch, sich Nazis in den Weg zu stellen, nicht mehr nur zu diskutieren, sondern zu handeln.

Klar ist Diskussion dabei auch eine Handlung. Allerdings reicht es heute nicht mehr aus, nur miteinander zu sprechen. Es müssen den Worten auch Taten folgen. Die Neue Rechte tut das im übrigen bereits. So hat Alexander Gauland kurz nach der Bundestagswahl 2017 gesagt “Wir werden sie jagen!” – ein Jahr später sehen wir die Auswirkungen solcher Worte und wie Menschen von Rechtsextremen durch die Straßen gejagt werden.

Wir müssen endlich anfangen, uns selbst aus der Komfortzone zu holen. Dabei ist mir wichtig zu sagen, dass ich weiß, dass nicht jede Person auf die Straße kann, weil es gesundheitlich vielleicht nicht möglich ist oder weil andere Gründe dagegen sprechen – und das ist auch völlig okay. Ihr habt aber auch anders die Möglichkeit gerade antirassistische Kämpfe zu unterstützen und Verbündete zu sein. Genauso verstehe ich, dass die Aufforderung aktiv zu werden, ziemlich viel Druck ausüben kann. Ihr könnt aber trotzdem eure Freund_innen und Bekannten motivieren und auffordern, eurem Beispiel zu folgen. Ihr könnt Infos und Analysen zu aktuellen Nachrichten teilen oder eure Ressourcen nutzen, um die Arbeit von Menschen die Rassismus erfahren, zu verbreiten und unterstützen.

Aber damit wir weiterkommen und die Rechtsextremen nicht noch mehr Raum einnehmen, braucht es uns alle, gemeinsam. Dafür brauchen wir einen kollektiven zivilen Ungehorsam und das heißt, dass wir alle den Arsch hoch kriegen müssen.

Diskussionen auf einer Meta-Ebene hatten ihre Zeit, damit muss jetzt Schluss sein! Ich möchte nicht weiter darüber streiten, ob man Nazis zuhören sollte, sondern möchte dass wir endlich an den Punkt kommen, alle zusammen, aktiv etwas gegen faschistisches Gedankengut und Handeln zu tun.

Ein Beispiel ist für mich dabei die Blockade einer Nazi-Demo. Wenn eine einzelne Person auf der Strecke einer Nazi-Demo eine Sitzblockade startet, wird sie ziemlich sicher einfach von der Polizei weggetragen. Sitzen dort aber 150 oder sogar noch mehr Menschen, dann wird es schon schwieriger so etwas aufzulösen. Solche Blockaden sind eigentlich nicht erlaubt, aber ich bin der Meinung, dass sie unerlässlich sind.

Jetzt sagt ihr vielleicht „Aber es gibt doch das Recht auf Demonstrationen und das ist auch im Grundgesetz verankert!“. Darauf erwidere ich euch nur: Ja, das gibt es, aber es gibt, jedenfalls für mich, kein Recht auf Nazipropaganda. Und wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der das der Konsens ist. Mit diesem Wunsch bin ich hoffentlich nicht allein – und ihr auch nicht.

Denn wenn ihr genau hinschaut, seht ihr, dass ihr nicht alleine seid:


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