Wie kann ich Belästigungssituationen entschärfen? – Eine kleine Einführung in Zivilcourage

Foto , by Brooke Lark

In mir brodeln gerade gefühlt 30 Texte zur #metoo-Debatte, nicht zuletzt, weil wir uns in Deutschland natürlich schon wieder knietief im Backlash befinden, statt Betroffene zu Wort kommen zu lassen, geschweige denn gesellschaftliche Lösungen zu diskutieren.

Da ich aber zur Zeit gehörig die Schnauze voll davon habe, mal wieder die geduldige Erklärbärin zu spielen, wenn andere ihre ekligen sexuellen Belästigungen als falsch verstandene Flirts verkaufen wollen, wende ich mich lieber den praktischen Hinweisen zu.

Denn hey, es gibt ja immerhin den_die ein oder andere_n, der_die verstanden hat, dass Veränderung zuerst bei unserem eigenen Verhalten anfängt. Sollte das bei dir der Fall sein, ist diese Liste für dich! <3

Die Wahrheit ist nämlich: Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass diese Gewalt jeden Tag mitten unter uns passiert. Aber es gibt Dinge, die wir alle jeden Tag tun können (und sollten), wenn wir Zeug_innen werden, wie andere Personen belästigt oder angegriffenen werden.

Dabei lässt sich diese Liste mit Hinweisen nicht nur aufs Einmischen bei sexuellen Belästigungen übertragen, sondern gilt genauso für rassistische, antimuslimische, antisemitische, transfeindliche, homofeindliche etc. Attacken (zumal diese ja oft eh mit einander verwoben sind) – und vieles davon kann zum Beispiel auch auf den Online-Bereich übertragen werden.

Trotzdem gleich vorweg: Das hier ist keine 100%-Anleitung oder auch -Garantie, aber es ist ein Anfang und soll dir helfen, deinen Gedanken über Zivilcourage auch Taten folgen zu lassen wenn es drauf ankommt.

Am besten trainierst du diese Situationen auch einfach zunächst mal mit vertrauten Menschen oder spielst den Ablauf zumindest im Kopf mehrmals für dich durch, damit du dieses Protokoll im Notfall abrufen kannst.

Die erste Regel lautet auf jeden Fall: Tu etwas!

Zu schweigen und nichts zu tun, ist immer gleichbedeutend mit Zustimmung. Es lässt die betroffene Person im Stich und setzt sie im schlimmsten Fall noch größerer Gefahr aus.

Wenn du nicht sicher bist, ob es sich um eine Belästigung handelt, gilt es einfach nachzufragen. Ein kleines „Ist bei dir alles okay?“ kann im Zweifelsfall sehr viel ausmachen und Betroffenen die Möglichkeit und Sicherheit geben, eine für sie unangenehme oder gar bedrohliche Situation zu verlassen.

Und ja, es tut weh das erwähnen zu müssen, aber: Verlass dich nicht darauf, dass andere Menschen schon einschreiten werden. Im besten Fall führt dein Einmischen aber vielleicht sogar dazu, dass auch andere unterstützend einschreiten.

Einschreiten, Ablenken, Delegieren, Verzögern

Generell solltest du immer auf dein Bauchgefühl hören, was deine eigene Sicherheit angeht. Das Ziel sollte stets sein, die Gewalt der Situation nicht weiter eskalieren zu lassen und die belästigte/angegriffene Person in Sicherheit zu bringen. Dazu solltest du zunächst mit der betroffenen Person Augenkontakt aufnehmen und ihr damit signalisieren, dass du den Ernst der Lage erkannt hast. Achte auf mögliche Hinweise/Anzeichen (also auch Körpersprache) der betroffenen Person, welche Art der Hilfe sie eventuell gerade für sich bevorzugt.

Solltest du dich sicher genug damit fühlen (aber wirklich nur dann!), platziere dich auch körperlich in der Nähe der Situation oder vielleicht sogar zwischen der betroffenen Person und dem_der Belästiger_in, entweder als direkte Barriere oder zumindest um Distanz zwischen den beiden zu schaffen.

Du solltest auch beachten, ob die betroffene Person versucht den Angriff zu „ignorieren“ (wenn es z.B. um zugerufene Beleidigungen geht) oder auf den_die Belästiger_in reagiert. Wenn sich die betroffene Person bereits selbst wehrt, respektiere das auf jeden Fall, statt ihr zu sagen was sie tun sollte.

Es gibt vier Möglichkeiten eine Belästigungssituation zu entschärfen: Einschreiten, Ablenken, Delegieren, Verzögern. Diese müssen nicht unbedingt als Entweder/Oder betrachtet werden, sondern können auch unterschiedliche Stufen darstellen wie du dich einmischst.


Direktes Einschreiten:

Du mischst dich direkt in die Belästigungssituation ein
Dem_der Belästiger_in sagst du, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung ist (z.B. „Lassen Sie die Person in Ruhe!“)
Lass dich nicht auf Diskussionen mit dem_der Belästiger_in/Angreifer_in ein, halte dich kurz
Risiko: Angriffe können sich dann auch gegen dich richten, sei dir also schon vorher dessen bewusst
Fühl dich nicht gezwungen, diesen Weg zu wählen (Stichwort Bauchgefühl)
Alternativ/Zusätzlich kannst du der betroffenen Person Vorschläge zur Auflösung der Situation machen: „Wollen wir beide vielleicht das Abteil wechseln/zurück zu unseren Freund_innen bei der Party/in das Café dort vorne gehen etc.?“


Ablenkung:

Indirektes Eingreifen, um Belästigungssituation zu entschärfen
Geh zur betroffenen Person, verwickle sie in ein Gespräch das sich nicht um die aktuelle Situation dreht
Beispiele: nach Uhrzeit oder Weg fragen; Person wie eine_n Bekannte_n behandeln, den_die du lange nicht gesehen hast; Klingeln an der Tür und nach Zucker für den Kuchen fragen den du backen willst etc.
Ziel ist, sich auf die betroffene Person zu konzentrieren und ihr Sicherheit zu geben; den Angriff zu stören, aber sich nicht auf die attackierende(n) Person(en) einzulassen


Delegieren:

Je nachdem wo du gerade bist, kannst du (eine) weitere Person(en) um Hilfe bitten
Beispiele: jemand vom Zugpersonal, Lehrer_in, Vorgesetzte oder wer sich gerade in der Nähe befindet
Sei dir dessen bewusst, dass es für manche von institutioneller Diskriminierung Betroffene zusätzliche Probleme bringen kann, wenn die Polizei eingeschaltet wird und beziehe das auf jeden Fall vorher in deine Entscheidung mit ein


Verzögern:

Wenn du selbst nicht einschreiten kannst/möchtest (Stichwort Bauchgefühl)
Du wendest dich an die betroffene Person, nachdem die Belästigungssituation vorbei ist
Mit dem Geschehenen nicht alleine bleiben zu müssen, hilft Betroffenen auch
Frag die betroffene Person, ob bei ihr alles okay ist
Frag sie, wie du eventuell weiterhelfen kannst (z.B. sie zu ihrem Ziel begleiten, zusammen einen sichereren Ort aufsuchen, gemeinsam Anzeige erstatten etc.)
Wenn du den Vorfall dokumentiert hast (z.B. Handyvideo), frag Betroffene_n was damit passieren soll

Wie gesagt, diese Liste deckt nicht alle Facetten einer solchen Situation ab, aber es ist sehr wichtig, sich die eigenen Möglichkeiten vor Augen zu führen und zu verstehen, dass du in solchen Momenten etwas tun kannst und solltest. Ich habe mich bei der Liste vor allem an den Hollaback Bystander Resources orientiert. Hier kannst du außerdem noch mal in Form eines Comics von Maeril sehen was du als Zeug_in von anti-muslimischer Belästigung“ tun kannst.

Vergiss auf jeden Fall nicht: Nichts tun ist keine Option, denn sie ist es noch nie gewesen. <3

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