Well shit, es ist passiert

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by Stephen Melkisethian

Die Sache, vor der wir, vor der People of Color, Jüd*innen, Muslime, queere Menschen und deren Verbündete Angst hatten: Die AfD ist drittstärkste Kraft im Deutschen Bundestag.

Wirklich überrascht, dass die AfD in den Bundestag einzieht, waren wir vermutlich alle leider nicht mehr. Die Anzeichen waren jedenfalls vorhanden. Zu hoffen, dass es nicht für den Einzug reicht, hätte meine Wut vermutlich nur noch größer gemacht. People of Color, Jüd*innen, Muslime, queere Menschen: wir alle, die wir vom Hass der AfD am meisten betroffen sind, wussten worauf wir uns an diesem Abend einstellen müssen. Doch genau das macht viele von uns jetzt noch wütender.

Nach den Wahlen versuchen nun Eltern ihren Kindern verständlich zu machen, was gerade geschehen ist. Lehrer*innen versuchen ihren Schüler*innen zu erklären, was passiert ist. Wieder andere Menschen fragen sich, ob sie in Deutschland überhaupt weiter ein Zuhause haben.

Und ich sitze dazwischen und weiß nicht, was ich tun soll.

Wir kämpfen schon längst

Seit Jahren berichten wir von unseren Ängsten, von den Übergriffen und dem Hass, den wir täglich erleben. Trotzdem ist so wenig bis gar nichts passiert. Viel zu häufig saß dafür die AfD in Talkshows und Betroffene kamen nicht einmal zu Wort. Zu oft schauten Menschen weg, wenn in der Öffentlichkeit rassistische Parolen gebrüllt wurden. Zu selten haben Nicht-Betroffene sich solidarisch neben uns gestellt.

Auf Facebook lese ich Aufrufe zum Organisieren, zum „Protest auf die Straße tragen“, um noch mehr zu kämpfen, um es jetzt anders und besser zu machen. Aufrufe, den rassistischen Cousin anzusprechen und mit dem sexistischen Onkel zu reden und ihm zu erklären, was er da eigentlich tut.

Doch niemand von uns, die wir von der Politik einer AfD am meisten bedroht sind, sollte überhaupt gezwungen sein diese Dinge zu tun. Es ist okay, wenn wir uns nun zurückzuziehen und wütend sind, vielleicht auch trauern. Es ist okay, wenn wir sauer darüber sind, dass in dem Land, in dem wir leben und aufgewachsen sind, 12,6% der Wähler*innen, unsere Existenz mindestens infrage stellen. Wir kämpfen schon lange, wir kämpfen eigentlich schon unser ganzes Leben, unsere Verbündeten haben jetzt die Pflicht sich für uns einzusetzen, laut zu werden, sich einzumischen.

#87Prozent reichen nicht

Bei Twitter kam im Lauf des Wahlabends der Hashtag #87Prozent auf und wurde von vielen verwendet, um damit deutlich zu machen, dass sie eben nicht die Politik der AfD gewählt hatten Das geht allerdings an der Realität vorbei. Wir müssen nun umso ehrlicher miteinander sein: es geht bei all dem ja nicht nur um die AfD, sondern auch um Politiker*innen in einer der anderen Parteien, die zum Beispiel rassistisch argumentieren oder sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung stellen.

Es sind eben auch Menschen wie ein Jens Spahn, der sich schon seit Jahren immer wieder gegen emanzipatorische Politik ausspricht. Oder eine Sarah Wagenknecht, die im Wahlkampf plötzlich Dinge wie “[…] klar ist, dass Deutschland nicht alle Armen dieser Welt aufnehmen kann” sagt. Es ist eben auch eine CDU in Thüringen, die nicht mal eine Woche nach der Bundestagswahl, im Landtag gemeinsam mit der AfD gegen die Einrichtung einer Gedenkstätte für NSU-Opfer stimmt. Und weil das noch nicht furchtbar genug ist, stimmten sie ebenfalls gegen eine Entschädigungen für die Hinterbliebenen der Opfer.

Mindeststandard der Menschlichkeit

Rassismus, Sexismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus sind Alltag – vor allem für uns, die wir davon betroffen sind. Zu sagen, dass ich mich jetzt noch freuen soll, dass 87% keine Nazis gewählt haben, ist mehr als zynisch. Schließlich sollte es doch eigentlich ein Mindeststandard der Menschlichkeit sein, keine Nazis zu wählen.

Das Wahlergebnis ist wieder ein Schritt mehr in Richtung der Normalisierung der Rechten in Deutschland. Das einzige Normale daran ist allerdings, dass uns das Angst machen darf. Es ist daher okay Angst zu haben. Okay zu sagen, dass man gerade nicht auf die Straße gehen kann.

Als eine nicht-weiße Person, als Frau gibt es für mich Teile des Landes, wo ich mich einfach schon länger nicht mehr sicher fühle. Und nein, nicht weil ich davon ausgehe, dass ich besser oder schlauer bin, als diejenigen, die AfD wählen, oder weil ich studiere und in einer Stadt lebe in der Nazis es schwer(er) haben. Die Menschen, die für die AfD und ihre Ideologien gestimmt haben, sagen mir selbst, was ich von ihnen wissen muss: wie sehr sie mein Leben und das von queeren Menschen, Jüd*innen, Muslim*innen und People of Color – Menschen die so aussehen wie ich – verachten.

Wie es den Tausenden Menschen gehen muss, die vor Krieg geflüchtet sind, deren Heimat dadurch zerrissen wurde und die hier jetzt wieder nur mit Hass und Gewalt konfrontiert werden, mag ich mir nicht einmal ausmalen.

Verbündete, eure Zeit ist jetzt

Es fühlt sich für mich falsch an, auf Facebook und Twitter oder auch in den klassischen Medien ständig Aufrufe zu sehen, die uns auffordern aufzustehen, noch härter zu arbeiten und noch besser für das Gute zu kämpfen. Klar, ich kann verstehen, woher dieser Drang kommt: Menschen versuchen so einen positiven Weg zu finden, aus dem Schock des Wahlergebnisses wenigstens einen Sinn für sich zu ziehen.

Für mich, als jemand, die von den negativen Konsequenzen des Wahlergebnisses noch einmal stärker betroffen ist, fühlt sich das aber an, als würde jemand bei einer Trauerfeier eines geliebten Familienmitglieds auf mich zukommen und sagen ‚Wisch dir die Tränen weg und mach einfach weiter‘. Das Gefühl, dass eine geliebte Person gestorben ist, ist vielleicht nicht zu 100% vergleichbar, aber für viele von uns kommt das Ergebnis dieser Wahl nah ran.

Gerade dann von Menschen wie mir zu fordern, sofort etwas zu machen und in puren Aktionismus zu verfallen, hilft aber nicht. Ich erwarte jetzt, dass unsere Verbündeten aktiv werden: diejenigen die nicht betroffen sind, aber schon Jahre an unserer Seite stehen und vor allem diejenigen, die bisher schweigend zugeschaut haben. Jetzt ist eure Zeit Position zu beziehen. Damit wir als Betroffene uns in Zukunft nicht jedes Mal, wenn wir jemand Neues kennenlernen, als erstes fragen müssen: Hast du gegen meine Zugehörigkeit zu diesem Land gestimmt?

Gerade keine Kraft – ist auch okay

An alle, die den Wahlausgang am stärksten negativ zu spüren bekommen, möchte ich deshalb diese Worte richten: Es ist okay, wenn wir uns gerade nur von Katzen-GIF zu Katzen-GIF klicken. Wenn wir Beyoncé laut aufdrehen und Musik hören, um unseren Gefühlen Raum zu geben. Es ist okay, wenn wir erst mal nichts zur Wahl sagen. Wer die Kraft hat direkt weiterzumachen und zum Beispiel zur nächsten Demo zu gehen, kann das gerne tun.

Aber unser Widerstand kann auch erst mal nur so aussehen, dass wir uns um uns selbst kümmern und dabei vielleicht die kitschigsten Lieblingsfilme gucken, uns mit Arbeit ablenken, unser liebstes Fast Food essen oder eben auch die Stille und Nähe der Menschen suchen, die wir lieben und die uns auffangen.

3 Antworten zu “Well shit, es ist passiert”

  1. […] es umso entscheidender, dass Allies (Verbündete) den Mund aufmachen, dass sich ins Zeug legen, wie Amina richtig schreibt. Meistens sind wir ja beides, betroffen von Marginalisierung und privilegiert […]

  2. Pinguinlöwe sagt:

    Vielleicht klingen Durchhalteparolen wie blanker Hohn. Tatsächlich weiß ich nichts zu sagen, denn das Wahlergebnis macht mich fassungslos. Aber ohne Hoffnung geht es auch nicht weiter. Ich wünsche und hoffe auf eine Welt in der Leute nicht Angst haben müssen.

  3. […] Josephine Apraku hat beim Missy Magazine „Fünf Dinge, die du als weiße Person gegen Rassismus tun kannst.“ zusammengetragen und Amina schreibt bei KleinerDrei gegen die 87%-Besserwähler_innen-Bräsigkeit. […]