Code stricken mit den Railsgirls

, by Martin Streit für Techettes

Ganz genau kann ich es nicht mehr sagen, aber ich glaube, Anika ist schuld. Als sie letzten April hier einen Artikel über den Rails Girls Summer of Code, ein Programmierstipendium, veröffentlichte, schaute ich nach, ob es nicht einen dieser sparkly Railsgirls-Workshops, bei dem man in Ruby on Rails reinschnuppern kann, auch in meiner Nähe gibt. Den in Frankfurt hatte ich gerade verpasst, Köln wäre die nächste Gelegenheit gewesen, und es klang so gut: alles kostenlos, freundlich, für Beginner_innen. Nur ein Schlafplatz und das Zugticket fehlten.

Seit ich nach Anleitungen stricke, und nicht mehr frei drauf los, und mithilfe dieser Anleitungen nicht nur Flächen oder gerade Schläuche schaffe, sondern mit wenigen Maschen eine Ferse oder gleich ein ganzes Vögelchen in einem Stück formen kann, denke ich über Strickmuster als Code. Frage mich, wie Strickdesigner_innen eigentlich ihre Anleitungen “programmieren”. Und stelle mir vor, ich bin der Computer, der den Code ausführt, Reihe für Reihe. Aber funktioniert das wirklich so?

Letztes Wochenende hatte ich endlich die Gelegenheit, es auszuprobieren, Railsgirls-Workshop in Frankfurt, 10 U-Bahnminuten von mir entfernt. Und wieder ist Anika schuld. Als ich im Sommer bei ihr in Berlin übernachtete, machte sie mir Mut, mich zu bewerben, beantwortete Fragen und räumte Zweifel aus. Nicht, dass ich nicht nervös gewesen wäre. Ich fragte mich: soll ich mir vor dem Workshop irgendein Projekt ausdenken, das sich an einem Wochenende umsetzen lässt, das einfach ist, aber interessant? Welchen Computer nehme ich mit, das süße Ubuntu-Netbook mit dem Mew-Glitzersticker? Oder den großen schweren Windows-Laptop, der in keine Tasche passt, mit extra Maus und extra Tastatur, weil die laptopeigene Tastatur in Tee ertrank? Werde ich alle sozialen Interaktionen meistern? Aber auch hier die Versicherung: Come as you are. Der Rest ergibt sich.

Ich versuchte trotzdem, mich vorzubereiten, zum Beispiel mit tryruby.org, und ich versuchte, den Railsinstaller vor der Installation Party zum Laufen zu bekommen. Kann ja nicht so schwer sein, eine Installation. Meine größte Angst dabei war aber, dass ich, wenn ich das Ding schon installiert habe, bei der Installation Party, bei der alle am Abend vor dem Workshop zusammen kommen, um sich kennenzulernen und Ruby on Rails zu installieren, nur rumsitze und nichts mit mir anzufangen weiß. Hahaha.

Kurz vor der Party habe ich Ubuntu noch ein Update geschenkt, den Dektop des Laptops aufgeräumt und in ein neues Wallpaper-Kleid gehüllt, die Krümel aus den Tastaturen gesaugt und den Dreck vom Bildschirm gewischt. Beide Computer eingepackt und los.

Zu verdanken ist das Railsgirls-Wochenende in Frankfurt vor allem Verena Brodbeck und Silvia Hundegger, die es 2013 zum ersten Mal organisiert haben, dieses Jahr zusammen mit Benedikt Deicke. Ich konnte Verena für diesen Text ein paar Fragen stellen, zum Beispiel, wie sie überhaupt zu den Railsgirls kam:

Verena: Ich hatte 2012 selbst bei einem RG Workshop in München teilgenommen und war vollkommen baff von der tollen, entspannten Atmosphäre, dem Erlebnis mit anderen Frauen Coden zu lernen, jede Frage stellen zu können, zu sehen, dass diese vermeintliche Nerdwelt voller toller Menschen steckt, dass da Spass, Hilfsbereitschaft, Begeisterung ist, dass es auch andere Frauen gibt, die diese fast Besessenheit mit Webcoding hatten. Ach, es war toll. Ich war völlig geflasht. Als ich in Gesprächen mit Coaches und Organizern im Anschluss an den Workshop, bei der Afterparty hörte, dass jeder so ein Event organisieren kann, war der Wunsch geboren. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt hab ich mir schon überlegt wo, wie, wann. Silvia Hundegger, die die gleiche Idee hatte, und ich fanden uns, und so ging alles seiner Wege.

Das Setup vor Ort: Die Zentrale, dort ein großer Raum mit vier oder fünf Gruppen von Tischen, eine kleine Küche mit Freigetränken (yay!), ein Raum mit Sofas, ausreichend Mehrfachsteckdosen, viele Luftballons, Coaches und Organisation mit grünen Namensstickern, Teilnehmerinnen mit roten Stickern.

Als ich meinen Computerfuhrpark ausgepackt hatte, musste ich erst mal feststellen, dass ich sowohl Akku als auch Ladekabel des Riesenlaptops zuhause vergessen hatte. Like a pro. Also fing ich mit dem Installationssetup auf dem Netbook an. Und das war schwieriger als gedacht, auch mit Hilfe der Coaches. Das Schöne daran: nicht nur die Problemfindung und Lösung Schritt für Schritt nachvollziehen zu können, mit allen Sackgassen (die Erleichtung, dass auch Coaches nicht immer sofort wissen, was zu tun ist), sondern auch alles dafür Nötige selbst eintippen zu können und gleich Abkürzungen zu lernen. Während das Netbook arbeitete und arbeitete, konnte ich eine Tischnachbarin mit exakt dem gleichen Laptop nach ihrem Netzstecker fragen und mit dem Windows-Setup loslegen (thanks, Olga!).
Das lief ganz geschmeidig, aber mir war noch nicht klar, WAS wir da eigentlich machen (“na, Ruby on Rails installieren!”), und warum dieser Installationsprozess so umständlich ist. Nina, die mir an dem Abend sehr lange als Coach beistand, erhellte mich: wir haben einen Rails-Server auf meinem Laptop eingerichtet. Ah!

Die Lücke nach Lovelace

Am nächsten morgen hatte ich alle notwendigen Kabel dabei, und eine Armladung voll Vorfreude. Bis es richtig losging konnten wir in Ruhe frühstücken, uns gegenseitig darüber versichern, dass wir uns alle als “Beginner” einschätzen. Dann begann der Tag mit Begrüßung und verschiedenen Talks.
Nicolas, der einen der Sponsoren vertrat, wies darauf hin, dass sich dieses Jahr der Geburtstag von Ada Lovelace zum 200. Mal jährt; Ada Lovelace, die nicht nur als erste Frau, sondern als erste Person überhaupt ein Computerprogramm geschrieben hat. Erstmal klargestellt: Frauen können programmieren und waren dabei schon immer wegweisend. Das ergänzte ein Coach mit einem Zwischenruf aus dem Publikum und erinnerte unter anderem an Grace Hopper und an die ENIAC Girls, über die Lucie hier schrieb, und dass Frauen wie sie aus dem Berufsfeld verdrängt wurden, als Männer erkannt hatten, wie cool das ist, was sie machen. Klar ist, wir (Teilnehmerinnen) waren am Wochenende auch hier, weil es eine Lücke gibt. Weil der Tech-Bereich sich nicht gerade durch Diversität auszeichnet. Weil es ein ziemlich festes Stereotyp dazu gibt, wie jemand aussieht, der programmiert. Der, nicht die. Verena geht in ihrem Talk beim Webmontag Frankfurt nochmal genauer auf diese Stereotypen und die möglichen Ursachen für die Lücke ein. Die Railsgirls-Workshops wurden unter anderem in die Welt gerufen, um diese Lücke zu schließen, um Frauen, die in ihrer Jugend nicht so selbstverständlich ans Hacken und Spielen mit Code und Computern herangeführt wurden wie gleichaltrige Jungs, dafür zu begeistern. Und klar, die Lücke spiegelt sich auch in den Workshops selbst wieder, wo immernoch die deutliche Mehrzahl der Coaches männlich sind.

Ich war auch neugierig, was an Arbeit dahinter steckt, damit die Workshops Wirklichkeit werden können:

Verena: Für jemanden wie mich, der noch nie etwas Ähnliches organisiert hat, noch nie Sponsoren kontaktiert hat, noch nie Entwickler animiert hat, als Coaches zu helfen ist es schon viel Arbeit, weil es so neu ist. Beim dritten Mal lief alles wesentlich runder.
Die Guides, die von der globalen Rails Girls Community zu Verfügung gestellt werden und ständig durch die ganze Community auch verbessert werden, machen es aber selbst für Event-Neulinge super machbar.

Während des Workshops hat mein Geschlecht jedenfalls auf keine unangenehme Weise eine Rolle gespielt, ich hatte keine Angst, dass irgendjemand mir etwas nicht zutraut, weil ich ein Mädchen bin. Wir waren (mit Ausnahmen) alles Beginnerinnen, und aus dieser Perspektive, mit dem Wissen, wir sind hier alle ungefähr auf dem gleichen Level, war es leichter Fragen zu stellen, weiter nachzuhaken, statt zu lächeln und zu nicken, um nicht anderen mutmaßlich mit den eigenen Fragen auf den Keks zu gehen. Sich auf den Inhalt konzentrieren zu können, statt darauf, was für eine Figur man dabei macht, ist eine ganz schöne Erleichterung.

Ganz anders die Erinnerung an meine erste Informatikstunde, Wahlpflichtfach Oberstufe, bei der klar wurde, das ist irgendwie interessant, aber ich gehör da nicht rein. Wo ich der Erwartung begegnete, dass ich „es“ vorher schon können muss, aber das Fach belegt hatte mit der naiven Hoffnung, etwas sehr Nützliches von Grund auf lernen zu können und beigebracht zu bekommen. Etwas, das ich alleine nicht hätte lernen können. Und dafür, für diese Motivation, für diesen Kenntnisstand war der Railsgirls-Workshop genau richtig.

Für mich war das besonders interessant, weil ich oft das Gefühl habe, mich beweisen zu müssen. Nicht nach dem Weg fragen, Möbel komplett allein aufbauen, etc. Lieber keine Hilfsbedürftigkeit zeigen, damit mein Geschlecht nicht zur Ursache eines Hilfsbedürfnisses erklärt wird. Während des Workshops konnte ich mich selbst dabei beobachten, erneut soviel wie möglich alleine schaffen zu wollen. Während ich mich also fleißig durch verschiedene Guides arbeitete, las ich da immer wieder, was ein Coach an welcher Stelle erzählen und erklären könnte, manchmal explizit die Bedeutung des Codes, Linie für Linie. Ich selbst habe aber nur Hilfe gesucht, wenn ich auf Hindernisse stieß, nicht wusste, was ich mit einer Fehlermeldung machen sollte. Weil ich vor allem machen wollte. Und dachte, dass ich dafür nicht jedes Detail verstehen muss. Aber wenn ich ich die Gelegenheit nutzte, Fragen zu stellen, eröffneten sie die Chance noch mehr herauszufinden, als das, was ich fragte.

Home is where the harddrive is

Abgesehen von der etwas stressigen Lautstärke (sehr verständlich bei 42 Teilnehmerinnen und 16 Coaches) und dem Problem, entweder im Zug zu sitzen (I’m getting old) oder alternativ in einem stickigen Raum, war die Atmosphäre super angenehm. Viele Menschen an einem Ort, das ist oft kräftezehrend, aber ich konnte das gut ausgleichen, wenn ich mich auf den Bildschirm konzentrierte. Fast wie zuhause. Oder das Zuhause mitgebracht. Als es mittags Pizza gab, war das wie in meinen schönsten Nerdträumen – mit koffeinhaltigen Kaltgetränken, umgeben von coolen Frauen und dann mit Pizzafingern vor dem Terminal zu sitzen und eine Internetapplikation zu bauen, fuck yeah! Später gab es Torte, und was für eine.

Von Verena wollte ich wissen, was sie sich für zukünftige Ruby on Rails Workshops wünscht.

Verena: Das Ziel mehr Frauen zum Coden anzuregen, die Codingwelt überhaupt vorzustellen, Berührungspunkte zu schaffen, die haben wir – wie wohl alle Rails Girls Events – sicher erreicht. Was wir uns wünschen würden ist, dass daraus langfristig mehr Normalität entsteht, was das Geschlechterverhältnis in der IT-Welt angeht, dass es einfach normal wird, dass Frauen programmieren und diese Reaktion „Was? Du bist Programmiererin?“ mit diesem ungläubigen Fragezeichen auf den Gesichtern der Vergangenheit angehört.
Im Programmieren steckt so viel Kreativität, so viele tolle Projekte, nicht zuletzt auch sehr viele tolle Jobs. Es wäre einfach schade wenn sich nicht mehr Frauen als die 3-4 % dafür gewinnen ließen. Alle, IT-Kollegen, -Projekte, -Produkte, würden von mehr Diversität profitieren.

Und was hab ich am Wochenende eigentlich gelernt? Wie ich einen Rails-Server zum Laufen bekomme, mit mehreren Terminals gleichzeitig arbeite, schnell auf bereits benutzte Befehle zurückgreife, eine Seite baue, auf der ich Bilder und Texte hochladen kann, wie ich eine Vorschaufunktion für die Bilder, eine Kommentar- und eine Einloggfunktion einbaue, wie ich die Seite online pushe, wie ich Internetseitenbestandteile in einer Bentobox ordne, was der Zusammenhang zwischen Model, View und Controller ist (mit dem Aha-Effekt, beim Copypasten wiederzuerkennen, wie die drei zusammengehören), unter anderem, und wie unfassbar glücklich es machen kann zu sehen, wie der Code, den du eingibst, das macht, was du von ihm willst. Davon hätte ich gerne mehr.

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Und ist Stricken wirklich wie Coden?

Yes, but no. Während ich den Anleitungen aus dem Guide folgte, war das tatsächlich wie einer Strickanleitung zu folgen. Mit ähnlichen Fallen: Ist die Anleitung präzise genug, damit ich weiß, was wohin kommt, welches Code-Element in welchem Ordner an welche Stelle oder wo genau ich neue Maschen aufnehme? Setzt sie Wissen voraus, beispielsweise ob ich etwas in den Texteditor oder ins Terminal eingeben muss oder wie der Anschlag funktioniert, den ich machen soll? Halte ich mich für schlauer als die Anleitung, mache es anders, als sie vorschlägt, und stelle dann doch fest, dass es leichter gewesen wäre, ihr Schritt für Schritt zu folgen? Auf jeden Fall ist es bei beidem schwer, die Anleitungen nachzuvollziehen, wenn man die Handgriffe noch nicht gezeigt bekam.

Die Frage ist vielleicht weniger, “Ist Coden wie Stricken?”, sondern erstmal: ist das, was ich beim Workshop gemacht habe, wirklich Coden? Naja. Eher Copypasten. Aber das gehört zur sehr sympathischen Rails Girls Philosophy:
“Copy-pasting rules. Programming per se isn’t central – you can’t really learn to speak Chinese in one day, in a similar manner you can only learn the basic vocabulary and expressions in coding. The goal of every event is to make something visible!”
“Copy-pasting ist ist super. Programmieren an sich ist nicht das, was im Mittelpunkt steht – Du kanst nicht wirklich Chinesisch an einem Tag lernen, ähnlich wie du (bei einem Workshop) nur Grundvokabular und -ausdrücke des Programmieren lernen kannst. Das Ziel der Veranstaltung ist es, etwas sichtbar zu machen”

(Fun fact: ravelry.com, DIE Online-Strickcommunity- und Datenbank ist mit Ruby on Rails geschrieben.)

What’s Next?

Verena habe ich gefragt, wie es für sie nach dem Workshop weitergegangen ist, wie sie den Sprung dahin geschafft hat, jetzt selbst als Frontend-Entwicklerin zu arbeiten.

Verena: Die unglaublich vielen Online-Ressourcen und hilfsbereiten Entwickler machten das möglich. Die Rails Girls Events zu organisieren war aber wohl neben der nicht ausklingenden Begeisterung der größte Faktor. Ich habe darüber so viele Leute in der Tech-Welt kennen gelernt, die mir Tipps geben konnten, habe so auch meinen jetzigen CTO Benjamin Reitzammer kennen gelernt, über den sich das erste Stellenangebot als Frontendentwicklerin bei dem Frankfurter Startup vaamo ergab. Das war vor eineinhalb Jahren. Er sah das Engagement, konnte aber auch sehen, dass ich ernsthaft dabei war, unheimlich viel schon gelernt hatte, z.B. mit einem Versionskontrollsystem wie Git und komplexeren Webprojekten umzugehen.
Es hat sich gefügt. Ist zu einfach, aber vieles ist gut und richtig gelaufen, ich wurde bestärkt die Begeisterung für’s Coden nicht als Spleen abzutun. Und die Faszination hat einfach nicht nachgelassen. Ich hab den Sprung bisher noch keinen Tag bereut.

Ich weiß nicht, wo mich dieses Wochenende mal hinführt, aber ich habe definitiv Blutorangensaft geleckt. Will noch mehr ausprobieren. Mindestens mal alle Ruby-Tutorials durch, die ich finde. Nützliche kleine Dinge bauen. Ich bin immer noch total begeistert vom Event, den netten Menschen, die ich dort traf, der Offenheit und Hilfsbereitschaft. Und ich wünsche mir die Lernsituation vom Wochenende in regelmäßiger und kleiner, mit der Chance, in Ruhe all die Fragen zu stellen, für die noch keine Gelegenheit war und die noch kommen.

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Ob demnächst Railsgirls-Workshops in eurer Nähe stattfinden, könnt ihr hier herausfinden.

Eine Antwort zu “Code stricken mit den Railsgirls”

  1. mai glocke sagt:

    Toller Text! Ich will auch!