Gute Sprache, böse Sprache

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by Hugo Werner

Werden bestimmte Worte oder Ausdrücke als diskriminierend kritisiert, ist das Unverständnis meist sehr groß: Das seien ja bloß Worte und überhaupt, es wäre ja nicht böse gemeint. Daran offenbart sich nicht nur eine fatale Vorstellung von Sprache als etwas, das vom Menschen losgelöst existiert, sondern es verhindert auch ein ernsthaftes Gespräch darüber, wie wir miteinander reden. Politische Sprachkritik kann eine Möglichkeit sein, diese Diskussion (wieder) zu ermöglichen.

Deutschland, 2015: Der bayerische CSU-Innenminister Joachim Herrmann bedient sich rassistischer Sprache, um Roberto Blanco zu „loben“ [CN für diesen Link: Ausschreibung rassistischer Begriffe]. Völlig berechtigt wird Herrmann deswegen in den sozialen Netzwerken harsch kritisiert, quasi zeitgleich wird er von den (natürlich weißen) Antifeminist_innen und AfD-Wähler_innen in Schutz genommen und wieder andere (natürlich: Weiße) basteln sofort an ironischen Witzchen über überkorrektes Gutmenschentum, um sie in Tweets oder den nächsten Gag in ihrer Fernsehshow umzuwandeln. Es folgen Artikel um Artikel, in denen immer wieder darüber diskutiert wird, ob und wann es [für Weiße] okay sei, rassistische Sprache zu benutzen (Antwort: Nein/nie). Es ist immer dasselbe Spiel mit gefühlt immer denselben Akteur_innen: Rassistische Sprache wird geäußert, dies wird kritisiert, diese Kritik wird ins Lächerliche gezogen, bis am Ende alle wieder darüber lachen können – also die Weißen zumindest – und in ein paar Monaten geht alles wieder von vorne los. Dieses Schema ist dabei natürlich auch auf andere Diskriminierungsformen wie Sexismus oder Ableismus übertragbar und läuft dabei meist ziemlich ähnlich ab.

Diesem sich scheinbar stets wiederholenden Ablauf liegt die Vorstellung zugrunde, dass diskriminierende Strukturen wie Rassismus und Sexismus völlig losgelöst von Sprache existieren. Dass Sprache etwas sei, das „richtig“ im Duden und zahlreichen Grammatiken steht, das sich in Fragen der Rechtschreibung und Zeichensetzung erschöpft (manchmal sogar noch in der Typographie), mit dem Nervensägen wie Bastian Sick ganze Stadien füllen. Sprache ist demnach nicht mehr als bloßes Werkzeug der objektiv messbaren, d.h. semantisch feststellbaren Informationsübermittlung. In dieser Vorstellung ist uns jedoch völlig abhanden gekommen, dass Sprache eine wesentliche Notwendigkeit für Politik jeglicher Form ist, dass wir uns im Sprechen mit- und zueinander als Menschen zu erkennen geben und uns als solche auch angesprochen fühlen. „Denn“ – um es mit den Worten Hannah Arendts zu sagen – „was immer Menschen tun, erkennen, erfahren oder wissen, wird sinnvoll nur in dem Maß, in dem darüber gesprochen werden kann.“ (aus der Einleitung zu ihrer Vita Activa)

Sprachkritik bedeutet weder Zensur noch Sprachpolizei

Diesem Grundsatz folgend ist Sprache eine Grundlage des respektvollen Miteinanders unter Menschen und daher sollten wir uns gegenseitig stets genauestens auf den Mund schauen. Wenn ich jemanden bitte, von einer Bezeichnung abzusehen, die ich als diskriminierend empfinde, verlange ich weder nach (Selbst-)Zensur noch nach einer feministischen Sprachpolizei. Im Gegenteil: Die Bitte, eine Bezeichnung doch der Selbstbezeichnung einer Gruppe anzupassen (also z. B. nicht mehr „Schwuchtel“, sondern „schwuler/homosexueller Mann“ zu sagen), bekommt doch gerade dadurch ihr Gewicht, dass auf etwas verzichtet wird, obwohl es nicht explizit verboten ist. Es ist eine reine Frage der Menschlichkeit anderen ihre Selbstbezeichnung zuzugestehen, wenn sie mich darum bitten. Gerade weil mir dadurch nichts verloren geht, gerade weil ich mir dadurch buchstäblich keinen Zacken aus der Krone spreche.

Aber in Zeiten, in denen die aktuelle Tagespolitik überhaupt nur noch durch die immer gleichen Metaphern von Rettungspaketen bzw. Rettungsschirmen vermittelbar ist, blüht eine antifeministische Bewegung, die sich mit aller Kraft dagegen sträubt anzuerkennen, dass Sprache gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur anzeigt, sondern auch dazu beiträgt sie überhaupt erst zu bewirken. Es wundert natürlich nicht, dass dieser gedankliche Spagat zwischen der offensichtlichen Macht sprachlicher Bilder und ihrer angeblichen Bedeutungslosigkeit aufrecht erhalten wird, müssten die Antifeminist_innen doch sonst ebenfalls zu der Schlussfolgerung kommen, dass Sprache gesellschaftliche Entwicklungen auch mitformt. Dass deren gedankenloses und gefährliches Gefasel jedoch immer wieder durch die Medien legitimiert wird, weil sie es nicht schaffen, dem etwas entgegenzusetzen, ist nicht nur sehr ärgerlich, sondern auch hochgradig peinlich. So tragen die Medien auch dazu bei, bisherige sprachkritische Bemühungen zu delegitimieren, die z. B. die Zeit des Nationalsozialismus sprachkritisch aufzuarbeiten versuchten und sehr wohl zeigten, dass sich politische Veränderungen beizeiten in der Sprache niederschlagen und sich dort ablesen lassen.

In was für einer Sprache möchten wir eigentlich leben?

Die Vorstellung einer politischen Sprachkritik ist nämlich keineswegs neu und hat in Deutschland u. a. nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend an Wichtigkeit gewonnen. Zu nennen wären da der jüdische Romanist Victor Klemperer, der in seinen Notizen von der Sprache des Nationalsozialismus berichtet und sie analysiert (später dann als „LTI“ veröffentlicht) oder auch Dolf Sternberger, der zusammen mit Gerhard Storz und W. E. Süskind mit „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ ein ähnliches Projekt verfolgte (und der nebenbei mit seinem Vortrag „Gute Sprache und böse Sprache“ die Inspiration für diesen Text lieferte). Sie und andere lieferten in ihren Texten gute Beispiele dafür, wie aufmerksam und hilfreich Sprachkritik sein kann – vorausgesetzt, man nimmt ernst, wie Menschen sprechen und ist gewillt daraus Konsequenzen zu ziehen.

Die Sprachkritik, also das kritische Nachdenken darüber, wie Menschen sprechen, ist in dieser Form natürlich eine eher akademische Disziplin – aber das braucht sie ja nicht zu bleiben. Politische Aktivist_innen setzen sich auf der ganzen Welt für nicht-diskriminierende Sprache ein: Auch das ist eine Form von Sprachkritik. Die Kritik an Joachim Herrmann oder die Forderung nach gendersensibler Sprache, auch das: Sprachkritik. Aus der intellektuellen Disziplin wird eine alltägliche Tätigkeit, durch die wir unser eigenes Sprachhandeln reflektieren und die uns die Möglichkeit gibt darüber mit anderen sprechen können. Und das ist schön. Die Aufgabe, die angemessenen Worte zu finden, bekommt dabei, sofern wir über andere reden, selbstverständlich auch eine moralische Dimension – ob uns das passt, oder nicht. Jedes Wort und jeder Satz wird damit zu einer Entscheidung, die getroffen werden will: Gute Sprache oder böse Sprache? Eine Frage, die wir uns häufiger stellen sollten, sofern wir an unseren Mitmenschen interessiert sind. Sprache als Medium zu begreifen, das uns zwar formt, mit dem wir gleichzeitig jedoch auch Einfluss auf unsere Welt nehmen können, sollte das Ziel sein. Denn, um Dolf Sternberger mit seinem titelgebenden Vortrag hier das letzte Wort zu überlassen: „Obgleich der Mensch die Sprache nicht geschaffen hat, hat er doch seine jeweilige Sprache zu verantworten.“

5 Antworten zu “Gute Sprache, böse Sprache”

  1. M sagt:

    Im Englischen gibt es den Vorschlag, „Gaycism“ zu benutzen – in Anlehnung an „sexism“

    und „racism“. Finde ich treffend, fürchte aber, dass der sich kaum durchsetzen wird. http://www.slate.com/blogs/outward/2015/06/04/homophobia_doesn_t_accurately_describe_anti_gay_prejudice_here_s_a_word.html

  2. Miriam sagt:

    Mir ist bereits als Kind beigebracht worden, dass man mit den Worten, die man benutzt, eine bestimmte politische Haltung vermittelt. Wer z.B. das heutige israelische Staatsgebiet mit „Palästina“ bezeichnet, gibt damit seine*ihre Haltung zu erkennen, dass er*sie dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Das gleiche gilt selbstverständlich für alle anderen Bereiche auch. Ich finde es absurd, dass die (politische) Macht der Sprache immer noch von so vielen geleugnet wird. Ich glaube, das passiert nur, weil es opportun für diejenigen ist, die aus einer gesellschaftlichen Machtposition heraus mit ihren Begriffen diese Machtverhältnisse zementieren wollen. Wer wirklich glaubt, Sprache hätte keine Macht, hat noch nie länger drüber nachgedacht.

  3. Giliell sagt:

    Immer wieder passend dazu: https://xkcd.com/1216/

    Ich finde ganz wichtig, dass du nochmal hervorhebst, dass es nicht um eine Zensur geht. Es gib in jeder Situation viele verschiedene Arten, etwas auszudrücken. Wenn ich micht für eine entscheide, lehne ich damit alle anderen ab. Für welche ich mich entscheide sagt etwas über mich aus. Wenn ich mich nun für einen diskiminierenden Begriff entscheide, dann sagt das was über mich aus.

    Und darum geht es eigentlich: Diejenigen, die sich gegen die „Sprachpolizei“ wettern wollen keine „Meinungsfreiheit“. Sie wollen eine Kritikfreiheit. Klar darfst du das N-Wort verwenden. Oder diverse andere Ausdrücke für Menschen mit anderer Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Geschlechterindentität. Und ich darf dich deswegen für ein komplettes Arschloch halten und das auch sagen.

    Sagt man das aber, na dann ist mal gleich die Stasi mit dem KGB und der GeStaPo zusammen (weil vor allem letztere total für ihren sensiblen Umgang mit Minderheiten bekannt sind).

    Wichtig finde ich aber auch, was Cat in Chief sagt: Das Selbstdefinierungsrecht muss geachtet werden. Wenn deine Antwort auf die Frage wann es okay sei, rassistische Sprache zu benutzen mit „Nein/nie“ antwortest, dann nimmst du den Betroffenen selbst eine Waffe aus der Hand. Besser wäre „wenn du nicht zu dieser Gruppe gehörst nein, nie“. Denn das ist auch immer eine Debatte, die die Antis in einem Versuch „gotcha“ zu spielen führen möchten: Wenn Obama das N-word sagen darf, warum dann ich nicht? Doppelter Standard! Umgekehrter Rassismus! 11!!!!!!

    Wobei jeder Person eigentlich der Unterschied zwischen „Ich Volltrottel habe mir Salz in den Kaffee gekippt“ und „du Volltrottel hast Salz in den Kaffee gekippt“ klar sein sollte.

    • daniel doublevé sagt:

      ihr habt recht! als ich fragte, ob und wann rassistische sprache okay sei, tat ich das aus einer weißen perspektive heraus und habe das deswegen nur auf weiße bezogen. ich habe das oben daher nochmal editiert, damit klar ist, was ich meine! danke für den hinweis & dein feedback! :)

  4. Bob sagt:

    Nein danke, das wäre ein weiterer furchtbarer und unnötiger Anglizismus.
    In „schwulenfeindlich“ würde dich der Präfix „schwul-“ stören, oder? Fand ich ansonsten nämlich durchaus passender.