„Von der Community, für die Community“ – Ein Rückblick aufs jsfest.berlin

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by Lena Reinhard

Es ist ein kühler Sonntag Abend im September 2013 in Berlin. Ich lehne an der Reling eines Boots namens Hoppetosse, nippe an einem Gin Tonic und sehe auf die erleuchtete Stadt vor mir. Hinter mir stehen Software-Entwickler_innen, Designer_innen, Konferenz-Organisator_innen und viele mehr in kleinen Grüppchen und unterhalten sich, während das Boot langsam vor sich hin schaukelt.

Es ist der Abend der Abschlussparty zur JSConf EU 2013, einer jährlich im September stattfindenden Konferenz für JavaScript-Entwickler_innen. Auf der Konferenz war ich nicht, ebensowenig wie auf allen anderen Konferenzen, die diese Woche stattfanden; aber dafür an jedem Abend seit Dienstag auf einer anderen Party. Und die Parties waren gut. Aber so ganz begreife ich all das noch nicht. Was finden all diese Menschen an diesen Veranstaltungen? Warum reisen sie aus der ganzen Welt hierher, geben Geld aus für Anreise, Konferenztickets und Übernachtungen?

All diese Fragen habe ich im September 2013 nicht beantworten können. Ich bekam eine Ahnung, was das alles sein könnte, aber verstanden habe ich es nicht.

Dann ging ein Jahr ins Land, der Sommer 2014 ging zu Ende, es wurde wieder September, und plötzlich war sie wieder da: die große Konferenzwoche in Berlin.

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Alles neu und alles anders. Oder auch nicht.

In diesem Jahr gab es wieder drei große Konferenzen in Berlin: am Donnerstag, den 10.09., die Reject.JS, am Freitag die CSSConf EU und am Samstag und Sonntag schließlich die JSConf EU. Dazu fanden ebenfalls wieder unzählige kleine Veranstaltungen, Workshops und gemeinsame Barbesuche statt. Was neu war: in diesem Jahr hatte all das einen Namen. jsfest.berlin.

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Das jsfest.berlin 2014

Dieses “jsfest” steht für JavaScript-Fest und für eine Reihe von Veranstaltungen, die innerhalb einer Woche im September 2014 irgendwo in und um Berlin stattfanden. Eine Veranstaltung in Hamburg war auch dabei, wenn man „in und um Berlin” etwas weiter fasst, fällt das da ja irgendwie auch mit rein. Rein theoretisch geht es um Veranstaltungen rund um die Programmiersprache JavaScript. Rein praktisch ging es eher auch um die Programmiersprache JavaScript. Mindestens an der inoffiziellen Auftaktveranstaltung, dem Eisessen „iceCSScream“ für CSS-Expert_innen, ist schnell zu erkennen: diese Umschreibung stimmt auch nur so halb. Irgendwie ging es um mehr als JavaScript: so gab es zum Beispiel auch Vorträge über Flugzeugabstürze, Harry Potter, und darüber, die eigenen Wurzeln zu kennen.

Neben dem CSS-Eisessen und den drei Konferenzen gab es beim jsfest.berlin 2014 unter anderem ein JavaScript Charity Coding, das Extensible Web Summit, einen Restaurantbesuch, Jugend Hackt, einen Web Audio Hackday, CSSClasses, die Relax.js und viele mehr.

Viele der Menschen, die für diese Woche anreisten, waren zum wiederholten Mal da, einige auch zum allerersten. Viele von ihnen sind von weit her angereist – aus Afrika, Nord- und Südamerika, Australien, Asien, allen Ecken Europas und Berlins.

Ich besuchte einige Veranstaltungen und traf viele, viele Menschen in dieser Woche. Mit einigen sprach ich, und manche von ihnen fragte ich, warum sie all das eigentlich machen und warum sie sich das antun: die Kosten, den Jetlag, die Großveranstaltungen mit 300-600 Anwesenden, den Schlafentzug, das voll gepackte Programm.

Die meisten von ihnen antworteten: wegen der „Community“. Aber wer ist das eigentlich, diese „Community“? Und woher kommt bei Gesprächen über diese „Community“ der begeistert-entrückte Gesichtsausdruck?

„Von der Community, für die Community“

Die drei großen Konferenzen (Reject.JS, CSSConf EU und JSConf EU) standen auch in diesem Jahr wieder unter dem Motto „From the Community, for the Community“ („Von der Community, für die Community“).

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Diese „Community“ war mir immer ein Rätsel. Oft sah ich „Familienfotos“ von Konferenzen, auf denen sich zum Abschluss der Veranstaltung eine große Menge Menschen irgendwo aufstellte und fröhlich in eine Kamera winkte. Ich sah, wie sie sich gegenseitig auf Twitter schrieben, schon Wochen vor Veranstaltungen nachschauten, wer alles dort sein würde; wie sie begeistert Tweets von Konferenzen verfassten, sich darüber freuten, wen sie alles trafen, mit wem sie gemeinsam programmierten, mit wem sie abends auf Parties redeten und wen sie alles wiedersahen, wenn sie irgendwo im Ausland im Urlaub waren.

All das wirkte auf mich immer ein wenig fremd.

In den letzten beiden Jahren bekam ich immer mehr aus dieser „Community“ mit – folgte Menschen auf Twitter, las Blogposts, schaute mir neue Technologien an, traf immer mehr Menschen auf den Veranstaltungen und Konferenzen, die ich besuchte. Und in diesem Jahr bekam ich erstmals eine Ahnung davon, wovon genau sie da eigentlich sprachen.

CSSConf EU 2014

Wer ist diese “Community”?

Nun ist es mit der Beschreibung von großen Gruppen ja immer so eine Sache. In dieser jsfest-Woche trifft eine Vielzahl von Menschen aufeinander: Und dann lässt sich das noch etwas weiter eingrenzen: da sind Designer_innen, die Oberflächen und Interaktionen (UI und UX) gestalten, zum Beispiel auf Webseiten und in Anwendungen.

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Da sind Programmierer_innen, die Seiten, Anwendungen und mehr im Frontend und Backend umsetzen und die verschiedensten Programmiersprachen beherrschen. Da sind Designer_innen bei der CSSConf EU, JavaScript-Interessierte bei JSConf EU und Reject.JS, Projektmanager_innen, Journalist_innen, Marketing-Menschen, da sind Menschen, die einfach als Begleitung einer Person da sind, und mal so ganz grundsätzlich haben viele der Menschen zwei Dinge (mehr oder weniger) gemeinsam:

  1. sie selbst sind irgendwo im Internet
  2. sie machen irgendwas mit Internet.

Kurz: Menschen, die die Tech-Welt lieben. Und vielleicht sogar beruflich etwas damit machen. Diese Community besteht aus den verschiedensten Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen.

Und die Sache mit der Vielfalt

Nun ist es aber auch so, dass es ja in der Tech-Welt eine Vielzahl von Problemen gibt, und eines davon ist auch immer noch mangelnde Diversität in der Tech-Community im Allgemeinen. Noch immer stellen weiße, männliche Nerds einen übergroßen Anteil dieser Community.

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Insbesondere der Mangel an Frauen, LGBTIQ-Menschen und People of Colour bei vielen Veranstaltungen und Konferenzen ähnlich diesen sorgt immer wieder für große Kritik (Details in der Linksammlung am Ende dieses Textes). Dieser Mangel an Diversität hat für ein Tellerrandproblem gesorgt, dafür, dass häufig sehr homogene Gruppen bei Events anwesend waren (und häufig noch sind), die über ein Kreisen um den eigenen Bauchnabel kaum hinauskamen. Und das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Doch es tut sich etwas. Die JSConf EU hat 2012 ein Statement veröffentlicht, wie sie mit einem veränderten Auswahlverfahren 25% Speakerinnen erreichten, und arbeitet seitdem ebenso wie die anderen Konferenzen weiter an Diversität – bezüglich Gender, Herkunft, Ethnizität, Hintergrund und Berufen der Speaker_innen und mehr. In diesem Jahr lag der Anteil der Speakerinnen bei den Konferenzen bei 18% (Reject.JS), 45,5% (CSSConf EU) und 30,5% (JSConfEU). Die Speaker_innen der JSConf EU reisten aus 14 Ländern an. JSConf EU und Reject.JS vergaben gesponserte Diversity-Tickets an Menschen, die sich die Ticketpreise und Reisekosten selbst nicht leisten konnten.

Vom Begreifen

Das jsfest.berlin war eine sehr aufregende Woche – mit wenig Schlaf, vielen Begegnungen, viel Herumlaufen am Veranstaltungsort (20km an einem Tag im Radialsystem V) und sehr viel Orangensaft.

Und dann passierte auch mir das mit den ersten Wiedersehen: vor vier Monaten habe ich meinen ersten Talk auf einer Tech-Konferenz gehalten (und auch das erste Mal überhaupt eine besucht). In der jsfest-Woche habe ich immer mehr Menschen wiedergetroffen, die ich aus dem Internet kannte oder schon einmal irgendwo gesehen hatte.

Und so langsam fing ich an, die Sache mit dieser Community zu begreifen. Ich sah die Begeisterung, die Vorfreude, Menschen, die sich auf Konferenzen über hundert Meter Entfernung sehen, aufeinander zulaufen und sich lange umarmen, und ausgiebig von anderen Menschen schwärmen. Ich habe erlebt, wie sich Menschen umeinander kümmerten: wie auf die Zugänglichkeit der Venue für alle geachtet wurde; wie bei der JSConf EU alle Talks live transkribiert wurden; wie Organisator_innen monatelang E-Mails schrieben, in stundenlangen Telefonaten eine gute Talk-Auswahl diskutierten, eine Excel-Tabelle nach der anderen mit Daten befüllten, mit Botschaften telefonierten und immer wieder Daumen drückten, damit Menschen da sein konnten. Und dazu die ganz kleinen Dinge: wie in einer Nacht ein Speaker am Hotel ankam und etwas mit seiner Buchung nicht geklappt hatte und sich drei andere Speaker darum kümmerten, dass ein_e Ansprechpartner_in für ihn gefunden wurde. Und wie in den letzten Tagen vor den Konferenzen seitenweise Tabellen ausgefüllt wurden mit Namen von Freiwilligen, die bei den Veranstaltungen noch aushelfen konnten. Wie Rückzugsorte da waren für alle Teilnehmer_innen, die dem Trubel von 300-600 Anwesenden auf den Konferenzen ein wenig entfliehen wollten. Und: was für gutes Essen es gab.

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Die Sache mit dem erwähnten „Familienfoto“ ist gar nicht so weit hergeholt. Die Atmosphäre bei diesen Veranstaltungen hat etwas Familiäres (im besten Sinne) und sehr Freundschaftliches. Den Umgang miteinander habe ich als sehr freundlich, zuvorkommend und achtsam erlebt – sowohl innerhalb der Organisator_innenteams, zwischen den Speaker_innen, als auch unter den Konferenzbesucher_innen.

Es läuft am Ende hinaus auf dieses Wissen, dass da überall gute Menschen sind, ob unter den Organisator_innen oder den Teilnehmer_innen.

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Für mich bedeutet das vor allem: Menschen, mit denen ich etwas teilen kann und möchte. Menschen, die Werte haben und verfolgen. Menschen, die an mehr Diversität in der Tech-Welt arbeiten, die sich für eine Änderung in der Tech-Kultur einsetzen. Menschen, die sich für Nerdery, Tech- und Geek-Themen aller Arten begeistern können. Menschen, die an tollen Dingen arbeiten. Menschen, mit denen ich spät nachts noch in Google Docs herumhängen, Blogposts und E-Mails an Speaker_innen und Teilnehmer_innen vorbereiten kann. Menschen, die ihre Freizeit und ihren Nachtschlaf für ein paar Monate auf ein Minimum reduzieren, weil sie dafür sorgen möchten, dass Konferenz-Teilnehmer_innen eine schöne Zeit haben. Menschen, die sich kümmern, die das „dedicated to the community“ ernst meinen, und bei denen das in allem, was sie tun, zu spüren ist. Menschen, die sagen: „Wir sollten noch einbauen, dass wir mit unserem Bot Ping Pong spielen können“, und dann selbst sehr lachen müssen, als sie darüber nachdenken, wie dieser Satz wohl für Außenstehende klingen mag. Menschen, mit denen ich einfach so in irgendeiner Warteschlange, am Geländer zur Spree oder über Nachtisch in ein gutes Gespräch kommen kann. Menschen, mit denen sich schweigen lässt. Menschen, zwischen denen ich an einem kühlen Sonntagabend im September 2014 wieder auf einem Boot stehe, das Hoppetosse heißt und gegen dessen Seiten leise Wellen klatschen.

Kurz: tolle Menschen. Einige von ihnen sind mir inzwischen liebe Freund_innen geworden.

Und genau das war das jsfest.berlin 2014. Ich hoffe auf ein Wiedersehen – auf jeden Fall im Internet, und spätestens 2015 wieder in 3D.

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Und was auch noch neu war für mich in diesem Jahr: eines dieser „Familienfotos“ habe ich selbst gemacht.

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Weiterführende Links

Wer sehen mag, wie diese Community so aussieht oder mehr über die Konferenzen lesen mag, findet nachfolgend ein bisschen was. Videos von allen Talks der drei Konferenzen gehen demnächst online, am einfachsten sind sie dann zu finden über Twitter: @rejectjs, @cssconfeu, @jsconfeu. Falls ihr noch weitere Links für uns habt, schickt sie uns gerne in den Kommentaren!

JSConf EU

CSSConf EU

Reject.JS

jsfest.berlin

Diversität auf Konferenzen

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Alle Bilder in diesem Beitrag wurden von Lena Reinhard aufgenommen während der CSSConf EU 2014, sind in diesem Album zu finden und stehen unter der Lizenz CC BY-NC-SA 2.0.

Hinweis: die Autorin war 2014 Mitorganisatorin von Reject JS und CSSConf EU sowie Speakerin bei der JSConf EU.

Eine Antwort zu “„Von der Community, für die Community“ – Ein Rückblick aufs jsfest.berlin”

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