Du hast dich verändert, alter Freund

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Das Wasser riecht nach Chlor, die Strassen nach Urin. Trotzdem verbindet mich etwas mit diesem Ort. Es gab Zeiten, da hätte ich gesagt, er ist mein Lieblingsort. Das ist vorbei. Jetzt ist er ein Freund, den ich ab und zu sehe. Der mich an alte Zeiten erinnert, nostalgisch macht, in Erinnerungen schwelgend. An Zeiten, in denen wir nicht so verschieden waren.

San Francisco hat ein Riesenproblem. Ganz einig ist man sich nicht, was das Problem ist und vor allem, wer daran schuld sein könnte. Aber dass es ein Problem gibt, darauf kann man sich in der Regel einigen. Zu tun hat das ganze mit dem Wohnungsmarkt. Ab hier löst sich der Konsens aber auch auf.

Die Situation gestaltet sich in etwa so: Zwei Drittel der Bevölkerung von San Francisco wohnen zur Miete. Davon haben wiederum etwa drei Viertel das Glück das mietpreisgebunden zu tun, das heißt ihre Miete durfte und darf für einen festgelegten Zeitraum nicht erhöht werden und ihre Wohnung ist ihnen relativ sicher. Und der Rest… der sieht sich mit wenig Angebot und viel Nachfrage konfrontiert.

Mein Hotelzimmer in der Powell Street hat kein fliessendes Wasser. Klo und Dusche sind auf dem Gang. Dem Preis merkt man das aber nicht an. Zum Frühstück gehe ich um die Ecke zum Starbucks. Auf dem kurzen Weg komme ich an drei Obdachlosen vorbei. Ein alternder Surfer mit einer riesigen Amerikaflagge über den Schultern, ein Kriegsveteran mit Strickmütze und ein Verschwörungstheoretiker, der von korrupten Politkern und oder Echsenmenschen schwadroniert. Ich bestelle mir einen Dingsbums Frappulatte Grande und setze mich ans Fenster. Neben mir telefoniert jemand. Er spricht über sein Start-Up. Es fallen Wörter wie „next venture captial round“ und „aqui-hire„.

Die hohe Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt in San Francisco ist nicht zuletzt eine Folge des boomenden Tech Sektors in der Bay Area und Silicon Valley. Große Firmen wie Apple, Facebook oder Google ziehen Talent aus dem ganzen Land und der ganzen Welt an. Nicht wenige dieser Mitarbeiter_innen wollen nicht in einem eher sub-urbanen Umfeld wohnen, das die Standorte dieser Grossfirmen ausmacht. Es zieht sie in die Großstadt, wenn das Gehalt dafür reicht. Dazu kommt, dass sich auch direkt in San Francisco eine Vielzahl von Firmen aus dem Tech Sektor ansiedeln. Twitter ist hier vermutlich das prominenteste Beispiel. Und überhaupt stellt sich seit einigen Jahren ein Trend zum Urbanen ein. Der Architekt Alan Ehrenhalt nennt das Phänomen „The Great Inversion„. Eine Vielzahl von sozialen und ökonomischen Faktoren führt dazu, dass Menschen aus den Vororten zurück in die Stadt ziehen.

Warum baut also San Francisco nicht einfach mehr Wohnfläche? Auch hier spielen wieder viele Faktoren eine Rolle. Weite Teile der Stadtfläche sind auf maximal vierstöckige Gebäude begrenzt, was vernünftig erscheint, wenn man das Stadtbild erhalten will. Ein weiterer Aspekt: Das Baugenehmigungsverfahren ist kompliziert und langwierig. Kritiker_innen sprechen hier von Bürokratie, andere freuen sich darüber, dass das Verfahren viel Bürgerbeteiligung ermöglicht. Und letztlich bedeutet mehr Wohnfläche nicht zwingend auch mehr bezahlbare Wohnfläche. Die Lage ist bei einer Median-Miete von etwa 3000 US Dollar und stetigen Steigerungen so angespannt, dass neue Wohnungen wahrscheinlich nicht den durchschnittlich und wenig Verdiener_innen zu gute kämen.

Der Typ telefoniert immer noch. Ich trinke mein Kaffeekaltgetränk viel zu schnell leer und laufe die Powell Street hinunter. Vorbei an den Touristenmassen an der Cablecar-Station, dann links, dann rechts zum Moscone Center. In diesem Messezentrum veranstalten grosse Techkonzerne ihre Messen für Entwickler_innen. Google IO, Java One und gerade Apples WWDC, die mich hier her führt. Vor dem Eingang steht ein Mann mit Plakaten und einem Megaphon. Er schimpft über das Internet, die Jugend heutzutage. Während er gerade Luft holt, fährt hinter ihm ein Yahoo Bus vorbei.

Die grossen Firmen des Silicon Valley bieten als Service eigene Busse für ihre Pendler_innen an. An öffentlichen Bushaltestellen kann man zusteigen und den 60 Kilometer langen Arbeitsweg mit aufgeklapptem Notebook verbringen. Der direkte Kontrast zwischen diesen klimatisierten Bussen mit Wifi und dem vergleichsweise eher historisch anmutenden öffentlichen Nahverkehr an der gleichen Haltestelle macht nachvollziehbar, warum hierin ein Symbol für die Spannungen der Stadt gefunden wurde. Libertäre Nerds aus dem Valley treffen auf linke Aktivist_innen. Wut über eine immer weiter klaffende Einkommensschere entlädt sich an Bussen oder Statussymbol-Gadgets wie Google Glass.

Das wiederum rückt den Protest in die Nähe von technik-feindlichen Aluhut-Träger_innen, bei denen die zugrunde liegenden sozialen Dynamiken nicht im Vordergrund zu stehen scheinen. Besonders deutlich zeigte sich dass zum Beispiel auf der letzten Google IO Entwicklerkonferenz. Erst protestierte im Publikum eine Aktivistin gegen einen Google-Angestellten der unter nicht ganz unstrittigen Umständen Eigenbedarf an einem Mietobjekt anmeldete, kurz später sprang ein zweiter Protestierender auf. Ihm ging es um „Killerroboter“, die die „totalitäre“ Firma Google bauen würde. Dass sich in Wahrnehmung und Berichterstattung beide Vorfälle zu „komischen Randergnissen“ vermischen, ist zu bedauern.

Neu sind diese Proteste nicht – auch in der Dotcom- und während der letzten Blase gab es bereits ähnliches – aber sie verdeutlichen, dass die Probleme der Bay Area stetig schlimmer werden und bisher keine echte Lösung in Sicht ist.

Ich sitze im Yerba Buena Park. Gerade wird für ein Konzert aufgebaut. Überall laufen Menschen mit Tech-T-Shirts rum. Ein Yahoo-Insiderwitz-Shirt hier, ein Apple-Shirt da, auf der Nase Google Glass. Zuviele Nerds. Inklusive mir. Beim Spazierengehen hatte ich das Gefühl, jedes zweite Gespräch auf der Strasse dreht sich um neue Startups, Venture Capital und die nächste Million. Für mich ein wenig das verbale Nerd-Äquivalent zum Urin-Geruch. Schön ist es auf jeden Fall nicht und ich bilde mir ein, früher gab es das weniger. Vielleicht ist das aber auch nur Nostalgie.

Das „alte“ San Francisco, das von vor der ersten Dotcom Blase, kommt nicht wieder, auch wenn das einige wollen. Zu viel hat sich geändert. Nichtsdestotrotz ist das Problem der fortschreitenden Gentrifizierung weiterhin akut und verlangt nach Strategien, um die Folgen aufzufangen und abzuschwächen. Das ist Aufgabe der Stadt, der dort Wohnenden, aber auch derjenigen, die katalytisch zu dieser Entwicklung beitragen. Und das sind nun mal in nicht geringem Maße die Techfirmen.

Es kann nicht damit getan sein, dass diese Firmen nette Imagefilmchen zeigen und Wifi oder ÖPNV Busfahrten sponsern. Wenn man mit Mottos wie „Write the code – Change the world“ um sich wirft, muss man sich auch mit allen Veränderungen auseinandersetzen, die man in der Welt auslöst, und mit denjenigen, die von diesen Veränderungen betroffenen sind, nach Lösungen suchen. Global – aber eben auch lokal.

5 Antworten zu “Du hast dich verändert, alter Freund”

  1. Ninia LaGrande sagt:

    Sehr spannend – danke!

  2. Florian Feichtinger sagt:

    Vielen Dank für deinen Beitrag!

  3. joha sagt:

    Interessante Eindrücke, ein paar Gedanken dazu: Ich lebe jetzt seit drei Monaten hier und habe beschlossen, dass ich noch keine objektive Aussage darüber treffen kann, wie die Stimmung in der Stadt ist. Ich war auf einer Anarchisten-Konferenz in Oakland, wo die Wut am krassesten zu spüren war (logisch). Aus dieser Veranstaltung gingen dann meinem Eindruck nach einige der extremeren Protestformen hervor. Ich habe Alteingesessene getroffen, die mit der Schulter gezuckt haben („hey, diese Stadt hat noch jeden Goldrausch überstanden“); Mitarbeiter der IT-Industrie, denen das Thema eher egal war. Mitarbeiter der IT-Industrie, denen die Entwicklung auch bewusst ist, die aber keinen oder nur bedingt Rat wissen, was sie tun könnten. Sollen sie wegziehen, weil sie zur Gentrifizierung beitragen? Abgesehen davon: auch im Silicon Valley herrscht Wohnungsmangel.

    Bezahlbarer Wohnraum ist ein riesiges Thema, weil die Mittelschicht auseinanderbricht und der untere Teil verschwindet. Es ist eine extreme Form dessen, was derzeit in allen lebenswerten urbanen Zentren passiert, plus natürlicher räumlicher Begrenzung, strenger Regulierung und einer Not-in-my-backyard-Haltung, die Stadtentwicklung nicht gerade begünstigt. Tenderloin ist das bekannteste Beispiel für die verkorkste Wohnraum-Politik (dieser Text erklärt das super: http://www.modernluxury.com/san-francisco/story/arise-tenderloin). Viele Menschen müssen wegziehen, vor allem in die East Bay. Diese Verdrängung ist in einer extremen Phase, geschieht im kleineren Maßstab aber schon seit Generationen. Die Fillmore-Street war in den Siebzigern eine Straße der Schwarzen. Heute ist davon nichts mehr da, diejenigen, die sie damals verdrängt haben, wurden ihrerseits inzwischen von Luxus-Boutiquen und -Wohnungen verdrängt.

    Die Tech-Busse sind nur deshalb interessant, weil sie für manche ein Symbol sind. In sie steigen diejenigen ein, die sich auf den ersten Blick keine Sorgen machen müssen. Das ist aber nur die eine Sicht: Diese Umfrage zeigt, dass der Großteil der Bewohner die Busse gut findet, weil sie nicht noch mehr Autos in den Straßen haben wollen. http://nextcity.org/daily/entry/san-franciscans-at-least-have-a-nuanced-view-of-the-google-bus (btw: die größeren Firmen MÜSSEN diese Busse einsetzen, weil es für die Unternehmen Auto-Quoten gibt, also nur eine gewisse Zahl von Mitarbeitern im eigenen Fahrzeug die 101 Richtung Süden nehmen darf). Genauso ist es mit den vier Millionen Dollar, die Twitter durch die Steuererleichterungen der Stadt spart (als Gegenleistung für Headquarter an einer Soma-Ecke, die keinen guten Ruf hatte), während beispielsweise der Kulturetat ständig gekürzt wird.

    Hinter all dem steht die Frage: Was ist der Stadt und ihren Bewohnern wichtig? Was ist San Francisco im 21. Jahrhundert? Lassen sich die Veränderungen steuern? Die Tech-Konzerne spielen bei der Beantwortung sicher eine Rolle, aber was würdest Du konkret verlangen? Google wollte in Mountain View Wohneinheiten für einige Tausend Mitarbeiter bauen, die Stadt hat das damals abgelehnt. In den nächsten Jahren entstehen in MV 20.000 neue Jobs, aber nur Wohnungen für 8.000 Menschen. SF hat Wohnungsbau immerhin priorisiert, auch über die Freiheit der Landlords (Evictions, komplette Airbnb-Wohnungen) wird diskutiert. Es würde schon einmal helfen, wenn in dieser Stadt alle miteinander reden und nach Lösungen suchen würden. Ich weiß nicht, ob SF dafür den richtigen Bürgermeister hat. Aber ich habe da ein bisschen Hoffnung, in SF gibt es stadtteilübergreifend ein Gefühl von Community (anders als beispielsweise in Berlin).

    Und zu dem Startup-Gerede: Wenn Du während der WWDC nebenan im Yerba Buena Park sitzt, sind da zwangsläufig sehr viele Geeks. Und wenn Du im Zentrum und in Soma rumhängst, triffst Du mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf die IT-Crowd, zumal während eines solchen Events (und, ja: der Boom zieht eine Menge unangenehmer Wichtigtuer an). Aber SF hat so viele andere Ecken, in denen das und der ganze Tech-Kram überhaupt keine Rolle spielt. Ich lebe in einer und habe schon viele solcher Orte kennengelernt. Und ich bin gerade erst am Anfang der Entdeckungsreise. Wenn Du das nächste Mal ins SF bist, melde Dich doch – ich nehme Dich gerne mit!

  4. joha sagt:

    Kurze Ergänzung: Ich halte es für wichtig, dass die Tech-Firmen keine Steuerschlupflöcher mehr erhalten. Nur würde das an dem Problem auf lokaler Ebene nichts ändern.

  5. […] ist es aber auch so, dass es ja in der Tech-Welt eine Vielzahl von Problemen gibt, und eines davon ist auch immer noch mangelnde Diversität in der Tech-Community im […]