„Bist du etwa …?“ – Über blöd fragen

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by michaelholden

Wo, wie und wann die Frage „Bist du homosexuell?“ gestellt wird, sagt sehr viel über unseren Umgang mit sexuellen Identitäten abseits der Hetero-Norm aus. Zeit darüber nachzudenken.

Ich bin auf einer WG-Party. Ich mag es in fremden Wohnungen von Raum zu Raum zu tingeln und mich mit Menschen zu unterhalten, die ich noch nicht kenne. Oft wird sich über Studium und Beruf unterhalten, über Politik oder alte, witzige Anekdoten werden erzählt. Bis dann wieder dieser Moment kommt, in dem das Gespräch unterbrochen wird, sich die Stimme senkt und mich jemand fragt: „Kann ich dich dich, ähm, mal etwas fragen?“ – Ich weiß ganz genau, was jetzt kommt. Denn diese Frage wird mir auf jeder Party irgendwann gestellt, meistens von irgendwelchen Typen. Manchmal gibt es noch den Zusatz „Ich meine das gar nicht böse oder so“, bis sie dann endlich kommt, die Frage aller Fragen: „Bist du, ääähhhhh… schwul?“ (Manchmal brechen sie auch nach dem „äh“ ab, weil ihnen das Wort „schwul“ nicht über die Lippen will) Klasse, Jackpot, denke ich, und rolle mit den Augen. Ignoriere ich die Frage, gebe ich eine sarkastische Antwort, stelle ich eine schnippische Gegenfrage oder halte ich ein kleines Referat über Heteronormativität? In jedem Falle muss ich reagieren, denn eine solche Frage ist in Gesprächen keine, die unbeantwortet stehen bleiben kann. Aber warum eigentlich?

Was passiert, wenn ich diese Frage gestellt bekomme? Zunächst einmal werde ich gezwungen mich zu meiner sexuellen Orientierung zu äußern. Das ist etwas, das Heteros in der Regel nicht müssen (und gehört damit zu den sog. Hetero-Privilegien). Dazu gezwungen zu werden, fühlt sich nicht schön an, denn nicht jede_r aus dem queeren Spektrum möchte sich jederzeit zu ihrer_seiner sexuellen Orientierung (und auch: Geschlechtsidentität) äußern. Wenn ich jedoch genau darauf hinweise, um die Frage unbeantwortet zurückgehen zu lassen, wird dieses Nicht-Beantworten als ein „Ja“ gedeutet, da die heterosexuelle Norm niemals zögern würde, sich von Homosexualität zu distanzieren. Im Sinne von: „Du willst nicht sagen, ob du schwul bist, oder nicht? Na dann kannst du ja nur schwul sein!“

Have some respect

Ich könnte natürlich auch direkt ja sagen. Aber was ist, wenn ich nicht geoutet bin? Oder wenn ich homophobe Reaktionen befürchten muss? (Und das muss ich – Achtung Spoiler! – eigentlich immer.) Ich würde wahrscheinlich nein sagen, obwohl ich wüsste, dass ich mich damit selbst verleugne. Schön fühlt sich das nicht an, im Gegenteil. Das kriegt man ja oft genug zu hören von Heterosexuellen: „Du musst es ja nicht nach außen zeigen, dann bist du auch nicht in Gefahr!“ Jaja! Homosexuelle, die sich nicht mehr fürchten müssen, wenn sie sich auf der Straße küssen, soweit kommt’s noch!

Ich wäre also nicht nur gezwungen mich zu der Frage überhaupt zu äußern, sondern auch möglicherweise gezwungen sie zu verneinen, obwohl ich weiß, dass das eine Lüge wäre. Die Frage nach der sexuellen Orientierung kann also gerade in Anwesenheit von Dritten zu ungewollten Outings oder Selbstverleugnung bei den Befragten führen. Es ist stark vom Kontext abhängig, wie die Frage beantwortet wird: Auf der Straße, bei mir zu Hause, auf einer (queeren) Party? Fragt mich jemand fremdes oder ein_e Freund_in? Das sollte eigentlich schon reichen, um diese Frage nicht mehr unüberlegt zu stellen. Aber wir tun es trotzdem.

And that feels oppressive

Szenenwechsel: Ich laufe durch die Stadt, ein Auto mit drei Typen drin fährt an mir vorbei, wird langsamer, einer der Typen ruft mir was entgegen und wirft einen leeren Getränkekarton nach mir (trifft mich jedoch nicht) und dann fahren sie wieder weiter. Ich habe nicht reagiert und bin einfach weitergegangen, erst später habe ich realisiert, was da eigentlich passiert ist. Ich musste direkt an einen Vortrag der irischen Drag Queen Panti Bliss denken, den sie im Februar im Abbey Theatre in Dublin hielt:


Vortrag in Englisch, deutsche Untertitel verfügbar.

Panti Bliss wagte es im irischen Fernsehen homophobe Journalist_innen als homophob zu bezeichnen – und wurde prompt von ihnen deswegen angezeigt. Darüber wie es sich anfühlt, wenn Heterosexuelle bestimmen, was als homophob gilt und was nicht, und die viel subtileren Dimensionen von Homophobie im Alltag hielt sie eine sehr bewegende Rede, die ich nicht oft genug empfehlen kann. Die verschiedenen Ausprägungen von Homophobie fasst Panti immer wieder unter der Punchline zusammen: „And that feels oppressive!“ (etwa: „Und das fühlt sich unterdrückend an!“) In diesem Kontext ist auch unsere Frage zu sehen; homophobe Äußerungen haben nämlich die Funktion uns zurechtzuweisen, uns an unseren Platz zu verweisen und uns klar zu machen: Ihr seid nicht „normal“.

Das unausgesprochene ‚etwa‘

Zu fragen, ob jemand homosexuell ist, ist also homophob? Nein. Die Gründe, aus denen diese Frage gestellt wird und auch die Intention dahinter können jedoch homophob sein. Häufig wird die Frage nämlich gestellt, um ein bestimmtes Verhalten zu missbilligen, das für beispielsweise ‚zu schwul‘ gehalten wird – das können Statements, Kleidung, Aussehen generell, Sprechweise, Gestik und noch viele andere Dinge sein. Die Frage wird zu einer Zurechtweisung, „so wie du rumläufst, kannst du ja nicht hetero sein“, und dann kommt der Teil der Frage, der sie homophob macht, das unausgesprochene ‚etwa‘: „Bist du etwa schwul?“ Lässt sich dieses ‚etwa‘ in die Frage einfügen, wird der homophobe Charakter der Frage deutlich – und leider wird es fast immer mitgedacht.

Noch immer verwechseln wir nämlich Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität mit Gender Expression, also die Art und Weise, wie wir unser Geschlecht ausdrücken (z.B. durch Kleidung). Aber ein Kerl in einem Kleid macht weder ihn noch das Kleid schwul. Es gibt kein Gaydar. Kurze Haare machen noch keine Butch. Noch immer schließen wir von äußeren Merkmalen auf die Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität von Menschen, obwohl wir doch schon wissen: Wir können nur auf das vertrauen, was uns Menschen von sich aus über ihre Sexualität sagen.

Gar nicht erst fragen?

Dürfen Heterosexuelle nun also noch nicht einmal mehr fragen? Nun, wenn ich der Meinung bin, dass meine sexuelle Orientierung für dich in irgendeiner Art und Weise interessant ist, werde ich dir das schon von mir aus mitteilen. Falls ich von selbst nicht darüber spreche, darfst du das als Hinweis darauf sehen, dass ich nicht darüber reden möchte – und hältst den Mund. Egal wie sehr dir unter den Nägeln Fragen über meine Kleidung (die dich verwirrt) oder meine Haarfarbe (die dich verwundert) brennen, und ob das etwa bedeutet, nein, behalt es für dich, ich will es gar nicht hören. Und ich denke, damit bin ich nicht allein. Und wenn ich nichts sage und du es aber unbedingt wissen willst? Tja, ich würde sagen: Dann genieß die Spannung.

Nachtrag: Ich hatte in diesem Artikel Geschlechtsidentität zunächst nicht ausreichend von sexueller Orientierung unterschieden. Sexuelle Orientierung meint solche Kategorien des Begehrens wie bi/homo/hetero, Geschlechtsidentität bezieht sich hingegen auf das individuelle Verhältnis zum bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht, bewegt sich also auf der Ebene trans/nonbinary/cis. Obwohl sich die nervigen Fragen sowohl auf die Orientierung als auch die Geschlechtsidentität beziehen können und sich auch der Fehlschluss von der äußeren Erscheinung her zu urteilen sowohl auf sexuelle Orientierung als auch auf Geschlechtsidentität beziehen kann, ist es dennoch wichtig, diese voneinander zu differenzieren. Vielen Dank daher an @AnnaHegerComics, @cuffedCatling und @nachdenklicht für die Hinweise!

11 Antworten zu “„Bist du etwa …?“ – Über blöd fragen”

  1. Emma sagt:

    Ich persönlich mag die Rückfrage: Mit wem fickst du denn so? Wie – das ist zu intim?

  2. Der_Joe sagt:

    Hallo Daniel!
    Eine Freundin hat mich gerade auf deinen Artikel aufmerksam gemacht. Und ich würde dir gerne darauf antworten.
    Ich bin selbst schwul, mir wurde die Frage allerdings noch sehr selten gestellt. Und ich würde dir gerne meine (zugegebenermaßen etwas konservative) Meinung dazu kund tun.

    Ich finde jedenfalls, dass Leute in dem Moment, in dem sie sich modisch oder vom Verhalten her einer gewissen sozialen Gruppe anpassen, diese auch ein Stück weit repräsentieren und auch von anderen wiedererkannt werden. Und das führt natürlich auch dazu, dass man sie darauf anspricht.
    Wer mit Skateklamotten rumläuft, wird als Skater erkannt und auch darauf angesprochen werden. Und wer gewisse Attribute aus der schwulen Community übernimmt, der wird sicher auch darauf angesprochen werden.

    Jetzt gibt es halt das Problem, dass diese Gay Community deutlich mehr mit der eigenen Identität zu tun hat, als die Skate-Community. Und da liegt mMn das Problem. Ich frage mich immer, was diese schwule „wir“ ist… Ich finde es schwierig, aus der sexuellen Orientierung eine Identität bzw. Identifizierung zu machen.

    Wenn du wegen deiner Kleidung, deiner Gesten oder was weiß ich, warum, angesprochen wirst, ob du schwul bist, so (meine Einschätzung, ich kann natürlich nur mutmaßen, ich kenne dich nicht!) liegt das wohl eher daran, dass jemand bei dir äußere Merkmale einer gewissen Gruppierung, eben der Gaycommunity, erkennt, und daraus dann schließt, du musst wohl schwul sein. Und darauf wirst du dann eben auch angesprochen. Würdest du nur in Skateklamotten rumlaufen, würde man dich evtl auch fragen, ob du Punk hörst, einfach weil man das Gesehene interpretiert und Schlüsse zieht. So läuft das nun mal. Aber, ich meine, welche Schlüsse und Interpretationen durch seine Äußerlichkeiten zulässt, hat man selbtst in der Hand. Das Sprichwort „Kleider machen Leute“ hat nicht ganz unrecht…

    Ich freu mich, mit dir weiter darüber zu diskutieren!
    Liebe Grüße, Der Joe

  3. Heinz Ruhr sagt:

    Ich selbst bin nicht Schwul, würde aber wenn mir jemand diese Frage stellt nur antworten:
    „Geht dich garnichts an!“
    Die die es tatsächlich was angeht kennen die Wahrheit schon und den Rest gehts schlicht und einfach nix an, oder?

  4. interabang sagt:

    Erstmal vielen Dank für den Text. Vorneweg: Ich würde mich als männlich und (derzeit) „hetero“ bezeichnen und befinde mich daher eher auf der Seite der „Fragenden“/der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft.
    Da ich im Bekanntenkreis einige (was ein Zufall) schwule Freunde habe, beschäftige ich mich schon seit längerem mit der von dir bezeichneten Frage („Bist du …?“). Ich persönlich frage das grundsätzlich nicht, da mich die sexuelle Orientierung meiner Gesprächspartner_innen a) nicht interessiert und b) auch nichts angeht. Trotzdem kriege ich in meinem Umkreis öfter diese Art der Frage mit und muss auch sagen, dass einzelne Worte (wie bei dir „etwa“) durchaus die Musik machen. Meine Meinung dazu: Warum überhaupt diese Frage stellen? (klar, natürlich passiert das trotzdem) Alleine die Frage impliziert doch schon eine Unnormalität, so im Sinne von: „Bist du etwa das „Andere“, das „Gegensätzliche“ der Norm.

    Manche Menschen denken einfach nicht nach.

  5. Ruby sagt:

    Ich, weiblich, herero, wurde bisher nur zwei mal nach meiner sexuellen Orientierung gefragt. Von lesbischen Mädels, ein mal mit der schmeichelhaften Reaktion „Oh Schade“ auf meine Antwort, das ich nicht lesbisch sei. Deswegen fand ich das gar nicht schlimm. Ich glaube, Menschen sind einfach verunsicherter, wie sie sich anderen Menschen gegenüber am besten verhalten sollen. Würde ich mit einer homosexuellen Freundin genauso umgehen wie mit meinen engen Hetero Freundinnen „Guck mal sitzt der BH nicht irgendwie blöd?“, oder würde ich mich da eher zurückhalten um nicht den falschen Eindruck erwecken, sie anzubaggern um mal auszuprobieren wie es ist ne Frau zu küssen? Zumindest in der Zeit, wo man sich noch nicht soo gut kennt. Ich frag ja auch keine männlichen Freunde so was. Ich weiß das ehrlich gesagt nicht.
    Natürlich stimmt es, das es nicht angemessen ist, Leute einfach so zu fragen, denn wer will schon ständig über so private Angelegenheiten sprechen? Und wenn man nicht grad selbst Interesse hat, mit dem/der Befragten intim zu werden spielt es ja auch keine Rolle ob der/diejenige verfügbar ist, sei es weil die Person a) in einer festen Beziehung lebt oder b) ein anderes Geschlecht bevorzugt als das der/des Fragenden

  6. Giliell sagt:

    Lange Zeit nahm in meiner Anglistik-Fakultät irgendwie jedeR an, mein Freund G und ich wären ein Paar. In den Köpfen der Menschen hat die Wahrheit gleich zwei Regeln gebrochen:
    1. gingen sie wohl davon aus, dass ihr „Gaydar“ ihnen ja schon verraten hätte, wenn eineR von uns homosexuell wäre.
    2. Männer und Frauen sind keine Freunde.
    Unsere ganze Beziehung wurde zwanghaft in das heteronormative Korsett gesteckt, inclusive der Tatsache, dass einige Menschen ernsthaft beleidigt waren, als sie erfuhren dass wir nicht nur kein Paar waren, sondern dass er auch noch schwul ist, ganz so, als hätten sie ein Anrecht, das an seiner Nasenspitze ablesen zu können.
    Eine ähnliche Reaktion kann man übrigens erzeugen, wenn man einem Baby mit weiblichen Genitalien blaue Kleider anzieht, und as fängt die ganze Kackscheiße doch schon an: Heteronormativität beginnt in der Krabbelgruppe. Spielen ein Junge und ein Mädchen miteinander so krakelen die Erwachsenen drumherum was für ein süßes Pärchen die beiden doch wären, ob die vielleicht mal heiraten?
    Nicht nur, dass den Kids noch gar nicht so klar ist welche Variante da schön in ihrer Windel verpackt ist, es kann auch noch niemand sagen, welche sexuelle Orientierung sie haben. Dennoch wird ihnen ganz klar mitgeteilt: So ist das gut, so ist das richtig.
    Außerdem ist das creepy über das zukünftige Sexualleben von Kleinkindern zu spekulieren.
    Ich gehe nicht automatisch von Heterokindern aus. Ich bin ja auch nicht automatisch von Rechtshänderkindern ausgegangen, sondern habe gewartet in welche Hand sie den Stift nehmen. Hört sich jetzt nach nem blöden Vergleich an, aber rein statistisch betrachtet liegt das in etwa im selben Bereich.
    Deshalb sage ich auch nicht „wenn du später mal einen Freund (beide identifizieren sich bislang als weiblich) hast“, sondern „wenn du später vielleicht mal einen Freund oder eine Freundin hast“.
    Denn eins will ich ganz bestimmt nicht: Meinen Kindern vermitteln, dass ich eine bestimmte Sexualität von ihnen erwarte.

  7. qocx sagt:

    Ich werde (überdurchschnittlich?) häufig gefragt, „Ob ich denn…“? (Disclaimer: Ordne mich ziemlich deutlich als Cis-Hetero ein). Anscheinend passe ich in meiner Erscheinung wohl auf das eine oder andere Klischee. Als für mich sehr wirksam erwiesen haben sich Rückfragen in der Art „Warum fragst Du?“ oder “ Ist das denn wichtig?“. Oder gerne auch auf die Frage: „Also mein Kumpel meint ja, Du bist schwul“: „Und? Ist er Single?“. Kurz gesagt, ich drehe den Spieß lieber um und lass es mir erklären. (Zurück zum Disclaimer: Das so spielerisch zu nehmen, ist natürlich (m)ein Hetero-Privileg… :-/).

  8. lupus sapiens sagt:

    Danke, Daniel, für den Text! Bei mir verhält es sich mit dem Problem der Heteronormativität umgekehrt. Ich muss mich so gut wie immer mit verblüffter Ungläubigkeit rumschlagen, wenn ich Leuten neu eröffne, dass ich schwul bin. Nach außen hin erfülle ich so gut wie keinen der Parameter, mit denen die Leute ihre hocheffizienten Gaydars füttern. Ich fühle mich wohl dabei und habe kein großes Interesse irgendwie besonders aufzufallen, abgesehen von den Dingen, die mich wirklich einzigartig machen. Größtenteils erhalte ich dafür anerkennende Reaktionen, als gutes Beispiel für jemanden, dessen Sexualität im sozialen Gefüge nebensächlich ist. Diese Anerkennung rutscht allerdings auch sehr leicht ins Negative, wenn die Haltung des Gegenüber vermittelt, dass es erleichtert ist, nicht so einen „schwulen“ Schwulen vor sich sitzen zu haben. Die Szene mag vielleicht nicht mein Ding sein, deshalb möchte ich aber von Heteros nicht für einen „besseren“ Schwulen gehalten werden.

    In meinem ganz persönlichen Fall kommt dann noch eine weitere, viel schwerer wiegende Komponente hinzu: Aufgrund mangelnder sexueller Erfahrung, ob mit Mann oder Frau, was in meinem Alter und meiner Peer Group nunmal in höchstem Maße ungewöhnlich ist, muss ich mir trotz felsenfester Gewissheit über meine sexuelle Orientierung meinerseits ständig suggerieren lassen, dass ich gar nicht in der Lage sein könne, eine Aussage darüber zu treffen, und dass ich vielleicht ja doch auf Frauen stehe. Und sowas von Fremden wie von Freunden. Das zeigt meiner Meinung nach, wie bestimmend Heteronormativität immer noch ist. Was nützt die ganze Toleranz, wenn man insgeheim irgendwie denkt, „mir wär’s trotzdem lieber, wärst du normal.“

  9. Gast sagt:

    Ich finde den Artikel sehr interessant. Ich wurde schon manchmal von anderen gefragt, ob ich denn denke, dass eine bestimmte Person schwul sein könnte und habe mich dabei jedes Mal gewundert, warum man das eigentlich wissen will. Die Sexualität einer Person ist doch völlig nebensächlich, sofern es nicht um Themen geht, die damit zusammenhängen.

    Einer meiner besten Freunde hat in unserem Freundeskreis eines Tages, als wir zusammengesessen sind, bekanntgegeben, dass er schwul ist. Es war nicht leicht für ihn, es zu sagen, umso erleichterter war er, dass unsere Reaktion in keinster Weise negativ war (und ansonsten wüsste ich von keiner Person in dem Kreis, dass sie homosexuell wäre). Es war das erste Mal für mich, dass ich von einer Person in meinem Freundeskreis erfahren habe, dass sie homosexuell ist. Mein erster Gedanke war: „Das ist also der Grund, warum er sich beim Fortgehen nie für Frauen interessiert hat“, denn abgesehen davon gab es nie irgendwelche „Anzeichen“.

    Das bringt mich zu einem Thema, dass hier auch angesprochen wird. Ich verstehe nicht ganz, was das Problem darin ist, dass man eher davon ausgeht, dass man es mit heterosexuellen Personen zu tun hat – auch im Falle von Kindern in der Krabbelstube, wie in den Kommentaren erwähnt wurde. Die simple Annahme, dass eine Person vermutlich heterosexuell ist, ist doch keine Diskriminierung von anderen Sexualitäten – es ist nun mal einfach die große Mehrheit! Wenn ich in Deutschland eine beliebige Person auf der Straße anspreche, gehe ich davon aus, dass diese Person Deutsch spricht. Das bedeutet doch nicht, dass ich von der Person weniger halte, wenn sich herausstellt, dass es sich um einen Touristen, Austauschstudenten oder sonstige Person handelt, die eben nicht Deutsch spricht.

  10. Karl Einz sagt:

    Toller Artikel, danke dafür! Und ich bin tatsächlich „Hete“ – Aber du triffst einen bestimmten Nerv, ich renn ja auch nicht immer mit ’nem „Hetero-Schild“ in der Hand rum. … aber muss ich ja gar nicht – ist ja „normal“ ;)

  11. Juli85 sagt:

    Vielen Dank für deinen Artikel. Ich habe mich leider sehr in einen Arbeitskollegen verliebt, von dem der Rest der Belegschaft glaubt, er würde eher Männer lieben. Da wäre ich als Frau dann leider raus. Da er ständig mit mir rumalbert, wodurch es auch erst dazu gekommen ist, dass ich jetzt in dieser Situation stecke, bin ich erst gar nicht auf die Idee gekommen seine sexuelle Orientierung zu hinterfragen. Durch meine Gefühle für ihn machen mich diese winzigen Anmerkungen der anderen Kollegen aber leider echt unsicher, weshalb ich überlegt hatte vielleicht doch meinen ganzen Mut zusammenzunehmen und ihn danach zu fragen, obwohl ich das als arg unverschämt empfinde. Nachdem ich jetzt auf deinen Artikel gestoßen bin, weiß ich, dass es das auch ist. Also werde ich das lassen. Danke und lieben Gruß!