#schauhin
Ich glaube, es waren die Köpfe und die verkrampften Finger, die ich so dämlich fand. Als sie sich begrüßt haben und alle dachten, es würde eine Standardbegrüßung werden, Küsschen links, Küsschen rechts und die jugendlichen Männer, immer und ausschließlich nur die Männer, plötzlich abgewichen sind und nicht wollten, dass sich die Wangen berühren, sondern die Köpfe. Kleine Headbanger, Ausdruck von Keineahnungwas. Ich tippe wild auf Maskulinität. Jedenfalls glaube ich, dass dieses Tête-à-tête der Grund war für mich, auf Distanz zu gehen. Denn so begrüßen sich türkische Faschisten, Betonköpfe.
Ich sagte Ciao zu Diskussionen über die Politik der Türkei, insbesondere die Kurdenpolitik, die Rolle von Erdogan, der Kopftuchstreit ging an mir vorbei, ich packte die Türkeiflagge unter mein Bett und das war’s dann. Auch aus einer Art Enttäuschung darüber, wie leicht ich selbst Positionen unkritisch übernommen habe, das Kopf-an-Kopf-Ding. Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben, doch so wie die Dinge standen, gab es eben nur dieses Thema. Türkeipolitik hier und da also zog ich mich zurück, fing‘ kurz darauf an, Politik zu studieren, hallo Foucault, hallo Nationalismuskritik, die Distanz zwischen mir und meinem Pass wurde immer größer.
Ziemlich genau zehn Jahre später sitze ich in der S-Bahn, die ersten Tage an der DJS, neben mir sitzt Max, wir reden über Journalismus. Klar, irre viel Bock, neun Monate nur experimentieren, danke geil. Aber jobtechnisch gesehen laufen wir über die Porzellanscherben, die andere vor uns laut lachend zerbrochen haben. Muss schön gewesen sein, aber wir sind zu spät und alles, was uns bleibt, ist direkt mit dem Kater aufzuwachen, also jobtechnisch. Kurz: Neun Monate vergehen schnell und ehe wir uns versehen, sitzen wir draußen und haben zwar eine Ausbildung, aber keinen Job, das ist zumindest unsere Befürchtung.
BET AND LOSE
Max sagt: „Du dürftest doch keine Probleme haben, oder? Du schreibst über das Netz und über die Türkei.“
„Warum sollte ich über die Türkei schreiben?“, frage ich ihn, „nur weil ich Türke bin?“ Ich sehe schon, wie das abläuft, auf der einen Seite die ganzen MHP-Trottel, die mich ohnehin nonstop belehren wollen, dass ich die falschen Bücher lese und auf der anderen Seite dann Diskussionsmarathons mit Deutschen, die meine Argumente, dass Deutschland durchaus sehr rassistisch sein kann, sofort wegschlagen würden mit dem Kommentar: „Haha, alles klar, der Autor des Artikels ist ein Türke, hätte mich auch gewundert, wenn er was anderes geschrieben hätte.“ Als Türke, namens- und passtechnisch, über die Situation der Türken zu schreiben: Betandlose. Das alles hat Max nicht gesagt, nicht gemeint, nicht intendiert. Nicht damit hier ein falscher Eindruck entsteht. Das ist aber, was ich mir gedacht habe.
Ich habe nicht eine Sekunde auch nur in Erwägung gezogen, diese Haltung zu ändern. Den ganzen Themenkomplex „Der Türke in Deutschland“ werde ich aussparen, das habe ich mir fest vorgenommen. Da regt mich zu viel auf. Ich fühle mich persönlich beleidigt. Was streng genommen auch okay ist, weil die Menschen in diesen Diskussion mich ja auch tatsächlich persönlich beleidigen.
WIE GUT, DASS ES #SCHAUHIN GIBT
Die #schauhin-Debatte, gestartet von Kübra, ist für mich persönlich ein sich stets aktualisierender Fluss aus widerwärtigen Beleidigungen und Situationen, in die man kommt, aus dem simplen Grund, dass man hier geboren ist und das als Minderheit. Allein das Wort Minderheit ist schon ein Block. Die Gesellschaft ist ein Setzkasten und hier, zwischen all die kleinen Lücken platzieren wir unsere Minderheiten, die sich, rein auf begrifflicher Ebene, niemals mit der Mehrheit vermischen, sondern schön sauber getrennt sind. Die Tweets kann ich mal nachvollziehen („Kann kein Deutsch„), mal nicht (weil muslimische Frauen noch einmal anders verletzt werden können als ich, weil schwarze Menschen wieder anders attackierbar sind, das ist ja das Praktische an Minderheiten, es gibt so viele davon), aber unabhängig davon ist das gut, was passiert.
Ich persönlich habe das Glück, wundervolle Menschen um mich herum zu haben, die größtenteils checken, was klargeht und was nicht. Hat aber nicht jeder, und es ist wichtig, zu sehen und zu akzeptieren, dass es tatsächlich nichts mit einem selbst zu tun hat, sondern alles, wirklich alles mit der Person, die rassistisch reagiert. Das ist das große Ding von #schauhin, genauso wie ich vermute, dass es das positive Ding an #aufschrei gewesen ist. Diese Plattform zu haben und wenigstens für diesen Augenblick zu wissen: „Okay, danke, ich bin nicht die einzige Person.“ Es ging von Anfang an darum, sich für eine kurze Sekunde aufzurichten und zu vergewissern, dass vieles, auf gesamtgesellschaftlicher Basis, hart diskriminierend ist; und zwar als Prinzip. Darum gingen auch all die Tweets am Thema vorbei, die sofort davon geredet haben, dass auch Türken rassistisch sein können – ach, sag an.
JOURNALIST, ODER WAS?
Unter all diesen Tweets war auch dieser hier, von der Zeit-Redakteurin Özlem Topcu.
Wenn eine alte Schulkameradin bei einem zufälligen Treffen anmerkt:“Hab schon gesehen,dass du das Ausländerthema behandelst.“ #SchauHin
— Oezlem Topcu (@OezlemTopcu) September 9, 2013
Das ist exakt der Gedanke, den ich vor zehn Jahren gedacht habe. Als Türke über Türken in Deutschland zu schreiben, über Rassismus und das soziale Netz, das ist doch das klassische Ausländerding. Denn die Gründe, die ich auch oben genannt habe, sind im Endeffekt ja nur Ausflüchte, antizipierte Reaktionen von Dritten, die ich zum Anlass nehme, ein Thema komplett sein zu lassen. Aber wäre es nicht wichtig, da mitzudiskutieren, eben weil ich betroffen bin und bestimmt etwas sagen könnte? Es ist ja schließlich auch die Situation in einem Land, in dem ich seit 29 Jahren lebe. Als Journalist sitzt man ja auch an einer Stelle, wo das funktionieren könnte, einfach mal zu sagen, hey, so sehe ich das übrigens.
Ich habe nie ernsthaft überlegt, woher das Ausklammern kam oder ob ich damit alleine bin. Stellt sich raus, dass ich das natürlich nicht bin. Ich habe Kübra gefragt, das ist ihre Antwort:
Jahrelang, in meiner gesamten Zeit als Chefredakteurin beim Freihafen, hatte ich dieses Thema gemieden. Das lag nicht daran, dass ich mich vor dem Bild des „Ausländer-Journalisten, der nur über sich schreibt“, gefürchtet hätte oder das meiden wollte, sondern damit, dass mir diese Themen so nahe gingen, dass ich nicht öffentlich darüber schreiben wollte. Mit dem Schreiben über diese Themen macht man sich verletzlich, angreifbar. Das wird jede Journalistin bestätigen können, die Sexismus erlebt und darüber einen Text geschrieben hat. Gleichzeitig machte ich immer wieder Erfahrungen, die mich darin bestärkten, darüber zu schreiben. Ich kannte damals keine anderen Journalisten mit Migrationshintergrund, die sich dieser Themen annahmen, ärgerte mich aber furchtbar über die Berichterstattung. „Dann machst du das halt“, sagte ich mir. Gleichzeitig erlebte ich Rassismus immer bewusster (und offener). Diese Erlebnisse brachten mich zum Nachdenken. Ich beschloss zu schreiben, um Brücken zu schlagen. Ich schreibe über Rassismus, Sexismus, Diskriminierung, Othering und all diese Themen, damit ich nicht mehr darüber schreiben muss. Und ich hoffe, dass ich das irgendwann nicht mehr brauchen werde. Das, was ich derzeit mache, ist nur vorübergehend.“
Das, was in diesen Zeilen hier passiert, ist ja auch genau das: Verletzlich machen, weil öffentliche Gedanken auch immer Angriffsflächen sind. Ich habe hin und wieder Witze gemacht, dass ich kein richtiger Kanaken-Journalist bin (yeah, I said it, you still can’t, though.), weil ich noch keine Morddrohung erhalten habe. Aber die meisten meiner Texte bieten keine Angriffsfläche, sie sind netzpolitisch, technisch und wenn es mal um Menschen geht, dann geht es nie um mich, sondern um ‚Protagonisten‘ und wenn es doch mal um mich geht, dann passiert das wie im Fasten-Text ironisch, auch da ist wahnsinnig viel Distanz.
Das muss nicht schlecht sein. Es sorgt aber dafür, dass ich an diesen Rassismus-Debatten nicht teilhabe, und das, obwohl ich finde, dass sie wichtig sind. Ich feiere so gut wie jeden Beitrag von Kübra (nicht jeden), ich mag, wie Özlem Topcu das für sich geregelt hat. Ich glaube, dass die besten Diskussionsbeiträge in der N-Wort-Debatte von Menschen kamen, die davon betroffen sind, die einen persönlichen Standpunkt dazu haben. Aber wenn es um meine Position geht, halte ich mich artikeltechnisch, also auf journalistischer Ebene zurück. Warum?
Ich habe auch noch mit Gökalp geredet, Journalist bei SZ.de. Er hat gesagt, dass er sich auch aus diesen Debatten raushält, weil er sie nicht als Journalist führen könnte; er würde sich befangen fühlen, er wäre parteiisch. „Das ist anwaltschaftlicher Journalismus“ hat er gesagt, „und das kann man machen.“ Aber er halt nicht. Auch wenn seine Stimme dann fehlt. Eine Stimme, die man gerne hören würde, weil es ganz grundsätzlich schwierig ist, was die Zahl von türkischen Journalisten in Deutschland angeht. Trotzdem hat er Recht mit dem, was er sagt. Wie gesagt, ich fasse vieles von dem, was in den Debatten diskutiert wird, als Beleidigung auf. All dieses „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ ist keine Diskussionsgrundlage, es ist eine Schutzhaltung, zumindest signalisiert sie nach außen hin, dass die Person gegenüber nicht diskutieren will, sondern auf ihrem Standpunkt beharren. Dagegen könnte ich nur anbrüllen und ehrlich gesagt will ich meine Zeit nicht damit verbringen, sauer zu sein oder mich in Rage zu schreiben.
Vielleicht muss ich gucken, wie ich damit umgehen kann. Alles das zwar als Beleidigung aufzufassen (ich wiederhole: es ist sehr oft eher Beleidigung als Diskussion), aber trotzdem Wege finden, da zu diskutieren. Nur damit diese Position wenigstens sichtbar ist. Aber grundsätzlich ist es so, dass ich keine Antwort habe. Ich denke das noch weiter für mich, das hier waren die ersten 1300+ Worte und ich nehme mal an, da kommen noch mehr. Für mich hat #schauhin sehr viel gebracht, hier in meiner kleinen Minderheitenecke.
Update: Ich hatte auch Özlem Topcu um eine Reaktion gebeten. Diese kam jetzt.
Für mich war von Anfang klar, dass ich darüber schreiben will! Ich hatte diesen Reflex nicht gehabt, mittlerweile habe ich hin und wieder, weil ich die deutschen Kollegen manchmal zu bequem finde, die intuitiv diese Themen als nicht ihre, sondern „unsere“ ansehen. Ich finde generell, dass man die Themen machen sollte, die einen interessieren und die man wichtig findet – und wenn das nun einmal „Ausländerthemen“ sind – warum sollte man sich denen verschließen, nur weil man zufällig diesen Background hat? Das wäre ja völlig sinnlos. Man muss es so sehen: Viel zu lange haben weiße, mittelalte Männer über dieses Thema geschrieben, daher ist es eigentlich eine gute Entwicklung. Der nächste Schritt wird sein, dass Leute wie wir ganz selbstverständlich über Umwelt und Finanzen schreiben (worauf ich persönlich keine große Lust hätte). Ich schreibe gern über die Frage der Identität.
Aber dieses Unbehagen kenne ich. Es ist eine Mischung aus Sich-In-Der-Schublade-Fühlen, aber gleichzeitig das Wissen, dass sich sonst keiner drum kümmert – oder dass ein bestimmter Blick fehlt.
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• #schauhin-Timeline auf Twitter (Achtung: Hier äußern sich nicht nur Betroffene, sondern auch Hater, Trolle und Spam-Accounts.)
Daran werde ich ein Weilchen zu denken haben. Danke.
Ich habe mich nicht persönlich an #schauhin beteiligt, obwohl ich sehr viel zu berichten hätte. Ich weiss nicht warum, aber es tat mir schwer darüber zu schreiben. Die Worte von Hakan machen mich nachdenklich und geben Hinweise darauf, warum dass bei mir genauso ist. Ich werde den Artikel mit Sicherheit noch öfters lesen. Sehr schön geschrieben. <3
Du machst Dir zu sehr und zu viele Gedanken.
Du bist fucking-gerlernter Journalist, also schreibe, recherchiere, kläre auf. Über das, was wichtig ist.
Sei relevant, egal zu was. Du solltest nur eine Ahnung haben von dem über das Du berichtest.
Oder sei subjektiv.
Aber schreibe und mache. Auch wenn es um Dein Vaterland geht.
Und sei niemals langweilig.
Bitte!
„er würde sich befangen fühlen, er wäre parteiisch. “Das ist
anwaltschaftlicher Journalismus” hat er gesagt, “und das kann man
machen.” Aber er halt nicht.“
es ist vielleicht „parteiisch“ aber nicht anders als alle anderen, denn all diejenigen, die von Rassisumus nicht betroffen sind, schreiben ja auch darüber… spielen es herunter, verteidigen gewisse Positionen… das ist genauso parteiisch. es gibt keine objektiven Menschen…
und gerade die Betroffenen sollten zu Wort kommen! Ich will auch nicht, dass nur weiße männlichen Mitteleuropäer um die 50 über Sexismus schreiben.
[…] weil ich mich in der Zwischenzeit aus der Moschee verabschiedet habe, aus Gründen, die ich in diesem Artikel mal angedeutet hatte. Dass dieser Mensch gestorben ist, hat mich trotzdem […]
„…es ist wichtig, zu sehen und zu akzeptieren, dass es tatsächlich nichts mit einem selbst zu tun hat, sondern alles, wirklich alles mit der Person, die rassistisch reagiert.“
Eine Aussage sagt oft mehr über den Sender als über den Empfänger.
Danke für den Artikel