„Wieviel Uhr ist es?“

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Wie ich mit Nicht-Muslimen über Fasten rede.

Er: „Dieser Schokoriegel ist ein Traum. Pekannüsse, so so lecker! Willst Du mal probieren?

(InVoice: Sag jetzt bloß nicht, dass du fastest. Dann geht gleich wieder die Diskussion los.)

Ich: „Nee, Du, danke. Passt schon.“

Er: „Warum denn nicht? Du verpasst was. Hier… warte“ – bricht ein Stück ab, ich kriege sogar den Teil mit viel Pekannuss – „sooo, fertig. Nimm! So lecker. Ein! Traum!“

(InVoice: Ochnöö. Jetzt hat er sich ganz umsonst die Finger klebrig gedrückt. Einfach nix sagen. Mach‘ eine Handbewegung. Erfinde irgendwas. Sag, du hast eine Pekannuss-Allergie.)

Ich: „Nee. Ernsthaft. Saunett, aber nein.“

Er: „Komm schon!“

Ich: „Nein, grad keine Lust zu essen.“

(InVoice: Clever. Als ob er jetzt nicht nach dem Grund fragen wird.)

Er: „Wieso? Geht’s Dir nicht gut?“

(InVoice: „…“)

Ich: …

(InVoice: „Mein Gott, dann bringen wir es eben kurz hinter uns.)

Ich: „Ne, ich faste.“

Er: „Achsooo. Stimmt. Ra-Ma-Dan! Jetzt schon?“

(InVoice: „Nein, ist nur ein Warm-Up meinerseits!“)

Ich: „Ja.“

Er: „War das letztes Jahr auch schon so früh?“

Ich: „Nein, die Muslime haben Mondjahre. Jedes Jahr schiebt sich das ein paar Tage weiter nach vorne.“

Er: „Also mitten in den Sommer.“

(InVoice: „Oh Gott. Wie Recht er hat. Noch zehn Jahre Sommerfasten.“)

Er: „Das heißt, Du isst jetzt gar nix, von Sonnenauf- bis Untergang, einen Monat lang oder wie?“

Ich: „Yes, genau.“

Er: „Im Sommer? Aber das ist doch sauheiß! Geht das überhaupt?“

(InVoice: „Sag nein! Sag nein!“)

Ich: „Ja, eigentlich geht das ganz gut. Ist die ersten Tage halt schwierig, weil es eine Umstellung ist. Aber ab dann gewöhnt man sich relativ schnell dran.“

Er: „Ich könnte das ja nicht.“

(InVoice: „Warum solltest du das denn auch können sollen/wollen?“)

Pause

Er: „Muss das jeder machen? Auch alte Menschen? Was ist mit alten Menschen?

Ich: „Ne, machen müssen das nur Menschen, die sich körperlich dazu in der Lage fühlen. Kranke Menschen nicht, alte Menschen nicht, schwangere Frauen nicht, keine Kleinkinder. Ich glaube, auch Leute, die tagsüber in der Sonne auf dem Bau arbeiten nicht, aber da bin ich mir gerade nicht sicher. Generell ist es so, dass safety first gilt.“

(InVoice: „Dieses Jahr recherchierst Du das endlich mal!“)

Er: „Aha, und wie ist das in den Ländern, in denen die Sonne überhaupt nicht untergeht?“

(InVoice: „Geil, endlich kannst Du die Frage beantworten.“)

Ich: „Die richten sich nach der Uhrzeit von Mekka. Da hat ein Gelehrter für die eine Fatwa erteilt, ein Rechtsgutachten, seitdem dürfen die das. Ich kenne aber auch eine islamische Community, hier in München, die richten sich auch nach der Mekka-Zeit. Die sagen, dass der Prophet das ja auch so gemacht hat und warum sollten sie das für einen längeren Zeitraum machen als er.“

Er: „Okay. Hart. Aber trinken geht schon?“

(InVoice: „Here we go.“)

Ich: „Nein, auch kein Trinken.“

Er: „Das kann doch nicht…“

Ich (parallel dazu): „Kein Rauchen, kein „Ich umarme und küsse meine Frau/meinen Mann“. Abstinent bleiben.“

Er: „…gesund sein! … !!!!“

Ich: „Ist es nicht. Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Muslime, die fasten, sagen, dass es sie nicht stört. Und ich kann auch nur von mir aus sprechen: Das Keinwassertrinken ist schon machbar, es ist auch nicht so schlimm, wie man sich das wohl vorstellt. Aber klar, wissenschaftlich gesehen gibt es schon größere Bedenken. Die Muslime sehen das eher nach dem „Wird schon gehen„-Prinzip.“

(InVoice: „Als ob sich da auch nur einer aus deiner Familie Gedanken macht über die Gesundheit. Auch die Alten fasten, einfach, weil sie zu stolz sind teilweise.“)

Er: „Aha. Aha. Und warum das Ganze? Also, was ist der Sinn dahinter?“

(InVoice: „Hungern, Mann!“)

Ich:  „Ach, das übliche Religionsding. Man versetzt sich durch das permanente Nichtessen und Trinken automatisch in die Lage von Bedürftigen, man wird an das Spenden erinnert, man nimmt seinen Körper bewusster wahr. Außerdem ist das Essen abends ganz schön, weil sich dann in der Regel sich die ganze Familie trifft und das ein Stück weit auch identitätsstiftend ist.“

Er: „Abends haut ihr richtig rein, ge?“

Ich: „Also ich kann da nicht so allzuviel essen. Aber andere, ja. Da wird schon ordentlich aufgetischt und diniert.“

Er: „Aber da nimmt man dann ja gar nicht ab von?“

(InVoice: „Da hat ja auch niemand was davon gesagt zu Dir in den letzten fünf Minuten, oder?)

Ich: „Nein.“

Er: „Krass.“

Gespräch Ende.

Wie ich mit Muslimen über Fasten rede.

(Abends, zu Tisch)

(InVoice: „Hunger!“)

Ich: „Wann ist heute Fastenbrechen?“

Sie: „21:06, eine Minute früher als gestern!“

Ich: „Okay. Wie war dein Tag?“

Sie: „Passt schon!“

Ich: „Wieviel Uhr ist es?“

Sie: „21:03“

Stille

(InVoice: „Das waren bestimmt schon drei Minuten, seitdem du vom Teller zum Fernseher und wieder zurück geschaut hast. Frag‘ nach der Uhrzeit!)

Ich: „Wieviel Uhr ist es?“

Sie: „21:04“

Stille

(InVoice: „Die Uhrzeit!“)

Ich: „Wieviel Uhr ist es?“

(InVoice: „Null-Sechs, ist es. Null. Sechs!“)

Sie: „21:05“

Ich: „Und jetzt?“

Sie: „21:05“

(InVoice: „Wie lecker das aussieht. Guck‘ doch mal hin.“)

Ich: „Meine Uhr zeigt aber 21:06. Ich fang‘ jetzt an, mir doch egal, Als ob es auf die eine Minute ankommt.“

Sie: „Warte halt noch! Mach den Teletext an. So. 21:05:59. Hadi, hayirli iftarlar. Afiyet olsun.

Ich (mundvoll): „An Guadn.“

22 Antworten zu “„Wieviel Uhr ist es?“”

  1. anneschuessler sagt:

    Ich war mal mit zwei Kollegen in Vietnam bzw. Hong Kong. Der eine Kollege war Jude und durfte diverse Sachen aus religiösen Gründen nicht essen, was in einem Land, wo von diesen Sachen relativ viel irgendwo drin ist und man die Leute auch nur bedingt versteht und nachfragen kann, nicht ganz einfach ist.

    Ich habe dann irgendwann mal gefragt, was eigentlich passiert, wenn man doch aus Versehen etwas isst, was man eigentlich nicht darf. Muss man dann beten, beichten, fühlt man sich dann schelcht, oder muss man irgendwas anderes tun? Die Nachfrage war sicherlich sehr naiv, allerdings wirklich nicht provozierend gemeint. Ich wollte das wirklich wissen, denn ein Verbot bzw. ein Verzicht ergibt für mich nur dann Sinn, wenn ein Bruch des Verbotes auch irgendwelche Konsequenzen hat.

    Letztlich habe ich das dann auch so verstanden, dass man das halt einfach nicht macht, möglichst versucht, es zu verhindern, und wenn man dann doch aus Versehen etwas isst, was man nicht essen darf, dann ist es eben nicht so schlimm. (Ist wahrscheinlich auch da eine individuelle Geschichte, wie man das handhabt und wie streng man zu sich selbst ist.)

    Als Deutsche mit latent-katholischem Hintergrund (Großeltern katholisch, Vater Atheist, Mutter Nicht-direkt-Atheist-aber-auch-nicht-religiös, aber immerhin auf einer erzbischöflichen Schule gewesen) ist es manchmal schwierig, bestimmte Regeln oder Verbote „fremder“ Religionen zu verstehen. Oft gibt es ja auch gar nichts zu verstehen, das ist dann so, genau, wie es in anderen Religionen eben Regeln gibt, die man rational schlecht erklären kann. Möglicherweise frage ich dann aber auch nach, denn es interessiert mich, wie solche Regeln funktionieren, warum man etwas tut oder auch nicht.

    Insofern ist die Nachfrage vielleicht manchmal lästig, oftmals aber zumindest verständlich. Nur sollte der Nachfrager dann im Zweifelsfall auch die Antwort „Das ist eben so“ akzeptieren. Religion und Kultur lassen sich nicht immer rein rational erklären, aber man muss deswegen nicht hinter jeder Nachfrage einen Affront bzw. ein Fass ohne Boden vermuten.

    • hakantee sagt:

      Sehe ich genauso. Ich hoffe, von der Art, wie das hier aufgezogen ist, kommt klar rüber, dass es auch ganz klar auch als Witz gemeint wird. Ich beantworte die Fragen natürlich trotzdem gerne. Bei den Moslems ist es übrigens genau so: Wenn man aus Versehen was isst, weil man nicht daran gedacht hat, dass gerade Fastenmonat ist: Voll egal. Mund auswaschen (Geschmack neutralisieren), Weiterfasten.

    • Jenna sagt:

      Ich verstehe, dass du möchtest, dass Nachfragen von ahnungslosen Christ*innen oder auch generell von weißen, heterosexuellen, cissexuellen, nicht-behinderten, christlich sozialisierten Menschen nicht immer als Affront verstanden werden sollen. Oft sind es ja vermeintlich ganz harmlose und unbedarfte Fragen. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass eins auch viele Informationen bei der eigenen Recherche (z.B. im Internet) bekommen kann, ohne rassifizierten Personen schon wieder das Gefühl zu geben, total fundamental von der Norm abzuweichen. People of Color etc. sind nicht dafür zuständig, priviligierte Personen zu jeder Gelegenheit und nach deren Wunsch aufzuklären. Und dann sind die Fragesteller*innen noch oft beleidigt, wenn z.B. eine Person of Color nicht das Gewünschte antwortet. Außerdem kann eins sich evtl. vorstellen, wie nervig es sein kann, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten, immer der gleiche Gedankenprozess, immer das gleiche Erstaunen, wenn Mensch den Erwartungen nicht entspricht, immer die gleichen falschen Schlüsse und und und. Daher plädiere ich dafür, eben nicht jede „völlig unvoreingenommene“ Frage einfach rauspurzeln zu lassen und eine freundliche, möglichst neutrale und umfassende Antwort zu erwarten, sondern lieber erstmal selbst in einer freien Minute zu recherchieren. Vielleicht kann die Antwort sich ja noch einen halben Tag gedulden, bis eins mal wieder Zeit hatte, dieser brennenden Frage aufzuspüren? Wenn ein Grundwissen vorhanden ist, kann eins sich ja dann immernoch an jmd. „Betroffenes“ wenden und nochmal tiefergehende Fragen stellen. Aber bitte auch jetzt nicht immer erwarten, dass die gefragte Person gerne die*den Referent*in für Minderheitenfragen spielt. DANN kommt es bei der Person auch eher als echtes Interesse an anstatt als weiteres unangenehmes Erlebnis von Othering und Exotisierung. Nur mal so als Hinweis in Bezug auf die „unschuldigen“ Fragen zu Themen, die immerhin die IDENTITÄT von Menschen tangieren. Für People of Color, Menschen mit Behinderung, Queers etc. ist das Reden über diese Aspekte ihrer Identität eben nicht nur ein „interessanter Gedankenexkurs“, wie es das für Menschen der Mehrheitsbevölkerung oft ist, sondern es geht um ihr LEBEN und ihre gelebte Erfahrung. Denkt mal darüber nach, bitte!

  2. >. Man versetzt sich durch das permanente Nichtessen und Trinken automatisch in die Lage von Bedürftigen, man wird an das Spenden erinnert, man nimmt seinen Körper bewusster wahr.

    Das klappt, indem man sich unter Heißhunger Zeug reinfährt? Oh.

    • hakantee sagt:

      Wir reden ja von der Phase, in der man nichts isst. Und da hat es nun einmal diese Wirkung.

      • Diese Wirkung hat doch anscheinend keine Konsequenzen. Wenn ihr das Bewusstsein erhaltet und abends kontrolliert regionale Bio-Sachen esst, euch mit Ernährung und der Herkunft des Essens auseinandersetzt, habt ihr meinen Respekt. Nicht aus religiösem Quatsch, sondern wegen der von mir zitierten Gründe.

        • hakantee sagt:

          Wie du darauf kommst, dass es „keine Konsequenzen“ hat, bleibt dein Geheimnis. Nur weil die Menschen abends essen? Und deine Tipps wären ja ein guter nächster Schritt, meinetwegen. Aber naja, einer religiösen Überzeugung „religiösen Quatsch“ vorzuwerfen, das ist ohnehin eher sinnlos.

        • Mina sagt:

          Mit der Prämisse wäre es dann auch egal, ob auf dem Essen „Bio“ oder „moralisch genehmigt“ steht (zumal Bio meist so viel mit Bio zu tun hat wie Fasten mit der Unterstützung lokaler Bio-Bauern).
          Als Katholikin habe ich auch schon öfter gefastet (die Zeit zwischen Karneval und Ostern – ein Feiertag, der sich ja auch am Mondkalender orientiert, da scheint das niemanden zu verwirren), zwar ist das etwas ganz anderes und ich habe nur auf einige Dinge verzichtet, aber man merkt schon, was man im Alltag für selbstverständlich hält und was eigentlich ein alltäglicher Luxus ist. Es treibt einen um, und dann reflektiert man.

          Das mag vielleicht nicht Ihren Respekt verdienen, aber darum ging es ja auch nie. Jede(r) Gläubige (und Nicht-Gläubige) tut eben die Dinge, die einem am Herzen liegen, in dem Fall ist es eine ritualisierte Zeit der Besinnung.

          @hakantee:disqus Deshalb auch noch einmal danke an dieser Stelle, für den Text! Persönlich habe ich Respekt davor, auf Essen und Trinken ganz zu verzichten, ich weiß nicht, ob ich das könnte. ^^

  3. Anne sagt:

    Sehr anschaulich geschildert. Danke, Hakan.

  4. kaltmamsell sagt:

    Fahren eigentlich karitative Organisationen zu Ramadan eigene Spendenbittbriefkampagnen (so wie bei Christen vor Weihnachten)?

    • hakantee sagt:

      Puh, gute Frage :) Zur Fastenzeit, als ich es das letzte Mal im türkischen Fernsehen aktiv wahrgenommen habe, da gab es schon verstärkt Werbungen mit Spendenaufrufen. „Denkt an die Menschen, die nicht so viel haben usw.“. Ich glaube, das ist gut mit Weihnachten vergleichbar.

      (Wobei meine Angaben hier ohne Gewähr sind, da ich das aus der Ferne nur sehr verzerrt mitkriege.)

      • kaltmamsell sagt:

        In Deutschland sind die Organisationen also noch nicht darauf angesprungen? Hätte ja sein können, dass zumindest muslimische Gemeinden zu Ramadan Post von der Ulrich-Wickert-Stiftung bekommen.

  5. Tannenzäpfle sagt:

    Ist eigentlich jeder der das mitmacht gläubig, oder machen Leute da auch einfach so mit, ähnlich wie Nichtchristen die trotzdem Weihnachten mitmachen?

    • Elif sagt:

      Gelegentlich fasten nur gläubige, da einige aus beruflichen oder persönlichen gründen der Meinung sind nicht fasten zu müssen. Jedoch schreibt uns Moslems der Koran vor zu fasten außer man ist schwanger, hat die Periode, hat starke körperliche Arbeit zu verrichten und noch einige gründen, die hakan schon erwähnt hat. Der Ramadan ist der heiligste und wichtigste Monat bei der Moslems.
      Bei der Fastenzeit kommt es nicht darauf an zu hungern, man soll sich einfach während dieser Zeit vollkommen der Religion hingeben, man soll beten und für alles was man hat danken. Somit ist es in einer Art und Weise vergleichbar mit weihnachten.

  6. spicollidriver sagt:

    willkommen im Leben aller VeganerInnen ;)

    -> „ich könnte das ja nicht“, „ist das denn nicht ungesund?“ blah blubb… :D

    (mußte ich beim Lesen wirklich sofort dran denken)

  7. Elba sagt:

    cool :)

  8. mauerunkraut sagt:

    Sehr schöner Text, ich frage mich nämlich schon hin und wieder wie der Ra-Ma-Dan innerhalb der Familie abläuft ^^
    Ich glaube ähnliche Diskussionen würde man in meinem Umfeld führen, wenn man während der christlichen Fastenzeit fastet. Hin und wieder spiele ich sogar mit dem Gedanken zumindest auf Luxusgüter (sprich: Süßigkeiten, Kaffee, Limonaden, Alkohol) zu verzichten. Weniger aus dem Glauben heraus (ich bin im Übrigen kein Freund der Kirche), sondern um mich einfach für eine Weile von dem Überflussleben abzukapseln und vielleicht auch doch so etwas wie Spiritualität zu erfahren. Wobei ich das natürlich zu jeder anderen Zeit genauso durchführen könnte – aber wie gesagt, bis jetzt ist das auch bei mir nicht nur eine Idee.

  9. […] geht es nie um mich, sondern um ‘Protagonisten’ und wenn es doch mal um mich geht, dann passiert das wie im Fasten-Text ironisch, auch da ist wahnsinnig viel […]

  10. Simo Mello sagt:

    Sehr gut und realistisch geschrieben.
    ich musste die ganze Zeit beim Lesen grinsen :)