Immer noch verdammt nötig

Es ist Frauen(kampf)tag. Die sozialen Netzwerke beginnen den Tag mit unlustigen Herrenwitzen, es werden Blumen verschenkt und IKEA Österreich macht Frauen zu Prinzessinnen. Vom Wochenstart mit – vorsichtig ausgedrückt – eher unglücklichen Spiegelinterviews und dem Bestreben, eine sowieso eher schwache Frauenquote zu verhindern, wollen wir erst gar nicht sprechen. Es scheint unter Vielen Einigkeit zu herrschen: den 8. März brauchen wir eigentlich nicht mehr, auch wenn nach 102 Jahren nicht mal die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit umgesetzt werden konnte. Eine kleine kleinerdrei-Delegation war gestern bei einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung zum internationalen Frauentag zu Besuch und sieht das, nicht erst seitdem, anders. (Überraschung!)
Den inhaltlichen Teil eröffnete die Historikerin und feministische Aktivistin Urvashi Butalia mit einem beeindruckenden Vortrag über die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die in Indien seit der Massenvergewaltigung und Tötung einer jungen Frau im Dezember 2012 und darauf folgenden breiten öffentlichen Proteste vor sich gehen. Ein Einblick in die feministische Bewegung und die politische Situation Indiens, der in der – mitunter stark neokolonialistisch gefärbten – Berichterstattung der internationalen Medien oft verwehrt bleibt. Auch wenn diese mit dazu beitrug, mit der Protestbewegung starken politischen Druck zu erzeugen, nicht zuletzt durch die Angst der Regierung um das außenpolitische Ansehen. Mehr als nur ein Wermutstropfen für die indischen Aktivistinnen, deren über 30 Jahre andauernder Protest für schärfere Gesetzesgebung bei Vergewaltigung und Stärkung der Rechte von Frauen nun zum ersten Mal wahrgenommen und auch oft genau so dargestellt wird: als würde er in diesen Tagen zum ersten Mal stattfinden. Auch der Report des von der Regierung einberufenen „Justice Verma Committee“ mit Empfehlungen für eine bessere Gesetzgebung gegen sexualisierte Gewalt hatte es bisher nicht in unsere Aufmerksamkeitssphären geschafft, dafür aber in die Hände übereifriger Harvard-Student_innen, die meinten, den indischen Frauen bzw. der indischen Regierung Empfehlungen zu dessen Umsetzung geben zu müssen. Butalia und ihre Mitstreiterinnen konnten diese Bevormundung nur noch mit Humor nehmen: Sie boten im Gegenzug an, die Student_innen ihrerseits zu beraten, sollte dies in den USA einmal Thema sein – denn dort ist die Vergewaltigungsrate höher als in Indien. Ein extrem spannender und heilsamer Blick über den oft so hohen eigenen Tellerrand.
In der anschliessenden Talkrunde diskutierten Urvashi Butalia, Laurie Penny und Merle Stöver über Sexismen und sexualisierte Gewalt und setzten sie in den Kontext einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur. Auch politische Parallelen zwischen Diskursen in Großbritannien, Irland, Indien und Deutschland wurden vom internationalen Panel aufgezeigt. Stöver berichtete von der aktuellen deutschen Debatte um Gauck und wie entmutigend solches Feedback von höchster Stelle sein kann. Butalia betonte, dass tiefgreifende Veränderung viel Zeit brauche, sie aber schon einen weiten Weg zurückgelegt sieht und es sich lohne, den Mut zu behalten, denn Politiker könnten durch Beschämung zu Veränderung gedrängt werden. Penny griff dies auf und machte klar, dass Solidarität und „Kindness“ auch über feministische Strömungen hinweg hier extrem wichtig sind.
Trotz dieser inspirierenden Einblicke und Diskussion zeigte sich aber gerade im anschliessenden Frageteil sehr deutlich, warum feministischer, aber auch anti-rassistischer Aktivismus, noch so nötig ist. Hatten sich vorher bei der Frage nach den anwesenden Männern nur circa fünf Prozent des Publikums gemeldet, waren es bei den Diskutant_innen an den Mikrofonen dann auf einmal 50 Prozent. Fragende setzten auch prompt dazu an, obwohl ja neokolonialistische Klischees bereits thematisiert worden waren, Indien als besonders religionsfanatisches und dadurch implizit rückständiges Land zu umschreiben. „Höhepunkt“ war ein Mann, der das Rederecht sehr nachdrücklich für sich beanspruchte („Nein, ich habe jetzt das Mikrofon!“), weil er jetzt „über seine Gefühle als Mann“ sprechen müsste, die es nicht erlauben würden, sexualisierte Gewalt und Alltagssexismus als Symptome einer strukturellen Unterdrückung in Relation zu setzen (so eloquent drückte er es leider nicht aus, wir haben das mal für euch paraphrasiert). Unter Protest des Publikums setzte er dann noch zur „Islamkritik“ („…aber im Islam!“) an. Dankenswerterweise ergriff Laurie Penny das Wort und fragte erstmal „Excuse me, are you from the internet?“. So dümmliches „What about the menz?!“-Getrolle würde sie sonst ja nur aus dem Netz kennen. Mit dem Hinweis, dass es nicht Kompentenz eines Mannes sein kann, Frauen zu erklären, wie sie erlebte sexualisierte Gewalt einzuordnen haben, und einem herzlichen „Sit the fuck down!“ wurde der Herr (der zwischendurch tatsächlich kurz aufstand und mit seinem Armen eine „Sieger“-Pose andeutete) zurück auf seinen Platz komplimentiert. Die plötzlich stinkende Luft im Raum war wieder klar. So geht das also bei Real-Life-Trollen. Danke nochmal, Laurie!
Neben feministischer Inspiration fernab der deutschen Nabelschau gab es also gleich noch trotziges Macker-Klischee-Verhalten zu erleben („Wie vor 30 Jahren“, meinte eine ältere Teilnehmerin). Als Auftakt des Frauentages ein Zeichen, dass es noch einiges zu tun und erreichen gibt. Aber auch dafür, wieviel ein Schulterschluss gegen Diskrimierung bewirken kann. Danke an die tollen Menschen auf, vor und hinter der Bühne!
Was sonst noch so passiert(e) zum Frauenkampftag, könnt ihr zum Beispiel bei der Mädchenmannschaft oder femgeeks lesen.
Und als Unterhaltung für Zwischendurch empfehlen wir heute die noch ganz frische erste Folge von „Tropes vs. Women in Video Games“, der über Kickstarter finanzierten Youtube-Dokureihe von Anita Sarkeesian, die sich mit Frauen und ihren Rollen in Videospielen beschäftigt.
Ich finde es auch immer wieder amüsant, Menschen, die den Protest in Indien dazu nutzen, sich herablassend über dieses Land zu äußern, mit folgender Studie bekannt zu machen:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/pressemat-studie-gewalt-frauen-lebenssituation,property=pdf,bereich=,rwb=true.pdf
Der Tweet bezog sich auf die Aussage Journalisten dürfen beruflich nicht über Genderthemen schreiben, während Journalistinnen nur eben dies dürften. Insofern fällt die Textwüste (sorry!) ein bisschen in sich zusammen.
Ich – und das sage ich als Mann – denke wir brauchen unter feministischen Texten keine ebenso langen Kommentare zu männlichen Befindlichkeiten. Solange mann nicht begriffen hat, dass es hier ausnahmsweise mal nicht um einen geht, ist sowieso Hopfen und Malz verloren.
[…] noch die britische Bloggerin und Journalistin Laurie Penny an, die das kleinerdrei-Team ja bereits letztens zum Frauentag begeistert hatte. Sie hielt einen Vortrag über “Cybersexism”, was damit auch eine […]