Und wo sind die Mülltonnen?
„Jetzt,“ dachte ich, „jetzt betreten sie unsere Wohnung.“ Was sie da wohl machen? Hoffentlich geht das gut! Vor acht Jahren tauschten wir das erste Mal unsere Wohnung.
Total cool
Genau genommen war es gar kein Tausch. Zwar hatten wir uns auf einer der größten Wohnungstauschplattformen angemeldet und ein Profil erstellt. Während wir aber einen Kurzurlaub in Lissabon machten – bei dem wir u.a. Couch-Surfing machten – wohnten Sue und ihr Sohn in unserer Berliner Wohnung. Den Schlüssel hatten sie sich im Café an der Ecke abgeholt, wo wir ihn hinterlegt hatten. Und während ich natürlich total cool war und gar nichts dabei fand, dass zwei fremde Personen in meiner Wohnung leben und in meinem Bett schlafen würden, war ich doch ganz schön aufgeregt. Was wäre, wenn sie was kaputt machten? Oder in unseren privaten Sachen schnüffelten? Oder gar die ganze Wohnung ausräumten und auf Nimmerwiedersehen verschwänden?
Zugegeben, wir hatten vorher telefoniert, und Sue hatte nett geklungen. Auch ihre Erzählung, dass sie aus ihrer Zeit in Deutschland eine Freundin in Berlin habe, diese sie aber nicht beherbergen könne, klang plausibel. Aber dennoch hatte ich so ein komisches Bauchgefühl. Das hielt auch an, bis wir ein paar Tage später nach hause kamen. Wir kraxelten in unsere Altbauwohnung, öffneten die gut verschlossene Tür und fanden eine sehr aufgeräumte Wohnung vor. Nur auf dem Küchentisch lenkte etwas den Blick ab: Ein Glas englische Orangenmarmelade und eine freundliche Karte.
Was sind das für Leute?
Inzwischen sind wir erfahrene Wohnungstauscher_innen und haben mehrere Urlaube in fremden Wohnungen in Amsterdam, Barcelona, Brüssel, Hamburg, Lissabon, London, Lutry am Genfer See, München, Paris, Rom und Washington D.C. verbracht. Kürzlich verreisten wir, ohne die Wohnung zu tauschen. Unser Sohn wollte wissen, wer denn währenddessen bei uns wohnt. Als ich sagte „niemand“, sagte er: „Häh? Das geht doch gar nicht.“ Das war wohl eine der schönsten Bestätigungen dafür, dass anders ganz normal sein kann.
Manche Tauschpartner_innen wurden zu Freund_innen. Sue haben wir schon mehrfach besucht und bei jedem Aufenthalt in London mindestens einmal getroffen. Auch sie und ihr Sohn waren schon bei uns zu Besuch, was wir sehr genossen haben. Beim diesjährigen BFI Flare Film Festival in London waren wir bei ehemaligen Tauschpartner_innen zu Gast. Am ersten Abend sagte unser Gastgeber, wir könnten ja mal einen Tee kochen, wir würden uns ja schon auskennen.
In Amsterdam suchten wir verzweifelt die Mülltonnen, bis wir per SMS informiert wurden, dass es große kommunale Müllsammelstellen auf der Straße gibt. In Barcelona genossen wir den Ausblick von zwei Dachterrassen, und in Hamburg den Grill im Garten. In Lissabon wohnten wir am Largo da Graca oberhalb der Alfama, und in Lutry war die Badestelle am Genfer See fünf Minuten entfernt. Natürlich kann mensch das auch alles in Hotels haben, aber Wohnungstausch macht den Urlaub persönlicher. Ich habe das Gefühl, dass ich dank der Tipps der Tauschpartner_innen viel mehr in die Stadt eintauchen kann, als es jeder Lonely-Planet-Reiseführer ermöglicht. Ein Kaffee in ihrem Lieblingscafé, ein Getränk in „ihrer“ Bar, das ist anders, als den Empfehlungen des Reiseführers zu folgen. In Paris hüteten wir zwei Katzen in Montmartre, in London fütterten wir einen Fisch. In Rom lernten wir, dass die ganze Stadt im August Urlaub macht, und genossen den Espresso wie die Einheimischen im Stehen an der Bar.
Fast wie Online-Dating
„Ja, Berlin, da findet ihr natürlich immer Tauschpartner_innen.“ Klar ist Berlin-Kreuzberg ein beliebter Urlaubsort. Trotzdem glaube ich, dass auch in kleineren Städten die Chancen gar nicht so schlecht sind, Tauschpartner_innen zu finden. Schließlich suchen auch dort Menschen Unterkunft, um Familie zu besuchen, an Klassentreffen teilzunehmen, oder schlicht die Gegend zu erkunden.
Wichtig ist meiner Erfahrung nach, die eigene Wohnung authentisch und ansprechend darzustellen – mit schönen Fotos, aber auch mit einer Beschreibung, was die Tauschpartner_innen tatsächlich vorfinden. Auch wenn in unserem Porträt die Fotos vom Wohnzimmer fast für „Schöner Wohnen“ taugen, weisen wir darauf hin, dass hier eine Familie mit zwei Kleinkindern lebt und also die Wohnzimmerregale voller Spielzeug sind. Das müssen unsere Tauschpartner_innen nicht mögen, aber zumindest tolerieren können.
Apropos Porträt: Ein bisschen ist Wohnungstausch wie Online-Dating. Wir zeigen unsere Wohnung und beschreiben, wer wir sind und was wir im Alltag so tun. Natürlich entscheiden wir, was wir zeigen, und unsere Kinder, die wir grundsätzlich auch aus den sozialen Medien heraushalten, gehören nicht dazu. Auch die Information, wo wir wohnen und was für eine Wohnung wir haben, sagt schon einiges über uns aus. Wer sich auf Wohnungstausch einlässt, gibt ihm_ihr unbekannten Menschen viele Informationen über sich. Wir fühlen uns damit wohl, wer das nicht tut, sollte vielleicht besser mit Freund_innen oder Bekannten tauschen.
Wie wir unsere Tauschpartner_innen finden? Da wir durch die lange angekündigte KiTa-Schließzeit zumindest im Sommer auf bestimmte Zeiten festgelegt sind, suchen wir für diese Zeit schon recht früh nach Tauschmöglichkeiten. Wir nutzen vor allem eine Plattform, die verschiedene Suchoptionen bietet – für uns sind natürlich Kinderfreundlichkeit und die richtige Anzahl Betten wichtig. Je mehr Filter ihr setzt, umso weniger Tauschangebote findet ihr logischerweise. Die Plattform erlaubt auch, nur Leute zu suchen, die in eure Stadt wollen. Unsere Erfahrung ist, dass viele Wohnungstauscher_innen bei kurzen Tauschen durchaus flexibel sind, was das Ziel angeht.
Wie Zuhause
Besonders schön am Wohnungstausch ist es, in eine belebte Wohnung hinein zu kommen. Für uns gibt es oft Spielzeug und Möbel für kleine Kinder, und anders als in vielen Ferienwohnungen ist auch dann noch genügend Besteck und Geschirr da, wenn wir mal nicht direkt nach dem Essen abwaschen. Meistens gibt es Wasch- und Spülmaschine, und der Bücherschrank und das CD-Regal – bzw. neuerdings irgendwelche TV- und Musikabos – versprechen viel Abwechslung.
Oft vereinbaren wir mit den Tauschpartner_innen, dass wir die Fahrräder der jeweils anderen nutzen dürfen. In Washington D.C. durften wir sogar beide Autos der Familie nutzen, obwohl wir selbst gar keins haben. Einzige Bedingung: Am Tag der Straßenreinigung mussten wir sie umparken auf die jeweils andere Straßenseite. Bei diesem Tausch konnte meine Frau sogar die Mitgliedschaft der Tauschpartnerin im Fitness-Studio nutzen, und unser kleiner Sohn erlebte dort US-amerikanische Kinderbetreuung. Dass die afroamerikanischen Betreuerinnen ihm Videos zeigten, fand er vor allem wegen der Cartoon-Videos gut. Dass dieses Erlebnis aber offensichtlich noch andere Verbindungen im Gehirn schuf, zeigte sich ein Jahr später. Unser Sohn sah in Berlin einen vermutlich afrodeutschen Mann auf der Straße und sagte: „Der spricht Englisch!“
Ohne geht es nicht: Aufräumen und putzen
Wohnungstausch ist allerdings auch stressig: Vor der Abreise, wenn die ganze eigene Wohnung aufgeräumt und geputzt werden muss. Am schwierigsten finde ich, mir den fremden Blick auf die eigene Wohnung vorzustellen: Was wirkt charmant, was chaotisch? Das eigene Bauchgefühl ist da oft recht klar. Wichtig ist, sich vor der Abreise genug Zeit zu nehmen, um nicht in Megastreß zu kommen.
Da hilft es, die Tauschpartner_innen schon vorher gut kennen zu lernen – dank Videotelefonie über Skype, WhatsApp etc. ist das heute relativ einfach. Wir sind bisher immer gut damit gefahren, frühzeitig Erwartungen abzuklären. Das gilt natürlich ganz besonders, seit wir mit kleinen Kindern reisen – und umso mehr, wenn unsereTauschpartner_innen das nicht tun.
Schließlich ist uns wichtig, dass die Tauschpartner_innen eine Haftpflichtversicherung haben und dasselbe von uns wissen. Gebraucht haben wir sie noch nie – denn bisher sind bei rund 15 Tauschen nur eine Vase und eine Tasse kaputtgegangen. Dennoch hilft es mir, für den Fall der Fälle zu wissen, dass es eine Absicherung gibt.
Der Moment, in dem wir die Haustür unserer aufgeräumten Wohnung zuziehen, ist eine Kombination von Entspannung – Geschafft! Wieder einmal! – und Spannung – Was uns wohl erwartet? – zugleich.
Der Überraschungsmoment
Anfangs war meine Anreise an den Urlaubsort von vielen Sorgen geprägt: Klappt alles? Sind die Tauschpartner_innen real oder vielleicht doch auf etwas Böses aus? Inzwischen hilft mir das Wohnungstauschen, mich auf Wichtiges zu konzentrieren: Was ist für mich wirklich wertvoll? Bei welchen Dingen wäre es wirklich schade, wenn sie kaputt gingen? Das versuche ich entsprechend zu kommentieren und schließe ggf. Sachen weg. Manche Haustauscher_innen schließen auch ein ganzes Zimmer ab – das haben wir bisher nicht getan. Wer es tut, sollte das frühzeitig erläutern – Stichwort Erwartungsmanagement.
Dann kommt der Moment, an dem wir die fremde Wohnung betreten. Am besten finde ich es, wenn es wegen versetzter Reisezeiten klappt, sich persönlich zu treffen, die Tauschpartner_innen in Augenschein zu nehmen und guten Gewissens die Schlüssel zu übergeben. Das klappt nicht immer. Viele bitten darum Freund_innen oder Nachbar_innen, uns zu empfangen – das ist eine nette Art, Ort und Wohnung kennen zu lernen. Wir sind inzwischen viel entspannter damit, unsere Schlüssel in der Nachbarschaft zu deponieren, „kennen“ wir doch unsere Tauschpartner_innen schon digital.
Urlaubsort aus Sicht der Einwohner_innen
Sind die Gepäckstücke ausgeräumt, fangen wir meist an, den „Guide“ zu studieren – Infos zur Wohnung und zur Umgebung. Wir geben unseren Gästen jeweils drei Seiten Text an die Hand. Die „Gebrauchsanweisung“ für unsere Wohnung bezieht sich vor allem auf technische Geräte und Hinweise zum Haus, zu den Nachbar_innen, die ggf. ansprechbar sind, und enthält natürlich unsere Kontaktinformationen. Per SMS- und WhatsApp-Nachricht lassen sich Unklarheiten am Anfang des Tauschs rasch ausräumen. Unsere Info zur Umgebung umfasst im wesentlich einen Stadtplan mit Markierungen und Hinweisen auf unsere Lieblingsorte im Kiez sowie Orte, die nicht im Reiseführer zu finden sind. Vorgefunden haben wir schon über zwanzigseitige Gebrauchsanweisungen für die Wohnung, aber auch gar nichts – beides war etwas mühsam.
Wir tauschen unsere Wohnung nicht nur mit der Benutzung aller Geräte, der Bettwäsche und der Handtücher, sondern auch – ggf. gesondert vereinbart – mit der Nutzung z.B. von Kaffee- und Teereserven. Das hat die angenehme Nebenwirkung, dass wir nicht gleich als erstes einkaufen gehen müssen, sondern nach dem Ankommen erst mal eine Tasse Tee oder Kaffee trinken können. Dass wir die Reserven vor der Abreise wieder auffüllen, versteht sich von selbst.
Häufig ist es so, dass mensch nicht nur die Wohnung, sondern auch die Nachbar_innen tauscht. Meistens wissen die Nachbar_innen Bescheid, dass da „fremde Leute“ kommen, und sind dann auch erste Ansprechpartner_innen im fremden Land. Uns halfen sie schon bei der Suche nach einem_einer Kinderarzt_ärztin, während bei uns Nachbar_innen die Funktionsweise des Induktionsherds erklärten. Einmal trafen wir sogar die Schwägerin der Tauschpartner_in, die uns offensichtlich mal in Augenschein nehmen wollte um zu klären, ob sie nicht vielleicht auch mal tauschen könnte – wenn schon nicht mit uns, dann mit Leuten, die wir kennen. Wir mögen das, denn so erfahren wir viel mehr über den Urlaubsort, als wir es in Hotel oder Ferienwohnung je könnten. Und das Ganze auch noch quasi kostenlos.
Mehr Urlaub zu geringeren Kosten
„Fahrt ihr schon wieder in Urlaub?“ ist eine Frage, die wir seit acht Jahren häufig hören und meistens bejahen. Kein Wunder – da wir in der Regel Wohnungen tauschen, sind unsere Urlaube meist sehr günstig. Das ist für uns eine Möglichkeit, häufiger zu verreisen und unseren Kindern die Welt zu zeigen – ein großes Stück Lebensqualität.
Die Ökotante in mir – ich arbeite im Klimaschutz – begeistert sich auch deshalb für Wohnungstausch, weil er mindestens theoretisch Ressourcen spart. Zwar verreisen wir öfter, aber wenn wir das tun, brauchen wir keinen extra für uns (und andere Tourist_inn_en) gebauten Wohnraum – mit all den Folgen, die das hat. Zwar habe ich die Ökobilanz des Tauschens noch nicht ermittelt, aber ich bin dennoch ganz zuversichtlich, dass die so genannte „Sharing Economy“ insgesamt Vorteile für die Umwelt hat.
Und wenn wir heimkommen, ist unser Zuhause oft noch aufgeräumter, als wir es verlassen haben. Was könnte schöner sein?
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