Crappy Birthday

@ , by Nicole von Horst

Hallo, mein Name ist Nicole, ich habe heute Geburtstag und weiß jetzt auch nicht weiter. Wenn man nicht mehr weiter weiß, soll man Listen schreiben, sagen sie. 30 mal runzle ich die Stirn, denn so alt werde ich. Juliane hat das schon hinter sich, und über ähnliche Fragen geschrieben. Mich treibt noch was anderes um. Jedes Jahr. Vielleicht kein Jahr so wie dieses. Geburtstag, what is it good for?

  • Ich feiere nicht gern in meinen Geburtstag rein. Geburtstag ist erst wenn ich aufwache. Wenn die Sonne das Laken küsst. Geburtstag geht vom Wachwerden bis zum Einschlafen. Geht den wachen Tag lang, und der Tag voller Überraschungen, zufälliger Aufmerksamkeiten. Weil es mein Tag ist. (Nicht meine Nacht davor.) So wünsche ich mir das.
  • Mit geplanten Festen habe ich dafür wenige gute Erfahrungen gemacht, sie enden in Melancholie und dann muss man aufräumen.
  • Ich liebe es, im Juni Geburtstag zu haben. Es ist der perfekte Geburtstagsmonat, warmer Wind, der Bäume hin- und her schubst, mal Knallsonne, mal Knallgewitter, aber meistens was angenehm Mittleres. Lagom. Gleichzeitig so leicht und es duftet. Erdbeeren. Und kurze Ärmel.
  • Im Juni Geburtstag zu haben; das heißt alle halbe Jahre ein guter Geschenke-Event. Das ist vernünftig aufgeteilt.
  • Überhaupt, Geburtstag ist wie Weihnachten. Nur ohne Stress. Wobei, der größte Stress, an dem Enttäuschung kleben bleibt, der ist schockierend ähnlich. Wie ich an Heiligabend auf einen Weihnachtszauber warte, der sich nicht planen lässt, der einfach passiert, also, passieren soll, ein Glücksgefühl, was Goldenes, so erwarte ich auch an meinem Geburtstag, glücklich zu sein. Weil es mein Tag ist, all eyes on my pleasure, einfach alle nett zu mir sein müssen, wenn sie davon erfahren.
  • Mein Lieblingsgeburtstag war vielleicht mit sieben. Ich wurde so alt wie die Nummer an unserem Haus, mein Tag, meine Zahl. Ich spielte alleine im Hof und erzählte allen, die vorbeikamen, dass ich heute Geburtstag habe. Eine Nachbarin mit Kindern ließ mir aus dem 4. Stock mit einem Seil einen Korb herunter, darin war ein Geschenk für mich. Ein von ihr sicher aussortiertes kleines Gesellschaftsspiel, mit Affen, Bananan, einer Palme. Geburtstag haben und anderen davon erzählen war wie Zauberei.
  • Geburtstag, das war auch, eine meiner beiden schicken Blusen anziehen. Die nicht wirklich schön waren, aber so festlich selten angezogen wurden, dass sie perfekt für den Anlass waren.
  • Geburtstag fängt immer besser an, als er aufhört. Weil Geburtstag die offene Aussicht ist, auf das, was Schönes kommen könnte, nicht als satte Befriedigung funktioniert. Den mätta dagen den är aldrig störst.
  • Aber jetzt? Ich lese online Glückwünsche und weiß nicht, was ich damit machen soll. Einzeln auf jedes Happy Birthday antworten? Einen Post verfassen, in dem ich mich für die versammelten Glückwünsche bedanke, weil es höflich ist, ich habe mich sehr gefreut, dass ihr an mich gedacht habt, dass ihr der Erinnerung von Facebook nachgekommen seid. Soll ich sie über den Tag verteilt lesen, oder kurz vor dem Schlafengehen? Traurig, wenn es sie nicht gäbe, trotzdem überfordern sie mich. Keine zufällige Leichtigkeit, eine Formalität. Die ich mir jedes Neujahr neu vornehme, dieses Jahr gratuliere ich allen, mit denen ich verbunden bin, aber dann vergesse ich es, oder frage mich, huch, woher kennen wir uns eigentlich, oder überlege, was ich Superindividuelles posten kann und scheitere an meinem Anspruch, meiner Müdigkeit, und wäre es nicht eigentlich besser mindestens eine Postkarte zu schicken und das nehme ich mir dann für das folgende Neujahr vor und scheitere.
  • Geburtstag war nie eine Krone mit meiner Jahreszahl auf dem Kopf, war kein Kuchen mit Kerzen am Bett, beleuchtet von Familiengesang, war kein Holzring mit Jahreszahl auf der Kaffeetafel.
  • Geburtstag war mal eine (Fake-)Barbie auspacken am gekachelten Couchtisch im Wohnzimmer, mit einer Freundin aus dem Haus gegenüber und Benjamin-Blümchen-Torte aus der Fernsehwerbung. Die Sinnlichkeit des länglichen pinken Päckchens. Oder „Rennschwein Rudi Rüssel“ in einem fast leeren Kino sehen.
  • Oder Feste mit Einladungen und Schul- wie Nachbarschaftsfreund_innen. Die an meinem Geburtstag nicht neben mir sitzen oder mit mir spielen wollten. Mit Hüpfkissen, Schokokusstorte und abends zum Modern Talking-Reunion-Album im CD-Player (ja, es war auf meiner Wunschliste) ein unlösbares 3D-Puzzle zusammenstecken.
  • Am 1. Juni frage ich, vielleicht knapp vorm Grundschulalter meine Cis-Mama, ob ich schon Geburtstag habe, stimmt doch, oder, Geburtstag beginnt am Anfang des Monats? Ja, sagt sie, und ich fühle mich schon sehr festlich. Mein kleiner Bruder zweifelt das an. Ich werde ihn später darüber aufklären, dass die Leute an seinem Geburtstag keine Raketen für ihn die Luft schießen, sondern weil Silvester ist. Für mich gibts ja auch kein Feuerwerk.
  • Jetzt werde ich 30. Bin ich 30, laut Kalender. Unter Umständen gebäre ich heute noch ein Kind. Wenn ich ganz ganz viel Pech habe. Ich will meinen Geburtstag nicht teilen, nicht mit einem eigenen Kind, für dessen Geburtstage ich die nächsten Jahre verantwortlich bin und dann denkt niemand mehr an mich.
  • Ich hätte gerne mit dem Kind geteilt, an Pfingstmontag geboren worden zu sein, dann wäre es vor drei Tagen gekommen. Das war der errechnete Termin. Und mein Pech wäre bloß geworden, dass mein Geburtstag auf den sogenannten „Heultag“ gefallen wäre.
  • Jetzt ist mein Pech, dass ich um 8 Uhr früh bei meiner Gynäkologin sein muss. Wer eine Hausgeburt plant und am dritten Tag nach dem errechneten Termin nicht geboren hat, muss zu einer Kontrolluntersuchung, die an keinem anderen Tag stattfinden darf.
  • Letztes Jahr stellte ich mir selbst zu Nikolaus einen Stiefel vor die Tür und füllte ihn. Heute stelle ich mir einen Holzkranz mit meiner Jahreszahl und Kerze auf den Tisch, stelle Geschenke dazu, die ich mir vor Monaten schon selbst gekauft habe. Nicht in Geschenkpapier eingewickelt, ich weiß ja was drin ist. Auf dem Tisch steht ein Blumenstrauß, den ich mir selbst gekauft habe, aber für die Geburt, die ich mir noch für gestern erhofft hatte, nicht für meinen Geburtstag.
  • Als Andrea, meine trans Mutter, 30 wurde, war ich zehn. 30, erwachsener geht kaum. Wie Erwachsene Geburtstage feierten, ging für mich gar nicht. Da ging gar nichts, kein Zauber, keine Festlichkeit. Als Andrea 30 wurde, da lag auf der Lehne auf ihrer Seite des Sofas eine große bunte Karte, auf der 30 stand. Und ein verpackter Scherzartikel-Hundehaufen. Ich habe das nicht verstanden.
  • Ich werde heute 30 und Prosanova beginnt, ein ziemlich nices Literaturfestival an dem ein paar alte Sehnsüchte hängen. Ich werde heute 30 und in Großbritannien wird gewählt, ich rechne mit nichts gutem. Und sonst so, Welt?
  • Mir fällt nicht mehr ein, was ich an meinem 20. Geburtstag gemacht habe. Autsch. Mit 22 trug ich ein hellblaues riesig gerüschtes Ballkleid mit Reifrock in der Schule, just because. Mit 23 oder 24 trug ich einen Kinderclownsjumpsuit, rot mit weißen Herzen und Cameltow. Das hat niemand verstanden.
  • Wie groß sich jede neue 0 anfühlt, und dann denkt man an die alte zurück und staunt, wie klein sie ist, wie mini man war. 20. Noch ein Baby. Und mit jeder neuen 0 die Erwartung, erwachsen(er) zu werden. As if. Mama sagte vor einer Weile, sie fühle sich nicht erwachsen, das hat mich erleichtert.
  • Mein eigentlicher Plan für meinen 30. Geburtstag war, ins Disneyland Paris zu fahren. Nicht die originellste Idee, habe ich schon gehört. aber ach. Es wird dieses Jahr 25 und seit ungefähr so vielen Jahren wünsche ich mich schon dort hin. Wenn der Sprecher in der Fernsehwerbung fragte „Kennen Sie jemand, der nicht davon träumt?“ antwortete Mama: „Ja. Ich.“ und ich dachte, pfff. Ich behaupte, dass sie da doch schon erwachsen war.
  • Eine andere Idee für den 30. Geburtstag: ein Cabrio mieten, mit offenem Verdeck ein bisschen über Landstraßen brausen. Tja, wenn ich letztes Jahr meinen Führerschein zuende gemacht hätte. (Ich mit 30: Kein Führerschein, kein Uniabschluss, kein Job. Ich will da gar nicht hingucken.)
  • Beide Wünsche durchkreuzt jetzt vor allem der noch nicht geschlüpfter Fötus. Juliane hat Recht damit, dass mich zu diesem Geburtstag vor allem meine Reproduktion umtreibt, aber anders als gedacht.
  • Ich habe in den letzten Wochen so viel Zeit damit verbracht alles für die Geburt vorzubereiten, die eine Hausgeburt werden soll. Aufräumen, aussortieren, Zeug kaufen, wieder aufräumen, weil hier nichts sauber bleiben kann, Möbel aufbauen, Kram stricken, vorkochen, aufräumen und so weiter. Keine Zeit, kein Platz im Kopf, an Geburtstag zu denken, irgendetwas zu planen. Und immer die Ungewissheit, ob es ein Geburtstag mit Bauch oder Wochenbett wird.
  • Eine schöne Idee für einen Prä-/Post-Geburts-Geburtstag, auf die ich dank @sturzflug über Twitter kam: eine Pyjamaparty machen. Aber das hätte ich ja auch planen müssen, argh.
  • Ich meine, ich mag ihn eh nicht planen. Mag es nicht zu sagen: Ich wünsche mir das und das und dann ist es da. Ich mag überrascht werden. Und wie schwer das ist, wenn man nichts plant und den ganzen Tag zuhause bleibt.
  • Was, wenn ich nicht schlafen gehe, weil ich das hier schreibe und dann früh diesen Termin habe, wann fängt dann mein Geburtstag an? Hab ich ihn schon verpasst?
  • Was, wenn ich ihn einfach ignoriere? Das habe ich als Kind ja auch nicht verstanden, warum Erwachsene ihre Geburtstage ignorieren. Aber ich habe auch nicht verstanden, wie man vergessen kann, wie alt man ist, und dann kam ich ab 25+ selbst durcheinander und musste mit meinem Geburtsjahr rechnen. Immerhin das ist dieses Jahr leicht zu merken.
  • Als ich gestern in den Kindergarten ging, das Kind abholen, rannte es in den Gruppenraum, die anderen, noch nicht abgeholten Kinder gleich hinterher, und ließ sich von der Erzieherin ein verpacktes Geschenk geben. Für mich. Nicht für die Geburt. Für meinen Geburtstag. Alle Kinder rufen durcheinander: Erst heute aufmachen. Nicht vorher verraten, was drin ist. The magic I hoped for.

 

Wie verbringt ihr am Liebsten eure Geburtstage?
Und wie habt ihr Geburtstag Nr. 30 verbracht?

4 Antworten zu “Crappy Birthday”

  1. Nina sagt:

    An meinem 30. Geburtstag habe ich meinen Sohn zur Welt gebracht. Mein Freund hat die Gitarre mit ins Krankenhaus gebracht, wir haben Wie-schön-dass-du-geboren-bist gesungen und vor Rührung geweint. Das war so wunderbar, dass ich den Geburtstags-Klau sofort verziehen habe.

  2. Ruby sagt:

    Das war rein zufällig der schönste seit meiner Kindheit. Waren mit KindNr1 bei meiner besten Freundin (& Ihrem Gefährten) in Spanien und sie haben ein romantisches Date für my SO und mich arrangiert. Den Tag hatten wir alle zusammen entspannt am Strand und in der Altstadt verbracht.

  3. Lena sagt:

    In 3 Wochen in einem Uckermarker Ferienhaus mit 14 Freund*innen, Klönen übers Wochenende. Haha, natürlich! Wird allet ruhiger :)

  4. mamma_mina sagt:

    Ich habe meinen 30. Geburtstag mit meinem damals knapp zwei Monate alten Baby und meinem Mann daheim verbracht. Es war furchtbares Wetter, Ende Januar, wir haben Kakao getrunken, Kekse gegessen und mehrere Filme angeschaut. Und abends habe ich ein Glas Wein getrunken (ich konnte nicht stillen).
    Eigentlich wollte ich nie Kinder vor meinem 30. Geburtstag haben.
    Aber ich wollte auch nie heiraten und tat es mit dem richtigen Mann dann doch.

    Liebe Nicole, von Herzen alles Liebe zum Geburtstag. <3