Elterngeldarithmetik und Gerechtigkeitsgedanken

Foto , CC BY-SA 2.0 , by joybot

Inhaltshinweis: Erwähnung von Stillgeburt

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Barbara.

Barbara Vorsamer ist Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung. Sie twittert Lesetipps, Meinung und Befindlichkeiten unter
@vorsamer. Hier gehts zu Barbaras Blog.

Es sind zwei Dinge, die mich zu dieser Kolumne bewegen. Zum einen der Tweef zwischen @herrfranken und @j_koenig zum Thema Aufteilung des Elterngeldes. Zum anderen ein Artikel auf der Website des Deutschlandfunks, dazu gleich mehr.

Im erwähnten Twitter-Streit gerieten die beiden Väter und Feministen aneinander, weil Robert Franken in einem Tweet die gerechte Aufteilung der Elterngeldmonate in heterosexuellen Beziehungen auf Mutter und Vater als Idee für eine gerechte Familienpolitik ins Spiel brachte: Er schlägt vor, die Elternzeit gesetzlich auf sieben Monate für die Mutter und sieben Monate für den Vater festzulegen. Das wäre eine Änderung der aktuellen Regelung. Sie stellt Eltern größtenteils frei, wie sie sich die 14 Monate aufteilen, die ihnen zustehen  Das führt häufig dazu, dass Mütter ein Jahr Elternzeit nehmen und Väter zwei Monate – die Mindestdauer, wenn beide Elternteile Elternzeit nehmen wollen. In dieser Art der zeitlichen Aufteilung werden die beiden Väter-Monate von einer bestimmten Schicht gerne genutzt, um sich einen staatlich finanzierten Urlaub zu gönnen. Von den zwei Dritteln aller Väter, die ihre zwei möglichen Elterngeldmonate eh verfallen lassen, ganz zu schweigen.

Es klingt nach einer guten Idee: Eine 7+7-Regelung würde das Risiko, dass der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin wegen Familiengründung ausfällt, gerecht auf weibliche und männliche Schultern verteilen. So wäre für die Firmen die Einstellung von Frauen und Männern gleich riskant. Klingt also super und Franken ist nicht der erste, von dem ich diesen Vorschlag höre oder lese. Bisher habe ich jedes Mal zustimmend genickt.

Das Problem geht tiefer

Dann aber las ich die Erwiderung von Jochen König darauf. Und ich will jetzt überhaupt nicht darauf eingehen, wer wen richtig verstanden oder falsch zitiert hat (zumal die beiden das Tweef-Beil eh in den Kommentaren unter dem Blogpost längst begraben haben). Ich finde Königs Argument interessant, dass eine verpflichtende 7+7-Regelung nicht unbedingt dazu führen würde, dass mehr Männer Elternzeit nehmen würden. Er glaubt – und dass diese Annahme durchaus berechtigt ist, zeigen die paarundsechzig Prozent Väter, die das ihnen zustehende Elterngeld schon jetzt verfallen lassen – dass 7+7 in vielen Partnerschaften auf sieben Mama-Monate und null Papa-Monate hinauslaufen würde. De facto also, wie König schreibt, eine Kürzung des Elterngeldes für die Mutter (und das Kind und die ganze Familie) um fünf Monate – von bisher maximal zwölf auf maximal sieben.

Ich befürchte, da hat König recht. Franken hat aber auch irgendwie recht. Und wie das alles zusammengeht (beziehungsweise warum da eben was nicht zusammenpasst), lernte ich dann ein paar Tage später in diesem langen Stück über Feminismus und Sozialpolitik und Hillary Clinton beim Deutschlandfunk (Danke fürs Teilen, Antje Schrupp!) Dort steht ganz am Ende:

“In einem ihrer frühen Essays stellt die politische Philosophin Nancy Fraser die These auf, dass alle existierenden Sozialstaaten bei der Frage versagen, welche Rolle den Frauen zugedacht wird. Solange Frauen einen überproportional großen Teil der Fortpflanzungsarbeit leisten, werden, so Fraser, alle Umverteilungsprogramme, die ausschließlich auf Erwerbsarbeit basieren, Männer begünstigen – sogar, wenn sie von Vollbeschäftigungsprogrammen und umfassender Kinderbetreuung begleitet werden. Doch die Alternative – Menschen, die in der Hauptsache ihre Kinder oder pflegebedürftige Eltern betreuen, als eigene, geschützte Klasse zu betrachten – ist nicht besser. Selbst wenn Leistungen für Betreuung und Pflege offiziell geschlechtsneutral wären – die Empfänger dieser Leistungen wären immer noch hauptsächlich Frauen, was wieder die Teilung der Arbeit nach Geschlecht festschreiben und Frauen im öffentlichen Leben unterrepräsentieren würde. Beide Möglichkeiten sind schlecht, und keine davon, sagt Fraser, verlangt, dass sich bei den Männern etwas ändert.”

Ich finde, dieser Absatz fasst ganz gut einen Konflikt zusammen, den ich in der Debatte um Gleichberechtigung schon lange wahrnehme, aber bisher nicht so richtig in Worte fassen konnte. Denn irgendwas störte mich an den ganzen Gleichheits– und Karrierefeminismus-Debatten, welche die Medien dominieren und deren Hauptanliegen es ist, dass Frauen so viel verdienen wie Männer, so viel arbeiten wie Männer, so viel Karriere machen wie Männer und an sich beweisen, dass sie alles genauso gut können wie Männer.

Fortpflanzung ist Arbeit

Letzteres stimmt natürlich. In fast allen Bereichen können Frauen und Männer das gleiche leisten. Im SZ-Feuilleton las ich irgendwann mal die hübsche Zusammenfassung, dass die einzigen wissenschaftlichen belegten Unterschiede zwischen den Geschlechtern seien, dass Männer häufiger masturbieren, eher geneigt sind, fremdzugehen, und besser werfen können. Ein anderer wichtiger Punkt fehlt in dieser Aufzählung: Die meisten Frauen können schwanger werden, mindestens vier von fünf werden tatsächlich irgendwann Mutter von einem oder mehreren Kindern. (Wie viele es tatsächlich sind, ist schwer zu beziffern. Die verlinkte Studie nennt die Zahlen für die Frauen verschiedener Generationen – aber die älteren fällten ihre Entscheidung noch unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen, bei den jüngeren sagt die Zahl nur aus, wie viele Frauen derzeit keine Kinder haben. Kann sich natürlich noch ändern). Worauf ich hinaus will: Eine große Mehrheit der Frauen ist Mutter oder wird es noch irgendwann. So zu tun, als wäre das Kinderkriegen daher etwas, das Frauen vielleicht betrifft, vielleicht aber auch nicht, und als wäre die Entscheidung dafür oder dagegen etwas völlig individuelles, wie zum Beispiel die Anschaffung eines Hundes oder eines Meerschweinchen – das ignoriert die Tatsachen.

Die oben beschriebene Feminismus ignoriert (oder schiebt es zumindest sehr an den Rand der Wahrnehmung), dass diese Frauen – und es handelt sich hier eben um eine sehr deutliche Mehrheit – viel Reproduktionsarbeit leisten müssen. Sie werden schwanger, tragen ein Kind aus und eventuell stillen sie. Selbst wenn sie letzteres nicht oder nur kurz machen, sie sind pro Kind ein Jahr körperlich (und vielleicht auch emotional, da ist jede Frau anders) beeinträchtigt und das ist eine optimistische Rechnung. Für mich persönlich würde ich zwei Jahre pro Kind ansetzen, also insgesamt vier und da habe ich die Schwangerschaft, bei der kein lebendiges Kind herauskam, nicht mitgerechnet.

Das ist die Arbeit, die in der Fortpflanzung steckt und die hauptsächlich Frauen leisten. Davor, danach und dazu kommt die Care-Arbeit. Die lässt sich zwar theoretisch einfacher zwischen den Eltern aufteilen, wird aber in heterosexuellen Beziehungen trotzdem hauptsächlich von den Frauen geleistet.

Warum das so ist, darüber könnte man einen eigenen Text verfassen (oder ein Buch oder eine ganze Bibliothek). Daher hier nur kurz die gängigsten Erklärungsmuster: Manche sagen, die Fürsorge liegt den Frauen einfach mehr im Blut als den Männern. Andere machen die gesellschaftlichen Erwartungen verantwortlich, nach der Väter das Geld nach Hause bringen sollen und die Mütter das Haus schön und die Kinder wohlerzogen halten müssen. Wieder andere sehen wirtschaftliche Realitäten wie den Gender Pay Gap und die oft fehlenden Betreuungseinrichtungen für Kinder am Werk. Und dann gibt es noch die, die behaupten, Frauen wollen es nun mal so.

Egal woran es liegt, Fakt ist: Die meisten Frauen gebären und die meisten von ihnen leisten danach den Großteil der Care-Arbeit. Dass es Paare gibt, die sich alles 50/50 aufteilen, dass manche Frauen nie Kinder bekommen und manche Väter sich Vollzeit um ihre Kinder kümmern, dass es sogar Transmänner gibt, die ein Kind austragen – all das ändert an der allgemeinen Aufteilung von Reproduktions- und Care-Arbeit wenig.

Angesichts dieser Realität könnte man dem Argument der (ich habe im Deutschlandfunk-Text gelernt, wie sie heißen) Maternalist_innen etwas abgewinnen. Das ist jene, zumindest im Mainstream völlig in Vergessenheit geratene feministische Strömung, deren Anliegen es war (oder ist? Gibt es die noch irgendwo?), Frauen und vor allem Mütter für ihre Arbeit angemessen zu entschädigen.

Hört sich im ersten Moment irgendwie gut an, oder? Wenn es schon nicht möglich ist, die Reproduktions- und Sorge-Arbeit gerecht in Mann-Frau-Beziehungen zu verteilen und deswegen bei einem Gleichheitsanspruch im Berufsleben Frauen nur den Kürzeren ziehen können, dann wäre es doch gut, sie wenigstens dafür zu bezahlen.

Alle machen alles

Doch egal, ob der Staat das mit einer Art Riesenherdprämie übernimmt oder Ehemänner ihren Frauen Boni auszahlen: Auch diese Möglichkeit ist schlecht, wie schon Nancy Fraser schrieb. Sie würde Mütter aus dem öffentlichen Leben de facto ausschließen, wirtschaftliche Macht und politischer Einfluss blieben ihnen verwehrt.

Weder das “Männer und Frauen machen gleichberechtigt Karriere”-Szenario noch das “Frauen machen weiter alleine die Care-Arbeit, werden aber dafür bezahlt”-Szenario kann funktionieren, weil sich in beiden an der Rolle und den Aufgaben für Männer und Väter nichts bis wenig ändert.

Frasers Lösungsvorschlag ist ein „universelles Betreuungs-/ Pflegepersonen-Modell“, das auf der Annahme beruht, dass alle, die arbeiten, gleichzeitig Betreuungspersonen sind und alle Betreuungspersonen gleichzeitig arbeiten.  Jochen König schreibt sowas ähnliches: Es brauche eine Stärkung der Menschen, die schon jetzt den Großteil der Arbeit in den Familien übernehmen. All das erinnert an Jutta Allmendingers 32-Stunden-Woche oder Manuela Schwesigs Familienarbeitszeit und an sich gibt es für die Forderung, dass sich doch nun endlich mal die Männer bewegen müssten und dass alle weniger erwerbs- und mehr Care-arbeiten sollten, keinen Originalitätspreis.

Trotzdem macht es kaum jemand. Stattdessen zeigen alle reihum mit dem Finger aufeinander, wenn die Frage aufkommt, weswegen Frauen und Männer im Berufsleben immer noch nicht gleichberechtigt sind.

Eltern sagen: „Die Unternehmen sind schuld, denn sie ermöglichen keine Karrieren in Teilzeit.“ Unternehmen sagen: „Die Mütter sind schuld, weil sie sich in der Teilzeit-Arbeit nicht genug reinhängen.“ Mütter sagen: „Die Väter sind schuld, weil sie sich weigern, Elternzeit zu beantragen oder auf Teilzeit zu gehen.“ Väter sagen: „Die Kommunen sind schuld, weil es zu wenig Kitaplätze gibt.“ Die Kommunen sagen: „Wir haben kein Geld.“ Die Medien schreiben: „Die Gesellschaft ist schuld, weil sie immer noch stereotype Rollenerwartungen hat.“ Andere Medien sagen: “Die Frauen sind schuld, weil sie viel zu viel auf einmal wollen.” Die Gesellschaft sagt: „Frauen sind so und Männer sind so, hab’s gestern erst wieder in der Zeitung gelesen.“

Und weil alle ein bisschen schuld sind, ist keiner verantwortlich, keiner muss was ändern und das Karussell dreht sich weiter in die Richtung, in die es immer schon gefahren ist. Die Richtung ändern ginge nur, wenn alle gleichzeitig umdrehen – wer es alleine versucht, wird umgefahren.

(Anmerkung der Autorin: Dieser Blogpost ist kein akademisches Werk mit hundert Fußnoten und sicher haben schon viele Leute schlauere Dinge als ich dazu geschrieben. Über Links in den Kommentaren freue ich mich. Ich halte es hier mit Antje Schrupp, die ihren Blog mal zu einem Gedanken-Festhalt-Medium erklärte. So ist das auch bei mir hier: Ich habe was gelesen, es hat mich beschäftigt, dann habe ich drüber nachgedacht und aufgeschrieben, was mir eingefallen ist. Und jetzt seid ihr dran.)

Seid ihr eher Team Karrierefeministin? Oder eher Team Maternalistin?
Oder weder noch – und wie verhaltet ihr euch dann persönlich in dem Spannungsfeld
zwischen “Ich bin genauso gut wie meine männlichen Kollegen”
und “Mutter werden und sein geht halt nicht so nebenbei”?

 

6 Antworten zu “Elterngeldarithmetik und Gerechtigkeitsgedanken”

  1. Markö sagt:

    Ich finde es unverständlich, warum angesichts dieser Diskussion der Zivildienst abgeschafft wurde – ein Modell, dass Männer dazu anhielt ca. 1 Jahr in ihrem Leben Care-Arbeit für die Gesellschaft zu erledigen.

    • Christoph sagt:

      Hallo Markö,

      wurde da nicht der Wehrdienst „ausgesetzt“? Der Zivildienst war „doch nur“ der Ersatzdienst, für die Leute, die nicht zur Armee wollten und man die aber nicht einfach ungeschoren davon kommen lassen wollte.

      Christoph *ausgemustert*

  2. Jana sagt:

    Oder durch ein Grundeinkommen, das jeder Mensch und damit auch jedes Kind von seiner Geburt an erhält. Natürlich löst auch ein Grundeinkommen mit Sicherheit nicht all unsere gesellschaftlichen Probleme, aber es würde Eltern mehr finanzielle Freiheiten geben, die Care- und die Erwerbsarbeit aufzuteilen und gleichzeitig keine beruflichen Einkommensungerechtigkeiten zwischen den Familien fördern.

  3. Laura sagt:

    Ich finde, dass der Vater genauso wichtig für das Kind ist, wie die Mutter, also ja: ich bin ganz klar für 50:50 Teilung. Gerne auch verpflichtend (= Verfall der Zeit, wenn der Vater sich nicht kümmert), weil das ein verdammt gutes Argument gegenüber den Arbeitgebern wäre.

  4. Laura sagt:

    Man kann auch mit deutlich weniger Geld leben, wenn man will. Bei den echten Niedrigverdienern braucht es sowieso zwei Gehälter. Klassische Rollenteilung ist doch heute eher ein Mittelstandsphänomen. Ich finde einen sehr präsenten Vater wesentlich wichtiger als Einkommensmaximierung.

  5. […] Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog kleinerdrei. […]