Über die Online-Radikalisierung weißer junger Männer

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Inhaltshinweis: Misogynie, Rassismus, Ableismus

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Siyanda.

Siyanda Mohutsiwa ist Autorin, Speakerin und Pan-Afrikanerin. Sie hat die Online-Radikalisierung junger, weißer Männer über Jahre beobachtet und im Kontext der US-Wahlen umfassend beschrieben. Ihre Analysen auf Twitter wurden tausendfach geteilt. Folgender Beitrag ist zuerst bei DE VOLKSKRANT erschienen. Die Übersetzung veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Siyanda und der tollen Unterstützung von Anett.


@SiyandaWrites

Wie alles begann

„Ich stimme dem Donald fast nirgendwo zu“, schreibt ein Abonnent von „The Red Pill”, „aber der Typ mackert sich durch alle Debatten wie ein Alpha und hat sich damit meinen Respekt verdient. Scheiß auf Megyn Kelly, scheiß auf Rosie O´Donnell und scheiß auf die Kultur der political correctness.“

Dieser Beitrag erschien vor ungefähr einem Jahr auf „The Red Pill“(RP), einem Subreddit der jungen Männer beibringen will, wie sie mehr Frauen rumkriegen. Vor drei Jahren begann ich die Entwicklungen in dieser Manosphere zu verfolgen: Damit ist ist ein Universum aus Blogs und Foren gemeint, die sich auf Themen wie Männlichkeit und sexuelle Leistungsfähigkeit spezialisiert haben. Als ich über diesen Teil des Internets stolperte, war ich gerade Studentin der Mathematik und stieß drauf, weil die niederländische Feministin Flavia Dzodan einen entsprechenden Link auf Twitter geteilt hatte.

Nachdem ich tiefer in die Manosphere eingetaucht war und mir Gruppen ansah, die zum Umfeld von „The Red Pill” gehören, wurde schnell klar, dass es hier hauptsächlich darum ging Männer darin zu schulen, wie sie die Frauen um den Finger wickeln können, die sie begehren (also nur solche mit einer 8 und 9 auf der sogenannten „Hotbabe-Skala” von 1 bis 10). Das Versprechen minderwertige Beta-Männer in Alphas zu verwandeln, sprach hauptsächlich junge Männer im Oberschul- und Studentenalter an. Die Seite war ein Sammelbecken für die Leidensgeschichten junger Männer, die von ihren Freundinnen betrogen worden waren oder von ihrem Schwarm eine Abfuhr bekommen hatten. Die „RP-Veteranen“ der Seite – ältere Männer, die mit Erfahrungsberichten über ihre vielen Eroberungen prahlten – waren dort, um auch den jungen Männern zu sexuellem Ruhm zu verhelfen.

Alpha- und Beta-Männer

Doch zunächst hatten die jungen Männer die rote Pille zu schlucken. Die rote Pille ist eine Begriff aus dem Film „Matrix“. Sie ermöglicht die Befreiung von allen weltlichen Verblendungen im Austausch für, in diesem Fall, sexuelle Erleuchtung. Um die rote Pille zu schlucken mussten sich die Männer von mehreren „falschen Annahmen“ befreien. Zunächst hatten sie zu akzeptieren, dass die Welt sie belogen hatte. Ihre Familien, ihre Regierungen, öffentliche Institutionen, die Unterhaltungsindustrie – alle hatten sie vorsätzlich zu „Beta-Männern“ gemacht. (Warum das passiert war, dafür gibt es bis heute die wildesten Spekulationen.)

Aber so oder so war es erstmal zwingend notwendig, dass diese jungen Männer alles Wissen über Frauen wieder abstießen, das sie bis dahin erlernt hatten. Dafür mussten sie zunächst ihre „Held_innen abknallen“. Mütter wurden als kreischende Harpyien verstoßen, die, wenn sie noch verheiratet waren, für die Zerstörung der Alpha-Eigenschaften der Väter verantwortlich gemacht wurden. Waren sie dagegen Single, galten sie als nicht begehrenswerte Huren. Väter hatten als Betas ohne Rückgrat enttäuscht, wenn sie noch Teil der Familie waren. Hatten die Väter die Familie bereits verlassen, hatten sie wiederum ihre Söhne um die Chance betrogen sich Alpha-Merkmale anzueignen. (Diese Art von Verdrehungen ist nicht selten.) Damit diese Männer die „Geheimnisse des Schlitzes“¹ erfahren konnten, musste allen ihren bisherigen Vorbildern jegliche beratende oder unterstützende Funktion abgesprochen werden.

Die Entmachtung von Autoritätspersonen in Verbindung mit der verletzlichen Art wie sie auf diesen Plattformen kommunizierten, bedeutete dass diese jungen Männer jetzt reif waren für ihre „Ausbildung“. Anstelle der „verweiblichten“ Lehre, die sie bislang durch Fernsehen, Film, Musik, Familie, Schule und Gesellschaft wahrgenommen hatten, sollte nun etwas Neues entstehen.

Männer, für die Trump ein Held wurde

Ich glaube RP steht nur für einen kleinen Teil der jungen Männer die sich zunehmend in der weiß-nationalistischen Alt-right einbringen. Der Verweis auf Seiten wie breitbart.com und Reddits wie /r/the_donald, wo junge Männer ihre „anti-globalistischen“ Ansichten austauschen, ist vollkommen berechtigt. Mich faszinierte jedoch das RP-Umfeld am meisten, denn in diesem konnte ich die Entwicklung dieses Zusammenspiels direkt beobachten. Junge Männer, die über ihr durchschnittliches Leben sprachen, darüber “Beta-Niemande” zu sein und auf die Uni zu gehen, klangen sehr nach den Männern die später meine Kommilitonen wurden als ich mein Studium in den USA begann. Männer, die sich als „normale“ Männer beschreiben würden. Aber hier, auf diesen Plattformen, führten sie dann doch ein vollkommen anderes Leben. Hier an diesem Ort, der sie glauben machte, der Inbegriff von Männlichkeit sei es, sich zu einem Mann zu entwickeln, der sich über jegliche moralische Werte hinwegsetzt und der damit „einfach sagt wie die Dinge sind“. Sie waren Männer, die offen bedauerten, jemals an freiheitliche Ideale geglaubt zu haben. Die überzeugt davon waren, dass die meisten sexualisierten Gewalttaten gelogen seien. Männer, die so viel Zeit damit verbrachten, ihren Hass auf Frauen zu intellektualisieren, dass es ihnen total leicht fiel ihre Rechtfertigungen auf Themen wie Einwanderung oder race auszuweiten. Männer, für die Trump ein Held wurde.

Sie haben sich Trump ausgesucht

„Ich schreibe das heute, um meine Unterstützung für Donald Trump als Präsidenten zum Ausdruck zu bringen. Und das nicht trotz seiner angeblichen sexuellen Übergriffsausrutscher, sondern wegen ihnen“, verkündete ein RP-Nutzer am 24. Oktober 2016. „Die vergangenen acht Jahre haben sehr gut gezeigt, wie die Linke eine Gesellschaft hervorbringt, in der substanzlose Angriffe mit Hilfe bestimmter Schlagworte (wie „Misogynie”) ernster genommen werden als Beweise oder tatsächlich begangene Verbrechen.“

Trump repräsentiert alles, was in RP-Communities als echte Männlichkeit verstanden wird. Er repräsentiert den ultimativen Alpha-Mann. Er ist die tatsächliche Verkörperung all dessen, was bei The Red Pill bewundert und angestrebt wird. Trump war physisch imposant, Macho und ließ sich von niemandem klein machen – ganz besonders nicht von Frauen. Er wurde zum Lehrbuchbeispiel dafür wie man die RP-Ideologie im echten Leben umsetzt. Sein „Talent“ sich selbst immer wieder zu verteidigen, wurde von Tausenden angeschaut, nachdem ein Red Piller ein Video davon geteilt hatte. Nicht Trump hat sich die weiß-nationalistische Alt-right, nicht er hat sich die Foren der Pick-Up Artists (PUA) ausgewählt. Ich glaube, sie haben sich Trump ausgesucht.

Wie sich die Entwicklung der Ideologie verfolgen lässt

In den letzten Jahren konnte ich beobachten wie eine Bewegung, die als Pick-Up Artist Community (PUAs) begann, sich in eine der bislang viel zu wenig untersuchten Triebkräfte der Neuen Rechten verwandelte – ein Online-Bewegung, die eine große Rolle dabei spielte Trump von einer zweitrangigen Figur der Spätnachrichten zu einem brauchbaren Präsidentschaftskandidaten zu machen.

„Wenn du erst einmal die rote Pille der race realism geschluckt hast, ergibt all das Frauen/Sex/Dating-Zeug noch mehr Sinn. Es wird noch mehr rote Pillen zu schlucken geben. Ich denke die Red Pill-Theorien über Frauen, Sex und Dating werden Teil eines größeren Theoriekonstrukts – sich nur auf Frauen, Sex und Dating zu konzentrieren, würde bedeuten das große Ganze zu übersehen. Es nicht ohne Grund so, dass Trump ein integraler Bestandteil der Neoreaktionären Bewegung (Dark Enlightenment) ist. Red Pill sticht in ein Wespennest, was zu einem völlig neuen Verständnis von Feminismus, politischer Ideologie und race realism, kultureller Subversion und Globalismus führt”, schrieb ein Nutzer des Forums vor fünf Monaten.

Obwohl die Gruppe nicht als eine nationalistische Organisation begonnen hatte, wurde sie zu einer. Im Zuge der Geflüchtetensituation und dem damit verbundenen internationalen Medienspektakel, fing die Bewegung an ihre Ideologie zunehmend auch gegen die Akzeptanz von Geflüchteten in westlichen Ländern zu formulieren. Da diese Gruppe junger Männer ihr vorheriges Denken sowie alle Autoritätsfiguren in ihrem Offline-Leben abgeschafft hatte, bot das nun den Nährboden für ihre „Umerziehung“.

Da sie alle darin einig waren, dass westliche Medien von Feminist_innen kontrolliert würden, die einzig danach trachteten, weißen Männern die Rechte zu entziehen, war es ein Leichtes für sie dieses tiefgehende Misstrauen gegenüber internationalen Medien weiter auszubauen. Bei allen Reportagen über die Geflüchtetenfrage nahmen sie eine gegenteilige Position ein und misstrauten dabei insbesondere Ländern wie Schweden und Deutschland. Die waren in ihren Augen nämlich eh schon auf der Abschussliste, weil sie für sozialistische Gesellschaftssysteme standen, die Frauen „zu viele Rechte” einräumten.

Schließlich kamen sie dann auch schnell zu der Annahme, dass die Aufnahme von Menschen aus den syrischen Kriegsgebieten allein auf der „feministischen Agenda” beruhen würde. Sie sind der Überzeugung, dass sich westliche Feministinnen unter anderem aufgrund des Hangs zur weiblichen Hypergamie („Hinaufheiraten“) für die Aufnahme von Refugees einsetzten. Damit wollten sie ihre Auswahl an Alpha-Männern vergrößern und diese dann den Beta-Kandidaten aus ihrem eigenen Land vorziehen. Später kam man in diesen Gruppen sogar zu dem Schluss, dass weiße Feministinnen explizit darauf abzielten, die Herrschaft weißer Männer zu unterlaufen und auf diese Art die westliche Zivilisation zu zerstören.

Der Zusammenhang zwischen Schweigen
über „The Red Pill“ und dem Schweigen darüber
Trump zu wählen

„Du darfst DEINE TARNUNG NIEMALS AUFGEBEN. Versuch nicht den Held im Namen der Red Pill zu spielen und den wichtigen Kampf gegen Feminismus offen aufzunehmen. Das wird dich ehrlich gänzlich zerstören. Es wird dir Karrieremöglichkeiten kaputt machen, dir Chancen verbauen und wenn du auf eine dieser komplett verrückten Feministinnen triffst, musst du vielleicht sogar mit juristischen Schwierigkeiten rechnen – Vorwürfe wegen Sexismus, Diskriminierung, Vergewaltigung, Nötigung, Belästigung usw. Meine Empfehlung an dich ist deshalb: Schluck es runter und halt den Mund. Sei RP für dich selbst, durch dein Verhalten, durch Steigerung deines sexuellen Marktwerts, kümmere dich nicht um die Kommentare anderer Leute, erziehe deine Söhne dazu unabhängig und männlich zu sein. Das ist alles, was du tun kannst“, so schrieb ein Nutzer vor einem Jahr in einem Post mit dem Titel „Denk an Regel 38“ von „Robert Greene’s 48 Gesetze der Macht“

All das sollte im Verborgenen bleiben. Das galt besonders für die, die sich in einem sogenannten „libtards“-Umfeld³ befanden (“die meisten US-amerikanischen Universitäten”). Online-Plattformen wie Facebook oder Twitter galt es zu vermeiden. Ersteres wegen der leichten Identifizierbarkeit, letzteres wegen „männerfeindlicher Medien“. Twitter hatte zuletzt Milo Yiannopoulos gesperrt, der als Tech-Redakteur für Breitbart.com arbeitet und in Trump so etwas wie „einen Erzengel“ sah. Twitter hatte Yiannopoulos’ Account wegen seiner Angriffe auf Leslie Jones, die Schwarze Schauspielerin aus “Ghostbusters”, entfernt. Red Piller waren schließlich überzeugt, dass es keinen Ort mehr gäbe, der ihre Wahrheit gut heißt, also entschieden sie, diese für sich zu behalten.

In ihren eigenen vier Wänden radikalisiert

Ich schreibe das hier nicht, um Leute zu verängstigen. Als ich diese Hintergrundinformationen am Tag der Wahl über meinen Twitter-Account teilte, waren die Antworten darauf von Schrecken und Entsetzen geprägt. Mir ging es aber nur darum zu verdeutlichen, warum die Wahlprognosen so unzutreffend waren und warum so viel mehr junge Männer als erwartet, Trump unterstützten.

Entgegen dem Bild das in den Medien gezeichnet wurde, waren diese Männer nicht arm, benachteiligt und aufgrund des massenhaften Outsourcings der US-amerikanischen Produktion im Stich gelassen worden. Es handelte sich um junge Männer, die mit ihren akademischen Abschlüssen in MINT-Fächern prahlten und vorgaben aus „progressiven“ Umfeldern zu stammen. Sie waren nicht auf den Wahlkampfveranstaltungen der Republikaner radikalisiert worden oder durch Flugblätter des Ku-Klux-Klans.

Sie wurden direkt in ihren eigenen vier Wänden radikalisiert.

Online.

¹ Gemeint ist die Vulva.
² Die Regel 38 lautet: „Denke, was Du willst, aber verhalte dich wie die anderen.“
³ liberals = liberale, retards = Vollidiot, geistig zurückgeblieben

2 Antworten zu “Über die Online-Radikalisierung weißer junger Männer”

  1. […] gerade steigern: Trump, Brexit, die Gefahr des aufsteigenden Faschismus in der Welt , steigender Rassismus und Rechtsextremismus nahezu überall, die kommende Bundestagswahl, die Wahl in Frankreich und die Gefahr eines […]

  2. […] kleinerdrei schreibt siyanda über die Online-Radikalisierung von weißen jungen […]