Nichts ist abenteuerlicher als die Realität: Maria Bamfords „Lady Dynamite“ auf Netflix

Foto , by netflix.com

[Content Note: Erwähnung von Suizid]

Stellte man Maria Bamford neben einen beliebigen männlichen Komödianten ihrer Generation – sagen wir beispielsweise Mario Barth – fiele es sehr schwer zu glauben, dass die beiden den gleichen Job machen. So selbstbewusst und professionell gestyled die 45jährige US-Amerikanerin auf Pressefotos aussieht, so vornübergebeugt, still, schlurfend, grimassierend, ächzend und quietschend steht sie auf der Stand-Up-Comedy Bühne. Nichts könnte weiter entfernt sein von der zähnebleckenden, vor Zufriedenheit mit sich selbst strotzenden Art des ehemaligen Berliner Elektrikers, der mit Witzen über seine Freundin und “Frauen an sich” regelmäßig Leute zum Lachen bringt, die glauben, dass es eine Gruppe wie “Frauen an sich” tatsächlich gibt.

Bamfords Komik ist keine Massenware. Die zierliche Frau mit dem ausdrucksstarken Gesicht galt lange als ein “Comedians Comedian”, also die Lieblingskomödiantin anderer professioneller Komödiant_innen. So nannte beispielsweise David Letterman-Nachfolger und “Late Show”-Moderator Stephen Colbert Maria Bamford unlängst “eine seiner Lieblingsmenschen weltweit”. Ihre Bühnen sind nicht Stadien, sondern kleine Comedy-Clubs oder besser noch ihre eigene Couch. Dort drehte sie 2009 die YouTube-Serie “The Maria Bamford-Show”, die in 20 Episoden davon erzählt, wie sie nach einem psychischen Zusammenbruch wieder bei ihren Eltern einzieht, um ihr Leben besser zu bewältigen.

Star aller Rollen, inklusive der ihrer beider Elternteile, ihrer Schwester, fieser Ex-Schulkameradinnen und diverser anderer Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner: Maria Bamford. Die einzigen Co-Stars sind ihre Möpse Burt und Blossom. In Gegenschnitten hält Maria die Handykamera minutenlang auf deren schwer atmende, oft kostümierte, Gesichter, als lese sie darin größere Wahrheiten, als Menschen je zu sprechen in der Lage wären.

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Szenenfoto aus “Lady Dynamite”, Episode 10, “Knife Feelings” (“Messergefühle”)

Der Olympia-Stadion-Moment der Karriere

Genau dieses Element hat sie übernommen in die Phase ihrer Karriere, die Mario Barth wohl den “Olympia-Stadion-Moment” nennen würde. Seit Mai 2016 ist Maria Bamford Hauptdarstellerin und Kopf hinter der Netflix-Serie “Lady Dynamite”. Doch nicht nur die philosophischen Möpse sind aus YouTube mit auf die Bezahlplattform Netflix gekommen. Es ist auch das Kernthema Bamfords: Die Auseinandersetzung mit ihrer psychischen Erkrankung und die Auswirkungen, die sie auf ihr Leben hat. Als sie 10 war, dachte Maria Bamford das erste Mal an Suizid. Seit sie 19 ist, nimmt sie Anti-Depressiva. Vor einigen Jahren wurde sie nach einem Zusammenbruch mit einer bipolaren Störung diagnostiziert.

Das alles sind traditionell eher keine Themen, zu denen man sich aus dem Bauch heraus Schenkelklopfer vorstellen kann. Aber so funktioniert Bamfords Humor auch nicht. “Schizophrenie ist, wenn du Stimmen hörst. Nicht, wenn du Stimmen imitierst!”, sagt sie in einem ihrer Stand Up-Auftritte. Es ist die Antwort auf die Behauptung eines Radio-DJs, sie sei nicht witzig, sondern schizophren. Bamford wendet ihre Komik nicht gegen die psychische Erkrankung, sondern richtet einen gleißend hellen Scheinwerfer auf die Reaktionen des sozialen Umfelds auf psychisch Erkrankte.

Das macht auch vor ihrer Familie nicht Halt, ganz im Gegenteil.

Die Liebe und die Hilflosigkeit ihrer Mutter (“Wir lieben dich, aber es ist schwer, mit dir zusammen zu sein.”), die Vermeidungstaktik ihres Vaters (“Mein Vater ist eher eine Abfolge von Soundeffekten”), die Zähne-zusammen-beißende rustikale Liebe ihrer Schwester Sarah. Letztere ist die einzige aus Marias engster Familie, die keine Wiedergängerin in “Lady Dynamite” hat, wo nicht mehr Bamford alle Rollen selbst spielt, sondern Serien-Veteranen wie Ed Begley Junior die Rollen ihrer Familie übernehmen. In “Lady Dynamite” gibt es zwar keine Sarah, aber Susan, eine Kindheitsfreundin von Maria, die sich aber alles andere als freundschaftlich verhält, sondern ihr den Erfolg in Hollywood neidet.

Überhaupt: Wer erfahren will, wie man als Freund_in auf keinen Fall auf eine psychische Erkrankung reagieren sollte, ist bei “Lady Dynamite” genau richtig. Da ist die Freundin, die Maria empfiehlt, sich doch einfach direkt umzubringen – sie würde ihr für diesen Zweck auch großzügig ihren Hund überlassen.

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Nicht erst seit “Lady Dynamite” spielt Maria ihre Mutter, hier spielt sie sie in einer Episode ihrer YouTube-Serie “Ask my Mom”

Drei Zeitebenen, ein Thema

Neben der Besetzung der eigenen Familie als Serien-Hauptcharaktere zeichnet “Lady Dynamite” der kreative Einsatz von Erzählzeit aus. Es gibt drei Zeitebenen, zwischen denen jede Episode wechselt, während sie ein gemeinsames Thema in den Mittelpunkt stellt. Erzählt wird aus der Sicht der Gegenwart. Von dort aus hat Maria Flashbacks in die Vergangenheit und die Vorvergangenheit. Die erste Vergangenheitsebene ist die Zeit nach ihrem mentalen Zusammenbruch, die Maria im Haus ihrer Eltern in der US-Provinz beziehungsweise in der Psychiatrie verbringt. Wie sie dorthin kam, sehen wir in der Vorvergangenheit. Damals war Maria in Los Angeles, wurde das erfolgreiche, gut verdienende Werbegesicht einer großen Handelskette und steuerte unter Volldampf auf einen totalen Zusammenbruch hin.

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Links: Bamford in “Lady Dynamite” als Werbeikone der fiktiven Handelskette “Checklist”, Rechts das Vorbild aus Bamfords realen Leben: Ihre Rolle als Werbezugpferd für die Handelskette “Target” vor einigen Jahren

 

Um die Erzählebenen voneinander abzusetzen, haben die unterschiedlichen Phasen in Marias Leben unterschiedliche Farbfilter – ein Umstand, der am Anfang der Serie von Comedian Patton Oswalt vorgeschlagen wird. Er macht dies in einem Moment, in dem er die imaginäre dritte Wand zu den Zuschauer_innen durchbricht und als “echter” Patton der “echten” Maria Tipps gibt. So verschachtelt “Lady Dynamite” das Spiel mit Realität und Fiktion ein weiteres Mal. Das ist erzählerisch interessant und kreativ, aber wurde mir persönlich ein bisschen zu anstrengend.

Umso mehr lohnte es sich, trotzdem dranzubleiben, denn richtig zu ihrem eigenen Ton findet die Serie meiner Meinung so ab der dritten Episode. Dann gibt es den Durchbruch der dritten Wand nicht mehr, aber immer noch wunderbare, sich selbst spielende Comedians wie Tig Notaro und Sarah Silverman, endlos absurde Produkte, in deren Werbespots Maria die Hauptrolle übernimmt (ein Joggingrucksack, der Paprika füttert; ein Ganzkörper-Anzug, der mit Wasser gefüllt ist, so dass man “schwimmt”, während man läuft; eine Fünf-Minuten-Terrine namens “Pussy Noodles”, verspeist von einem Mann im Penis-Kostüm) sowie immer neue Variationen ihrer Krisen-Bewältigungsstrategie, genau das Gegenteil dessen zu machen, was sie eigentlich machen will, einfach, um nicht anzuecken.

Eine Zumutung namens Normalität

So sind auch die Stimmen, die Maria imitiert, nicht als eine Jagd nach einfachen Lachern zu sehen, sondern als ihr Versuch, mit sozialem Stress umzugehen. Als sie auf einer Dinner Party Small Talk machen soll, schlüpft sie in die Rolle von Diane Winterbottom Monte. Als diese spricht sie auf einmal mit einer tiefen, sexy Stimme und interessiert sich für all das, für das die echte Maria nie tiefere Kenntnisse entwickelt hat – Tennis, Skifahren, Weintrinken. Diane ist so etwas wie das Negativ der echten Maria – sie gibt vor, über alle Maßen „normal“ zu sein, wirkt witzig und kultiviert, ist aber bei näherem Hinsehen nur langweilig, oberflächlich und gnadenlos konventionell.

Zum Glück ist die echte Maria anders. Zum Glück hat sie sich von keinem Radio DJ der Welt einreden lassen, dass es schlimm sei, in verschiedene Rolle und Stimmen zu schlüpfen. Die echte, seltsame und verwundbare Maria ist, was wir in „Lady Dynamite“ sehen sollen und es ist, was die Serie auf ihre ganz eigene, verschrobene Art unwiderstehlich macht.

Dennoch: Zwei Punkte fielen mir in Bezug auf mögliche Kritik ein. Da ist zum einen die Heteronormativität. Als Beispiel sei eine Szene erwähnt, in der Maria Sex mit einem Mann haben will, mit dem sie auf ein paar Dates war. Als sie zu seiner Wohnung kommt, ist der bekennend bisexuelle Love Interest schon dabei sich zu vergnügen, allerdings nicht mit Maria, sondern dem Kellner des Restaurants, der die beiden gerade erst bedient hat. Die Szene kam mir ein bisschen so vor, als deute sie an, Bisexuelle oder Schwule hätten grundsätzlich schnellen Sex.

Ein weiterer Punkt, den die Serie meiner Meinung nach eher rätselhaft beackert, ist Rassismus in den USA und speziell im Unterhaltungsgeschäft. Wie bereits in der zweiten Staffel “Unbreakable Kimmy Schmidt” wird nicht das Thema Rassismus selbst in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Angst davor, sich rassistisch zu verhalten sowie der Vorwurf von außen, dass man Rassist_in sei. Anders als in “Unbreakable Kimmy Schmidt” erlebt aber nicht ein schwarzer Mann diese Situation, sondern Maria, eine weiße Frau. Das verändert in meinen Augen entscheidend die Wirkung der Folge, da Maria anders als Titus aus „Kimmy Schmidt“ in ihrem Leben wahrscheinlich nie selbst in die Lage kommt, Rassismus am eigenen Leib zu erleben und die Situation insofern keine “Umkehrung” des Alltags ist.

Was vielleicht dazu dienen soll, komödiantisch politische Korrektheit aufs Korn zu nehmen, wirkt im Ergebnis so einfach wie ein eher müder Witz und Ausweichmanöver. Rassismus wird mit Sexismus ersetzt und schwarze Hollywood-Größen wie der “12 years a slave”-Autor John Ridley fangen an, über Rassismus zu sprechen, nur um im entscheidenden Moment in ihrer Aussage unterbrochen zu werden. Das soll Komik in seiner Ironie enthalten, wirkte auf mich aber nur wie eine Manifestierung von Rassismus statt seiner Infragestellung.

Hier könnten die Macher_innen in der zweiten Staffel – wenn es eine gibt – mehr Kreativität und Gewitztheit zeigen.

Dennoch ist “Lady Dynamite” eine empfehlenswerte Art, ein verregnetes Wochenende zu verbringen. Wer die Komik von “Tim and Erics Awesome Show” oder “Arrested Development” mag, wird die Serie lieben. Das ist kein Zufall: in beiden Serien spielte Maria Bamford Gastrollen und Mitchell Hurwitz, der Kopf hinter “Arrested Development”, ist Co-Produzent von “Lady Dynamite”.

Wer nach dem Netflix-Marathon noch Lust hat, mehr von Maria Bamford zu sehen und zu hören, empfehle ich “The Mental Health Happy Hour”, ein Podcast über psychische Gesundheit, bei dem sie zu Gast war. Hier berichtet sie nicht nur über ihre Depression, sondern auch über ihre Erfahrungen in Hollywood und mit ihrer Familie. Letztere scheint die Bekanntheit, die sie dank ihrer Tochter beziehungsweise Schwester erlangt hat, mit Fassung zu tragen. Oder sie dreht den Spieß gleich ganz um: Zur Abwechslung hat einmal Sarah ihre Schwester Maria vor die YouTube-Kamera gestellt, um sich selbst zu spielen: Als eigenwillige Innendekorateurin.

 

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