Ein Gemüt wie ein Labrador: Die zweite Staffel „Unbreakable Kimmy Schmidt“

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Dies ist eine Rezension zur zweiten Staffel von “Unbreakable Kimmy Schmidt”.
Sie enthält Spoiler. Wer nicht wissen will, was in den neuen Folgen passiert, sollte lieber nicht weiterlesen.
Die erste Staffel habe ich
hier rezensiert.

[Content Note: Erwähnung sexualisierter Gewalt]

Es gibt nicht viele Serien, auf deren zweite Staffeln ich jemals mit solcher Spannung gewartet habe wie auf die neue Staffel von “Unbreakable Kimmy Schmidt”. Wenn ich es recht überlege, gibt es auch nicht viele Ereignisse außerhalb meines Entertainment-Vergnügungsparks namens Netflix, auf die ich mit so viel Spannung gewartet habe wie auf Kimmys neue Abenteuer. Das klingt vielleicht seltsam, ist aber einer Kindheit geschuldet, die maßgeblich von Babysittern wie “Trapper John M.D”. oder den Motorradcops von “CHiPs” gestaltet wurde – und zwar großartigerweise. Noch heute tausche ich eine Folge “Reich und Schön” jederzeit gegen die meines Erachtens überbewertete Erfahrung namens “Frische Luft” oder vergleiche kitschige 80er-Jahre-Gastronomieeinrichtungen gerne innerlich mit Krystle Carringtons Boudoir. Das Fernsehen und ich, wir verstehen uns eben.

Besonders verstanden fühlte ich mich seit der Premiere 2015 auf Netflix auch von Kimmy Schmidt, die wir kennenlernen, als sie zusammen mit vier anderen Frauen aus einem unterirdischen Bunker befreit wird. Kimmy, gespielt von Ex-”The Office”-Darstellerin Ellie Kemper, wurde dort 15 Jahre von einem selbsternannten Priester gefangen gehalten. So weit, so dunkel die Prämisse. Die erste Staffel der Serie, die ich hier rezensiert habe, verbrachte Kimmy damit, die wieder gewonnene Freiheit auszukosten. Wichtig war ihr dabei sehr lange, ihre Geschichte geheim zu halten. Sie hatte Angst, sonst ein Leben lang mit dem Bunker und ihrem Entführer in Verbindung gebracht sowie darüber definiert zu werden. Der größte Schritt der äußerlich immer noch an einen Teenie der frühen 90er erinnernden Kimmy lag in der ersten Staffel darin, ihr Geheimnis preis zu geben. Sie machte das, um vor Gericht gegen den Mann aussagen zu können, der sie jahrelang gefangengehalten hatte.

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Abgesehen von diesem Haupthandlungsstrang brachte uns Staffel eins der Serie ein großartiges Heimvideo zum Song “Peeno Noir – Eine Ode an den Schwarzen Penis”, geschrieben und dargeboten von Kimmys chronisch pleite seienden Mitbewohner, dem erfolglosen Schauspieler Titus Andromedon (gespielt von Tituss Burgess). Außerdem haben wir Kimmys Arbeitgeberin, die versnobbte Jaqueline Vorhees (gespielt von Jane Krakowski) durch ihre Scheidung und ihre Angst von der “Verarmung” begleitet. Die “Arme” fürchtet, nur noch zweistellige Millionärin zu sein.

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Neuer Job, alte Ängste

Staffel zwei knüpft zeitlich mit etwas Abstand an Staffel eins an. Kimmy lebt noch immer mit Titus in einem Souterrain-Appartment in einem nicht näher benannten Stadtteil in New York City, gegen dessen Gentrifizierung Lilian (gespielt von Carol Kane), die Vermieterin, noch immer verbissen ankämpft. Ihren Job als Babysitterin bei Jaqueline hat Kimmy nach der Scheidung der Vorheeses nicht mehr, genau wie Jacqueline dadurch ihr Nachname abhanden gekommen ist. Sie heißt jetzt White.

Einen guten Teil der neuen Staffel verbringen Kimmy und Jacqueline damit, herauszubekommen, ob sie mehr sind als Arbeitnehmerin und Arbeitgeberin und wenn ja, was beide eigentlich unter einer Freundschaft verstehen. Ganz nebenbei muss sich Kimmy Arbeit suchen, was ihre ewiglächelnde Freundlichkeit auf den real existierenden Kapitalismus prallen lässt. Ihre Job-Odysee hat mich sehr amüsiert, vor allem, weil ihre finale Wahl gänzlich unerwartet, aber umso passender ist. Immerhin ist es eine Arbeit, bei der sie nebenbei ihr Lieblings-Abendessen zu sich nehmen kann: Gummitiere.

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In ihrem neuen Job trifft sie auch eine der neuen Figuren der Serie, die allerdings von einem bekannten Gesicht gespielt wird. “30 Rock”-Erfinderin Tina Fey, die “Unbreakable Kimmy Schmidt” auch produziert und schreibt, spielt Andrea Bayden, eine Psychotherapeutin. Obwohl sie selbst nicht ganz ohne Päckchen durchs Leben geht – die Andrea, die tagsüber existiert, verabscheut jene Andrea, die nachts zum Leben erwacht – nimmt sie Kimmy in Therapie. Der Wunsch danach kommt von Kimmy selbst, wobei der Auslöser für ihren Wunsch einen der heikelsten Punkte der Serie berührt. Es geht um Kimmys Jahre im Bunker und das, was dort eigentlich an körperlichen Übergriffen passiert ist.

Tröpfchenweise Traumata

Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie sexualisierte Gewalt oder Misshandlungen Thema einer Sitcom werden kann. Vielleicht ist es deshalb in Staffel eins mehr oder weniger gänzlich ausgeblendet. Damals ging es nur in Andeutungen um Kimmys Traumata, beispielsweise als ihr ein Schönheitschirurg bescheinigt, sie habe ausgeprägte Falten um die Mundwinkel “vom Schreien” und ihre Haut sei so blass, dass sie in einem Bergschacht gelebt haben müsse. Ansonsten gab es in der Serie zwar Flashbacks an das Leben im Bunker, diese bestanden aber größtenteils in den Taktiken, mit denen die Frauen die Gefangenschaft verarbeiteten.

Dies ändert sich in der zweiten Staffel, auch wenn wir nicht im Detail erfahren, was der Pastor (gespielt von Jon Hamm, bekannt aus “Mad Men”) mit den Frauen gemacht hat. Hier spart die Serie an Sensationsmache. Darüber hinaus wird wie in Staffel eins zugelassen, dass Frauen unterschiedliche Deutungen ihrer Zeit in Gefangenschaft haben. Exemplarisch steht dafür die Figur der Gretchen, gespielt von Lauren Adams. Sie trat einst freiwillig in den Kult des Pastors ein und ist auch in der zweiten Staffel nicht davon abzubringen, einem strikten, neuen Glaubensregime zu folgen. Neu ist, dass wir in Kimmys Erinnerungen an den Bunker nun sehen, wie sie unter dem Stress der Gefangenschaft litt und Strategien entwickelte, nicht vor Wut auszurasten, um keine Angriffsfläche für den Täter zu bieten.

Die Serie erzählt nicht im Detail aus, was Kimmy im Bunker passiert ist. Aber wir und Kimmy sehen, dass ihre Reaktionen in der Gegenwart von ihrer Vergangenheit getriggert werden, beispielsweise als sie ihr “erstes Mal” plant, sie aber das Zusammenkommen mit ihrem Auserwählten immer wieder sabotiert und sich körperlich gegen ihren Freund wehrt. “What the fudge is wrong with me”? – “Was ist eigentlich los mit mir?”, fragt sie sich.

Die Serie findet die Antwort auf diese Frage nicht im Bunker. Ein eventuelles Trauma wird schnell wieder als Thema verlassen. Stattdessen geht Kimmy ganz den Weg der Freudschen Psychotherapie und widmet sich dem Verhältnis zu ihrer Mutter. So lernen wir Kimmys Mutter kennen, von Kimmy als  “Coaster-Head” beschrrieben – als Achterbahn-Süchtige. Freundinnen und Freunde der gepflegten US-Sitcom werden eine gute Bekannte in dieser illustren Rolle wiedererkennen. Die Besetzung der Rolle passt wirklich perfekt zur Serie.

Ich rechne “Unbreakable Kimmy Schmidt” hoch an, dass sich die Serie des Themas Traumata nach Gefangenschaft oder sexualisierte Gewalt überhaupt nähert, denn das ist aus offensichtlichen Gründen mitnichten das Thema, das Zuschauerinnen und Zuschauern bei einer Comedy-Serie in den Sinn kommt. Dass die Autorinnen und Autoren konkrete gewaltsame Details auslassen, sehe ich nicht als Manko der Serie, auch wenn es die aus anderen TV-Serien erwachsene Erwartungshaltung unterläuft. Der Fokus bei “Unbreakable Kimmy Schmidt” liegt weiter auf der Gegenwart von Kimmy und ihrem Wunsch, sich nicht von ihrer Vergangenheit definieren zu lassen. Als “Mitfiebernde” wünscht man Kimmy, dass sie es schafft, diesen Weg zu gehen, auch wenn wir die einzelnen Schritte dorthin vielleicht nicht alle bezeugen werden.

Seitenhieb auf Aktivismus

Ein weiterer Punkt, der in der Vergangenheit der Serie immer wieder heiß diskutiert wurde, ist der Umgang mit Asiatinnen und Asiaten sowie amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern in der Serie. Einige Kritiker und Kritikerinnen nannten die Sendung rassistisch. Kimmys Schwarm Dong, ein koreanischer Einwanderer, sei zweidimensional dargestellt und der Name selbst (ein US-Slangbegriff für Schwanz) beleidigend. Auch gegen die Rolle der Jacqueline Vorhees gab es den Rassismus-Vorwurf. Der Handlungsstrang ihrer Abstammung von Lakota-Ureinwohnerinnen und – Ureinwohnern diene nur als Ornament und habe keinerlei erzählerischen Zweck.

Die Vorwürfe scheinen in der zweiten Staffel von den Autorinnen und Autoren aufgegriffen worden zu sein. Jacquelines Wurzeln sind unter den zentralen Themen der neuen Staffel und in meinen Augen mehr als ein Ornament, auch wenn die Beschäftigung mit dem Thema komödiantisch ist. Immer wieder wird aufs Korn genommen, wie wenig Jacqueline die Sprache ihrer Familie beherrscht. Am Ende der neuen Staffel muss sie auf gewisse Weise eine Wahl treffen zwischen dem Wunsch, Wohlstand um jeden Preis zu haben und dem Bekenntnis zu ihrer Familie.

Beim Thema Rassismus gegenüber Asiaten steht die Serie auch in der neuen Staffel in der Kritik. Gegenstand ist eine Episode, in der Titus eine Geisha spielt. In der Serie kommt es daraufhin zum Protest einer Aktivistengruppe, die sich dafür einsetzt, dass asiatische Rollen auch von asiatischen Schauspielern und Schauspielerinnen dargestellt werden. Der Name der Gruppe “Respectful Asian Portrayals in Entertainment” hat als Akronym “RAPE” – Vergewaltigung. Kritiker und Kritikerinnen sehen darin eine Verunglimpfung von Aktivismus, der sich für diversere Casts in Hollywood einsetzt.

Ich empfand die ganze Episode mehr als einen Seitenhieb auf die Protestkultur im Netz. Gleichzeitig bleibt auch bei mir ein schales Gefühl, dass Aktivismus in dieser Episode zu “Wut um der Wut willen” wird. Gute Comedy tritt meiner Meinung nach aber nicht in Richtung Marginalisierte, sondern in Richtung Normativität. Sie stellt den Status Quo in Frage und bestärkt ihn nicht. Für “Unbreakable Kimmy Schmidt” hätte das geheißen, die in der Tat rassistische Besetzungspraxis vieler Film-, Fernseh- und Theater-Produktionen in den USA zu kritisieren, statt die Aktivisten und Aktivistinnen zur Zielscheibe des Spotts zu machen.

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Trotz des letzten Kritikpunkts habe ich die zweite Staffel “Unbreakable Kimmy Schmidt” mit Vergnügen geschaut und empfehle sie definitiv für den nächsten Serienmarathon. Die größere Rolle von Musik  in der Serie hat mir extrem gut gefallen, es gibt wunderbare absurde Songs und ganz kitschig-schöne Songs, die einzelne Episoden abrunden. Ich bin der bedingungslosen, Golden-Retrievermäßigen Fröhlichkeit Kimmys noch immer verfallen. Die zweite Staffel kratzt an den Schutzmechanismen, die sich Kimmy, Lilian und Tituss zugelegt haben und sie bringt zum Vorschein, welche Ängste sich dahinter verstecken. Das ist eine Entwicklung, die weniger absurd-intensiv und bunt wie die Geschehnisse in der ersten Staffel sind, aber dennoch sehr schön anzusehen.

Mich hat die zweite Staffel jedenfalls dazu gebracht, ein weiteres Jahr sehnsüchtig auf Neues aus Schmidts Welt zu warten, auch weil ich hoffe, dass die Autorinnen und Autoren sich Kritikpunkte anschauen und die Serie noch besser machen, als sie in meinen Augen eh ist. Staffel drei, ich zähle auf dich.

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