Warum ich heute zum Zombie werde

Foto , by Netflix.com

Heute wird es passieren. Viele Menschen auf der ganzen Welt werden alles stehen und liegen lassen. Sie werden zombiegleich zu ihrem Rechner wanken und die nächsten 12 Stunden damit verbringen, unabgesprochen das exakt Gleiche zu machen: Sie werden – nur unterbrochen von ein paar Gängen zum Kühlschrank und zum Klo – sich an etwas weiden, was unter dem Akronym “FU 2016” seit ein paar Wochen durch die digitalen Kanäle spukt.

FU – das steht im Englischen kurz für “Fuck You”. Es steht aber auch für “Frank Underwood” den fiktiven US-Politiker aus der von Netflix produzierten Serie “House of Cards”, die am 4. März in die vierte Staffel startet. Pünktlich zum realen Rennen um das Weiße Haus ist auch Frank Underwood in dieser Staffel dabei, seinen Platz im Oval Office als US-Präsident zu sichern. 12 Stunden Fernsehen zu gucken wird sich für die “House of Cards”-Zombies, zu denen auch ich mich zähle, alleine dafür lohnen, zu sehen, ob Frank diesen Kampf gewinnt. Denn was er jetzt macht, sagt auf bizarre Art einiges darüber aus, wie er seinen Beruf als Politiker ausfüllt: Frank stellt sich das erste Mal, seit ihn die Zuschauer kennen, überhaupt einmal zur Wahl und sogar die Ankündigung der neuen Staffel kommt wie ein Wahlwerbespot daher.

“West Wing” in böse

Alle vorherigen Machtkämpfe haben nicht Wählerinnen und Wähler für ihn entschieden, sondern seine Intrigen innerhalb der demokratischen Partei. Womit der Zauber und die Ekel der gesamten Serie angedeutet werden: “House of Cards” verkörpert die totale Abwesenheit moralisch einigermaßen integrer Menschen in der Politik. “House of Cards” zeigt die große Masse der Politiker als korrupte, süchtige, machtversessene Spieler. “House of Cards” ist der fiese, hässliche Zwillingsbruder der sauberen, freundlichen, moralisch einwandfreien Welt des fiktiven Präsidenten Jed Bartlett in “The West Wing”. Die US-Serie von Aaron Sorkin lief von 1999 bis 2006 lief und hat bis heute eine eingeschworene Fanschar. Wie Map bereits vor drei Jahren schrieb, liegt der Hauptunterschied der Serien im folgenden Punkt: Statt Idealisten und Träumern, die herzzerreißende Reden schwingen und das Gute für die Menschheit wollen wie Bartlett, umgibt sich Frank Underwood – grandios gespielt von Oscar Preisträger Kevin Spacey – mit Auftragskillern und Opportunisten, um zu bekommen, was er will: Macht. Frank Underwood wird sogar selbst zum Mörder, um sie zu bekommen. Denn Macht ist für ihn Selbstzweck. Er braucht sie, um sie zu besitzen – nicht, um eine bessere Welt für seine Wähler zu schaffen.

Hat Frank Underwood moralisch gegen Jed Bartlett eindeutig die Arschkarte gezogen, haben “House of Cards” und er gegenüber “West Wing” jedoch einen entscheidenden Vorteil und der heißt Claire. Claire Underwood ist die von Robin Wright mit meist extrem kontrollierter Miene und falschem Lächeln gespielte Ehefrau von Frank und die zweite tragende Säule der Serie. Claire als starke, bisweilen böse Frauenfigur im Mittelpunkt der Handlung unterscheidet “House of Cards” massiv von anderen Politserien – zum Positiven. Claire gibt nicht nur freundliche Ratschläge und streicht ihm bisweilen lieb über den Kopf oder wäscht ihm selbigen, wenn er Mist baut – Claire Underwood ist mindestens so verkommen wie Frank. Sie ist so machtversessen und genauso wichtig für die Macht von Frank wie er selbst. Claire ist Frank gleichberechtigt, ob ihm das passt oder nicht. Im fiktiven Universum der Eheleute wird genau dieser Punkt gerade zum massiven Problem für Frank, denn Claire – die sich von ihrem Mann nicht mehr unterstützt fühlt und das Gefühl bekommt, dass er ihre Hilfe für seinen Weg ins Weiße Haus niemals adäquat zurückzahlen kann – plant den amerikanischen Wahlkampf-Super GAU: Sie will Frank verlassen. Und spätestens, nachdem er ihr gegenüber am Ende der dritten Staffel handgreiflich geworden ist, kann ich nur sagen: Gut so.

Underwoods unter Druck

Aber was erwartet uns jetzt? Das letzte Mal, als wir Claire im Finale der dritten Staffel sahen, ging sie mit gepackten Koffern den Flur der gemeinsamen Wohnung im Weißen Haus hinunter, ein sichtlich ergrauter und gealteter Frank blickte ihr nach. Sie sollte bei seinem Wahlkampfauftritt lächeln und winken. Aber Claire, der wir drei Jahre dabei zugesehen haben, wie sie geliebte Menschen verraten und weniger geliebte Menschen eingeschüchtert und bedroht hat, um zu bekommen, was sie will – gehört nicht in die zweite Reihe. Sie weiß das, wir wissen das – nur Frank will es nicht wissen.

Es wird das erste Mal sein, dass wir die Underwoods so unter Druck erleben. Seit dem Start der von Beau Willimon  2013 aus einer britischen Vorlage adaptierten Serie waren Frank und Claire eine Union. Ein Paar mit Differenzen, aber einem unumstößlichen gemeinsamen Ziel: Macht im Weißen Haus zu erlangen. Doch was drei Jahre lang gut funktionierte – Zusammenzuarbeiten, um Widersacher zu beseitigen – stößt auf eine scheinbar unüberwindbare Hürde: Am Ende des Wegs ist nur Platz für einen. Das zumindest ist Franks Position und sie ist aus seiner Entwicklung heraus nicht fragwürdig. Fragwürdig ist, warum Claire dies jetzt erst merkt.

Wie plausibel ist es, dass eine Person wie Claire, die jeden ihrer Schritte plant, erst nach drei Jahren aufwacht und merkt, dass im Oval Office nur ein Stuhl steht und Frank keine Ambitionen hat, ihn jemals zu räumen- auch nicht für sie?

Zwölf Stunden Dauergucken

Das wird einer der Knackpunkte der neuen Staffel sein und hoffentlich auch einer der Gründe, warum es für mich absolut notwendig sein wird, mit meinen mir unbekannten “House of Cards”-Marathon-Zombiefreunden in aller Welt mal wieder ordentlich zu bingewatchen – also so viele online gestellte Episoden wie möglich in so kurzer Zeit wie möglich zu inhalieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir 12 Stunden Dauergucken werden, ohne uns zu langweilen – schließlich hat mir erst “House of Cards” das Bingewatchen gelehrt. Sicher, an “Gilmore Girls” verlor ich ein Semester. Denn als ich studierte, gab es vormittags eine Wiederholung der Serie, nachmittags eine neue Folge und noch kein Internetangebot, aus dem ich unabhängig von Ausstrahlungszeiten selbst hätte wählen können, wann ich Folgen gucken wollte. Schnell war klar, dass Lorelai Gilmore mir wichtiger war als Vorlesungen über polnischen New Wave-Film.

Trotz dieser frühen Erfahrung im intensiven Fernsehen, für die der Grundstein gelegt wurde, als ich als 12jährige täglich stundenlang “Notruf California”, “Trapper John MD” und “Arabella” gucken konnte, ohne mit der Wimper zu gucken: Erst nachdem ich auf einem Transatlantikflug aus reiner Langeweile anfing, die erste Staffel “House of Cards” zu gucken und acht Stunden später angepisst war, dass mein Flieger landete, weil ich noch 3 Folgen zu gucken hatte, verstand ich, was “bingewatchen” bedeutet.

Filmtheorie to the rescue

Was macht den Suchtfaktor der Serie aus? Komplex verwobene Handlungsstränge, die über mehrere Episoden hinweg ineinander greifen sind nichts Neues. Mein Science-Fiction-Teenieherz schlug beispielsweise jahrelang hart und ausdauernd für “Deep Space Nine” aus genau diesem Grund (Nein, ich möchte jetzt keine „Babylon-5″ -Fans in den Kommentaren lesen). Einen Teil trägt sicher die großartige Leistung von Spacey und Wright bei – wie sich die beiden kammerspielartig umschleichen, umschmeicheln, hassen, bekriegen und immer auch wieder gegenseitig beschützen, ist rührend, packend und faszinierend. Die Preise, die beide für ihre Darstellung bekommen haben, sind absolut verdient.

Aber es ist auch die ganz spezielle Form der Ansprache, die Frank gegenüber dem Zuschauer findet. Frank bricht ein Tabu der fiktionalen Erzählung im Fernsehen und im Film und  spricht direkt mit den Zuschauern. Denn eigentlich läuft das mit TV-Serien so: Alle Handelnden auf dem Bildschirm tun so, als ob sie in einem eigenen, abgeschlossenen Universum handeln, dass uns Zuschauer vergisst – damit soll die “Suspension of Disbelief” herbeigeführt werden, wie die Filmtheorie es nennt, die “Willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit”, wie es völlig unsperrig auf Deutsch heißt.

Fiktive Serien sollen uns traditionell einreden, dass diese Figuren in einer eigenen Welt leben – aber Frank Underwood guckt uns direkt an. Er durchbricht diese Konvention und die Wand zwischen uns und ihm. Dieses Stilmittel ist zwar nicht neu, aber in der Mischung der Serie aus diesen intimen Momenten Franks mit uns, seinen Konflikten mit Claire und den abgründigen Handlungen der beiden wird es zu einem magischen Bindemittel zwischen Publikum und Serie. Wir werden zu Eingeweihten – wir werden zu den Jüngern Franks. Und als diese werden wir – unabhängig aller Theorie und aller Univorlesungen – heute sicher wieder zu Zombies.

Allerdings fiebere ich nicht nur der neuen Staffel, sondern auch der noch nicht einmal gedrehten fünften Staffel entgegen – dann wird Willimon die Fackel des Showrunners von “House of Card” weiter an Melissa Jones Gibson und Frank Pugliese geben. Beide arbeiten seit Start der Serie an “House of Cards” mit und bald werden sie entscheiden, welchen Weg Frank und Claire auf den vielleicht letzten Metern der Serie einschlagen.

Meine größte Hoffnung ist, dass sie Frank böse sein lassen, Claire zur Präsidentin machen – und ich weiter Zombie sein darf.

Eine Antwort zu “Warum ich heute zum Zombie werde”

  1. Mirco Online sagt:

    Das wurde auch Zeit. Das man immer solange warten muss bis neue Staffeln erscheinen. Und jetzt noch warten bis die Staffel komplett ist. Dann schaue ich :-)